Nach akuter Covid-19-Infektion können bei Betroffenen länger bestehende Beschwerden auftreten, die als „Long-COVID“ (Auftreten innerhalb der ersten 12 Wochen nach der Erkrankung) oder „Post-COVID“ (Beschwerden über diesen Zeitraum hinaus) bezeichnet werden.
Mindestens 10 % der Covid-19-Patienten berichten über verschiedenste Einzelsymptome oder Symptomkomplexe als Folge der Infektion, die Studienlage zur Prävalenz von anhaltenden Beschwerden ist weiterhin unsicher. Dabei sind neu auftgetretene gesundheitliche Einschränkungen von einer Verschlechterung von vorbestehenden Grunderkrankungen abzugrenzen.
Aus zweieinhalb Jahren Erfahrungen der Rehabilitation dieser Patienten (n = ca. 1000) in unserer pneumologischen Abteilung sollen folgend aus einer Analyse im Zeitraum November 2021 bis April 2022 (n = 268) sicher nicht evidenzbasierte, aber pragmatische Hinweise für den Umgang mit diesem vielgestaltigen Syndrom abgeleitet werden. Patienten, die zur pulmologischen Rehabilitation eingewiesen werden, sind selektioniert. Die Gruppe der betrachteten Long-COVID-Rehabilitanden (n = 46) ist klein, daher sind Verallgemeinerungen sehr vorsichtig zu werten. Wir beziehen uns hauptsächlich auf die Post-COVID-Rehabilitanden (n = 222).
Long-COVID (Symptomatik 5–12 Wochen nach Akut-Infektion) n = 46 |
Post-COVID (Symptomatik > 12 Wochen nach Akut-Infektion) n = 222 |
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Durchschnittsalter | 52,8 Jahre (31–74 Jahre) | 53,2 Jahre (22–77 Jahre) | |
Behandlung | stationär | 84,8 % (39) | 40,5 % (90) |
ambulant | 15,2 % (7) | 59,4 % (132) | |
Geschlecht | weiblich | 28,3 % (13) | 65 % (144) |
männlich | 71,7 % (33) | 35 % (78) |
Tab. 1: Vergleich Long- und Post-COVID-Rehabilitanden
In der Post-COVID-Gruppe (Tab. 1) findet sich ein höherer Anteil an Frauen (5). Bei diesen kann eine hohe Belastung durch Beruf, Haushalt, Pflege von Angehörigen etc. eruiert werden, die schon vor der Erkrankung häufig zu einer Überforderung und folgend durch eine Covid-19-Infektion dann zu einer Dekompensation führte.
Bei der Betrachtung der Betroffenen hinsichtlich bekannter Risikofaktoren (Tab. 2) war der hohe Anteil der Übergewichtigen und Adipösen (78 % in der Post-COVID-Gruppe) auffällig. In der BIA-Messung fällt trotz des Gewichtes meist eine Mangelernährung bei Reduktion des Muskelanteils auf – sicher ein Grund für Leistungseinschränkungen. Gewichtszunahmen um 10 kg, verbun-den mit einer Dekonditionierung, sind häufig. Dies hat pathophysiologisch einen gravierenden Einfluss auf die Atemmechanik und löst eine Inflammationskaskade mit negativer Auswirkung auf das Leistungsvermögen aus (4).
Risikofaktoren |
Long-COVID (Symptomatik 5–12 Wochen nach Akut-Infektion) n = 46 |
Post-COVID (Symptomatik > 12 Wochen nach Akut-Infektion) n = 222 |
Übergewicht | 36,9 % (17) | 32 % (72) |
Adipositas | 35,8 % (16) | 46 % (102) |
Hypertonus | 36,9 % (17) | 46,4 % (103) |
Lungenvorerkrankungen | 13 % (6) | 22,9 % (51) |
Psych. Vorerkrankungen | 2,2 % (1) | 19,8 % (44) |
Diabetes mellitus | 15,2 % (7) | 8,5 % (19) |
Immunsuppression | 21,7 % (10) | 7,2 % (16) |
Tab. 2: Risikofaktoren für Long- bzw. Post-COVID
Auffällig in der Post-COVID-Gruppe ist ein erhöhter Anteil an psychischen Vorerkrankungen mit möglichem Ein-fluss auf die Krankheitsverarbeitung. Auch trifft die hohe psychische Belastung durch die Akutsymptomatik auf eine unterschiedliche Resilienz in der Bevölkerung (6).
Fazit: Augenmerk auf den Risikofaktor Adipositas, Artikulieren der Folgen von gravierender Gewichtszunahme für die Leistungsfähigkeit (insbesondere für die Dyspnoe). Frühzeitige professionelle Unterstützung bei psychischen Vorerkrankungen.
Diagnostik bei Long- bzw. Post-COVID
- Basisdiagnostik mit Routinelabor mit Diff.-BB, IgE, TSH, BGA; EKG, Body mit Diffusionsmessung, PHQ-D als psychologisches Screening
- beschwerdeadaptiert zusätzlich pro-BNP, Troponin, ANA, ANCA, D-Dimere, CK; UKG, Röntgen Thorax, 6-min-Gehtest, Polygraphie
- MOCA-Test bei kognitiven Beschwerden
Die Ergebnisse (Tab. 3, S. 17) spiegeln Daten aus z. B. Registerdaten des NHS/UK (3) mit einer Verdreifachung von höhergradigen Herzerkrankungen nach Covid-19 oder 30 – 40 % Zunahme von Depressionen und Angststörungen wieder (7). Offen ist, wie eng der Zusammenhang zur Covid-19-Infektion ist.
Diagnostik | Ergebnisse |
pulmologisch | 6 schwere Diffusionsstörungen (davon 2 mit respiratorischer Partialinsuffizienz, 1 mit Indikation zur LTOT) |
kardiologisch | 4 neu diagnostizierte arterielle Hypertonus 3 Herzinsuffizienzen NYHA III 1 mittelgradige MI, 1 mittelgradige AS |
psychologisch | 39 behandlungsbedürftige Erkrankungen (Depressionen, Anpassungsstörungen, Angststörungen, psychische Belastungsstörung) |
sonstige | 18 Schlafapnoe-Syndrome |
gesamt | 87 behandlungsbedürftige Erkrankungen |
Tab. 3: Therapierelevante Ergebnisse der Reha-Diagnostik bei Post-COVID-Patienten (n = 222)
Fazit: Selten stecken gravierende somatische Erkrankungen hinter Post-COVID-Beschwerden. Eine kardiologische und pulmologische Basisdiagnostik bei allen Post-COVID-Patienten wird als sinnvoll erachtet. Schlafbezogene Störungen benötigen eine frühzeitige, professionelle Abklärung.
Behandlungsschwerpunkte der Rehabilitation bei Long- bzw. Post-COVID
Wichtig ist der Hinweis auf die überwiegend gute Prognose der Beschwer-den durch ein individuelles Trainingsprogramm.
Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit/Umgang mit Fatigue
- Klärung der aktuellen Belastbarkeit
- leistungsangepasstes, moderates Training mit entsprechenden Erholungsphasen (sogenanntes „Pacing“), um Betroffene in die zu Lage versetzen, sich nicht zu über- bzw. zu unterfordern
Beachtet werden sollte die post-exertionelle Malaise (PEM) im Rahmen der Myalgischen Encephalitis bzw. des chronischen Fatigue-Syndroms, die durch eine belastungsabhängige Verschlechterung charakterisiert ist. Von dieser seltenen neurologischen Erkrankung ist eine „normale“ Erschöpfung durch das Trainingsprogramm, welche nach einer Ruhepause oder spätestens am nächsten Morgen behoben ist, abzugrenzen.
Dyspnoe als vielfach beklagtes Symptom vermindern
- differentialdiagnostische Einordnung (pulmonal, kardial, Konditionsmangel)
- Atemtraining unter physiotherapeutischer Anleitung inkl. eigenständig durchgeführter Übungen (ggf. App-basiert) bei oft falschem Atemmuster
Husten bessern
- Ursachenausschluss (infektgetrigger-tes Asthma bronchiale, gastroösophagealer Reflux …)
- Sole-Inhalationen, ggf. mit zeitlich begrenzt gegebenem ICS
Thorakalen Schmerz und Engegefühl verbessern
- Ausschluss kardialer Ursachen
- Kombination von Atemgymnastik mit einer Atemmassage zur Entspannung und Stärkung der belasteten Atemmuskulatur
Training der kognitiven Leistungsfähigkeit
- Diagnostik zur Konzentrationsfähigkeit, des Gedächtnisses, der Sprache/Wortfindung und des planerischen Denkens, ggf. mithilfe des MOCA-Testes
- Trainingseinheiten in Gruppen und Einzeltrainings am PC; Anraten der individuellen Fortführung des Trainings in der Häuslichkeit mit App (z. B. NeuroNation)
Verbesserung des Geruchssinns
- regelmäßiges Training des Geruchssinns mit wiederholtem Anbieten verschiedener Gerüche mit Hinweis auf die gute Rückbildungstendenz durch Erholung der Riechzellen
Psychische Entlastung und Schaffung einer Akzeptanz für die derzeitige Situation
- Entspannungsverfahren, psychologische Mitbetreuung und Übungen, auch im Rahmen des Sportprogrammes (Tanztherapie, Idogo)
Empfehlung
Es sollte auf die Auswahl des richtigen Reha-Verfahrens für die Post-COVID-Patienten geachtet werden. Es kommen pneumologische, neurologische, psychosomatische oder auch kardiologische Schwerpunkte in Frage. Um dem Kostenträger die Zuweisung zum optimalen Verfahren zu ermöglichen, sollten neben der rehabilitationsbegründenden Diagnose (U09.9!) weitere spezifische Krankheitsfolgen (wie z. B. Kognitive Störung [F06.7], Depression [F32.-], Kopfschmerzen [F51], Anpassungsstörung [F43.2] u. a.) verschlüsselt werden, auch als Verdachtsdiagnose oder als Zuweisungsempfehlung auf dem Reha-Antrag.
Autorinnen:
Dr. Bettine Bilsing, Chefärztin
Dr. Christel Schreiber, Oberärztin
Waldburg-Zeil Kliniken
Rehabilitationsklinik Bad Salzelmen
Abteilung Onkologie/Pneumologie
Badepark 5
39218 Schönebeck
Jana Barnau, Abteilungsleiterin
Fortbildung, Ärztekammer Sachsen-Anhalt
Literatur:
- rki.de
- S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. AWMF-Register Nr. 020/027. Stand: 17.08.2022 (in Überarbeitung), gültig bis 31.08.2023.
- https://www.tk.de/resource/blob/2129682/70045874c0f603398581fe24de20219f/tk-gesundheitsreport-2022-schwerpunkt-long-covid-data.pdf
- https://www.nakos.de/data/Online-Publikationen/2022/NAKOS-Corona-Selbsthilfegruppen.pdf