Haus der Heilberufe
Nach einer zweijährigen coronabedingten Präsenzpause luden die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten und Tierärzte wieder zum traditionellen und gemeinsamen Neujahrsempfang der Heilberufe ein. Ausgerichtet wurde der Neujahrsempfang in diesem Jahr durch die Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt und die Kassenzahnärztlichen Vereinigung.
Pressegespräch
Den Auftakt in den Neujahrsempfang bildete das Pressegespräch, das von Dr. Carsten Hünecke, Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt, eröffnet wurde. Um die vorherrschende Stimmungslage in der Zahnärzteschaft widerzuspiegeln, verwies er auf das Stimmungsbarometer der Heilberufe, den Medizinklimaindex der Stiftung Gesundheit. Dieser zeigt aktuell eine bislang unbekannt negative Stimmungslage. Diese Entwicklung spiegele die Unsicherheit wider. Weiter thematisierte Dr. Hünecke den demographischen Wandel, der seine Auswirkungen in der Personalsituation zeigt. Die Zahl der Auszubildenden und Studierenden sei zwar konstant, könne aber die eintretenden Abgänge nicht aufwiegen. Die Bürokratie habe stetig zugenommen und die Gebührenordnung sei seit 1988 nicht angepasst worden. All diese Punkte tragen dazu bei, dass eine positive wirtschaftliche Entwicklung angezweifelt wird. Auch Dr. Jochen Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, bestätigte dies. Zum Punkt „Personalgewinnung“ führte er den Strukturfonds an, der bereits vor einigen Jahren für die Nachwuchsgewinnung ins Leben gerufen wurde. Hier wäre aber auch eine Beteiligung der Politik wünschenswert, genauso sollte eine Landeszahnarztquote etabliert werden.
Professor Dr. Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, ging u. a. auf den Missstand in der Kinder- und Jugendversorgung ein. Er betonte, dass dies kein neues Thema sei und die Ärztekammer bereits seit einiger Zeit darauf hinweist und auch bestrebt sei, im Rahmen der Möglichkeiten mitzuwirken. Schockierend sei auch die vorherrschende Gewaltbereitschaft gegenüber den Rettungskräften – wie in der vergangenen Silvesternacht. Aus diesenEntwicklungen muss ein konsequentes Vorgehen resultieren, sonst würde die Nachwuchsgewinnung für diesen Bereich zusätzlich erschwert werden.
Weiter verweist Professor Ebmeyer auf die angespannte wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser. Aufgrund des Vergütungssystem und aktuell steigender Kosten sei ein politisches Umdenken dringend notwendig – hier müsse man sich endlich von der rein ökonomischen Orientierung lösen. In diesem Jahr werden zwei Krankenhausreformen, einmal auf Bundesebene und einmal auf Landesebene, erwartet. Diese könnten – soweit diese konsequent umgesetzt werden – zu einer kontrolliert strukturierten Versorgungslandschaft führen.

Darüber hinaus wies der Präsident auf die gleichermaßen schwierige Lage in den Arztpraxen des Landes hin und appellierte an die Politik, auch diese ausreichend zu unterstützen. Die Corona-Pandemie oder die aktuellen Virusinfektionen zeigen, wie selbstverständlich die niedergelassenen Kollegen – auch in belastenden Situationen – ihren Versorgungsauftrag wahrnehmen. Notwendige Unterstützungen der Politik könnten eine angemessene Würdigung darstellen.
Auch die Lieferengpässe bei der Beschaffung von Medikamenten und Verbrauchsmaterialien zeigen die Auswirkungen einer rein ökonomischen Ausrichtung des Gesundheitswesens. Diese gefährden zusätzlich die Versorgung!
Wir verlangen eine Ausbildungsoffensive und fordern eine deutschlandweite Erhöhung der Medizinstudienplätze. Nur das ist sinnvoll, statt Unsummen in den Aufbau arztfremder medizinischer Versorgungsstrukturen zu investieren.“
Als ein weiteres brisantes Thema führte der Präsident der Ärztekammer die Personalnot auf. Der weiter zu erkennende Trend einer zunehmenden Teilzeittätigkeit führe zu einem Verlust der Arztarbeitszeit. Dadurch würde der entstehende Druck, die Versorgung aufrecht erhalten zu können, erhöht. Um dem Mangel langfristig entgegenwirken zu können, muss die Anzahl der Medizinstudienplätze bundesweit erhöht werden. Bereits im letzten Jahr rief die Ärztekammer Sachsen-Anhalt, zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, die Initiative „Raus aus der Schule und rein in die Medizin“ ins Leben. Hier werden Informationsveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt angeboten, die den Wunsch haben, in Sachsen-Anhalt Medizin zu studieren.
Dr. Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, bestätigte dies und brachte an, dass von den rund 400 Studierenden an den Medizinischen Fakultäten im Land nur etwa 130 in Sachsen-Anhalt bleiben würden. Wären die Studierenden hier sozial verwurzelt, wäre die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass diese in Sachsen-Anhalt auf Dauer tätig blieben. Dr. Böhme formulierte den klaren Wunsch an die Politik, den Koalitionsvertrag endlich mit Leben zu füllen. Sparen am Gesundheitswesen, sei Sparen auf Kosten der Bürger.
Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt, und Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt e. V., führten unter anderem die Lieferengpässe von vielen Medikamenten als besondere Herausforderung auf. Dr. Wolfgang Gaede, Präsident der Tierärztekammer Sachsen-Anhalt, nannte die flächendeckende Notfallversorgung und den Rückgang der Tierärzte und -ärztinnen in eigener Niederlassung als Probleme, die es zu lösen gilt.
Neujahrsempfang

Der Einladung zum diesjährige Neujahrsempfang folgten rund 140 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Ärzteschaft. Er wurde mit der Begrüßung durch Dr. Carsten Hünecke eröffnet.
Frau Petra Grimm-Benne, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, skizzierte in ihrem Grußwort die aktuelle politische Lage. Sie betonte, dass Corona vielleicht vorbei sei, die Folgen jedoch noch nicht. Es verlange nach strategischen und strukturellen Verbesserungen in der medizinischen Versorgung, inklusive der Pflege. Auch die Digitalisierung habe einen festen Platz auf der Agenda, selbst wenn sie aktuell noch wenig Mehrwert biete. Weitere Punkte, die in diesem Jahr verfolgt werden, seien die Reform der Notfallversorgung und das Gutachten zur Krankenhauslandschaft, das noch in diesem Frühjahr zu erwarten sei.
Podiumsdiskussion

Um die in der Praxis vorherrschende Situation spürbar zu machen, wurde eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der verschiedenen Gesundheitsberufe durchgeführt. Sie teilten ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit den Anwesenden und formulierten klare Wünsche an die Politik.
Als Vertreterin der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nahm Frau Dr. Julia Steinicke an der Runde teil. Prinzipiell befürwortet sie die Digitalisierung, nimmt diese aber aktuell noch als Hemmnis wahr. Zu viel Zeit müsse man für Vorgänge investieren, die analog momentan noch schneller zu erledigen seien. Auch die anzuschaffende Technik und der dafür nötige Support steht noch in keinem Verhältnis zum Nutzen. Erst nach ausgiebiger Testung solle es zu einer verbindlichen Einführung kommen.
Im Bereich der stationären Versorgung müsse an den Fallpauschalen gearbeitet werden, so Dr. Henning Böhme, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Chefarzt am Harzklinikum Wernigerode. Aktuell werden keine Vorhaltekosten in den Fallpauschalen berücksichtigt. Diese sind aber essentiell, denn auch die nicht belegten Krankenhausbetten müssen vorgehalten werden. Er betonte, dass die Medizin nicht wie die Industrie funktioniere und nicht planbar sei. Ein weiterer Wunsch, den er vorbrachte, war das grundsätzliche Aussetzen des Parameters „Grenzverweildauer“ für einen Krankenhausaufenthalt.
Die Vertreter und Vertreterin der Apotheker und Zahnärzte sahen ebenso in der Nachwuchssicherung, der vorherrschenden Bürokratie und der strikten Budgetierung ihre Herausforderungen.
Fotos: Viktoria Kühne