Prof. Dr. Udo Rebmann
Prof. Dr. Udo Rebmann

Digitalisierung hat nicht nur in Großkonzernen Einzug gehalten. Wir sind längst angekommen im digitalen Zeitalter des Gesundheitswesens. Daran werden wir auch nichts mehr ändern können. Verändern müssen wir aber unseren Umgang damit, denn besonders diese Veränderungen werden in Zukunft unser Leben bestimmen. Die medizinische Informatik entwickelt primär die Anwendung, die in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegehäusern eingesetzt werden. Dagegen eröffnet die digitale Vernetzung völlig neue Möglichkeiten der Patientenüberwachung wie auch der Selbstkontrolle. Die fortschrittlichen Technologien der Smartphones ermöglichen auch für medizinische Zwecke unzählige Möglichkeiten. Vernetzungen im Gesundheitswesen und „Big Data“ sind die Trends der Zeit.

Mit dem 2016 in Kraft getretenen E-Health-Gesetz hat die Bundesregierung wichtige Ansätze auf den Weg gebracht. Dabei wird dieses Gesetz schon wieder von der Wirklichkeit überholt. Während auf der Gesundheitskarte lediglich Name, Anschrift, Geburtsdatum und Versicherungsnummer stehen, ist es mit Hilfe verschiedener angebotener Apps möglich, via Smartphone Erkrankungen von Herz, Kreislauf, Diabetes und Psyche diagnostizieren zu lassen. Diabetiker können ihre Erkrankung über Internetplattformen managen und lernen so nicht nur Blutzucker, Insulinmengen und Broteinheiten zu verwalten, sondern gleichfalls auch, wie man mit seinem Diabetes durchs Leben kommt. Die Schwangere kann täglich ihre App befragen und muss nicht auf den nächsten Termin beim Gynäkologen warten. Herzrhythmusstörungen kann der Patient selbst diagnostizieren. Sein eigenes Heim wird damit zu seinem Sprechzimmer. In der Welt der Internetmedizin bestimmt nicht mehr der Arzt, was der Patient zu tun hat, sondern der Patient wählt aus dem großen Angebot, was er für nützlich hält.

Faszinierend oder erschreckend? Es bleibt die berechtigte Frage, wie gut diese Welt tatsächlich für unsere Patienten ist? Wie valide sind die selbst erhobenen Daten? Wird Medizin dadurch menschlicher? Mit Sicherheit aber anonymer und schneller! Brauchen wir das? Wird die Verdichtung der Arbeit noch zunehmen? Wird Medizin der begrenzten Mittel noch ökonomisierter? All diese Fragen mit den daraus resultierenden Ergebnissen sind bereits übergangen, die Digitalisierung ist da. Sicher ist allerdings, dass die Ausbildung des Arztes sich nicht einfach in Software gießen lässt. Allerdings wird sich das Arzt-Patienten-Verhältnis ändern. Apps werden den Arztbesuch im Positiven nicht ersetzen, aber eher zielgerichteter gestalten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Akzeptanz der „Tele- oder Digitalen Medizin“ in der Bevölkerung noch überschaubar, wird sich aber in Zukunft wahrscheinlich erheblich vergrößern.

Über Datenschutz wird, was Apps angeht, noch kein Wort verloren. Während Daten resultierend aus dem E-Health-Gesetz auf „sicheren“ Wegen verwaltet werden, sind Daten der kommerziellen App-Anbieter letztendlich „freie Ware“, die einer Währung gleichen und zu Marketingzwecken, eventuell zu Forschungszwecken verkauft werden. Diese Apps werden von vielen Menschen aktuell freiwillig und begeistert mit Daten gefüttert, das ist der „Facebook-Effekt“. Andere lehnen es strikt ab. Welche der Entscheidungen überwiegen, ist derzeit völlig unklar – entscheidend wird wie immer sein, wo sich die Masse irgendwann hinbewegt und vor allem, wie die Industrie es schafft, sie zu manipulieren! Ohne Frage ergibt sich durch die Auswertung von Daten auf diesem neuen, immens schnellen Weg eine massive Beschleunigung der klinischen Forschung. Einerseits revolutionär gut, andererseits ein lauerndes gigantisches Geschäft und eine Geldmaschine. Man darf davon ausgehen, dass zwar die Datenerhebung bahnbrechend schneller und besser wird, aber dass die unangenehmen Wahrheiten in Zukunft noch viel mehr im Verborgenen bleiben werden. Wenn dieser Markt nicht irgendwie regulierbar wird, drohen hier tatsächlich auch große Gefahren für die Gesundheitsfürsorge. Vergessen wird hierbei das Charisma des Arztes im Zusammenspiel mit dem Patienten, das Gefühl, die spirituelle Seite sowie die Hinwendung und die Haptik. All diese Dinge sind entscheidend für richtige Diagnostik und Therapie.

Ob auch die im E-Health-Gesetz genannte „Telemedizin“ hinsichtlich Kostenersparnis im Gesundheitswesen positive Effekte hat, zeigt sich zurzeit nicht. Studien der hKK-Krankenkasse zeigen außer einem kleinen Nutzen nur ein großes Geschäft für die Anbieter. Nur wenn wir uns einmischen, kann das Richtige entstehen und passieren. Wir sollten kritisch sein – aber bitte nicht den alten Fehler machen, Dinge nur deshalb abzulehnen, weil sie „Neu“ sind. Alle bewährten Verfahren und Vorgehensweisen waren in der Vergangenheit auch mal „Neu“. Und bedenken Sie – bisher war die Zukunft der Medizin immer besser als die Vergangenheit.

Prof. Dr. med. Udo Rebmann
Mitglied des Vorstandes