Dr. med. Gunther Gosch
Dr. med. Gunther Gosch

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

im Januar 2017 veröffentlichte das RKI eine Pressemitteilung mit Impfquoten zu Rota-, HPV-, Masern- und Influenza-Impfungen und machte damit auf Fortschritte, mehr jedoch auf Defizite und regionale Differenzen bei den Impfquoten aufmerksam. Das RKI unterstreicht damit den Handlungsbedarf nicht nur auf der Ebene der impfenden Ärzte, sondern auch den der Politik.

Die Influenzaimpfquote bei über 60-jährigen in der Saison 2015/16 ist im bundesdeutschen Durchschnitt mit 35,3 % viel zu niedrig und tendenziell abnehmend. Die Influenzaimpfquote bei Kindern und Jugendlichen liegt anderen Quellen zufolge bei lediglich 4 %. Obgleich Sachsen-Anhalt mit einer Influenzaimpfrate von 55 % zumindest bei Senioren den Spitzenplatz in Deutschland einnimmt, kann von einer umfassenden und wirksamen Protektion keine Rede sein. Dass die Signale des RKI
– inzwischen – auch auf der politischen Ebene wahrgenommen werden, zeigt das Mitte Mai 2017 aufgelegte Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz AMVSG, dessen impfmedizinische Ausrichtung besonders im Hinblick auf die Influenzaimpfung indes von den gesetzlichen Krankenkassen weitgehend negiert wird. Im AMVSG wird eine mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz AMNOG 2011 inaugurierte politische Fehlentscheidung revidiert, die gesetzlichen Krankenkassen mittels des § 132e SGB V ermöglichte, Rabattverträge mit einzelnen Impfstoffherstellern abzuschließen und Ärzte zu zwingen, ausschließlich nach dem Billigstprinzip durch Kassen festgelegte Influenzaimpfstoffe zu verwenden. Nicht nur im Zusammenhang mit Lieferschwierigkeiten der beiden Exklusivhersteller traten immer wieder Versorgungsengpässe auf, sondern konnten moderne Influenzaimpfstoffe wie adjuvantierte für Senioren, lebendattenuierte für Kinder und Jugendliche, hühnereiweißfreie für Allergiker, tetravalente zur Protektion vor beiden seit ca. 17 Jahren in Deutschland prävalenten Influenza-B-Virus-Varianten Kassenpatienten nur eingeschränkt und unter dem Damoklesschwert des Regresses Anwendung finden. Die mantraartig durch die Kassen wiederholte Behauptung, alle (zugelassenen) Grippe­impfstoffe wirken gleichermaßen und die STIKO empfehle trivalente Grippeimpfstoffe, sind geschickt platzierte Teilwahrheiten. Die STIKO empfiehlt die Anwendung von Grippeimpfstoffen in einer durch die WHO empfohlenen Antigenkombination und weist in verschiedenen Stellungnahmen auf deren potenziellen Nutzen hin; die WHO empfiehlt seit 2012 die Nutzung tetravalenter Grippeimpfstoffe.

Das AMVSG gestattet es ausdrücklich, Impfstoffe jedes Herstellers zu verwenden. Soweit sich die Impfung (nicht der Impfstoff!) im Rahmen der Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA bewegt, müssen die Impfstoffe durch die GKV erstattet werden.
Die Verbände der GKV indes üben mit Schreiben an Ärzte unter Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot erheblichen Druck aus, erwecken den Eindruck, dass ungeachtet des Willens des Gesetzgebers auch in Sachsen-Anhalt ausschließlich die rabattierten Impfstoffe verwendet werden müssen und drohen unverhohlen mit Wirtschaftlichkeitsprüfung und Regress. Selbst für Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr, die in der Ausschreibung ausdrücklich ausgenommen sind, sollen Impfstoffe nach Kassendiktat verwendet werden.

Auf die ignorante Haltung der Kassen reagierte nicht nur der 120. Deutsche Ärztetag mit einer Entschließung, sondern auch das BMGS mit zwei klar formulierten Anschreiben an den GKV-Spitzenverband, die KBV, das BVA und die Hersteller. Einem BMGS-Schreiben vom 21.06.17 zufolge dürfen Ärzte ab sofort „wieder die Impfstoffe jedes Impfstoffherstellers verordnen. Eine Einschränkung der Verordnung auf Impfstoffe bestimmter Hersteller besteht nicht“. Auch bei Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) sei „nicht allein auf den bisherigen Vertragsimpfstoff abzustellen“. Eine Stellungnahme der GKV dazu liegt bislang nicht vor. Zu hoffen bleibt, dass die als Aufsichtsbehörde der Krankenkassen und ärztlichen Körperschaften fungierenden Landesministerien eindeutig Stellung zu den Vorgaben des Gesetzgebers beziehen. Die Ärztekammer hat das Ministerium als unsere Aufsichtsbehörde gebeten, ein gemeinsames Gespräch mit allen Beteiligten zu führen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte folgen Sie dem aktuellen Stand medizinischen Wissens, den Grundsätzen der ärztlichen Therapiefreiheit und dem Willen des Gesetzgebers. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen und schützen Sie Ihre Patienten mit alters- und risikogruppenangepassten Grippeimpfstoffen.

Dr. med. Gunther Gosch