Henrik Straub
Henrik Straub

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Jahr 2017 neigt sich dem Ende zu. Es war ein ereignisreiches Jahr und wie immer gab es Positives und Negatives zu vermelden.

Das Weihnachtsfest 2016 in Deutschland wurde getrübt durch den furchtbaren Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche mit zwölf Toten.

Auch in der Silvesternacht forderte der Terror 39 Tote im Istanbuler Nachtclub „Reina“, darunter waren auch zwei deutsche Staatsbürger. Wie reagierte die Weltgemeinschaft auf die permanente Bedrohung durch den Terror? Leider nicht nur mit einem Zusammenrücken und Bekundungen der Solidarität. Bedeutende Nationen wie die USA und die Türkei haben Präsidenten gewählt bzw. gestärkt, die selbst in den eignen Ländern tiefe Gräben aufreißen und internationale Entspannungsprozesse unterminieren. Wir in Europa sind weit davon entfernt, anstehende Probleme wie die Flüchtlingskrise im solidarischen Miteinander zu lösen. Nationalistische Staatenlenker in Ungarn und Polen, ein deutlicher politischer Rechtsruck in Österreich, das begonnene Brexit-Verfahren und Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen zeichnen auch in Europa ein erschreckendes Bild der Spaltung und Uneinigkeit. Daher ist hier ein „Weiter so“ nicht angebracht, eine Botschaft, die der Politik vom deutschen Wähler mit dem Ergebnis der Bundestagswahl eindrucksvoll in der ganzen gedanklichen Zerrissenheit der verschiedenen politischen Argumentationen präsentiert wurde. Es bleibt zu hoffen, dass der mit der Wahl eingeleitete „Wind of Change“ kein laues Lüftchen bleibt, intelligente und praktikable Lösungen mit sich bringt und sich die möglichen Koalitionäre nicht im Jamaikanischen Dschungel verirren und den Blick für das Wesentliche verlieren.

Bisherige Verlautbarungen der Jamaika-Koalitionäre zur Gesundheitspolitik, „dass sich die Menschen in unserem Land auf eine gute medizinische und pflegerische Versorgung verlassen können müssen, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort“ und die Sicherung von Fachkräften von „zentraler Bedeutung“ sei, sind altbekannte Worthülsen und sorgen bei vielen wohl allenfalls für ein trauriges, mitleidiges Lächeln.

Zurück nach Sachsen-Anhalt. Was konnten wir 2017 hier bei uns zur Verbesserung der Versorgung der uns anvertrauten Patienten erreichen und welche „Baustellen“ begleiten uns weiter im Jahr 2018 und darüber hinaus?

Die Sensibilität führender Landespolitiker zur Fortführung des Landes-Herzinfarktregisters wurde gestärkt, was seinen Ausdruck in einem im August durchgeführten Parlamentarischen Abend zur „Herz-Kreislaufgesundheit in Sachsen-Anhalt“ in unserer Landesgeschäftsstelle fand. Nach intensiven Bemühungen von Vorstand und Geschäftsführung hat die Ärztekammer Sachsen-Anhalt die Trägerschaft für unser Landeskrebsregister übernommen.

Die Kompetenzzentren Allgemeinmedizin in Halle und Magdeburg wurden installiert und nehmen ihre Arbeit auf. Doch viel Arbeit zur Organisation einer guten Patientenversorgung liegt noch vor uns. Zu allererst muss den Verantwortlichen in der Politik klar gemacht werden, was wir als Ärzte von den Politikern zur Erreichung dieses Zieles erwarten. Für eine zukunftssichere medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung müssen Ökonomisierung, Bürokratisierung und Budgetierung im Gesundheitswesen beendet werden.

Für die Sicherung der ärztlichen und pflegerischen Versorgung und der damit verbundenen Nachwuchsgewinnung hat die Politik die notwendigen strukturellen Voraussetzungen zu schaffen. Dazu gehören im Bereich der Krankenhäuser und stationären Pflegeeinrichtungen die Festlegung von Personalschlüsseln im ärztlichen und pflegerischen Bereich inklusive der Regelung der erforderlichen Finanzierung. Im ambulanten Bereich ist für eine angemessene Bedarfsplanung Sorge zu tragen, die eine wohnortnahe medizinische Versorgung der Stadt- und Landbevölkerung gewährleistet. Auf dem Land sind die Strukturen zu erhalten, die im landwirtschaftlich geprägten Sachsen-Anhalt den Verbleib der Landbevölkerung sichern, einen Zuzug aus den Städten fördern und die Ansiedlung von Ärzten und Pflegediensten erleichtern. Dazu gehören Kindertagesstätten, Grundschulen, Einkaufs- und Versorgungseinrichtungen, ein leistungsfähiger und nutzerfreundlicher öffentlicher Personen-Nahverkehr und ein ausreichendes Angebot von Arbeitsplätzen.

Ein weiterer Schwerpunkt in den kommenden Jahren ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die sich damit bietenden Möglichkeiten sind immens, aber immens werden sicher auch die Probleme bei der Implementierung. Diese Implementierung muss sich am praktischen Nutzen für unsere tägliche Arbeit orientieren, wobei Arbeitserleichterung, Zeitersparnis und Entbürokratisierung zentrale Forderungen der Ärzte und Pflegekräfte sein werden. Darüber hinaus gilt es, eine finanzielle Belastung der Einrichtungen des Gesundheitswesens bei der Digitalisierung zu verhindern.

Mit der Reform des Medizinstudiums möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen, der uns in den kommenden Jahren begleiten wird und in den letzten Wochen die Gemüter gerade hier in Sachsen-Anhalt erhitzt hat. Ausgangspunkt war das Volksstimme-Interview unserer Landesärztekammerpräsidentin, in dem sie sich für den Erhalt des Numerus clausus als Kriterium zur Vergabe von Medizinstudienplätzen aussprach. Die nachfolgende, lebhafte Diskussion zeigt die Brisanz des Themas und reichte in den Kommentaren von vorbehaltloser Zustimmung bis hin zu Vorwürfen von Arroganz und Diskriminierung.

Ich denke, man kann mit dem prinzipiellen Ansinnen unserer Präsidentin einverstanden sein. Sie will weiterhin die Eliten der gymnasialen Absolventen für ein Medizinstudium gewinnen. Aber ist es ausreichend für den Eliteanspruch, Herausragendes (Abiturnote 1,0) geleistet zu haben? Ich denke, Kriterien wie Vorbild, Verpflichtung und Verantwortungsbewusstsein sind unabdingbar, um sich zu einer Elite zählen zu dürfen. Und Gymnasiasten, die diese Elite-Kriterien bezogen auf Menschlichkeit, soziale Kompetenz, Empathie und Leistungsbereitschaft erfüllen, eventuell sogar medizinische Vorkenntnisse mitbringen, wollen wir doch künftig gern als Kollegen begrüßen. Die Reduktion auf „geistige Eliten“ greift da sicher zu kurz und wird den Anforderungen an den Arztberuf keinesfalls gerecht. Außerdem sollten landespolitisch endlich Voraussetzungen für die Anwendung von Zulassungskriterien geschaffen werden, die die ärztliche Nachwuchsgewinnung für eine flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung in Sachsen-Anhalt in den Fokus stellen.

Weiterhin gilt es, die Aufmerksamkeit der Politiker auf die Anzahl der vorhandenen Studienplätze im Fach Humanmedizin zu lenken. Im Jahr 1990 gab es in den alten Bundesländern im Studiengang Humanmedizin rund 12.000 Studienplätze. Mit den acht medizinischen Fakultäten der DDR hätte es nach der Wiedervereinigung jährlich ca. 16.000 Studienplätze geben müssen. Aktuell leben wir in der Bundesrepublik Deutschland mit knapp 10.000 Studienplätzen der Humanmedizin. Das ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer Erhöhung der Bevölkerungszahl durch die zunehmende Zahl der (nicht immer gesunden) Migranten zu wenig. Deshalb fordert der Marburger Bund zurecht eine Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze in Deutschland um mindestens 10 Prozent. Die Aufgabe der Hochschulen wird es dann sein, die höhere Zahl der Studienanfänger in eine höhere Zahl erfolgreicher Studienabsolventen zu überführen, um den allgegenwärtigen Mangel an Haus- und Fachärzten abbauen zu können.

In Zeiten mit immer besser informierten Patienten, die über das Internet Zugang zu Unmengen medizinischer Daten und Fakten haben, ist eine Anpassung der Studienstruktur und Ausbildungsinhalte, wie im „Masterplan Medizinstudium 2020“ gefordert, längst überfällig. Die Zeit der „Halbgötter in Weiß“, deren Diagnosen und Therapieentscheidungen demütig hingenommen werden, ist vorbei. Wir brauchen ein praxisnahes Studium, das an der besseren Vermittlung arztbezogener Fähigkeiten ausgerichtet ist. Dabei sind eine enge Verzahnung von vorklinischen, klinischen, nicht-operativen und operativen Studieninhalten und die Befähigung zu einer adäquaten Arzt-Patienten-Kommunikation unter Berücksichtigung der zugänglichen Internet-Informationen zu realisieren. Ebenso ist der Vermittlung von Kenntnissen in der ambulanten Patientenversorgung ein höherer Stellenwert einzuräumen.

Wenn zur Erreichung dieser Ziele für die Reform des Medizinstudiums eine Änderung der Approbationsordnung erforderlich wird, sollte auch dies ohne Zeitverzug angegangen werden.

Die Kammerversammlung unserer Ärztekammer hat zur Sicherung der ärztlichen Versorgung in Sachsen-Anhalt am 04.11.2017 eine Entschließung verabschiedet, die diese Problematik aufgreift und eine Beteiligung der Politik an der Problemlösung einfordert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es kommt Großes auf uns zu. Das Jahr 2018 wird interessant, anspruchsvoll und hält sicher eine Vielzahl an Überraschungen bereit. Bleiben Sie gesund und heiter und lassen Sie uns unsere Probleme gemeinsam im fairen und sachlichen Diskurs analysieren und lösen!

Uns allen einen friedlichen Jahreswechsel und ein erfolgreiches 2018.

Ihr Henrik Straub