Prof. Dr. Uwe Ebmeyer
Prof. Dr. Uwe Ebmeyer

Dass die Grenzöffnung vor nunmehr 30 Jahren für uns alle persönlich und für unseren Beruf tiefgreifende Veränderungen gebracht hat, ist unbestritten. Unbestritten ist auch, dass einiges von dem, was in den ersten Jahren nach dem Mauerfall aus dem DDR Gesundheitssystem nicht übernommen wurde, inzwischen (zumeist unter einem anderen Namen) neu erfunden wurde … oder wird.

Die gemeinsame ambulante Versorgung mehrerer Fachrichtungen in den Polikliniken wird heute in Praxisgemeinschaften und großen MVZ realisiert, aus dem SV-Buch soll eine Gesundheitskarte werden, aus der Gemeindeschwester wurde eine Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis und die SMH-Notfallversorgung wird gerade in Berlin neu erfunden.

Und genau an dieser Stelle kommt das eingangs erwähnte Dreibein ins Spiel. Haben Sie einmal versucht, eine Bank mit zwei Beinen sicher und fest aufzustellen? Das geht nur, werden Sie sagen, wenn die beiden Beine sehr fest im Boden verankert sind. Wackelt nur ein Bein, so wackelt die ganze Bank. So ist es auch mit den beiden Säulen unserer Notfallversorgung. Im Fundament der ambulanten und der stationären Notfallversorgung wackelt es schon lange. Alle Bemühungen, den Patienten auf der jeweils richtigen Seite der Bank zum Sitzen zu bewegen, in das für ihn notwendige Versorgungssystem zu lenken, haben nicht den gewünschten Effekt gebracht. Ein Teil unserer Notfallpatienten ist inzwischen so lange und so oft zwischen den beiden Versorgungspfeilern gewechselt, dass der Unterbau dieses so nicht mehr verkraftet. Unsere Bank wackelt mehr denn je. Nun haben die Berliner Baumeister im Bundesgesundheitsministerium erkannt, dass eine Bank sehr viel stabiler steht, wenn sie nicht zwei oder vier (bei Letzterem kann es nämlich auch wieder kippeln), sondern drei Beine hat. Auch auf einem unebenen Untergrund kann so ein einigermaßen stabiler Stand gewährleistet werden. Das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung soll es richten. Unser drittes Bein heißt „Integrierte Notfallversorgung“. Der derzeit intensiv diskutierte Gesetzesentwurf beschreibt vier Elemente: die Schaffung gemeinsamer Notfallleitstellen, den Aufbau Integrierter Notfallzentren, die Aufwertung des Rettungsdienstes als Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Im Zentrum der Versorgung sollen zukünftig Integrierte Notfallzentren; kurz INZ, stehen. Die INZ sollen als eigenständige Einheit zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor eine indikationsgerechtere Versorgung von Notfallpatienten verschiedener Schweregrade ermöglichen. Sie sollen rund um die Uhr an allen Tagen der Woche verfügbar sein und gemeinsam von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern eingerichtet und betrieben werden.

Irgendwie entdecken wir hier 30 Jahre nach der Wende auch ein paar gute alte Bekannte wieder. Das Prinzip der SMH mit zentraler Notrufnummer 115 und den beiden Bereichen DHD und DMH, also dem Dringenden Hausbesuchsdienst und dem, was wir heute Notarztdienst nennen, wird jetzt durch eine direkte Verzahnung des Rettungsdienstes (112) und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (116, 117) und den Zentralen Notaufnahmen zu neuem Leben wiedererwachen. Ein gemeinsamer Indikationskatalog soll helfen, die Patienten in die jeweils notwendige Versorgungsstruktur zu lenken.

Das alles erscheint sinnvoll und hat bessere Erfolgsaussichten als alle bisherigen Steuerungsversuche. ABER… unser Bundesgesundheitsminister – oder besser seine Mitarbeiter, denn der Entwurf enthält sicherlich nicht zufällig noch den Vermerk „Nicht mit der Hausleitung abgestimmt“ – will mit diesem Gesetz auch gleich den KV-Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung aufheben und den Ländern übertragen. Die Konsequenzen erscheinen unüberschaubar. Ist es notwendig, dass zur Erlangung der anderen Ziele gleich der Sicherstellungsauftrag in Frage gestellt werden muss? Dies muss angezweifelt werden; ebenso wie die Vorstellung, dass unsere Landesregierung sich selbst um die Sicherstellung im Land kümmern möchte. Als letzte Instanz bleibt der Bundesrat, denn ohne eine Zustimmung der Länder und ohne eine Änderung des Grundgesetzes werden wesentliche Teile des Gesetzes nicht umsetzbar sein. Fortsetzung folgt.

apl. Prof. Dr. Uwe Ebmeyer
Vizepräsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt