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Die Fähigkeit, mit Druck umzugehen, ist entscheidend für unser Wohlbefinden.
Hochresiliente Menschen sind nicht nur gelassener, gesünder und glücklicher, sondern auch erfolgreicher. Wenn man versucht einen Schwamm zu zertreten, wird dieser nach kurzer Zeit immer wieder die Form annehmen, die er ursprünglich hatte. Übertragen auf den Menschen/den Arzt bedeutet das, egal wie niedergeschlagen man mental ist, egal welchen Tiefpunkt man erreicht hat, irgendwann erholt man sich normalerweise wieder, man ist wieder der Alte. Je schneller man das schafft, um so zügiger ist man wieder im Wohlfühlbereich. Das ist Resilienz.
Die Fähigkeit, mit Druck umzugehen, ist also entscheidend für unser Wohlbefinden. Und je schneller wir in Stresssituationen unser Gleichgewicht wiederfinden, desto besser ist das für den Erfolg unseres Tuns, egal ob beruflich oder privat. Die Politik rechnet ganz offensichtlich mit hochresilienten Ärzten. Anders ist die täglich zu bewältigende Regelungswucht des Gesetzgebers auch nicht auszuhalten.
Zwanzig Gesetze in zwanzig Monaten, 16 davon sind abgeschlossen. Mangelnden Fleiß und fehlende Durchsetzungsfähigkeit kann man dem Minister Spahn nicht vorwerfen. Wohl aber, dass er es mit dem Tempo übertreibt. Abgeordnete im Bundestag haben kaum noch Zeit, sich mit den meist hochkomplexen Gesetzesentwürfen und den in der Regel zahlreichen im Bundesgesundheitsministerium vorformulierten Änderungsanträgen ernsthaft auseinanderzusetzen. Sie sind zum bloßen abnicken der Vorhaben verdammt. Unter Druck stehen aber auch die Verbände und Institutionen der organisierten Zivilgesellschaft. Ihre Aufgabe ist es, die Gesetzentwürfe auf ihre Praxistauglichkeit abzuklopfen. Für Interessenvertretungen, auch für die der Ärzteschaft, bedeuten zwanzig Gesetze die Ausarbeitung von mindestens 40 ausführlichen schriftlichen Stellungnahmen, jeweils zum Referentenentwurf und später zum Kabinettsentwurf. Dazu kommen Beteiligungen an Expertenanhörungen, Abstimmungen auf Arbeitsebene und zahlreiche Gespräche im parlamentarischen Raum. Der Minister fordert auch diesen Organisationen ein Höchstmaß an Resilienz ab. Die Ärztekammer kann ein Lied davon singen.
Problematisch ist aber vor allem, dass die Regierung immer neue gesetzliche Regelungen vornimmt, noch ehe vorherige Gesetzesmaßnahmen überhaupt Wirkung entfalten konnten. Beim Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) treibt sie es auf die Spitze. Zu Jahresbeginn trat das DVG in Kraft und dieser Tage soll bereits das DVG II präsentiert werden.
Überhaupt fordert das Durcheinander beim Thema Digitalisierung, besonders bei der Telematikinfrastruktur, eine spezielle Art der mentalen Bewältigung, wenn die Kollegen nicht einer Art Bunkermentalität verfallen sollen.
Man muss konstatieren, dass sich die Ärzteschaft einer elektronischen Vernetzung jahrelang verweigert und von Teufelszeug und Schikane geredet hat, anstatt sich einer konstruktiven Diskussion zu stellen. Der Minister hat für seine 51 % Anteile an der Gematik gesorgt und gibt jetzt den Takt an. Die Ärzteschaft muss sich nun endlich den modernen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen.
Elektronisch vernetze Leistungsanbieter – Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken etc. – könnten viel zur Vereinfachung der Kommunikation, zur Reduktion von doppelt und dreifach veranlassten Leistungen, beitragen. Aber das Ministerium darf auch hier nicht überziehen. Es muss die Prioritäten richtig setzen. E-Health ist kein Selbstzweck. Der Ausbau digitaler Strukturen in unserem Gesundheitswesen muss sich primär an den Bedürfnissen der Patienten orientieren und nicht an den Marktinteressen der Digitalwirtschaft.
Wenn man sich aber die mit dem DVG geschaffenen neuen Möglichkeiten zum Beispiel für Apps auf Kassenkosten – zunächst ohne genauere Prüfung der Wirksamkeit – genauer anschaut, darf man fragen: Waren hier die Bedürfnisse der Patienten handlungsleitend oder die Interessen der hippen Start-up-Szene rund um die Berliner Friedrichstraße?
Aber es gibt noch vieles mehr zu hinterfragen: da ist zum einen der immer noch bestehende Handlungsbedarf bei der Anerkennung von Ärzten mit Drittstaatenausbildung. Wo bleibt hier das dritte Staatsexamen? Der Marburger Bund wirft den Kammervertretern, die diese Forderung aufmachen, fehlende Willkommenskultur vor. Ich würde sagen Inländerdiskriminierung muss aufhören und Patientensicherheit geht vor.
Zum anderen gibt es nach wie vor private Klinikketten, die sich weigern, sich einem Tarifvertrag zu stellen. Sie verweigern sogar jegliche Aufnahme von Tarifverhandlungen. Nunmehr ist die Politik in unserem Bundesland gefordert, keine weitere Privatisierung zuzulassen. Es reicht. Ärzte und Patienten haben kein Verständnis, wenn das Land zur Rettung der Nord/LB 200 Millionen Euro ausgibt und einen Kredit aufnimmt aber zur Rettung und Verhinderung der Privatisierung des Klinikums im Burgenlandkreis kein Geld hat.
Das darf nicht passieren, Herr Finanzminister Richter, verhindern Sie das! Jahrelang wurden die fehlenden Investitionen in unsere Krankenhäuser politisch toleriert. Und jetzt müssen die Ärzte, Pfleger und Patienten die Folgen (er)tragen. Ich könnte die Reihe fortsetzen.
„Diejenigen, die zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft werden, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst.“
(Platon, griech. Philosoph, 427-347 v. Chr.)
Schon die alten Griechen haben offensichtlich modern gedacht. Also, engagieren Sie sich und bleiben Sie resilient.
Ihre Simone Heinemann-Meerz
Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt