Henrik Straub Foto: Archiv
Henrik Straub
(Foto: Archiv)

Liebe Kolleginnen und Kollegen!
 
Die weltweite Corona-Pandemie ist noch allgegenwärtig und wird uns mit all ihren Problemen die kommenden Monate begleiten. Sie wird ein Garant für einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag sein und uns dynamische Veränderungen mit deutschlandweit schwer überschaubaren, uneinheitlichen Verordnungen bescheren. Und als ob das nicht schon des Guten genug wäre, drängt sich mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen ein weiteres eher ungeliebtes Thema in unseren Fokus. Nach DVG folgen DVG II, PDSG und damit weitere gesundheitspolitische Segnungen für die Modernisierung des Arztberufes.

Es wird wichtig sein, über das fehlende Augenmaß unseres jungen, überaus dynamisch agierenden Gesundheitsministers hinaus beim Umgang mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG)“ und dem „Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG)“ Bedacht walten zu lassen, um die angestrebte bessere Patientenversorgung damit überhaupt ermöglichen zu können. Sorgen bereitet mir zum Beispiel beim gut gemeinten DVG (wie so oft bei von Beamten ohne ausreichende Kenntnisse der schnöden Alltagsarbeit kreierten Gesetzen) die Umsetzbarkeit aufgrund der nur begrenzt verfügbaren Ressourcen und der bisher äußerst überschaubaren Vernetzung des ambulanten und stationären Versorgungsbereiches.

Aus praktischer Sicht einige naheliegende praxisrelevante Beispiele: Die Verordnung einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) durch Ärzte und Psychotherapeuten („Apps auf Rezept“) mit Erstattung durch die Krankenkassen ist seit August 2020 möglich und für das mit I-Phones vertraute, eher jüngere Patientenklientel eine in Abhängigkeit von der Qualität der jeweiligen App mehr oder weniger sinnvolle Ergänzung bei der Krankheitsbewältigung. Sie erfordert aber zusätzlich die Ressource Arztzeit für eine angemessene Patientenberatung und die Ressource Geld für die Begleichung der steigenden Softwarepflegegebühren zur Umsetzung. Und beim Gedanken an mein chronisch krankes Patientenklientel jenseits des 70. Lebensjahres regen sich gewisse Zweifel an der Akzeptanz und Handhabungsroutine des zur Verfügung gestellten Mediums.Der Einsatz der Online-Terminbuchung erinnert doch stark an den Service von Dienstleistern wie Friseuren oder Hotels. Bei einer gewünschten Arztkonsultation ist allerdings eher eine objektive Wichtung bei der Terminvergabe anhand der Dringlichkeit entsprechend der vorliegenden Beschwerden sinnvoll. Diese sind vom Patienten selbst nicht immer objektiv beurteilbar und erschweren die Durchsetzung eines effektiven Terminsystems erheblich. Ebenso wird der Einsatz der Videosprechstunde zu zahlreichen, medizinisch unnötigen Patientenkontakten führen, weil die Hemmschwelle zur Arztkonsultation sinkt und blande Befindlichkeitsstörungen dabei gleich mit an den Arzt gebracht werden können. Die Konsultation per Video wird dann aber nur vermeintlich ein vergleichbar gutes Ergebnis im Vergleich zur persönlichen Arztkonsultation bringen. Uns Ärzten stehen bei Videosprechstunden wesentliche Teile unserer Sinneswahrnehmung nicht zur Verfügung oder sind durch die Übertragung per Video beeinträchtigt. Darüber hinaus kostet es wieder Geld für die Bereitstellung der „Videosprechzeiten“ beim jeweiligen Anbieter (kein Skype!) bei schon festgelegter geringerer Vergütung der Arztarbeitszeit. Weiterhin sind die technischen Voraussetzungen (5G-Abdeckung für erträgliche Übertragungszeiten) nicht überall gegeben.

Selbst vermeintlich einfache Digitalisierungsanwendungen wie die Übertragung des eArztbriefes sind flächendeckend derzeit kaum realisierbar. Dazu kommen mit dem PDSG ab 01.01.2021 die elektronische Patientenakte (ePA) und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ab 01.01.2022 wird die elektronische Verordnung von Arzneimitteln (eRezept) Pflicht. Und auch Überweisungsscheine sollen künftig in elektronischer Form übermittelt werden. Dafür stehen aktuell bei keinem KIM-Anbieter praxistaugliche Lösungen zur Verfügung. Den dafür zwingend erforderlichen elektronischen Arztausweis haben bisher erst wenige Kollegen bestellt.

Uns erwartet also nach dem 1. Corona-Sommer ein heißer Herbst. Wir dürfen gespannt sein, wie die Politik Voraussetzungen zur elektronischen Verzahnung des stationären und ambulanten Sektors schafft, um eine Umsetzbarkeit und vor allem Praxistauglichkeit zu erreichen. Der Mehrwert der Digitalisierung muss für uns Ärzte endlich erkennbar sein! Mein Wunsch wäre im Angesicht der vielen Veränderungen eine effektivere Zusammenarbeit aller medizinischen Versorgungsebenen, um einfache und sinnvolle Lösungen der Probleme im Arbeitsalltag gemeinsam zu erzielen und eine Sicherung/Verbesserung der Patientenversorgung zu gewährleisten.
 
Henrik Straub
Vorstandsmitglied der Ärztekammer Sachsen-Anhalt