
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Leserinnen, liebe Leser,
Ihnen allen für 2022 Glück, Gesundheit und Erfolg. Wir starten erneut in ein Jahr, in dem die Gesundheit ein zentrales Thema ist. „Omikron wird fast jeden finden,“ sagt Professor Anthony Fauci – in relativ kurzer Zeit werden wir wissen, ob diese Hypothese stimmt. Die Anzahl der an Corona erkrankten Menschen wird auf jeden Fall zunehmen. Hoffentlich können wir alle zusammen diese Belastungen aushalten.
Bei einem Einkauf bin ich kurz vor Weihnachten mit der Straßenbahn stecken geblieben – Ursache war eine Demonstration gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen. Auf meinem Weg nach Hause musste ich quer durch den Demonstrationszug und der Abend hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen. Die Rufe der Demonstrierenden müssen denen, die 1989 für die gesellschaftliche Freiheit unter großer Angst auf die Straße gegangen sind, wie Hohn vorkommen. Jetzt sind viele unterwegs, die die Demonstrationen für andere Ziele als die Infragestellung der Coronamaßnahmen nutzen.
Aber – bei den Demonstrationen kommen die Sorgen vor Folgen der notwendigen Impfungen zum Vorschein. Die moderne Technik der Impfstoffherstellung wird von manchen sehr kritisch gesehen. Irgendwie ist die Gentechnik, die uns seit mehreren Jahrzehnten begleitet und gerade in der Medizin zu bahnbrechenden diagnostischen und therapeutischen Verfahren geführt hat, ein Angstmacher für viele. Diese Technik ist für uns wissenschaftlich ausgebildete Ärztinnen und Ärzte in ihren Folgen abschätzbar – aber haben wir die Methoden vielleicht zu selbstverständlich genommen und zu selten in der Öffentlichkeit offen darüber diskutiert?
Außerdem haben wir ein Problem mit der Kommunikation über die Pandemie: In den letzten zwei Jahren Zahlen über Zahlen, sowie Einschätzungen und Statements in abendlichen und nächtlichen Talk-Shows. Vor den Entscheidungen wäre die öffentliche und politische Debatte der erste und unverzichtbare Schritt gewesen. Aber in der Pandemie waren rasche Festlegungen erforderlich. Und dann gebraucht es den Mut der Expert:innen und Politiker:innen, ein Scheitern oder eine falsche Einschätzung zuzugeben. Frau Merkel hat sich seinerzeit für den Plan zur „Osterpause“ entschuldigt.
Sind die essentiellen Informationen nicht deutlich genug? Wie sollen wir die schwierigen Inhalte am besten veröffentlichen? Auf jeden Fall gehört das gesamte Wissen transparent berichtet – auch durch Videobotschaften oder Podcasts. Und wir sollten uns selbst über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterbilden.
Neben dem großen Thema Pandemie richtet sich der Blick im Jahr 2022 auf die Weiterentwicklung der Ärztlichen Approbationsordnung. Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesseite im Austausch mit den Bundesländern das Medizinstudium gestalten wird. Im Koalitionsvertrag wird dargestellt, dass die Approbationsordnung „… mehr auf Digitalisierung, Ambulantisierung, Spezialisierung, Individualisierung und berufsgruppenübergreifende Kooperation ausgerichtet [wird].“ Der vorhandene Referentenentwurf wird weiterverfolgt. Dabei ist die offene Frage nach dem finanziellen Aufwand für die Neuordnung des Studiums nicht beantwortet. Ob der Bund den Ländern dabei helfen wird?
Die Kosten im Gesundheitswesen sind durch die Pandemie signifikant angestiegen – wie werden die Bundesländer sicherstellen, dass in der Universitätsmedizin die Krankenkosten eindeutig vom Aufwand für Lehre und Forschung abgegrenzt werden? Die Gefahr besteht, dass bei defizitären Universitätsklinika der neidische Blick auf die Mittel der Medizinischen Fakultäten dazu führt, eigentlich für Lehre und Forschung bestimmte und erforderliche Mittel zur Defizitreduktion mit heranzuziehen. Dann aber sind Forschung und Lehre in der Universitätsmedizin in Gefahr – und damit auch die weitere Stärkung der ambulanten Medizin und Allgemeinmedizin im Studium.
Die Universitätsmedizin ist Länderangelegenheit, wir müssen unsere Politiker:innen in Sachsen-Anhalt davon überzeugen, dass Investitionen in Forschung und Lehre die Medizin krisenfest machen und so eine große Nachhaltigkeit haben.
Alles Gute!
Hermann-Josef Rothkötter
Chefredakteur des Ärzteblattes Sachsen-Anhalt
Foto: Pressestelle Medizinische Fakultät Magdeburg