Dr. med. Carola Lüke
Dr. med. Carola Lüke

Der Versuch einer erfolgreichen Digitalisierung im Gesundheitswesen wird seit Längerem unternommen. Im Ergebnis zeigt sich diese häufig als Geldverbrennungsmaschine und ist bei der Arbeit eher hinderlich als nützlich.

Ich arbeite seit 2010 in einer papierlosen Praxis und weiß die Vorteile der Digitalisierung zu schätzen, muss aber feststellen, dass alle danach zwangsweise eingeführten „Innovationen“ lediglich Geld gekostet haben, jedoch meine Arbeit in keiner Weise erleichterten, im Gegenteil. Nicht nur das – sie kosten mit trauriger Regelmäßigkeit Arbeitszeit, nicht nur für Installation und Schulung, sondern auch für Systemabstürze und Fehlersuchen. Wenn das letzte Meisterstück in dieser Fortsetzungsserie „Telematik“ dann darin gipfelt, dass das System nach jeder Versichertenkarte abstürzt und die offizielle Empfehlung zur Fehlerbehebung heißt – „Halten Sie die Karte vorher an eine Heizung, um diese elektrostatisch zu entladen“, ist dieser – der Gipfel nämlich – überschritten.

Unnötig zu erwähnen, dass ich in meiner Karriere die dritte Umstellung der Kartenlesegeräte erlebe. Und wieder suggeriert man allen Parteien, dass nun alles gut wird. Die einzige neue Funktionalität ist der Datenabgleich mit den Kassen. Dieser kostet bei der Anmeldung mit einer guten Datenanbindung wenig Zeit. Was aber, wenn es Gegenden gibt, in denen die Datennetzgeschwindigkeit sich von Modemgeschwindigkeiten wenig unterscheidet. Unter diesen Bedingungen werden innovative Überlegungen zu Telemedizin, online Terminvergabe, cloudbasierten Softwarelösungen im Keim erstickt.

Digitale Lösungen in der Medizin können den Mangel an Haus- und Fachärzten reduzieren. Die Studie „112 – und keiner hilft“ zeigt 2030 einen Mangel von circa 110.000 Ärzten und 330.000 Pflegekräften. Die digitalen Lösungsansätze sollen die Arbeit attraktiver machen und Versorgungsprobleme lösen. In der gegenwärtigen Form schrecken die geschilderten Erfahrungen jedoch eher ab.

Und ein weiteres Dilemma wird deutlich: Zum einen ist die Digitalisierung notwendig, um die anfallenden patientenbezogenen Datenmengen, die der Patient zum großen Teil mittels intelligenter Apps selbst erfasst, zu verarbeiten, Muster zu erkennen und therapeutische Konsequenzen zu ziehen. Zum anderen erzeugen diese riesigen Datenmengen bei Patienten Skepsis, beim medizinischem Personal Stress und Unzufriedenheit.

Wollen wir den Nachwuchs für uns gewinnen, müssen wir uns den Herausforderungen Medizin 5.0 stellen. Algorithmen des maschinellen Lernens könnten in vielen Bereichen Basis einer individuellen patientenorientierten Therapie sein. Sie könnten gesundheitliche Risiken minimieren, die Arbeit effektiver gestalten. So können auch auf dem Land universitäre Standards für Diagnostik und Therapie, ebenso für Fort- und Weiterbildung angeboten werden, ohne eine finanzielle Überlastung des Systems zu provozieren. So kämen wir den Forderungen der zukünftigen Ärztegeneration in Klinik wie Praxis, auch bezüglich der Work-Life-Balance, näher.

Der Hilfesuchende erwartet das vertrauensvolle Gespräch und die Praxis in der Nähe. Er geht zu „seinem“ Arzt, denn Vertrauen bleibt weiterhin die Grundlage ärztlichen Handelns. Gleichzeitig erwartet der Patient jedoch die neuesten diagnostischen und therapeutischen Erkenntnisse in jedem Winkel der Republik.

Um Daten heilen zu lassen, bedarf es einer grundlegenden Änderung der bisherigen Vorgehensweise. Hier sind die Organe der Selbstverwaltung nun gefragt, einem unkoordinierten und scheinbar auch zu wenig kontrollierten System entgegenzutreten und sachgerechte Arbeit und Leistungserbringung einzufordern. Ein „Weiter so!“ darf es nicht geben. Das zwangsweise Einführen ungeprüfter Technik mit der Arztpraxis als Betatester könnte sich auch kein Industriebetrieb leisten und schon gar nicht dessen Entwicklungsabteilung. Die Veränderungen müssen anwender- und ergebnisorientiert gestaltet werden, nur dann sind sie ein Gewinn für alle, sogar ein immenser.


Ihre
Carola Lüke
Mitglied des Vorstands der Ärztekammer Sachsen-Anhalt

Foto: Peter Gercke