
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
im Angesicht einer chronisch-progredienten und offensichtlich kaum therapierbaren Mangelsituation „Patientenversorgung“ stellt sich die Frage, wie wir als verantwortungsbewusste Ärztinnen und Ärzte diese Situation meistern und den Problemen entgegentreten können. Das unbestreitbare und allgemein akzeptierte „Defizit kurativer Arztarbeitszeit“ wird von unseren Standesvertretern eindringlich kommuniziert. Kurz- bis mittelfristig ist jedoch in Sachsen-Anhalt und im Bund keine einfache Problemlösung in Sicht. Die Politik agiert dazu deutlich zu zögerlich und mit veralteten Konzepten und Argumenten, sie fürchtet hohe Kosten durch das bundesweit dringend erforderliche Mehr an Medizinstudienplätzen.
Was für mich als überlasteter Hausarzt bleibt, ist die Möglichkeit, delegierbare ärztliche Tätigkeiten auf gut ausgebildetes medizinisches Fachpersonal zu übertragen und die Zusammenarbeit im Team zu stärken. Das medizinische Fachpersonal ist für eine qualitativ hochwertige Betreuung der Kranken unabdingbar, fehlt jedoch in allen Ebenen der Patientenversorgung.
Wie kann hier Abhilfe geschaffen werden, um weitere Defizite in der Patientenversorgung aufzuhalten? Zunächst bedürfen Arbeitsbedingungen und Vergütung der Medizinischen Fachangestellten (MFA) im niedergelassenen Bereich einer Anpassung an die allgemeinen Vergütungsstrukturen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben das bereits umgesetzt, leider gibt es aber auch noch „Traditionalisten“, die in Entlohnungsstrukturen der späten 90er Jahre den Stein des Weisen sehen.
Die MFA in unseren Praxen sehen sich darüber hinaus zunehmenden Belastungen und Anforderungen infolge des erhöhten Patientenaufkommens und zum Teil optimistisch frühen Entlassungen aus der stationären Behandlung ausgesetzt. Um diesen Problemen künftig gewachsen zu sein, sind Aktivitäten aller Ärztinnen und Ärzte, insbesondere aus der ambulanten Patientenversorgung, bei der Ausbildung, Begleitung, Förderung und Weiterbildung von MFA unbedingt zu intensivieren. Sich auf das Engagement benachbarter Kollegen zu verlassen ist nicht mehr zeitgemäß. Die Ausbildungsinhalte für diesen Beruf müssen schnellstens aktualisiert werden. Telematik und Digitalisierung sind sowohl in den berufsbildenden Schulen als auch in den Ausbildungspraxen auszubilden. Um diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen und die Ärztinnen und Ärzte Sachsen-Anhalts zu unterstützen, wird die Ärztekammer Sachsen-Anhalt eine Ausbildungsoffensive für Medizinische Fachangestellte initiieren. Der Beruf muss ein neues, attraktives Erscheinungsbild in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten. Bei Tagen der offenen Tür, Messen, Schulveranstaltungen zur Berufsfindung und im Bereich Social Media wird die Ärztekammer dazu gezielt auftreten. Zielgruppe sind Schüler, Eltern, Lehrer, Berufsberater der Arbeitsagenturen und auch Ärztinnen und Ärzte. Ziel dieser Aktivitäten ist die Steigerung der Zahl der Auszubildenden in medizinischen Fachberufen. Die klare Botschaft dabei wird sein: „Medizinische Fachberufe sind ein sozialer Beruf, für den wir jede und jeden, der sich berufen fühlt, brauchen!“ Karrierechancen bestehen nicht nur mit einem Hochschulstudium, auch in den medizinischen Ausbildungsberufen gibt es attraktive Weiterbildungschancen, zum Beispiel zu VERAH, PA, ATA, OTA bis hin zu Bachelor- und Masterstudiengängen inkl. der Übernahme von mehr Verantwortung und besserer Vergütung. Für uns als Ärzteschaft (insbesondere als Arbeitgeber im niedergelassenen Bereich) bringen diese Entwicklungen erhebliche Herausforderungen mit sich. So sind die Bereitstellung ausreichender, guter Ausbildungsplätze, die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen, eine angemessene Vergütung, die Förderung der Weiterbildung und der gezielte Einsatz des Personals im Rahmen der individuellen Fähigkeiten unabdingbar.
Der Austausch und die Zusammenarbeit mit Politik und Krankenkassen sind zur Überwindung der Mängel in der Patientenversorgung unabdingbar. Innovative Lösungsansätze zur Patientenversorgung müssen endlich Gehör und Eingang in die Regelversorgung finden. In einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt darf eine großzügige Förderung der Tätigkeit für medizinisches Personal im ländlichen Raum (Verbesserung ÖPNV, Sicherung von Kita- und Grundschulplätzen, Schaffung von Wohnraum und Einkaufsmöglichkeiten) kein Tabuthema sein. Hierzu sind insbesondere die Gebietskörperschaften und Kommunen gefordert. Mit der Unterstützung durch gut ausgebildete Fachkräfte haben wir Ärztinnen und Ärzte eine Chance, die zunehmende Verschlechterung der Patientenversorgung in der Hoffnung aufzuhalten, dass dem „Arztarbeitszeitmangel“ zügig durch zusätzliche Studienplätze in der Humanmedizin begegnet wird.
Ich würde mich freuen, wenn Sie unter diesem Aspekt Ihre Ideen und Gedanken zur Problematik „Patientenversorgung der Zukunft“ formulieren und in die Diskussion der Ärztekammer einbringen. Konstruktive Vorschläge, Hinweise, Anregungen und Kritiken werden uns alle gemeinsam voranbringen.
Henrik Straub
Mitglied des Vorstands der Ärztekammer Sachsen-Anhalt
Foto: privat