
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
im dritten Jahr der Corona-Pandemie liegt die Case-Fatality-Rate (CFR) in Deutschland Statistiken der Johns-Hopkins-Universität zufolge bei 0,4 % und damit niedriger als bei einer Reihe anderer impfpräventabler Infektionserkrankungen. In Deutschland wird noch immer nicht valide erfasst, ob Intensivpflichtigkeit und COVID-19 in einem Zusammenhang stehen oder der SARS-CoV2-Nachweis ein koinzidentes Ereignis darstellt. Daten aus dem österreichischen COVID-19-Register belegen, dass dortzulande lediglich 12 % der ITS-Hospitalisierten aufgrund einer COVID-19 intensivpflichtig behandelt werden mussten. Die realistische – i. W. altersabhängige – COVID-CFR dürfte also deutlich niedriger sein und ist im Kindes- und Jugendalter kaum messbar.
Im Oktober veröffentlichte Zwischenergebnisse der IMMUNO-BRIDGE-Studie, einer BMBF-geförderten Untersuchung des Netzwerks Universitätsmedizin, lassen darauf schließen, dass aktuell 95 % der Menschen in Deutschland SARS-CoV2-Antikörper aufweisen und zusätzliche Schutzmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz nur notwendig seien, sollte sich eine neue, gefährlichere Virusvariante durchsetzen. Fachleute im In- und Ausland halten dieses Szenario angesichts der Entwicklung des pandemischen Geschehens besonders in 2022 für wenig wahrscheinlich. Die Omikron-Varianten BA1/2, BA4/5 und die aktuell zunehmend zirkulierende Variante BQ1.1 sind Immuneescapevarianten zwar höherer Kontagiosität im Vergleich zur Wuhan-Variante, induzieren jedoch in der Mehrzahl der Fälle bei Immunkompetenten ein moderates Erkältungsgeschehen. Besonders bei Kindern und Jugendlichen stehen milde bis inapparente COVID-Verläufe im Vordergrund. Auch leicht verlaufende SARS-CoV2-Infektionen triggern ein robustes antigenspezifisches, langlebiges humorales Immungedächtnis. In der Kinder- und Jugendmedizin dominiert aktuell im Zusammenhang mit fehlerhaften nichtpharmakologischen Interventionen (NPI) – ich erinnere an die absurde Absperrung von Kinderspielplätzen mit Polizeiflatterband, die Schließung von Kindertagesstätten, Schulen, Sportstätten, Ausgangssperren etc. – eine reboundeffekthafte und das fehlfinanzierte System belastende erhebliche Zunahme von Atemwegsinfektionen durch nonCOVID-Erreger und nicht die herbeigemahnten schweren PIMS-Verläufe. Obwohl die durch die Omikron-Varianten verursachte COVID-Morbidität vor allem bei jungen gesunden Kindern niedrig und die COVID-Mortalität im jungen Kindsalter statistisch unbedeutend ist, wurde durch die EU eine mRNA-Vaccine für Säuglinge und Kleinkinder zur Zulassung empfohlen. Real live data (New England Journal of Medicine 11/22) dokumentieren eine vergleichsweise niedrige Impfeffektivität für die Halb- bis Fünfjährigen. Die STIKO empfiehlt seit 17.11.22 Kindern im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren mit Vorerkrankungen eine Grundimmunisierung mit 3 Impfstoffdosen. Anders als die STIKO und, auf wissenschaftlich wenig erkennbarer Grundlage, bereits zuvor das BMG, haben eine zunehmende Anzahl von Staaten – die skandinavischen, Großbritannien, die Schweiz – wegen der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit die generelle Impfempfehlung zumindest bis zum zwölften, teilweise bis zum 18. Lebensjahr ausgesetzt.
Experten wie Thomas Mertens, Christian Drosten und andere sehen den Wechsel von einem pandemischen in ein endemisches Geschehen und kritisieren die „erratische, selektive und zum Teil evidenzbefreite Corona-Kommunikation des BMG“ (Klaus Stöhr) als kontraproduktiv. Der Bundesgesundheitsminister, der vor nicht allzu langer Zeit die COVID-19-Impfung als praktisch nebenwirkungsfrei propagierte und inzwischen zwar sehr seltene, aber dennoch schwere bis tödliche Impfkomplikationen auch in Deutschland einräumt, hat im Zusammenhang mit völlig überzogenen NPI vor allem für Kinder und Jugendliche einen erstaunlichen Positionswechsel vollzogen. Neben einer Vielzahl von Daten über die dramatischen und in ihrer Langzeitkonsequenz kaum überschaubaren Auswirkungen der „Corona-Maßnahmen“ auf die psychische und physische Gesundheit insbesondere von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen, massiven Auswirkungen auf deren Bildungskompetenz etc. kommt der Abschlussbericht der Corona-KiTa-Studie zu folgendem Schluss: „Kinder und Jugendliche haben erheblich gelitten, und zwar nicht unter der Infektion selbst, sondern unter den Eindämmungsmaßnahmen“. Der Bundesgesundheitsminister musste einräumen, dass KiTa-Schließungen zu Beginn der Pandemie nicht nötig gewesen waren, sieht jedoch keinen Grund zu einer kritischen Aufarbeitung dieser und anderer einschränkender Maß-nahmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen und unseren Patienten gesegnete Weihnachten, Frieden und für das postpandemische Jahr 1 die Rückbesinnung auf Verhältnismäßigkeit auf der Basis ärztlichen Sachverstandes.
Ihr Gunther Gosch
Vorstandsmitglied der Ärztekammer Sachsen-Anhalt
Foto: Peter Gercke