„Freie Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“

Diese Definition ist seit 1995 anerkannt und in der einschlägigen Gesetzgebung verankert. Wir – als Ärztinnen und Ärzte Sachsen-Anhalts – gehören zu eben diesen freien Berufen. Sind wir uns der damit verbundenen Rechte und Pflichten, der Freiheiten und Verantwortungen aber wirklich bewusst?

Wann haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, zuletzt über die in der Bundesärzteordnung festgeschriebene Verantwortung des Arztes für den Einzelnen sowie für die gesamte Gesellschaft nachgedacht? Das Wohl der uns anvertrauten Patienten steht selbstverständlich im Fokus unserer täglichen Arbeit. Wir handeln nach den Grundsätzen des ärztlichen Berufsethos und aus unserer ethischen Selbstverpflichtung heraus.

Allerdings erscheint die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Verantwortung nicht selten so abstrakt und komplex, dass man sich scheut, dafür persönliche Handlungsweisen und Konsequenzen zu realisieren. Leider fokussieren wir uns viel zu oft nur auf Probleme unseres direkten Umfelds und entschuldigen dies mit der Frage: „Welchen Einfluss habe ich als Einzelner schon auf unsere Gesellschaft?“ Jeder von uns kann aber diesen Einfluss ausüben; es bedarf dazu allerdings des persönlichen Engagements und der Aneignung von Fähigkeiten über das medizinische Wissen und Können hinaus.

Beispiel Gesundheitsversorgung Sachsen-Anhalt
Diese wäre ohne Ärztinnen und Ärzte nicht sicherzustellen. Die Planung erfolgt mehrheitlich nach politischen und ökonomischen Aspekten ohne suffiziente ärztliche Beteiligung. Sinnvolle Kooperationen werden durch komplexe Rechtsvorgaben, tradiertes Denken und Besitzstandswahrung oft unmöglich. Wir müssen darum ringen, wirksam an der Versorgungsplanung beteiligt zu werden!

Beispiel Ärztlicher Nachwuchs
Jährlich verlassen ca. 380 Absolventen die medizinischen Fakultäten Sachsen-Anhalts. Würden diese alle ihre berufliche Zukunft in unserem Land sehen, wäre der Mangel an verfügbarer Arztarbeitszeit deutlich geringer. Weniger als ein Drittel der jungen Kolleginnen und Kollegen entscheiden sich jedoch dafür. Die stetige Mahnung zur Erhöhung der Studienplatzzahlen ist durchaus sinnvoll, wir müssen aber frühzeitig mit den Studierenden der medizinischen Fakultäten in Kontakt treten und für eine berufliche Zukunft in Sachsen-Anhalt werben!

Beispiel Arbeit der Selbstverwaltung
Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt ist Sachwalterin des ärztlichen Selbstverständnisses und kompetentes Gegenüber für Politik, Verwaltung und Gesellschaft unseres Landes. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es der breiten Mitgliederbasis, des ehrenamtlichen Engagements der Kolleginnen und Kollegen sowie einer modernen Kammerorganisation. Dazu muss Bewährtes erhalten und weiterentwickelt, Überholtes verändert oder beendet werden und nicht zuletzt Service an die Stelle von Verwaltung treten. Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt muss im Sinne ihrer Mitglieder stärkeren gesellschaftlichen Einfluss gewinnen!

Beispiel Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung
Aktuell wird die Bedrohung der Therapiefreiheit und -verantwortung durch Kommerzialisierung der Versorgung bzw. der Einfluss von Finanzinvestoren (Private Equity Capital und Venture Capital) auf das deutsche Gesundheitssystem intensiv diskutiert. Dieser Diskurs ist sinnvoll und richtig; er darf aber nicht dazu führen, unternehmerisches Engagement von Ärztinnen und Ärzten zu diskreditieren. Vielmehr sollte über die Möglichkeit des unternehmerischen Engagements von Kolleginnen und Kollegen in allen Sektoren des Gesundheitssystems, von der eigenen Arztpraxis bis hin zur Beteiligung an Krankenhäusern, nachgedacht werden. Stärker denn je gilt es, die Balance zwischen medizinischer Effektivität und ökonomischer Effizienz in den Köpfen und Herzen des ärztlichen Nachwuchses fest zu verankern!

Gemeinwohlorientierung, hohe berufliche Qualifikation sowie persönliche und eigenverantwortliche Arbeit sind Kennzeichen des freien Berufs des Arztes und Garant für patientengerechte Gesundheitsversorgung in Deutschland. Mehr denn je erstarken aber auf nationaler und europäischer Ebene Bestrebungen, die Freiberuflichkeit einzuschränken und in maximal regulierte Systeme zu überführen. Es liegt an uns, dies zu verhindern und dafür zu sorgen, dass Freiheit und Verantwortung des ärztlichen Berufes auch von den nachfolgenden Generationen unseres Berufsstandes wahrgenommen werden können. Dazu müssen wir uns als Ärzteschaft konstruktiv und selbstbewusst in die aktuellen und anstehenden Reformierungsprozesse des deutschen Gesundheitssystems einbringen!

Prof. Dr. med. Edgar Strauch, MBA
Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer Sachsen-Anhalt

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