Dr. med. Henning Böhme
Dr. med. Henning Böhme

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

gut ein Jahr ist es her, dass ich in meinem letzten Editorial über die Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt geschrieben habe. Seitdem ist viel passiert! Wirklich? Eigentlich ja nicht! Die Regierungskommission hat inzwischen vier Stellungnahmen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung abgegeben. In Nordrhein-Westfalen arbeitet man emsig an der Umsetzung der eigenen KH-Strukturreform, um dem Bund zuvorzukommen, so hat man wenigstens das Gefühl. Und Sachsen-Anhalt veröffentlicht ein eigenes Gutachten zur Krankenhauslandschaft, in dem vor allem ein radikaler Bettenabbau von bis zu 4000 vollstationären Betten bis 2035 empfohlen wird. Dies resultiert aus Ambulantisierung, höherer Auslastung und vorhergesagter negativer demografischer Entwicklung.

Betrachtet bzgl. Fallzahlentwicklungen werden die Jahre 2017, 2019 und 2021. Hier wird ein massiver Rückgang der stationären Behandlungszahlen um insgesamt 17 % zwischen 2019 und 2021 konsterniert. Besonders betroffen ist dabei zum Beispiel die stationäre Pädiatrie mit einem Rückgang von 25 %. Diese Zahl hat aber prognostisch keinen Aussagewert! Pädiatrie ist zum allergrößten Teil Akutmedizin. 2021 war gekennzeichnet durch Corona-Maßnahmen (wie Maskentragen, strenge Quarantäneregelungen) und massive Kontaktbeschränkungen. Dies führte zwangsläufig zu deutlich reduzierten Infektionszahlen alle Erreger betreffend in der Pädiatrie. Den „infektiologischen“ Return konnten wir im Herbst/Winter des letzten Jahres in der Pädiatrie überdeutlich spüren. Aus dem Fallzahlrückgang des Jahres 2021 einen deutlich reduzierten Bettenbedarf für die Zukunft in der Pädiatrie zu ermitteln, wäre eine fatale Fehleinschätzung.

Bemängelt wird auch das Ungleichgewicht im Angebot zwischen strukturarmen ländlichen Gebieten (Altmark etc.) und Zentren wie Halle und Magdeburg. Bei den Lösungsansätzen bleiben die Gutachter aber eher vage. Eine Stärkung der universitären Medizin sowohl als Erbringer hochspezialisierter medizinischer Leistungen, telemedizinischen Supports, Koordinatoren der Versorgung und überwiegendem Ausbilder von ärztlichem und pflegerischem Personal ist dabei eine zentrale Idee sowie das Mantra der sektorübergreifenden ambulant-stationären Versorgung vor allem im ländlichen Raum. Wenn jedoch in Zukunft eine Strukturplanung nach qualitativ inhaltlichen Aspekten im Land erfolgen soll, muss man den Krankenhäusern aber auch die finanzielle Luft verschaffen, um bis dahin nicht Opfer der „kalten“ Marktbereinigung zu werden. Dies betrifft vor allem die kommunalen und gemeinnützigen Häuser, die nicht wie die landeseigenen (Salus und Universitätsmedizin) und die privaten Träger über umfangreiche finanzielle Mittel verfügen, Fallzahlrückgang, Energie- und Sachkostenexplosion und Gehaltssteigerungen finanziell auszugleichen. Aber wie kann die Zukunft aussehen? Die Universitätskliniken in Halle und Magdeburg sollen hochspezialisierte Versorgung anbieten. Aber in einem Land von 2,2 Millionen Einwohnern müssen sich auch zwei Hochschulkliniken viel stärker in bestimmten Bereichen der Spitzenmedizin abstimmen und unterschiedliche Schwerpunkte entwickeln. Für eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Versorgung der breiten Bevölkerung mit tolerierbaren Entfernungen sind aber große Kliniken (Schwerpunktversorger) mit einem relativ breiten Fächerspektrum und einer leistungsfähigen Notfallstruktur in kluger geographischer Verteilung über das Land erforderlich. Wichtig ist dabei, dass in dünn besiedelten Gebieten die fehlende Wirtschaftlichkeit bei geringeren Patientenzahlen durch eine Vorhaltefinanzierung ausgeglichen werden muss.

Patientinnen und Patienten kontaktieren Rettungsdienst und Notaufnahmen mit Beschwerden und nicht mit Diagnosen. Um ihnen die schnellst- und bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen, braucht es ärztliche Kompetenz und Sachverstand auch in der Fläche. Künstliche Intelligenz und Telemedizin können diese durchaus sinnhaft unterstützen, aber ersetzen können sie sie nicht. All unsere Strukturideen und Reformvorschläge verkommen aber zur Makulatur, wenn wir es nicht schaffen, Krankenhäuser und Notaufnahmen in der Fläche für den medizinischen und pflegerischen Nachwuchs interessant zu machen. Dies geht meiner Meinung nach nur über eine ausreichende Größe der Ärzte- und Pflegeteams auch in vermeintlich kleineren Abteilungen, um Dienst- und Wochenendbelastung konkurrenzfähig zu Kliniken in den Ballungszentren zu gestalten.

Dies wird in Teilen auch nur über enge Kooperationen zwischen großen (Uni-)Kliniken und kleineren Häusern zu erreichen sein.
Wir haben „noch“ eine gute stationäre medizinische Versorgung in unserem Land. Wir sollten sie schnell zukunftsfest und resilient für die kommenden Jahre machen, das haben die Menschen im Land und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern verdient!

Es grüßt Sie recht herzlich,
Ihr Henning Böhme
Vorstandsmitglied der Ärztekammer Sachsen-Anhalt

Foto: Peter Gercke