Neue Weiterbildungsangebote der Ärztekammer Sachsen-Anhalt
„Substanzbezogene Störungen“ sind alltägliche Herausforderungen für viele Ärzte und deren Mitarbeiter – unabhängig davon, wo und wie sie ihren Beruf ausüben. Im „Jahrbuch Sucht 2016“ (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) und im Drogen- und Suchtbericht 2016 (Bundesministerium für Gesundheit) finden sich Ergebnisse statistischer Erhebungen, die Ausmaß und Folgen dieser Erkrankungen für Deutschland erkennen lassen:
- Alkoholbezogene Störungen stellten 2014 in Krankenhäusern statistisch die zweithäufigste (bei Männern die häufigste!) Einzeldiagnose dar. Sie bedingen jährlich rund 40 Milliarden Euro Kosten (bei „nur“ 3,17 Milliarden Euro Einnahmen durch alkoholbezogene Steuern). Sie betreffen in der Todesursachen-Statistik 74.000 Fälle.
- An den Folgen des Rauchens starben 2013 in Deutschland 121.000 Menschen (13,5% aller Todesfälle). Tabakabhängigkeit verursachte 79 Milliarden Euro direkte und indirekte Kosten.
- Als arzneimittelabhängig gelten in Deutschland ca. 1,9 Millionen Menschen (dabei 1,5 Millionen von Benzodiazepinen!).
- Die Zahl der Drogentoten in Deutschland stieg 2015 wieder an (auf 1126/a). Den stärksten Zuwachs im Konsum illegaler Drogen verzeichnete man bei Methamphetamin ("Crystal") mit ca. 11 % im Jahr.
Sachsen-Anhalt ist dabei keine „Insel der Seligen“. Es gilt im Vergleich zum Bundesdurchschnitt bei der alkoholbedingten Morbidität und bei dem Methamphetamin-Konsum als überdurchschnittlich betroffenes Bundesland. Trotzdem gelten auch hier Suchtkranke und Drogenkonsumenten in allgemeinmedizinischen Praxen, Notfallambulanzen, Stationen der medizinischen Grundversorgung und der Allgemeinpsychiatrie meistens als „Außenseiter“ und „schwierige Patienten“, die im akuten Setting sehr begrenzt und nur hinsichtlich der aktuellen Störungen behandelt werden können. Schädlicher Konsum, Abhängigkeit und Sucht, die eigentlichen Grunderkrankungen bleiben oft „außen vor“. Sie werden der Eigenverantwortung der Patienten überlassen, unabhängig davon, ob diese in der Lage sind, damit umzugehen. Oder man überweist die Betroffenen und ihr Problem in die Zuständigkeit von „Spezialisten“, also an ambulante Suchtmediziner (die es kaum gibt), an spezialisierte stationäre Einrichtungen oder nichtmedizinische Suchttherapeuten (Beratungsstellen).
Wie aber viele konkrete Beispiele belegen, kommt gerade den Medizinern der Basisversorgung eine entscheidende Bedeutung zu. Sie könnten in vielen Fällen den „Einstieg in den Ausstieg“, die Änderung von Einstellungen, Motivation und Verhalten entscheidend bahnen. Oft fehlen aber gerade diesen Ärzten dazu nicht nur die Zeit und institutionellen Voraussetzungen, sondern oft auch Grundkenntnisse und Erfahrungen.Suchtmedizinische Inhalte und Methoden werden leider weder im Medizinstudium noch in den Facharzt-Weiterbildungen in nennenswertem Umfang vermittelt – selbst im Fach Psychiatrie/Psychotherapie bleiben sie eher „fakultativ“. Statt einer sicher sinnvollen umfassenden Subspezialisierung mit einer Zusatzbezeichnung „Suchtmedizin“ gibt es lediglich eine Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung“ (als Curriculum mit insgesamt 50 Stunden bei den Landesärztekammern). Aber auch diese Fortbildung findet oft nur wenig Zuspruch.
Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt (ÄKSA ) führt gemeinsam mit der Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin (OAGS) zurzeit einen solchen Kurs durch. Erweitert wird dieser durch drei öffentliche „Freitagssymposien“ zu aktuellen und besonders brisanten Problemen der Suchtmedizin. Das nächste Symposium dieser Art zum Thema: „Neue Drogen – neue Probleme“ (u. a. über „Crystal“ bedingte Störungen) findet am 20.1.2017, 14 bis 18 Uhr, im halleschen Elisabeth-Krankenhaus statt.
Erstmals bieten die ÄKSA und OAGS 2017 ein Curriculum: „Suchtmedizinische Versorgung“ auch für Medizinische Fachangestellte, Pflegeberufe und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens an (insgesamt 60 Stunden). Die Mitarbeiter der Ärzteschaft gestalten oft ganz wesentlich kreativ und eigenständig den schwierigen Ablauf des Praxisalltags mit. Sie durch diese Fortbildung besser zu befähigen, ist das Ziel des praxisnahen Kurses, der in der Zeit vom 20. bis 24.3.2017 in Halle (Gesundheitszentrum Silberhöhe) stattfindet. Suchtmedizin ist Teamarbeit! Die gemeinsame Fortbildung wird durch die Ärztekammer Sachsen-Anhalt und durch die Ostdeutsche Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin bescheinigt.
Neu ist eine App, die hier in Sachsen-Anhalt (gemeinsam mit der OAGS) entwickelt wurde und nun allen zur Information (und zur Anwendung) zur Verfügung steht. Sie können sich die Crystal-App kostenlos auf Ihr Smartphone herunterladen (bisher nur Android) unter https://play.google.com/store/apps/details?id=de.curamatik.crystalapp.
Dipl.-Med. Peter Jeschke
Nervenfacharzt/Suchtmediziner
Vorsitzender der OAGS