Zu selten, zu spät, mit großen regionalen Unterschieden – unter diesem Slogan veröffentlichte das in Deutschland für Impfempfehlungen zuständige Robert-Koch-Institut im Januar 2017 Impfquoten zu Rota-, HPV-, Masern- und Influenza-Impfungen und machte damit die nicht unproblematische Position Deutschlands in der Impfmedizin deutlich (RKI Epidemiologisches Bulletin Nr. 1, 05.01.2017). Die in einer Pressemitteilung des RKI am 05.01.2017 publizierten Ergebnisse der KV-Impfsurveillance zeigen Defizite, Fortschritte und große regionale Differenzen bei den Impfquoten. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI lässt sich mit der Feststellung zitieren: „Schlimm, dass Deutschland inzwischen in Europa das Schlusslicht der Masernelimination darstellt!“ und unterstreicht damit den Handlungsbedarf nicht nur auf der Ebene der eigentlichen Akteure, d. h. im Wesentlichen der ambulant tätigen Ärzte, sondern in seiner Eigenschaft als Leiter einer regierungsnahen Behörde auch den der Politik. Dass diese Signale – inzwischen – auch auf der politischen Ebene wahrgenommen werden, zeigt das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz AMVSG, dessen impfmedizinische Ausrichtung besonders im Hinblick auf die Influenzaimpfung indes von den gesetzlichen Krankenkassen weitgehend negiert wird.

Die Analyse von Impfabrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen gestattet es erstmals – in Ergänzung zu der seit Jahren etablierten Erfassung der Impfdaten der Schulanfänger – die zeitgerechte Umsetzung von Impfempfehlungen zu beurteilen, die Defizite aufweist. In diesem Zusammenhang ist der Forderung des RKI, die KV-Impfsurveillance als Regelinstrument zu etablieren, unbedingt zuzustimmen. Bei allen impfmedizinischen Erfolgen der letzten Jahrzehnte sind den Autoren der Analyse zufolge einerseits die Impfraten gegen Masern, Rotavirusinfektionen, HPV-assoziierte Erkrankungen und gegen Influenza unzureichend; andererseits erfolgen die Impfungen vielfach später als durch die Ständige Impfkommission STIKO des RKI empfohlen. Nach Abschluss des zweiten Lebensjahres sind bundesweit 150.000 Kinder des Geburtsjahrganges 2013 nicht komplett und 28.000 Kinder nicht gegen Masern immunisiert. Problemregionen sind dabei keineswegs nur Landkreise im Süden Deutschlands, sondern zunehmend ostdeutsche großstädtische Ballungsgebiete wie Berlin, Leipzig und Dresden. Im Jahr 2015 mussten ca. 2.500 Masernfälle, darunter zwei tödlich verlaufene, zur Kenntnis genommen werden. In der ersten Jahreshälfte 2017 sind deutschlandweit ca. 800 Masernfälle und damit bereits jetzt deutlich mehr als 2016 dokumentiert. Das durch die WHO aufgelegte Ziel einer Masernelemination bis zum Jahr 2020 bleibt damit illusorisch. Andererseits ist für die zweite Masern-Impfung der Kinder im Alter von 24 Monaten ein deutlicher Aufwärtstrend zu beobachten (von 59,1 % beim Geburtsjahrgang 2004 auf 73,7 % beim Geburtsjahrgang 2013).

Eine vollständige Grundimmunisierung gegen Rotavirusinfektionen erfolgte in lediglich 66 %, gegen HPV-Infektionen bei 15-jährigen weiblichen Jugendlichen in 30,5 %, bei 17-jährigen in 42,5 %. Trotz der in vielen Bundesländern über die STIKO-Empfehlung hinausgehenden öffentlichen Impfempfehlung für die gesamte Bevölkerung ist die Influenzaimpfquote bei über 60-jährigen in der Saison 2015/16 mit 35,3 % viel zu niedrig und tendenziell abnehmend. Anderen Quellen zufolge liegt die Influenzaimpfquote bei Kindern und Jugendlichen bei erschreckenden 4 %. In den USA sind – mit steigender Tendenz seit der H1N1-Pandemie 2009/10 – 59 %, in UK 43 % der Kinder und Jugendlichen influenzaimmunisiert. RKI-Angaben zufolge haben fast 15 % der Erwachsenen keinen Impfschutz gegen Poliomyelitis. Statistische Auswirkungen im Zusammenhang mit der Migration aus Ländern mit unzureichender medizinischer Versorgung und beispielsweise ein Polioausbruch in Syrien sind dabei bislang unberücksichtigt. Insgesamt weisen die Durchimpfungsraten erhebliche regionale Differenzen auf. Das noch in den Nachwendejahren nachweisbare Ost-West-Gefälle ist im Zusammenhang mit sinkenden Impfraten auch in ostdeutschen Ballungsräumen nicht mehr eindeutig darstellbar.

Sachsen-Anhalt nimmt im Deutschlandvergleich hinsichtlich der Durchimpfungsraten eine erfreuliche Spitzenposition ein: Die Impfraten gegen HPV (53 % bei 15-Jährigen und 63,8 % bei 17-Jährigen) sowie 55,7 % gegen Influenza bei den Mindestens-60-Jährigen sind die höchsten im deutschlandweiten Vergleich. Bezüglich der Rotavirus-Durchimpfung (Verabreichung einer kompletten Impfserie) liegt Sachsen-Anhalt mit 78,9 % auf Platz 2 dicht hinter Mecklenburg-Vorpommern (79,8 %). Hinsichtlich der Masernimmunisierung liegen Durchimpfungsrate und Impfzeitpunkt sachsen-anhaltischer Kleinkinder oberhalb des Bundesdurchschnitts (1. Masernimpfdosis mit 15 Monaten in 89,7 % und vollständige Masernimmunisierung mit 36 Monaten in 87,8 %), erreichen jedoch ebenso wenig wie in allen anderen Bundesländern die für eine Masernelemination notwendige Impfquote von mindestens 95 %.

Die trotz des auch in Sachsen-Anhalt steigenden Anteils von Impfkritikern und -gegnern im Bundesvergleich hohen Durchimpfungsraten lassen auf ein hohes impfmedizinisches Engagement schließen. Aus verschiedenen Arbeiten ist bekannt, das der Hauptbeweggrund für Menschen, den eigenen Impfschutz bzw. den ihrer Kinder, betreuten Personen etc. auffrischen zu lassen, die direkte zielbezogene Ansprache durch den Arzt bzw. geschultes medizinisches Personal ist. Für beide Fachkreise existieren eine Reihe von Gründen, impfmedizinisches Fachwissen stets aktuell zu halten: Geopolitische Entwicklungen wie die unerwartet intensive und andauernde Immigration von Menschen aus medizinisch schlecht versorgten Krisenregionen führt zu ansteigenden Raten hier kaum noch wahrgenommener Krankheitsbilder. Die weltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen und nosokomialen Infektionen erhöht den Stellenwert präventiver Medizin. Wie in anderen Staaten mit hohem medizinischem Standard und damit verbundenen relativ hohen Durchimpfungsraten gegen eine Vielzahl von Infektionskrankheiten sinkt auch in Deutschland das Bewusstsein für Schwere und Konsequenzen impfpräventabler Erkrankungen und beeinträchtigen impfkritische Strömungen unser Engagement. Nicht zuletzt behindern merkantilen Mechanismen geschuldete Ausschreibungsverfahren seitens der gesetzlichen Krankenkassen auch nach der Auflage des AMVSG eine alters- und risikogruppenorientierte Impfmedizin mit modernen Impfstoffen.

In Sachsen-Anhalt werden seit vielen Jahren impfmedizinische Fortbildungsveranstaltungen sowohl für Ärzte als auch Assistenzpersonal gemeinsam u. a. durch die Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung angeboten. Bedeutsam sind regelmäßig stattfindende impfmedizinische Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen moderierter Qualitätszirkel, zunehmend in Form netzbasierter Webinare. Bereits im Jahr 1998 wurde das Erreichen eines altersgerechten Impfstatus bei über 90 % der Bevölkerung als Gesundheitsziel des Landes definiert und dessen taktisches Projektmanagement durch das Sozialministerium in die Hände der Landesvereinigung für Gesundheit LVG e. V. gelegt. Seit dieser Zeit versuchen in dem an die LVG angegliederten Arbeitskreis Impfen eine Vielzahl wesentlicher Akteure aus praktischer Impfmedizin, Körperschaften, Verbänden, Behörden, Krankenkassen, der Industrie, dem Sozialministerium etc. einen praktisch umsetzbaren impfmedizinischen Konsens zu finden und auch mit den Instrumenten Projektarbeit und gezielten Fortbildungsveranstaltungen Impfraten zu erhöhen und Impflücken zu schließen.

Eine der teilnehmerstärksten impfmedizinischen Fortbildungsveranstaltungen in Sachsen-Anhalt firmiert in diesem Jahr unter der Bezeichnung „impftag.aktuell MAGDEBURG 2017“, wird unter der Schirmherrschaft der 1908 gegründeten Sächsisch-Thüringischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Kinderchirurgie STGKJM e. V. veranstaltet und steht in der Tradition des Mitteldeutschen Impftages. Dieses impfmedizinische Symposium fand erstmals 2006 in Halle und in den Folgejahren in Magdeburg ab 2009 identitätsstiftend unter der Landesbezeichnung statt. Seit 2006 hat sich diese Veranstaltung zu einem teilnehmerstarken fachgruppenübergreifenden praxisnahen Forum für impfende Ärzte aus der Praxis, der Klinik, der Betriebsmedizin, dem ÖGD und dem Assistenzpersonal etabliert und steht auch Apothekern als wichtigen Partnern in der Umsetzung impfmedizinischer Inhalte offen. Im Zuge einer offenen gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem bundesweit agierenden Veranstalter medizinischer Fortbildungsveranstaltungen machte sich die Umbenennung der Bezeichnung 11. Impftag Sachsen-Anhalt in impftag.aktuell erforderlich.

Auf dem am 21. Oktober 2017 im Multiplex-Audimax der Hochschule Magdeburg-Stendal in Magdeburg stattfindenden „impftag.aktuell MAGDEBURG 2017“ wird Gelegenheit sein, sich neben aktuellen impfmedizinischen Entwicklungen über die diesjährige Anpassung der STIKO-Empfehlung sowie deren Umsetzung in der Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA zu informieren. Kompetente Referenten werden impfmedizinische Fragestellungen aus allen Altersbereichen darstellen, gemeinsam mit dem Auditorium diskutieren und sich auch gesundheitspolitisch schwierigen Fragen wie die der Verwendung tetravalenter Influenzavaccinen, der zu diesem Thema wenig nachvollziehbar indifferenten Position der STIKO und der Blockadehaltung der gesetzlichen Krankenkassen gegen diese Impfstoffe widmen.

Das Kernthema des diesjährigen Impftages bilden Reiseimpfungen. Neben unserer sprichwörtlichen Reisefreudigkeit sind zum einen Migrationsbewegungen aus Krisenregionen, andererseits unzureichende Impfraten und damit die drohende Zunahme in der Öffentlichkeit ebenso unzureichend wahrgenommener Krankheitsbilder Anlass für ein impfmedizinisches Update nicht nur im Zusammenhang mit Reiseerkrankungen. Das vollständige Programm ist online auf stgkjm.de/impfmedizin abrufbar.

Der Besuch der Veranstaltung „impftag.aktuell MAGDEBURG 2017“ ist bei rechtzeitiger Anmeldung (nur online auf www.stgkjm.de/impfmedizin) kostenfrei. Bei Überschreitung der Anmeldefrist ab 26.09.2017 oder bei Anmeldung vor Ort wird eine Teilnahmegebühr erhoben. Die Veranstaltung ist mit 6 Fortbildungspunkten durch die Ärztekammer Sachsen-Anhalt zertifiziert. Interessierte Ärzte, Apotheker und medizinisches Assistenzpersonal sind eingeladen, nicht nur die Veranstaltung zu besuchen, sondern sich aktiv in die Themenauswahl der Folgeveranstaltungen einzubringen.


Verfasser:
Dr. Gunther Gosch
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologe
Kinderarztpraxis am Domplatz
Dr. G. Gosch, Dr. U. Schwitalla & Mitarbeiter
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