In Deutschland leiden etwa 4 Millionen Menschen an einer von etwa 8.000 verschiedenen Erkrankungen, die zu den seltenen Erkrankungen (SE) zählen, d. h. weniger als 5 von 10.000 Menschen betreffen. Charakteristisch für SE ist die schwierige Diagnosestellung, ein chronischer Verlauf mit Invalidität und/oder eingeschränkter Lebenserwartung und fehlende lokale Expertise. Diagnosen werden zum Teil erst nach einer jahrelangen Odyssee des Patienten durch das Gesundheitssystem gestellt, obwohl Symptome häufig bereits im Kindesalter beginnen. Spezifische therapeutische Maßnahmen unterbleiben oder falsche Therapien werden eingeleitet.
Entsprechend den EU-Empfehlungen (2009/872/EC) haben sich seit 2009 interdisziplinäre Zentren für SE (ZSEs) aus Eigeninitiative gegründet. Durch Zusammenarbeit von Patienteninitiativen, Ärzten und Wissenschaftlern wurden Fortschritte im Bereich Betreuung, Forschung und Weiterbildung auf dem Gebiet der SE erreicht. Aufgabe der ZSE ist es, Ärzte und Patienten im Diagnosepfad zu unterstützen und die Arbeit der Fachzentren zu koordinieren. Interdisziplinäre, incl. translationale Forschung und Netzwerkbildungen sind erforderlich, da kleine Fallzahlen und begrenzte Evidenz ein wesentliches Hindernis für die Forschung in Diagnostik und Therapie darstellen. Erste Erfahrungen zeigen, dass bei mindestens 20 % nach Durchlaufen eines standardisierten Patientenpfades für eine SE kein Hinweis besteht, aber bei etwa 12 % der Verdacht auf eine SE erhärtet wird.
Am Mitteldeutschen Kompetenznetz für Seltene Erkrankungen (MKSE) sind Fachzentren der beiden Universitätsklinika Magdeburg und Halle sowie dem Städtischen Klinikum Dessau etabliert. Durch einen Kooperationsvertrag mit der AOK Sachsen-Anhalt konnte eine Lotsenstelle eingerichtet werden, die den Patienten oder Hausarzt auf Wunsch unterstützt. Bei Verdacht auf eine SE können Hausärzte oder Patienten über eine elektronische Fallakte Vorbefunde inkl. DICOM-Datensätze zur Verfügung stellen (www.mkse.ovgu.de). In interdisziplinären Fallkonferenzen wird zur weiteren Differenzialdiagnostik beraten und ein Betreuungskonzept für den Patienten entwickelt.
Ein weiterer Aufgabenbereich stellt die Koordinierung der interdisziplinären Diagnostik in den Fachzentren dar. Das MKSE wurde auch im Rahmen der Europäischen Referenznetzwerke (https://ec.europa.eu/health/ern_de) für aus-gewählte komplexe Krankheitsgruppen zertifiziert. Ein Beispiel für die strukturierte Zusammenarbeit bei Diagnostik, operativer Therapie und Nachsorge ist das Zentrum für kongenitalen Hyperinsulinismus an der Otto-von-Guericke-Universität in Kooperation mit dem DTZ Berlin am Frankfurter Tor und der Kinderchirurgie der Universität Greifswald (http://www.hyperinsulinismus-hilfe.de/). Seit 2003 konnten 220 Säuglinge aus Deutschland, Europa,
Asien und Südamerika erfolgreich behandelt werden.
Am 4. April 2018 werden Experten in einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Landesärztekammer Sachsen-Anhalt, der KV Sachsen-Anhalt und des MKSE neue diagnostische und medikamentöse Therapien angeborener Skelettsystemerkrankungen darstellen.
apl. Prof. Dr. med. habil. Klaus Mohnike
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Mitteldeutsches Kompetenznetz für
Seltene Erkrankungen (MKSE)