Fallbeispiele aus der Klinik

Seit über 20 Jahren werden an der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in Magdeburg Cochlea-Implantationen durchgeführt. Damit wurde es den Patienten möglich gemacht, wieder einen Höreindruck zu erlangen. Wurden jedoch vor 20 Jahren nur komplett ertaubte Personen implantiert, so können heute auch Patienten versorgt werden, bei denen ein Restgehör vorhanden ist, ein ausreichendes Sprachverstehen aber auch mit Hörgeräten nicht mehr erreicht wird. Es geht dabei nicht mehr nur darum, diesen Patienten das Wahrnehmen von Geräuschen zu ermöglichen, damit sie sich im Alltag orientieren können. Ziel ist es heute, dass Cochlea-Implantat versorgte Patienten ein Sprachverstehen erreichen, das ihnen eine annährend normale Kommunikation im Alltag und auch über das Telefon ermöglicht und damit zu einer deutlich verbesserten Hör- und Lebensqualität führt.
In den letzten Jahren ist es zu einer stetigen Erweiterung der Indikation für eine Cochlea-Implantation gekommen. Die Indikation wird dabei in Zusammenschau aller Befunde und in Absprache mit allen beteiligten Personen durch den Operateur gestellt, wenn durch ein Cochlea-Implantat ein besseres Sprachverstehen als mit der bestmöglichen Hörgeräteversorgung zu erreichen ist. Personen, die mit ihrem Hörgerät im Freiburger Sprachtest ein Einsilberverstehen von weniger als 40-50 % bei 65 dB erreichen, können in unserer Klinik mit einem Cochlea-Implantat versorgt werden, da hiermit ein besseres Sprachverstehen zu erwarten ist.

Nach der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. zur Cochlea-Implantat Versorgung sind die Indikationen klar definiert. Grundsätzlich steht die Indikation für postlingual ertaubte und resthörige Kinder und Erwachsene. Im Einzelfall kann auch für prälingual ertaubte Erwachsene die Indikation gestellt werden. Für Kinder, die prälingual ertaubt bzw. gehörlos geboren wurden und Kinder, die perilingual ertaubt oder resthörig sind, sollte die Indikation möglichst in den ersten Lebensjahren bzw. kurzfristig nach der Diagnosestellung erfolgen. Dabei muss der Implantation resthöriger Kinder eine intensive Beobachtungsphase und eine optimierte Hörgeräteversorgung vorangehen.
Bei Taubheit nach bakterieller Meningitis sollte schnellstmöglich die audiologische und neuroradiologische Diagnostik eingeleitet werden, da es häufig zu einer Obliteration der Cochlea kommt, wodurch eine Implantation nur noch eingeschränkt bzw. nicht mehr möglich ist. Durch eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde uns ein 44-jähriger Patient bereits 7 Tage nach der Diagnosestellung einer Pneumokokkenmeningitis und funktioneller Taubheit bds. vorgestellt. So konnte er 27 Tage nach Auftreten der ersten Symptome erfolgreich mit einem Cochlea-Implantat beidseits versorgt werden. Zwei Monate nach Implantation erreichte der Patient im Freiburger Sprachtest auf dem rechten Ohr 25 % und auf dem linken Ohr 45 % Einsilberverstehen bei 65 dB. Er wird demnächst wieder seine Arbeit aufnehmen können.

Patienten mit einer gering- bis mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit für tiefe Frequenzen (bis 500 Hz) und einer hochgradigen bis an Taubheit grenzenden Schallempfindungsschwerhörigkeit im Hochtonbereich hören oft ausreichend, jedoch kann das Gehörte trotz Hörgerätes nicht verstanden werden. Besonders im Störgeräusch und auf größere Entfernung ergeben sich Schwierigkeiten. Diese Patienten profitieren vom Prinzip der elektroakustischen Stimulation. Dabei kann das Hörvermögen im Hochtonbereich über ein Cochlea-Implantat wiederhergestellt werden. Aufgrund spezieller Elektro-deneigenschaften wird das tieftonale Restgehör erhalten und dann akustisch verstärkt.
Mit dieser Methode konnten wir bei einer Patientin, welche mit bestmöglicher Hörgeräteversorgung nur noch ein Einsilberverständnis von 60 % bei 65 dB erreichte, nach Abschluss einer intensiven Rehabilitationsphase bereits ein Verständnis von 80 % bei 65 dB für Einsilber im Freiburger Sprachtest konstatieren.

Auch die Cochlea-Implantat-Versorgung bei einseitiger Taubheit und Normakusis der Gegenseite (single-sided Deafness) ist ein erfolgreiches Therapiekonzept, wobei sich vor allem das Sprachverstehen im Störschall und das Richtungshören bessern. Nach gründlicher Indikationsprüfung haben wir eine Patientin bei einseitiger Taubheit nach Hörsturz und Normakusis der Gegenseite implantiert. Fünf Monate nach der Operation konnten wir bei Vertäubung der gesunden Gegenseite ein Einsilberverstehen von 80 % bei 75 dB konstatieren.
Kontraindiziert ist ein Cochlea-Implantat bei Mittelohrinfektionen. Nach einer sanierenden Ohroperation, auch mit Anlage einer Radikalhöhle, kann jedoch nach entsprechenden Voruntersuchungen eine Cochlea-Implantat-Versorgung erfolgen. Uns wurde ein Patient vorgestellt, der nach sanierender Ohrradikaloperation und Tympanoplastik Typ III funktionell ertaubt war. Auch dieser Patient konnte nach sorgfältiger Diagnostik erfolgreich mit einem Cochlea-Implantat versorgt werden.

Eine Altersgrenze für die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat gibt es nicht. Gerade auch ältere Patienten, bei denen eine komplexe Sinnesbehinderung vorliegt, sind in ihrer Lebensqualität so stark eingeschränkt, dass die Alltagsbewältigung oft nicht mehr möglich ist. Sie können von der Implantation und der Wiederherstellung des Hörvermögens profitieren. So haben wir Patienten implantiert, bei denen neben einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auch eine hochgradige Sehbehinderung vorliegt. Diese Patienten berichten oft kurzfristig nach der Implantation schon von einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensqualität.
Ein nach Hörsturz ertaubter und auf der Gegenseite hochgradig schwerhöriger Patient mit fortgeschrittener Makuladegeneration beidseits konnte bereits drei Monate nach Implantation ein Einsilberverstehen von 75 % bei 65 dB erreichen.

In unserer CI-Sprechstunde erfolgt eine ausführliche präoperative Diagnostik nach den Leitlinien zur Cochlea-Implantat Versorgung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V., Bonn. Wird die Indikation gestellt und der Patient erfolgreich implantiert, erfolgt die Erstanpassung stationär in unserer Klinik. Daran schließt sich eine intensive Rehabilitationsphase, in der Regel über einen Zeitraum von zwei Jahren, an. Nach dieser Rehaphase werden die Patienten lebenslang durch unsere Klinik betreut. Dazu gehören neben der ärztlichen Kontrolle die jährliche audiologische Kontrolle mit Überprüfung des Sprachverstehens mittels Freiburger Sprachaudiogramm und Oldenburger Satztest, auch im Störgeräusch, sowie die Anpassung des Sprachprozessors. Außerdem dokumentieren wir die subjektive Zufriedenheit mittels Göteborger Profil.
Waren bisher etwa die Hälfte der implantierten Patienten Kinder, so werden zukünftig auf Grund der Indikationserweiterung und zunehmenden Implantation von resthörigen Patienten auch immer mehr ältere Patienten mit einem Cochlea-Implantat versorgt werden. Der hörerhaltenden Implantation kommt dabei eine immer stärker werdende Bedeutung zu. In unserer Klinik arbeitet ein erfahrenes Team aus Ärzten, Audiologen und Therapeuten eng zusammen, um eine adäquate patientenorientierte Betreuung betroffener Personen zu gewährleisten.

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Kontakt:
Dr. med. Marja Loderstedt
Prof. Dr. med. Ch. Arens
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
Tel. 0391-67 13834
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