Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, 21.-24. November 2012 in Berlin
Der DGPPN-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) fand vom 21. bis 24. November 2012 im ICC in Berlin statt. Das Konzept, immer am gleichen Ort und im gleichen Zeitfenster zu tagen, hat die Teilnehmerzahlen deutlich gesteigert und als größten Psychiatriekongress Europas gefestigt. Vorher gab es Teilnehmerzahlen um 900. Wenn man sich nach Neuorientierung zurecht fand, war dann der Kongress auch schon zu Ende. Es konnten wieder über 9000 Besucher verzeichnet werden, davon über 1000 aus Österreich und der Schweiz. Es fanden über 600 wissenschaftliche Sitzungen statt, davon natürlich viele parallel, wobei es auch nach mehrjährigen Erfahrungen nicht immer gelungen war, die richtige Raumgröße für die unterschiedliche Zahl der aktuell Interessierten zu finden. Es kamen über 1700 Referenten, Vorsitzende und Posterautoren zu Wort, aus Sachsen-Anhalt gefühlt weniger als in den Vorjahren.
Über die Fortbildungsakademie wurden in dieser Zeit über 90 Veranstaltungen mit 1500 Teilnehmern organisiert.
Das Generalthema lautete: „Keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit“. Thematische Höhepunkte des Kongresses waren: die zum 1. Januar 2013 eingeführte Entgeltregelung, forensische Psychiatrie, Zwangsbehandlung, Sicherungsverwahrung, Psychosomatik, psychische Erkrankungen und Arbeit, Versorgungsforschung und Gesundheitspolitik sowie Prävention. Der Ref. möchte und kann an dieser Stelle natürlich nur über eine sehr subjektive Auswahl berichten. Umfassende Informationen sind unter www.dgppn.de zu finden. Einige Veranstaltungen fanden im Trialog zwischen Wissenschaftlern/Praktikern sowie Betroffenen und Angehörigen statt.
Nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch den Deutschen Bundestag sind die Rechte auch von PsychiatriepatientInnen bestärkt worden. Infolge dessen hat das Bundesverfassungsgericht in 2 Urteilen entschieden, dass einige der Psychiatriekrankengesetze in Deutschland auf Landesebene geändert werden müssen. Auch das bundeseinheitlich geltende Betreuungsgesetz bedarf einer Novellierung, was aktuell zu einer deutlichen Verunsicherung der in der Psychiatrie Arbeitenden geführt hat. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass seit der Psychiatrie-Enquete in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sich viel in der Versorgung psychisch kranker Menschen zum Positiven verändert hat, nun durch die als Ersatzvornahme des Ministers eingeführte neue Entgeltregelung rückgängig gemacht wird. Es wird zu deutlichen Strukturveränderungen in der psychiatrischen gemeindenahen Versorgung kommen. Dabei darf es nicht dazu kommen, dass die psychiatrische Versorgung in der Endkonsequenz in die betroffenen Familien verlagert wird oder die Patienten in der Mehrheit unterversorgt in Isolation oder Obdachlosigkeit entlassen werden.
Zum sogenannten Burnout, das besonders in Deutschland bekannt ist, wurde bereits Anfang 2012 ein ausführliches Positionspapier der veranstaltenden wissenschaftlichen Fachgesellschaft veröffentlicht. Auch im Rahmen der geplanten ICD-11-Krankheitsverschlüsselung und des DSM 5 wird es wohl dabei bleiben, dass der Begriff nur bei längerfristiger Arbeitsüberforderung zu den an erster Stelle stehenden Depressionen, Alkoholmissbrauch, Angststörungen, chronischem Schmerzsyndrom, Tinnitus, Bluthochdruck oder chronischen Infektionserkrankungen verschlüsselt wird.
Aus Sicht eines Betroffenen referierte Sven Hannawald, ehemaliger Skispringer und aktueller Ein-Mann-Unternehmer. Nun äußerlich blendend aussehend, ist er offensichtlich in seiner Therapie psychisch deutlich stabilisiert und menschlich gereift. Zum Zeitpunkt seiner Erkrankung waren die ihn betreuenden Sportfunktionäre und auch seine somatisch orientierten Ärzte nicht auf das mögliche Vorliegen einer psychischen Erkrankung gekommen. Den richtungweisenden Hinweis bekam er seinerzeit von einer medizinischen Laiin.
Ohne das Kürzel DGPPN zu ändern, griff die älteste deutsche medizinische Fachgesellschaft die reale gesundheitspolitische Entwicklung in Wissenschaft und Versorgung auf und ergänzte ihren Namen um den Begriff Psychosomatik. Vorangegangen war vor Jahren bereits die Gründung eines eigenen Referates für dieses an Bedeutung weiter zunehmenden Gebiet. Die Erkenntnisse im Sinne der Interaktion von psychischen und körperlichen Funktionen sind inzwischen breit anerkannt. Der amtierende Präsident, Prof. Dr. Peter Falkai, jetzt Universitätsklinikum München, griff noch einmal die engen Zusammenhänge, z. B. mit somatischen Erkrankungen, auf. So wächst das Risiko, „an Diabetes mellitus zu erkranken, deutlich, wenn zuvor eine depressive Erkrankung vorlag. Zugleich steigt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Depression bei vorausgehenden Schlaganfällen, Herz- oder Tumorerkrankungen.“ Die Forderung nach der Errichtung eines Deutschen Zentrums für psychische Erkrankungen wurde aufgrund aktueller Zahlen, z. B. bei der Frühberentung und der Hochrechnung der World Health Organisation (WHO) an die Bundesregierung untermauert und wiederholt. Besonders interessant waren in diesem Zusammenhang erste Ergebnisse des neuen Gesundheitsuntersuchungs-Surveys für Erwachsene (DEGS), veröffentlicht durch das Robert-Koch-Institut.
Aus internationaler Sicht erwähnte der beneidenswert polyglotte Prof. Dr. Norman Sartiorius, President of the Association for the Improvement of Mental Health, dass Deutschland nach wie vor eine Weltmacht in der Psychiatrie sei. Was hier gemacht würde, sei für viele andere anregend und wichtig. Die Behandlung eines psychisch Kranken sei eigentlich ein UNO-Grundrecht, was weltweit jedoch für 90 Prozent der Betroffenen nicht realisiert wird.
Frau Dr. med. Iris Hauth wies im Rahmen der klinischen Versorgung darauf hin, dass nach den Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete es zum Aufbau gemeindepsychiatrischer Strukturen wie Betreutes Wohnen, therapeutische Wohngemeinschaften, Tagesstätten und sozialpsychiatrische Dienste geführt hat, dabei die Bettenzahl um die Hälfte auf nunmehr 54.000 reduziert werden konnte. Die stationäre Behandlung erfolgt zurzeit etwa hälftig in den Fachkrankenhäusern für Psychiatrie und Psychotherapie und in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern inklusive der strukturell ähnlichen Universitätsklinika. Ausdrücklich wies sie auf die Gefahren des neuen Psychiatrie-Entgeltgesetzes hin. Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang, dass Leistungssteigerungen durch die absehbare steigende Inanspruchnahme (z. B. bei Depression und Demenz) entstehen. Diese sind bisher bereits ab 2017 nicht mehr ausreichend finanziert. Es wird zwangsläufig zu einer Senkung des Entgelts kommen. Erzwungenermaßen wird also gelten: mehr Leistung für weniger Geld. Es ist besonders dramatisch, da die Kosten in den Kliniken 80 Prozent Personalkosten sind.
Die DGPPN ist in über 30 Referate von Entgelt bis Young Psychiatrist aufgeteilt, die auch entsprechend im wissenschaftlichen Programm auftraten. Das Referat Psychotherapie wird von Herrn Prof. Michael Linden, Teltow, und Herrn Prof. Harald J. Freyberger, Greifswald, geleitet. Als einer der Leiter von 14 Arbeitsgemeinschaften kam hier für die AG Hypnose und Autogenes Training, Dr. Wolf-Rainer Krause, zu Wort.
Auf der Mitgliederversammlung, die in diesem Jahr turnusgemäß mit Neuwahlen verbunden war, wurde Herr Prof. Wolfgang Maier, Bonn, zum nächsten Präsidenten gewählt. Als erste Präsidentin der Fachgesellschaft für die Amtsperiode 2015/16 wird Frau Dr. Iris Hauth, Berlin, folgen. Bei den inzwischen über 6000 Mitgliedern musste einiges an Arbeit in eine professionell geführte Geschäftsstelle mit inzwischen 9 Mitarbeitern verlagert werden. Gleichzeitig wurde der Vorstand verschlankt. Besonderer Dank galt Herrn Priv.-Doz. Dr. Felix Böcker, Naumburg, der 14 Jahre lang die erfolgreiche Entwicklung der DGPPN als Kassenwart maßgeblich begleitet hat. Er stand nun für eine erneute Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung.
2013 wird der nächste Kongress vom 27. bis 30. November, leider mit dem Wernigeröder Hausärztetag überschneidend, stattfinden.
Dr. med. W.-R. Krause