Eine Hospitation im buddhistischen Königreich Bhutan

Bhutan – ein Land, so groß wie die Schweiz, ist zum Norden her von bis zu 7500 m hohen Bergen zu Tibet und China abgegrenzt und im Süden von Indien, von welchem es ökonomisch im Wesentlichen abhängig ist. Im Königreich leben um 750.000 Einwohner, welche zu 75 % als Bauern ihr Leben bestreiten.
Außergewöhnlich sind die von der Natur vorgegebenen Landschaften, welche vom Tropischen Regenwald bis zum schneebedeckten Himalayagipfel reichen. In der Monsunzeit unserer Sommerzeit liegt das Land praktisch ständig in den Wolken. 5000 ml Niederschlag können in drei Monaten fallen. Ich hatte die einmalige Möglichkeit, diesen Sommer in drei kleinen Krankenhäusern und einigen Basisgesundheitsstationen im armen Osten des Landes zu hospitieren. Zu meiner Hospitationsszeit war der Hauptweg im Land an 20 Stellen gleichzeitig durch massive Stein-Lawinen zugeschüttet. Ein Krankentransport zum nächsten Hospital dauert so in der Regel auf dem Landweg oft länger als 4 bis 6 Stunden.
Die tibetischen Hochbewohner haben klinisch zu 80 % eine Anämie, sind aber seit Jahrtausenden genetisch an die dünne Luft (minus 25 % O2) in über 4000 m Höhe angepasst. In Bhutan gibt es nicht nur ein Gesundheitsministerium, sondern auch ein Ministerium für buddhistisches Glück. Etwa 45 % der Geburten finden zu Hause statt. Risikoschwangeren wird empfohlen, bereits im terminlichen Vorfeld der Geburt eine Krankenhauseinrichtung aufzusuchen. Jede Gesundheitsstation hat daher neben den gängigen Antibiotika, Infusionen oder Vitaminen auch einen Geburtsstuhl und einen Wundversorgungstisch zu bieten. Ein Ziel der Regierung ist es, traditionelle und europäische Medizin gleichzeitig auszubauen. Größere Basisgesundheitseinrichtungen besitzen dann auch ein kleines Labor, einen traditionellen Arzt oder ein Röntgengerät, sowie Notfallbetten und Impfkühlschränke. Ärzte sind sehr rar.
Eine gut strukturierte Hochschule für Krankenpfleger in der Hauptstadt stellt seit 1977 die meisten der Gesundheitsmitarbeiter. 2018 gab es nur 337 Ärzte im Königreich, 44 Apotheker, 53 traditionelle Ärzte (Drungtshoes), 63 Arzthelfer sowie 1202 Krankenschwestern. Bei meinen Visiten in drei verschiedenen Krankenhäusern waren bei einer durchschnittlichen Zahl von 20 bis 30 medizinischen Angestellten nur 1 bis 2 Ärzte darunter zu finden. Das Land hat 32 Hospitäler und rund 200 Basisgesundheitsstationen, welche von Schwestern geführt werden. Positiv zu bemerken ist, dass viele Nurses auch eine Hebammenausbildung durchlaufen haben und ich das erste Mal überhaupt in einem Entwicklungsland reichlich gefüllte Arzneimittelkisten in den BHU (Basic-Health-Unit) vorgefunden habe. Auch konnte ich mit hilfreichen Krankenschwestern das örtliche Mutter-Kind-Programm und das staatliche Impfprogramm besprechen. Es gibt für alle Krankheiten oder Probleme spezielle Guidelines für BHU; z. B. für Malaria, Tuberkulose, Fieber oder Gastroenteritis. Poliomyelitis und Lepra sind weitgehend ausgerottet. Eine Herausforderung ist es, über 20 % Unterernährung bei Kleinkindern auf dem Lande und beginnende Zivilisationskrankheiten (Diabetes, Hypertonie, Apoplex, Übergewicht, Rauchen) in den städtischen Zentren gleichzeitig gut zu behandeln. Auch stellt der häufige Genuss traditioneller Reis- und Maisschnäpse ein relevantes Gesundheitsproblem dar. Die Todesliste wird von der Leberzirrhose angeführt. Das Land stellte seine Philosophie vom „Gross National Happiness“ (dem Bruttosozialglück) bei der Uno vor. Der Buddhismus ist allgegenwärtig und bestimmt die Grundeinstellung der Menschen zu Leben, Tod oder Heirat. Die Lebenserwartung liegt bei 68 Jahren. Das königliche Gesundheitswesen ist für alle kostenlos. Eine Krankenkasse gibt es nicht. Die Müttersterblichkeit steht bei 90 zu 100.000 Geburten. Die Top 9 der Krankheiten des ambulanten Gesundheitswesens sind Erkältungsinfekte, Dermatiden, Verdauungsstörungen, orthopädische Beschwerden, Tonsillitis, Augeninfektionen, Durchfall und Magenulkus sowie Anämie.

Bei den vorkommenden Tropenkrankheiten sind noch Tuberkulose, Denguefieber, Malaria oder Typhus mäßig häufig. Tollwut wird mit Impfungen, insbesondere der vielen freilaufenden Hunde bekämpft. In meinen, im unterentwickelten Osten des Landes besuchten, medizinischen Stationen sind außerdem Schwangerschaftskomplikationen, Verwundungen durch landwirtschaftliche Messer und Vitaminmangelzustände (Eisen, Vitamin B, Jod) noch häufig. Ein größerer chirurgischer Eingriff wird wegen Mangels an Einrichtungen spezialisierter Ärzte oder wegen überlanger Transportzeiten selten ausgeführt.
Hingegen werden die traditionellen Methoden noch sehr intensiv angewendet. Da ich 5 Tage bei den Halbnomaden im Dorf Merak bei einer Familie von Yakzüchtern in 3800 m Höhe wohnen durfte, habe ich viele buddhistische Zeremonien mitbekommen. Gegenseitiges Nehmen und Geben ist ein buddhistisches Grundprinzip. Ehrfurchtsvoll waren meine Besuche bei höhergestellen Lamas.
Einige Tropfen Alkohol oder einige Körner Reis beim Essen oder Trinken werden immer zuerst der himalayischen Götterwelt gespendet. Das 1-fache, 3-fache oder 108-fache Umgehen eines noch so kleinen Tempels im Uhrzeigersinn bringt Glück und Gesundheit. So gut eingestimmt wurde mir als ausländischem Arzt auch noch eine Sprechstunde auf dem Holzfußboden im Küchenraum der Gastfamilie angetragen. Im Gegenzug erhielt ich Berge an Geschenken.
Im Dorf Merak gab es drei traditionelle Heilexperten. Herr Wangdi zeigte mir, wie er mit seinen alten, kräftigen Fingern oder einer 25 cm langen Eisenstange Frakturen einrenken konnte und dann kunstvoll bandagierte. Von seiner Kniearthrosenbehandlung mit kleinen örtlichen Verbrennungen am Schmerzort halte ich nicht so viel. Frau Younten mit ihrer Katze und einem ehrfürchtigen Gesichtsausdruck konnte bei Frauenleiden, Kopfschmerzen oder Psychosen helfen. Unter einem großen Holzpenis und Hirschgeweih residierte Mister Tshewang, zuständig für chronische Wunden, Hämatome und lokale Geister.
Was soll man noch dazu sagen, auch eine Prise jahrtausendealter, buddhistischer Gelassenheit und Heilungslehre würden uns manchmal ganz gut tun. Besonders intensiv bleibt eine Art Gelassenheit und innerer Frieden, wie man ihn nur dort finden kann.
Unter „Pro Bhutan e. V.“ finden sich weitere Informationen sowie einige größere, medizinische Hilfsprojekte, welche sie gerne unterstützen können.
DM Martin Steinert
Praktischer Arzt/Arzt für Notfallmedizin
Gelbfieberimpfstelle/Reisemedizin/spezielle Geriatrie
Hausarztpraxis Klöden
06917 Klöden
An den Linden 9
Tel.: 035388/20207
Verwendete Literatur: Ministry of Health, Royal Government of Bhutan: ,,Annual Health Bulletin 2019”
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