Sozialmedizinische Betrachtung einer Reise auf der Insel Hispaniola mit den Staaten
Dominikanische Republik und Haiti

Dominikanische Republik

Im Rahmen eines mehrwöchigen, spanischen Sprachpraktikums mit Unterkünften bei einheimischen Familien in Los Terrenas an der mit Palmen besäumten Nordküste und in Santo Domingo, der etwa drei bis vier Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt und ersten Stadt Amerikas nach Kolumbus sowie bei einer Rundreise von 2000 km über die Tropeninsel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit dem Motorradtaxi durch den mittleren gebirgigen Teil von Haiti, konnte ich die gewaltigen sozialen Unterschiede dieser Welten gegenüber denen hinter den fünf Meter hohen Hotelmauern der Luxusklasse im August 2021 sehr intensiv erkunden.

Autor Dipl.-Med. M. Steinert mit Ärztin, Centro de Salud, Cacao/Dominikanische Republik
Autor Dipl.-Med. M. Steinert mit Ärztin, Centro de Salud, Cacao/Dominikanische Republik

Vertieft wurden die Eindrücke durch Hospitation im staatlichen „Centrum de Salud“ im Barrio (Stadtteil) „Cacao“ und den Einblick in die einfachen Lebensverhältnisse meiner Gastfamilien und die benachbarten Armensiedlungen aus Wellblech am Stadtrand. Diese werden überwiegend von den Gastarbeitern aus Haiti bewohnt, welche dort für einen Euro Stundenlohn die Land- und Bauwirtschaft am Leben erhalten. Die Miete für eine 4 x 6 m große Hütte beträgt etwa 50 Dollar im Monat. Im gleichen Zeitraum beträgt das Licht- oder besser Stromgeld für Ventilatoren ca. 30 Dollar. Bleiben für Lebensmittel noch ca. 75 Dollar für die armen Familien übrig. Etwa 20 Prozent der Bewohner der Dominikanischen Republik gelten auch als sehr arm. Gekocht wird dort oft in großen Eisenpfannen auf Gas oder Holzkohle, kreolisch-afrikanisch geprägt. Es steht weniger Geld für einen ganzen Monat zur Verfügung als ein durchschnittlicher Tourist pro Tag auf der Insel (um 110 Dollar) ausgibt.

Hauptmahlzeiten der „Los Pobres“ sind Reis mit Bohnen, Öl und Zwiebeln, Nudeln – stärkehaltige Lebensmittel, wie Kochbananen oder Yucca, finden sich oft im Küchenplan der Haitianer.Rum, Kaffee, Tabak und das Bier der Marke ,,El Präsidente“ gehören wohl auch zu den „Grundnahrungsmitteln“. Süße Essbananen sind für 10 bis 20 Cent pro Stück erhältlich.

Meine Gast-Oma in Santo Domenika (Domingo) muss etwa 30 Prozent ihres Einkommens für vier Kreislaufmedikamente, bei einer niedrigen Staats-Rente von 150 Euro, selbst aufbringen.

Etwa 65 Prozent der Gesundheitskosten sind in der Dominikanische Republik selbst zu zahlen. Für Notfälle gibt es einen Rettungsdienst und staatliche Hospitäler – aber Röntgen, Labor oder Fachärzte sind oft privat zu übernehmen. In meinem besuchten „Centrum de Salud“ gab es etwa zehn verschiedene Kreislaufmedikamente, nur zwei Blutzuckermedikamente und fünf unterschiedliche Antibiotika, Eisentabletten, Wurmmittel gegen Amöben sowie die WHO-Kinderimpfungen, welche kostenlos angeboten wurden. Alles andere ist dann oft Privatsache.

Es gibt in der Hauptstadt keinen Mangel an Privatklinken und Fachärzten mit nordamerikanischem Standard. Aber selbst meine Sprachlehrerinnen (eher der unteren Mittelschicht zugeordnet) versuchen diese wegen der sehr hohen Kosten, möglichst zu vermeiden und setzen eher auf gesunde Ernährung oder Naturheilmittel. Dominikaner benötigen oft mehrere Verdienstmöglichkeiten und einen großen Freundeskreis, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Hilfreich sind oft auch Gelder aus der in Nordamerika lebenden reicheren Verwandtschaft.

Arzthospitation im Centrum de Salud Barrio Cacao Los Terranas (Autor mit einheimischer Ärztin und Patienten)
Arzthospitation im Centrum de Salud Barrio Cacao Los Terranas (Autor mit einheimischer Ärztin und Patienten)

Die befragte junge Allgemeinärztin in der Armenklinik „Cacao“ arbeitet dort vormittags sechs Stunden für ca. 1000 Euro Gehalt monatlich und macht nachmittags ihre Facharztweiterbildung für Gynäkologie in einer privaten Klinik. Dabei betreut sie um 15 bis 20 Patienten am Tag. Eine gut ausgebildete Krankenschwester kann mit Trinkgeld 300 bis 500 Dollar monatlich verdienen.
Mir wurde gesagt: „Die Dominikaner arbeiten etwas gelassener – um zu leben!“ Bei uns ist es wohl eher genau umgekehrt. Das „leichte Leben“ der Tropen mit karibischen Rhythmen, Musik an jeder Straßenecke und dem freundlichen Umgang der Menschen untereinander, trotz aller sozialen Unterschiede, bewundere ich sehr.

Die Vielfalt der Insel mit 3000 m hohen Bergen, unendlichen Meeresküsten und einer reichen Landwirtschaft, welche von Mango, Mais, Bohnen, Kohl, Käse, Zuckerrohr oder Reis bis Kakao und Kaffee fast alles bietet, war sicherlich auch schon für spanische bzw. französische Kolonialherren sehr vorteilhaft. Einerseits gibt es kilometerweite „Ranchos“, andererseits kleine Familienbetriebe. Die wachsende Touristenwirtschaft ist für etwa 20 bis 30 Prozent des Einkommens der Insel verantwortlich, aber dieser Wirtschaftsteil ist gerade durch die Corona-Reisehindernisse geschädigt.


Haiti – als ärmstes Land Amerikas


In Haiti sah ich im Mittelgebirge eine Tropenlandwirtschaft, wie sie mir auch aus Westafrika bekannt ist. Winzige Hütten werden von kinderreichen Familien bewohnt. Das Leben findet draußen statt. Wäsche wird noch in der Schüssel gewaschen. Wasser wird vom Brunnen geholt und die allgegenwärtigen Motorräder verschrecken die Hunde, Katzen und Maultiere auf staubigen Wegen. Strom gibt es unregelmäßig, wenn überhaupt. Die Probleme der Haitianer sind oft Kinderkrankheiten, Husten, Würmer und Amöben, Eisenmangel und verfrühte und sehr häufige Schwangerschaften. Es ist vergleichbar mit vielen Situationen in Afrika. Lachenden Kindern werden am Straßenrand bunte Plastikkugeln mühsam in die schwarzen Haare gebunden. Die Situation von Haiti mit fehlenden Straßen im Landesinneren, einer nicht existierenden Müllabfuhr und hohen Müllbergen am Strand von Cap Haiten im Norden von Haiti und einer unzureichender Stromversorgung sowie einer seit Jahrhunderten sich fortsetzenden Korruption in der Politik ist besorgniserregend. Schnelle Änderungen sind kaum zu erwarten.

Dazu kommen die große Erdbebenkatastrophe von vor zehn Jahren (318 Tsd. Tote) und vom 14. August 2021 im Südwesten von Haiti (WHO; Ocha-Info: ca. 12 Tsd. Verletzte, 2500 Tote, 135 Tsd. Häuser zerstört/Stand 21.08.21). Diese Situation hat wohl meist die Eliten reicher gemacht und die Armen sind arm geblieben, denn ein funktionierendes Sozial- und Verteilungsprogramm ist nicht zustande gekommen, trotz der Milliardenausgaben an Hilfsgeldern. Eher hat wohl dieser unkoordinierte „Hilfsgelderregen“ die eigene Entwicklungsmöglichkeiten sehr gebremst.

Inwieweit das weitgehende Fehlen einer staatlichen Organisation in Haiti den Drogen- und Waffenhandel in der Karibik erleichtert, darüber lässt sich nur spekulieren. Ebenfalls begünstigt die Situation Gewalt und Entführungen. Es gibt eine gesteigerte Arbeitsmigration, viele Sexarbeiterinnen sowie eine hohe Rate an HIV-Infektionen.

Tropische Infektionskrankheiten wie Malaria, Denguefieber und Tuberkulose kommen oft vor. Durchfallerkrankungen und Husten sind unter den prekären Lebensverhältnissen sehr häufig. Vorsorgemaßnahmen und Impfung gegen Covid-19 sind sehr gering ausgeprägt. Über den nun vergangenen, folgenschweren Cholera-Ausbruch, ausgelöst durch UN-Soldaten, wurde schon häufig berichtet.

Zahlen (aus WHO und Bundesamt für Statistik) zu sozialmedizinischen Aspekten auf der karibischen Insel ,,Hispaniola“
Zahlen (aus WHO und Bundesamt für Statistik) zu sozialmedizinischen Aspekten auf der karibischen Insel ,,Hispaniola“



Probleme in den Entwicklungsländern


Die Motorisierungswelle, insbesondere mit preiswerten asiatischen Motorrädern, schreitet rapide fort. In der Hauptstadt Santo Domingo gibt es einen Dauerstau, welchen ich täglich erdulden musste. Der Preis dafür ist eine der höchsten Verkehrstotenzahlen in der lateinamerikanischen Welt (ca. 3000 Verkehrs-Tote jährlich auf 10 Millionen Einwohner). Einen toten Motorradfahrer durch Schädel-Hirn-Trauma musste ich selber auf meiner Rundreise erleben. Ursache war ein tödlicher Zusammenstoß mit einem Minibus – der Motorradfahrer fuhr ohne Helm. Ein zweites Problem ist bei stabil wachsender Volkswirtschaft das rasante Wachstum der Herz-Kreislauf- und Diabeteserkrankungen durch Adipositas in der Dominikanischen Republik. Ein häufiges Problem von Entwicklungsländern: Unterernährung und Überernährung sind gleichzeitig vorhanden. Die durchschnittlichen Tropentemperaturen von 32 Grad tagsüber und hoher Fernsehkonsum verbessern kaum dieses progressive Problem der fehlenden Bewegung.

Covid-19 ist im Fernsehen auch sehr präsent. Maskenpflicht besteht in Großmärkten, Banken und Flugplätzen. Es wurde zunächst eine zweimalige Impfung mit dem chinesischen Vakzin angeboten; welche nun mit einer Dritt-Impfung von Biontech-Pfizer ergänzt werden soll. Viele Kinder erhielten kostenlose Laptops wegen des monatelangen Schulausfalls. Daher kann man nun vor fast jeder Hütte jetzt Kinder finden, die die aktuellen Musikvideos auf diesen Geräten ansehen.

In einer von mir initiierten Spendenaktion des örtlichen Vereins „Rosa“ wurde einer verarmten dominikanischen Familie, welcher im Juli in Los Terrenas die kleine Blechhütte am Berghang abgebrannt war, geholfen. Meine Patenfamilie kaufte die grundlegenden Lebensmittel für einen Monat (ca. 15 kg Reis, 5 Liter Öl, 4 kg schwarze Bohnen, 2 kg Zwiebeln, 3 kg Nudeln, Tomatenmark, Tee, Gewürze sowie Seife für Wäsche und Körperpflege) und hat sie dann persönlich übergeben.

Was können wir nun von der Karibik lernen: Tanz, Musik, Lebensfreude und Bewegung, ein traumhaftes Gemüseangebot, spontanes Lebensgefühl, deutlich mehr Zeit für Begegnungen sowie Solidarität innerhalb der Familien sind da positiv zu unterstreichen und die Dankbarkeit, all dies persönlich erlebt haben zu können – Gracias de Dios (Danke dir Gott). Eher schockierend: die mit Afrika vergleichbaren Lebensverhältnisse und die Auswirkungen eines Tropensturms, die ich in Haiti gesehen habe. Ich hatte Glück, dass das neuerliche Erdbeben mich nicht direkt tangiert hat. Ich versuche, mich an den großen Lateinamerika-Reisenden Alexander von Humboldt zu halten:

Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.



Literaturempfehlung:
DuMont Verlag/Philipp Lichterbeck
,,Das verlorene Paradies“ – Eine Reise durch Haiti und die Dominikanische Republik

Dipl.-Med. Martin Steinert
Jessen

Fotos: Autor