1. Die Medienberichte

Mittlerweile hat eine drohende Krise der Arzt- und Krankenhaushaftpflichtversicherung Einzug in Tagesmedien gehalten. Die FAZ spricht unter der Überschrift „Tücken des medizinischen Fortschritts“ von einem drohenden Deckungsnotstand, die Ärzte-Zeitung1 titelt mit „Arzthaftpflicht - Greift die Politik bald in die Prämien ein?“ sowie „Krankenhäusern droht Versicherungslücke“ und das Handelsblatt2 konstatiert „Kunstfehler schrecken Versicherer ab“ und „Notfall im Krankenhaus“. Hintergrund dieser Szenarien ist die Schadenhöhenentwicklung bei den Personenschäden. Eine Studie des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft3 kommt zu dem Ergebnis, dass nicht die Anzahl der Schäden, sondern die überproportionale Kostensteigerung in Großschäden das wesentliche Problem ist. Für den Versicherer kommen dann noch weitere Unwägbarkeiten hinzu: Die Schäden werden oft erst Jahre nach Eintritt gemeldet (sind aber auf das Eintrittsjahr zu buchen), und sie haben eine oft jahrzehntelange Abwicklungsdauer. Wohl deshalb hat sich Ende 2012 einer der größten Krankenhaushaftpflichtversicherer völlig aus diesem Segment zurückgezogen und seine Verträge gekündigt4.

2. Die möglichen Folgen

Ein Versicherer wird in einer Sparte kaum ständig rote Zahlen schreiben können und zu dem Zeitpunkt, in dem feststeht, dass die notwendigen Beiträge nicht mehr zu generieren sind, über geschäftspolitische Maßnahmen nachdenken. Für einen Versicherungsnehmer ist die Grenze der Versicherbarkeit erreicht, wenn das Einkommen die Versicherungsprämie nicht mehr hergibt. Die Folge solcher Szenarien wäre eine Gefährdung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
In solchen Situationen gab es in den Vereinigten Staaten von Amerika wiederholte Versicherungs- und (vor allem gynäkologische) Versorgungskrisen5. Bis heute hat sich dort an der Dramatik nichts geändert. Dies zeigen Präsident Obamas Überlegungen zu einer Gesundheitsreform: „Auch die Praxis der Schmerzensgeldzahlungen bei Behandlungsfehlern soll gesetzlich geändert werden. Damit sollen die enormen Entschädigungssummen beschränkt werden, die in Schmerzensgeld-Prozessen oft zugesprochen werden und die Versicherungsprämien für die Ärzte in die Höhe treiben.“6

3. Die Ideen

-    Zunächst einmal könnte man auf den Gedanken kommen, das Versicherungssystem von der Ereignisdeckung auf das Anspruchserhebungsprinzip (claims made) umzustellen. Das Thema Bedarfsprämie ist damit aber nicht gelöst. Im ausschließlichen Claims Made Markt muss der aktuelle Versicherer zwar nicht das Spätschadenrisiko aus seinem eigenen Versicherungszeitraum tragen, er übernimmt aber das Spätschadenrisiko der Vorversicherer7.

-    Keine Lösung ist eine Kappung der Deckungssummenhöhe des Erstversicherers. Wäre ab einem bestimmten Sublimit ein Dritter (Rückversicherer oder Pool oder Staat oder gar Versicherungsnehmer) eintrittspflichtig, so müsste auch dieser Dritte sich „irgendwie“ finanzieren.

-    Analog gilt dies für die immer wieder diskutierten Fondslösungen. Diese billigen dem Patienten unter bestimmten Bedingungen -wie dem Vorliegen eines Härtefalles- eine Entschädigung außerhalb des Haftpflichtrechts zu. Das Problem der Finanzierung von Haftpflichtschäden lösen sie also schon von der Intension her nicht. Vielmehr indizieren sie die Frage nach einem zusätzlichen Kostenträger. Ob dies analog dem österreichischen Modell ausschließlich die Patientenseite sein will, dürfte fraglich sein.

-    Sodann könnte man auch noch an eine grundsätzliche Begrenzung von Schadenersatzansprüchen denken. Es ist allerdings kein Grund ersichtlich, welcher eine Schlechterstellung von Patienten gegenüber aus nicht iatrogenen Ursachen Geschädigten rechtfertigen könnte (Opferschutz).
Allen Überlegungen ist gemeinsam, dass es nur um eine Umverteilung von Lasten geht, welche alternativ oder kumulativ Steuerzahler, Krankenkassen, Versicherer, Mediziner und Patienten zu tragen hätten. Solche Lösungen bedürfen der Interaktion aller Beteiligten und sind letztlich nur politisch zu finden. Dabei wäre es vielleicht am einfachsten, die Prämienbelastung zumindest in den besonders „teuren“ Fachgebieten durch eine höhere Vergütung ärztlicher Leistungen zu kompensieren. Im Hinblick auf die Versorgungssicherheit der Bevölkerung wäre dies wohl ein sinnvoller (und bei den Hebammen auch schon einmal praktizierter8) Weg. In einem Punkt dürfte aber jetzt schon Einigkeit bestehen: Qualitäts- und Risikomanagement wird auch unter ökonomischen Aspekten immer wichtiger.

4. Die Konsequenzen für Krankenhäuser und ihre Angestellten

Grundsätzlich haftet man für Behandlungs-, Diagnose und Aufklärungsfehler nach den von der Rechtsprechung entwickelten und in das Patientenrechtegesetz aufgenommenen Regeln (beispielsweise für ein schadenkausales Abweichen vom Facharztstandard). Haftungsschuldner kann sowohl derjenige sein, der liquidiert, als auch derjenige, der gehandelt hat. Die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses versichert in der Regel9 das Risiko Krankenhaus(träger) sowie Angestellte für ihre dienstlichen Tätigkeiten als „mitversicherte Personen“. Je nach Vereinbarung kann auch Versicherungsschutz für eine Privatliquidation bestehen.
Wird die Betriebshaftpflichtversicherung gekündigt und nicht durch eine neue ersetzt, hat dies Auswirkungen sowohl auf den Krankenhausträger als auch auf die Angestellten.

Für die Eigenhaftung des Krankenhausträgers besteht nach Wegfall der Betriebshaftpflichtversicherung kein Deckungsschutz mehr. Dies betrifft vor allem das sich aus der Betriebsbeschreibung ergebende Hauptrisiko einschließlich nichtärztlicher Haftungsgründe wie Pflegeversagen und Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (Bsp.: Sturz infolge Flurnässe). Der Verzicht auf eine Haftpflichtversicherung kann also eine erhebliche Eintrittspflicht auslösen. Zudem wird er den Verwaltungsaufwand erhöhen (z. B. für Abwehr und Regulierung von Ansprüchen oder Prüfung und Durchführung von Regressansprüchen gegen Angestellte). Krankenhausträger sollten sich zudem vergegenwärtigen

-    dass ein einziger Großschaden (z. B. Pflegefall durch Hypoxie unter Vollnarkose) ohne weiteres drei Millionen Euro betragen kann.

-    dass die Schäden eines Geschäftsjahres erst viele Jahre nach diesem Geschäftsjahr gemeldet werden bis dahin für die unbekannten Spätschäden aus diesem Geschäftsjahr Rückstellungen zu bilden sind

Auch für die Eigenhaftung der Arbeitnehmer ergibt sich dann eine neue Situation. Gegenüber Patienten haften sie ohne Beschränkung, und das Arbeitsrecht hilft nur unter bestimmten Umständen. So sehen die Tarifverträge VKA10 und TdL11 eine Freistellung vor, wenn weder Vorsatz noch eine grobe Fahrlässigkeit gegeben ist. Einen Wegfall der Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses sollten Angestellte zum Anlass nehmen, den notwendigen Versicherungsschutz zu überprüfen (Abb. 1). Analog gilt dies auch für Medizinstudenten (Abb. 2).

Checkliste für angestellte Ärztinnen und Ärzte bei Wegfall der Krankenhaushaftpflichtversicherung (Abb. 1)

Grundsätzlich sollten folgende Bereiche überprüft werden:

Dienstliche Tätigkeit
Hatte der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag eine Haftpflichtversicherung zugesagt, sollte er gefragt werden, wie er seiner arbeitsvertraglichen Pflicht nachkommen will (zum Beispiel durch Einkauf einer Anschlussdeckung für sein Haus oder Zusage einer generellen arbeitsvertraglichen Freistellung oder Übernahme der Kosten einer Berufshaftpflichtversicherung für dienstliche Tätigkeiten).
Bei Bedarf sollte sich der angestellte Arzt selbst versichern.

Privatliquidation
War die Privatliquidation/Freiberuflichkeit im Zusammenhang mit der Betriebshaftpflicht des Krankenhauses versichert, gilt das unter (I.) gesagte analog.

Außerdienstliche Tätigkeit
Für außerdienstliche Tätigkeiten wie ärztliche Beratungen/Behandlungen im Freundes- und Bekanntenkreis oder gelegentliche Praxisvertretungen ist meist die Ärztin/der Arzt selbst in der Pflicht, für Versicherungsschutz zu sorgen. Sollten diese Tätigkeiten über die Krankenhaushaftpflichtversicherung gedeckt gewesen sein, gilt wiederum (I.) analog.

Strafrechtsschutz
Grundsätzlich kann jeder schuldhaft herbeigeführte Personenschaden zu einer Vorstrafe mit berufsrechtlichen Konsequenzen führen. Strafrechtsschutz ist deshalb besonders wichtig. Oft ist er in einer persönlichen Berufshaftpflichtversicherung als „Annexdeckung“ enthalten.

Haftung und Versicherung von Medizinstudenten (Abb. 2)

Gefahrenpotential
In einem Fall fordert der Ehemann einer Patientin 800 000 Euro für die Pflege seiner Frau (Az 2 O 266/11). Sie war ins Koma gefallen, nachdem ihr eine Medizinstudentin Propofol aus einer nicht gekennzeichneten Flasche verabreicht hatte. Der Sachverständige sieht neben anderen die Studentin wegen Kompetenzüberschreitung in der Verantwortung. In einem anderen Fall wurde ein „Säugling zu Tode gespritzt“ (Neue Westfälische vom 23.09.11). Ein Medizinstudent im Praktischen Jahr hatte ein Antibiotikum nicht oral gegeben, sondern injiziert.

Haftungsrisiken
Wer schuldhaft einen anderen widerrechtlich verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Diese Regel des § 823 I BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) gilt selbstverständlich auch für Medizinstudenten. Da Studenten nur unter Anleitung und Aufsicht des ausbildenden Arztes ärztliche Verrichtungen durchführen dürfen, ist im Einzelfall immer zu prüfen, ob die Verantwortlichen ihren Pflichten nachgekommen sind.

Strafrecht
Als Medizinstudent kann man wie jeder andere insbesondere wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) und fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) bestraft werden.

Versicherungsschutz
Eine spezielle PJ-Versicherung bietet Schutz, wenn keine Betriebshaftpflichtversicherung des Lehrkrankenhauses besteht, wenn ein Wechsel des Lehrkrankenhauses zu einem Versicherungswegfall führt, wenn ein Strafverfahren eingeleitet wurde und wenn Schadenbearbeitung durch spezialisierte Juristen des Versicherers erfolgen soll.
Diese komplette Palette hat man bei einer ausschließlichen Privathaftpflichtversicherung – zum Beispiel als unter Umständen noch bei den Eltern „mitversicherte Person“- in der Regel nicht.

1 Ausgaben vom 11.12.2012 und 04.12.2013
2 Ausgaben vom 14.01.2013 und 27.02.2013
3 Siehe z. B. Hellberg/Lonsing, Personenschäden der Heilwe-senhaftpflicht, VersWi 2010, 421 ff.
4 Petry, Betriebshaftpflichtversicherung von Krankenhäusern, Der Krankenhausjustitiar 1/2012, 5 ff.
5 Hintergrundinformationen bei Flatten, Die Arzthaftpflichtversicherung in den Vereinigten Staaten, 1996 sowie Krahe, Die Haftungsverteilung bei ärztlicher Arbeitsteilung und Zusammenarbeit in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland, 2004
6 Süddeutschen Zeitung vom 11.09.2009, Seite 7
7 Komplettdarstellung siehe Weidinger, Die Praxis der Arzthaftung, 14.2.3
8 Hebammenvergütung: Zuschlag wegen höherer Haftpflichtprämien, Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(28-29)
9 Je nach Versicherer oder Risikosituation sind Abweichungen in der Betriebs- und der Berufshaftpflichtversicherung möglich!
10 Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) vom 17. August 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 9. Juni 2010 (Stand: 1. Mai 2010)
11 Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) vom 30. Oktober 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 27. August 2009

 

Rechtsanwalt Patrick WeidingerRechtsanwalt Patrick Weidinger
Abteilungsdirektor der Deutschen Ärzteversicherung
Mail: Patrick.Weidinger@Aerzteversicherung.de