in der Saison 2012/13 in Sachsen-Anhalt – trivalenter Lebendimpfstoff und trivalente Totimpfstoffe im Vergleich
Helmeke, C., Fachbereich Hygiene, Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt, Magdeburg
Hintergrund
Gemäß den Empfehlungen zur Umsetzung des Nationalen Influenzapandemieplans in Sachsen-Anhalt (Pandemierahmenplan) obliegt es dem Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt (LAV), die epidemiologische Situation der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt hinsichtlich akuter respiratorischer Erkrankungen (ARE) einzuschätzen und die Erregerzirkulation zu überwachen. Neben der ARE-Surveillance in Kindertagestätten und den Influenza-Meldungen nach § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) bildet die Virologische Surveillance einen der drei Bausteine der im Fachbereich Hygiene am Standort Magdeburg des LAV etablierten Influenza-Überwachung in Sachsen-Anhalt. Die Virologische Surveillance ist ein Sentinelsystem und stützt sich auf die Ergebnisse der Virusdiagnostik in Proben von Kindern und Jugendlichen mit ARE. Die Informationen aus den drei Bausteinen werden u. a. in einem wöchentlichen Bericht auf der Homepage des LAV der (Fach-) Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die saisonale Influenza-Impfung für bestimmte Zielgruppen (Epid Bull 30/12, 34/13). Laut einer GEDA-Studie (Gesundheit in Deutschland Aktuell) lag die Influenza-Impfquote von Personen, die nicht zu einer dieser Zielgruppen gehörten, 2010/11 in Deutschland bei 15 % (Böhmer et al., 2012). Vom Ministerium für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt und z. B. auch von der Sächsischen Impfkommission (SIKO) wird über die Indikationsimpfung hinaus die jährliche Influenza-Impfung für alle Kinder ab 6 Monaten empfohlen. Seit der Influenzasaison 2012/13 steht in Deutschland neben den Totimpfstoffen (trivalent inactivated influenza vaccines - TIV) erstmals ein trivalenter attenuierter Lebendimpfstoff (live attenuated influenza vaccine - LAIV; Handelsname Fluenz®; MedImmune, UK Limited, Vereinigtes Königreich; AstraZeneca GmbH Deutschland), zur Verfügung. Er ist für Kinder von 2 bis 17 Jahren zugelassen und wird nasal appliziert. In den USA wird dieser Impfstoff unter dem Namen FluMistTM bereits seit 2003 eingesetzt (Epid Bull 36/37 2013). Aufgrund einer durch verschiedene randomisierte Studien aus zurückliegenden Influenza-Saisons (Epid Bull 36/37 2013) belegten besseren Wirksamkeit des LAIV gegenüber den TIV bei vergleichbarer Verträglichkeit hat die STIKO kürzlich ihre Empfehlung zur Influenza-Impfung ergänzt: „Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis einschließlich 17 Jahren können mit inaktiviertem Impfstoff oder mit einem LAIV geimpft werden, sofern keine Kontraindikation besteht (Fachinformation). Bei Kindern im Alter von 2 bis einschließlich 6 Jahren sollte LAIV bevorzugt angewendet werden“ (Epid Bull 36/37 2013).
Wegen der kontinuierlichen Veränderung von Influenzaviren ist es erforderlich, die Effektivität der saisonalen Impfstoffe jährlich zu überprüfen. Das Ziel der vorliegenden epidemiologischen Studie war die gleichzeitige Bestimmung der Impfeffektivität des erstmalig in Deutschland verwendeten LAIV und der nicht-adjuvantierten TIV gegen eine laborbestätigte Influenzaerkrankung bei Kindern und Jugendlichen in der Saison 2012/13 in Sachsen-Anhalt.
Methoden
Freiwillig teilnehmende, in Sachsen-Anhalt niedergelassene Kinderärzte (siehe Danksagung) entnahmen nach erfolgter Aufklärung der Eltern nach entsprechend vorgegebenen Auswahlkriterien systematisch Rachen- oder Nasenrachenabstriche von Kindern und Jugendlichen mit ARE. Die Einsendung der Proben erfolgte samt standardisiertem Begleitschein mit demografischen und klinischen Angaben an uns. Alle Proben wurden mittels Real-Time PCR auf Influenza-A- und B-Viren und auf weitere ARE-Erreger untersucht (Influenza-Jahresbericht LAV, 2012/13). Bei positiver Influenza-A-PCR erfolgte eine Subtypisierung mittels PCR. Zusätzlich wurde generell bei allen ARE-Proben eine Anzucht von Influenzaviren angestrebt. Um die Abdeckung der zirkulierenden Viren mit den im aktuellen Influenza-Impfstoff enthaltenen Komponenten zu überprüfen, wurden ausgewählte Isolate zur weiteren Charakterisierung an das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für Influenza in Berlin geschickt.
In der vorliegenden Studie führten wir eine Test-negative Fall-Kontroll-Studie durch, bei der laborbestätigte Influenza-Fälle mit Influenza-negativen Kontrollen verglichen wurden (Epid Bull 41/12; ECDC Protocol). Die Daten stammen von ARE-Patienten aus unserem Sentinelsystem im Zeitraum von der 40. Kalenderwoche (KW) 2012 bis zur 19. KW 2013. Als Fall wurde ein ARE-Patient mit durch uns laborbestätigter Influenza definiert. Kontrollen waren ARE-Patienten, bei denen wir keine Influenza nachwiesen. Für die analytische Auswertung wurden Daten von folgenden Patienten ausgeschlossen: ohne Angabe zum Impfschutz (bei Vergleich LAIV, TIV auch ohne Impfstoffangabe); nachweislich innerhalb von 14 Tagen vor Erkrankung geimpft; respiratorische Erkrankung ohne akuten Beginn; Probenahme nachweislich mehr als 8 Tage nach Erkrankungsbeginn. Außerdem wurden Patienten unter 2 und über 17 Jahren ausgeschlossen, um die Vergleichbarkeit der Daten mit Personen zu gewährleisten, für die LAIV zugelassen ist.
Wir berechneten die Impfeffektivität gegen Influenza mit der Formel 1-Odds Ratio. Wir kalkulierten die Effektivität der saisonalen Impfung (alle Impfstoffe) sowie die Vakzintyp-abhängige Impfeffektivität (LAIV, TIV) bei Kindern im Alter von 2 bis 17 Jahren und stratifiziert nach Altersgruppen (2-6, 7-17 Jahre). Mittels multivariabler logistischer Regression adjustierten wir die Impfeffektivität nach bestimmten Einflussfaktoren (siehe Ergebnisse).
Ergebnisse
Datenquellen: Im Zeitraum von der 40. KW 2012 bis zur 19. KW 2013 nahmen 15 Kinderarztpraxen an der Virologischen Surveillance teil. Diese Sentinelpraxen stammen aus Magdeburg, Stendal sowie den Landkreisen Börde, Jerichower Land, Harz, Mansfeld-Südharz und aus dem Burgenlandkreis. Von den Sentinelpraxen wurden 1.307 Abstriche eingesandt.
Beschreibung der Studienpopulation: Für die analytische Auswertung wurden nach oben genannten Ausschlusskriterien 834 der 1.307 Abstrichproben berücksichtigt. Bei 36 % der 834 Patienten lagen keine Informationen zum Erkrankungsbeginn vor, hier wurde der Monat der Probenahme mit dem Erkrankungsmonat gleichgesetzt. Bei 347 (42 %) der 834 Patienten gelang der Nachweis von Influenzaviren. Unter diesen 347 Fällen waren 18 % positiv für A(H1N1)pdm09-, 32 % für A(H3)- und 50 % für Influenza-B-Viren. Von 53 ausgewählten Influenzavirus-Isolaten, welche am NRZ für Influenza in Berlin weiter charakterisiert wurden, resultierten 19x A/California/7/09 H1N1 (2009), 24x H3N2/Victoria/361/2011-like und 10x B /Estonia 55669/2011-like (Yamagata-Linie). Von den 834 Patienten waren 96 (12 %) geimpft, von ihnen erkrankte ein Drittel (N=33) an Influenza. Angaben zum Impfstoff, welche die Unterteilung in LAIV und TIV ermöglichten, waren bei 60 (63 %) der 96 geimpften Patienten vorhanden. Als TIV kamen 18-mal Influvac®, 14-mal Afluria® und einmal Begripal® zum Einsatz. LAIV (Fluenz®) wurde bei 27 Patienten verwendet.
Höhere Impfeffektivität des LAIV im Vergleich zu TIV – Multivariable logistische Regression: Adjustiert nach Altersgruppe, Geschlecht und Erkrankungsmonat lag die Impfeffektivität aller eingesetzten Impfstoffe gegen eine laborbestätigte Influenza aller Subtypen bei 2- bis 17-jährigen Kindern bei signifikanten 38 % (95 % Konfidenzintervall (KI): 0,8-61 %, p=0,046). Eine Unterscheidung nach Impfstofftyp zeigte in keiner Altersgruppe eine signifikante Impfeffektivität für TIV (Tab. 1). Für LAIV wurde – adjustiert nach Altersgruppe, Geschlecht und Erkrankungsmonat – eine signifikante Impfeffektivität von 84 % bei 2- bis 17-Jährigen ermittelt (95 % KI: 45-95 %; Tab. 1). Stratifiziert nach Altersgruppen lag die nach Geschlecht und Erkrankungsmonat adjustierte Impfeffektivität des LAIV bei 2- bis 6-Jährigen bei signifikanten 90 % (95 % KI: 20-99 %; Tab. 1) und bei 7- bis 17-Jährigen bei nicht-signifikanten 74 % (95 % KI: -32-95 %; Tab. 1).
Diskussion
In der Saison 2012/13 verlief die Influenzawelle gemessen an der Positivenrate der Virologischen Surveillance als Indikator für eine Influenzaviruszirkulation in der Bevölkerung relativ stark. In Sachsen-Anhalt zirkulierten bei Kindern und Jugendlichen vor allem Influenza-B-Viren, gefolgt von saisonalen Influenza-A(H3N2)-Viren und pandemischen A(H1N1)pdm09-Viren, welche jeweils eng verwandt waren mit den in den trivalenten Influenza-Impfstoffen enthaltenen Stämmen (AGI Saisonbericht 2012/13).
Die Wirksamkeit der saisonalen Impfung (alle Impfstoffe) gegen eine laborbestätigte Influenza-Erkrankung durch alle zirkulierenden Subtypen war bei 2- bis 17-jährigen Kindern moderat. Diese Daten werden im internationalen Vergleich durch die Ergebnisse von I-Move bestätigt (Kissling et al., 2013 ESCAIDE). Bei der Unterscheidung zwischen LAIV und TIV weisen unsere Ergebnisse aus der ersten Saison der Verwendung des LAIV in Deutschland auf eine hohe Wirksamkeit des LAIV insbesondere bei kleineren Kindern hin, welche von den in Sachsen-Anhalt verwendeten TIV nicht erreicht werden konnte. Auch Studien aus anderen Ländern konnten in zurückliegenden Saisons eine höhere Wirksamkeit des LAIV im Vergleich zu TIV bei Kindern im Alter bis 6-7 Jahren feststellen (Ambrose et al., 2012a, b; Osterholm et al., 2012; Block et al., 2011; Belshe et al., 2007; Ashkenazi et al., 2006). Unsere Ergebnisse bei 7-17-jährigen Kindern zeigen eine nicht-signifikante und etwas geringere Impfeffektivität als bei 2- bis 6-jährigen Kindern, weisen aber dennoch auch in dieser Altersgruppe auf eine tendenziell höhere Wirksamkeit von LAIV im Vergleich zu TIV hin. Ähnliche Ergebnisse wurden von anderen Studien gezeigt (Osterholm et al., 2012; Belshe et al., 2010; Fleming et al., 2006). Insgesamt weisen die Studien auf eine hohe Wirksamkeit des LAIV bei 2-17-jährigen Kindern hin (auch bei Kindern mit leichtem bis mittlerem Asthma), nicht aber bei Erwachsenen (Ambrose et al., 2012a, b; Carter und Curran, 2011; Fleming et al., 2006).
Unsere Studie wird limitiert durch die geringe Zahl der geimpften Fälle, so dass eine Stratifizierung nach Influenzasubtypen keine aussagefähigen Ergebnisse erzielte. Auch die Anzahl der Impfdosen bei Kindern, eine frühere Impfung und Grunderkrankungen wurden nicht berücksichtigt. Die Stärken unserer Studie liegen in einem einheitlichen Protokoll und darin, dass die Wirksamkeit von TIV und LAIV im Vergleich zu ungeimpften Kindern in einer Influenza-Saison an der gleichen Studienpopulation getestet werden konnte.
Empfehlungen
In Übereinstimmung mit den Empfehlungen der STIKO empfehlen wir aufgrund der Ergebnisse unserer Studie die Verwendung des LAIV bei Kindern, sofern keine Kontraindikation vorliegt. Fluenz® sollte u. a. nicht bei Kindern und Jugendlichen mit schwerem Asthma oder akutem Giemen angewendet werden (Fachinformation). Außerdem empfehlen wir eine Fortsetzung der Überwachung der Impfeffektivität bei Kindern auch im Hinblick auf die Wirksamkeit des LAIV bei älteren Kindern.
Danksagung
Wir danken den an der Virologischen Surveillance teilnehmenden Ärzten und ihren Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit: Dres. med. Achtzehn, Wanzleben; Brandt, Oschersleben; Bretschneider, Weißenfels; Fischer, Gommern; Gosch, Schwitalla, Magdeburg; Grumpelt, Wernigerode; Heber, Stendal; Hennig, Burg; Niemeyer, Blankenburg; Polter, Magdeburg; Richter, Halberstadt; Schaulat, Magdeburg; Waldemeyer, Hettstedt und zwei weitere Praxen. Weiterhin danken wir dem NRZ für Influenza (Dr. Schweiger) und dem Medizinischen Labor Prof. Schenk/Dr. Ansorge und Kollegen in Magdeburg für die gute Kooperation.
Literatur bei der Verfasserin
Korrespondenzanschrift:
Dr. rer. nat. Carina Helmeke
EPIET (European Programme for Intervention Epidemiology Training)-Fellow, Postgraduiertenausbildung des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in Stockholm, Schweden
Dezernentin für Medizinische Mikrobiologie
Fachbereich Hygiene,
Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt
Große Steinernetischstraße 4,
39104 Magdeburg
Tel.: 0391 2564 176
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Co-Autoren
Dipl.-Math. Lutz Gräfe,
Dr. med. Constanze Gottschalk,
Dr. med. Hanns-Martin Irmscher,
Dr. med. Hanna Oppermann
Fachbereich Hygiene,
Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt