und nachfolgende Initiierung einer fall- und befundadaptierten Ernährungstherapie im klinisch-chirurgischen Alltag „STANDARD OPERATING PROCEDURE“ (SOP)
Meißner C. 1, Meyer F. 2, Meißner G. 3, Bruns C. 2, Ridwelski K. 1
1 Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Klinikum Magdeburg gGmbH
2 Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie,
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R., Magdeburg
3 Klinik für Chirurgie, Carl-von-Basedow Klinikum Saalekreis gGmbH, Querfurt
Das Klinikum Magdeburg gGmbH, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, sowie das Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R., Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, beziehen Aspekte der Ernährungsmedizin in ihr spezifisch-chirurgisches Behandlungsprofil befundgerecht stets mit ein. Ziel ist es, die Patienten mit erhöhtem nutritiven/metabolischen Risiko so früh wie möglich als solche zu erkennen und adäquat ernährungsmedizinisch zu behandeln [1], denn das metabolische Risiko bei der stationären Behandlung hat erhebliche Auswirkungen auf Morbidität, Krankenhausverweildauer und Letalität [2, 3, 4, 5].
Hierzu haben die beiden Kliniken eine STANDARD OPERATING PROCEDURE („SOP“) zum Thema „Ernährungsevaluation und -therapie“ entwickelt, die den chirurgischen Kliniken des Bundeslandes und ggf. darüber hinaus (fachübergreifend/überregional) als Vorschlag präsentiert und im Bedarfsfall zur eigenen Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Dieses Prozedere gilt für die kontinuierliche Erfassung und den Therapienachweis der behandlungswürdigen Unter- und Mangelernährung. Einerseits ist dies für die optimale Behandlung von Patienten mit großen chirurgischen Operationen notwendig sowie andererseits im „DRG“-Zeitalter zur richtigen Vergütung der erbrachten Leistung ratsam.
Patienten, die mit einem normalen Ernährungszustand zur Behandlung ins Krankenhaus kommen, entsprechen 20 % des gesamten Patientenklientels; sie sind damit in der Minderheit. Ca. 55 % der Patienten sind übergewichtig und ca. 25 % der eingewiesenen Patienten leiden an Unter- bzw. Mangelernährung. Hinzu kommt, dass ca. 75 % aller im Krankenhaus stationär betreuten Patienten einen deutlichen Gewichtsverlust während ihres Krankenhausaufenthaltes haben [6, 7]. Somit muss es das erklärte Ziel sein, Patienten mit erhöhtem nutritiven und metabolischen Risiko frühestmöglich nicht nur zu erkennen, sondern umgehend und befundgemäß die angepasste ernährungsmedizinische (Begleit-)Behandlung zu initiieren. Weiterhin ist es Gegenstand dieser Arbeit, Empfehlungen zu geben, die richtige und sichere ernährungsmedizinische Dokumentation im DRG-System mit erzielbarem Erlös der Aufwendungen zu gewährleisten.
Ziel und methodisches Vorgehen
Mittels Kurzübersicht wird zusammenfassend auf die Effekte von Zusatzernährung bei Unter- und Mangelernährung verwiesen.
Hiervon abgeleitet wird ein alltagsgebräuchlicher Ernährungsbogen (SOP) vorgestellt mit einer teils aufeinanderfolgenden, teils gleichzeitigen Handhabung durch Arzt, Pflege und Ernährungsteam (weiter unten im Text: Vorgehensempfehlung). Es werden neben den primär intendierten nutritiven Ansätzen DRG-basierte Erlöseffekte und MDK-relevante Dokumentationsaspekte erläutert.
Eine derartige Dokumentationsgrundlage – zur Ernährungstherapie – ist derzeit deutschlandweit nicht einheitlich etabliert.
Begriffsklärung
Eine international einheitliche und standardisierte Definition der einzelnen Entitäten von Mangelernährung liegt bis heute nicht vor. Die Bezeichnung Mangelernährung selbst ist nur ein Überbegriff, der das weite Spektrum der Krankheitsentitäten (Malnutrition, Unterernährung, spezielle Nährstoffdefizite, Anorexie, Kachexie, Refeeding-Syndrom) umfasst. Aus diesem besagten Grund ist die Kenntnis der im Kontext stehenden Erkrankungen für die weitere Therapie essenziell.
Unterernährung
Aufgrund einer unzureichenden Kalorienzufuhr kann es zur Unterernährung kommen, hierbei nimmt sichtbar die Fettmasse ab [10]. Klinische Beispiele sind Hungerzustände, aber auch Marasmus.
Mangelernährung
Hierunter versteht man das Ungleichgewicht zwischen Nährstoffzufuhr und -bedarf, eine gestörte Nährstoffverwertung und/oder den unkontrollierten Abbau von Körpersub-stanz [9, 10].
Malnutrition
Den Gewichtsverlust infolge einer Krankheit und die damit verbundene Veränderung der Körperzusammensetzung bezeichnet man als Malnutrition. Dies ist beispielsweise bei Infektionskrankheiten, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder auch Depressionen der Fall [9]. Es kann auch zu Passagestörungen des Gastrointestinaltraktes kommen, wie sie durch Karzinome des Verdauungstraktes ausgelöst werden können. Bei hochbetagten/geriatrischen Patienten kommt hinzu, dass diese oft einen schlechten Zahnstatus oder schlecht sitzende Prothesen aufweisen, wodurch das Kauen erschwert wird [11]. Auch die fortschreitende Demenz und das daraus resultierende „Vergessen der Nahrungsaufnahme“ spielt bei älteren Patienten eine Rolle [12].
Kachexie
Dies bedeutet, dass eine Abnahme von Körpergewicht, Fett- und Muskelmasse zu verzeichnen ist. Der Proteinkatabolismus ist gesteigert und oft liegt eine entzündliche Grunderkrankung vor. Diese Patienten sind teilweise gleichzeitig von einer Malnutrition betroffen. Es kommt außerdem zu einem krankheitsassoziierten Gewichtsverlust, wie dies bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, Tumorerkrankungen oder fortgeschrittener Herzinsuffizienz der Fall ist. Die Prävalenz krankheitsassoziierter Mangelernährung wird europaweit auf etwa 30 % geschätzt. Meist sind geriatrische und/oder onkologische Patienten betroffen [9]. Ursächlich können Appetitverlust, Schmerzen, Kau- und Schluckbeschwerden, verminderte Nährstoffverwertung, ein erhöhter Bedarf, unkontrollierter Substanzabbau sowie Geschmacksveränderungen sein. Auch fehlende Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme gerade bei älteren Patienten oder psychische Faktoren können Gründe für die Kachexie sein [11].
Spezielle Nährstoffdefizite
Bei Mangelzuständen eines Makro- oder Mikronährstoffs liegt ein „Spezielles Nährstoffdefizit“ vor. Kwashiorkor oder ein Vitamin-D-Mangel kann dann die Folge sein.
Anorexie
Die Appetitregulation ist gestört und auf Grund dessen kann nur eine unzureichende Zufuhr von Nährstoffen erfolgen.
Sarkopenie
Wenn ein Verlust der Muskelmasse und -kraft aufgrund des Alters vorliegt, kann von Sarkopenie gesprochen werden [9]. Ursachen können z.B. eine länger währende körperliche Inaktivität oder Bettlägerigkeit sein.
Refeeding-Syndrom
Bei einer schweren Entgleisung des Stoffwechsels in Verbindung mit Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts kann es zum sogenannten Refeeding-Syndrom kommen. Es liegen zudem Störungen der Glukoseverwertung vor. Bei einer zu aggressiven Ernährungstherapie chronisch mangel-ernährter Patienten kommt es zu diesem Syndrom [9].
Grundlegende Eckpunkte zu nutritiven Effekten einer Zusatzernährung
Jeder 4. Patient, der stationär in einem Krankenhaus aufgenommen wird, zeigt eine Unter-/Mangelernährung. Diese Patienten gilt es zu erkennen, zu erfassen und ihnen entsprechend eine ernährungstherapeutische Konsequenz zukommen zu lassen.
Das therapeutische Stufenschema (Abb. 1, S. 57) hat sich in der Praxis für Patienten bewährt, die bei Aufnahme in die Klinik aufgrund einer Krankheit schlecht oder kaum Nahrung aufnehmen können.
Studien zur Trink- und Zusatznahrung belegen, dass die Verabreichung dieser Zusatznahrung die Komplikationsrate und die Letalität bei Patienten mit Unter- und Mangelernährung eindeutig senkt [8]. Die orale Trink- und Zusatznahrung erfüllt diesen Umstand: Evidenz-Level 1A. Ergebnisse aus medizinisch-ökonomischer Sicht sind ebenso relevant. Die Gabe von Trink-/Zusatznahrung bei Unter- und Mangel-ernährten ist durchaus kosteneffizient und vor allem entlastet sie das Budget [9, 13]. Eine frühzeitige Ernährungsintervention für mangelernährte Patienten verkürzt die Aufenthaltstage des Patienten im Krankenhaus, nachgewiesen sind durchschnittlich 2,5 Tage [15] im Vergleich zu Patienten ohne diese Zusatznahrung. Bewiesen ist auch die mittlere Einsparung von 1000 Euro pro Patient bei Gabe von Trinknahrung im perioperativen Zeitraum, wie Russell 2007 hochrangig in „J Clin Nutrit“ publizierte [8].
Für kaum ein im klinischen Alltag etabliertes pharmakologisches Therapiekonzept liegen in der aktuell publizierten Literatur so viele klinische Studien (mehr als 200) und Metaanalysen vor wie für den therapeutischen Nutzen von oraler Trink- und Zusatznahrung. Stratton et al. konnten in einer Metaanalyse 2003 belegen, dass die zusätzliche Gabe von Trinknahrung bei Patienten mit Unter-/Mangelernährung sowohl die Komplikationsrate (Odds ratio [OD]: 0,29 [95-%-Konfidenzintervall {KI}: 0,18–0,47]) als auch die Letalität (OD: 0,62 [95-%-KI: 0,49–0,76]) signifikant senkt [7]. Von diesen positiven (signifikanten) Effekten profitieren auch die Patienten mit Malnutrition und Applikation von Trink-/Zusatznahrung während eines nur kurzen Krankenhausaufenthaltes [7, 15-19].
Aufgrund dieser Ergebnisse der Studien und Metaanalysen hat die frühestmögliche Behandlung einer Malnutrition Vorrang bei der angestrebten Einsparung von Kosten im Gesundheitswesen. In Anlehnung an die DGEM-Leitlinie „Enterale Ernährung“ wurden grundlegende ernährungsmedizinische Aspekte in operativen Disziplinen bearbeitet [18].
Die Notwendigkeit der zusätzlichen Ernährung vor einer Operation besteht auch bei Patienten, die nicht unter Mangelernährung leiden.
- Die Letalität ist bei Patienten höher, die ca. * 14 Tage lang ihren Energiebedarf über eine ausreichende Ernährung nicht decken konnten und auch bei Patienten, die ca. * 7 Tage keine orale Nahrung aufnehmen konnten [20, 21].
- Patienten, die neben dem Krankenhausessen eine (orale) Zusatznahrung (Trinknahrung) erhalten, weisen ein besseres Outcome auf. Dies beweisen hinreichend über 30 Studien aus dem Bereich der Viszeralchirurgie und Traumatologie [beispielhaft: 21, 22].
Bei Eingriffen dieser Art wird die präoperative Einnahme von zusätzlicher Trinknahrung für 5 Tage empfohlen. Durch den Effekt der Immunonutrition werden Morbidität und Krankenhausaufenthaltsdauer gesenkt [21, 23, 24].
Diskussionsaspekte
Die frühzeitige Erkennung der Unter- und Mangelernährung mit deren rechtzeitiger Behandlung hat zweifellos Budgetrelevanz. Die Kosten für die Behandlung von Malnutrition, eingeschlossen auch Komplikationen, liegen jährlich bei
9 Mrd. Euro in Deutschland, was die im Jahr 2007 publizierte CEPTON-Studie anhand der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur kalkulierte [25].
Klinische Studien zeigen, dass die ernährungsmedizinische Behandlung zu erheblichen Einsparungen führt [6]. Dutzende Studien belegen die Präsenz der Unter- bzw. Mangelernährung seit den 70er Jahren. Dabei wurden Patienten vor Einweisung in das Krankenhaus und während der Behandlung bzw. nach operativen Eingriffen erfasst. Um den Ernährungszustand zu bestimmen, gibt es verschiedene Anwendungsmethoden. Durchgesetzt haben sich in den vergangenen Jahren der
- „Subjective Global Assessment“ (SGA),
- „Nutritional Risk Score“ (NRS 2002), und
- „Mini Nutritional Assessment Score“ (MNA).
Letzterer findet bei älteren Patienten Anwendung.
Durch die Einführung des DRG-Systems ist es für die Ernährungsmedizin wichtig, neben dem medizinischen auch den ökonomischen Gesichtspunkt zu beleuchten. Unter- und Mangelernährung sind mit einem erhöhten Ressourcenaufwand für einen Behandler (ein Krankenhaus) verbunden. Das aktuelle DRG-System erlaubt bereits Abbildungen von Mehrkosten bei richtiger Dokumentation und Therapie [26].
Der MDK fordert heutzutage für eine sichere Kodierung der DRG:
- Dokumentiertes Screening (z.B. NRS-2002),
- Therapeutische Konsequenz (z.B. Ernährungsberatung),
- Dokumentierte Therapie (z.B. Trinknahrung).
Hierfür wurde ein SOP entwickelt (Abb. 1, S. 57).
Personelle Voraussetzungen sind hierzu:
- Ernährungsmedizinisch interessierte Ärzte,
- Ernährungstherapeuten (z.B. Diätassistenten, ggf. Ökotrophologen), und
- Gesundheits- und Krankenpfleger-/innen,
die als Team agieren.Vorgehensempfehlung
- Pflege: Stationäre Aufnahme, Dokumentation: Datum, Diagnose, Größe, Gewicht, BMI und Vorscreening nach Kondrup J et al. [27]. Wird hierbei eine Frage mit „Ja“ beantwortet – Weitergabe an den Arzt und Information an Ernährungstherapeutin (z.B. Diätassistentin, Ökotrophologin).
- Ernährungstherapeutin: NRS-Screening, ggf. Beratung und ernährungstherapeutische Empfehlung, ggf. BIA-Dokumentation
- Arzt: Labor (Hämoglobin, Protein, Albumin und CRP), Dokumentation, Auswahl der ernährungsmedizinischen Diagnose.
Die derzeitig zu dokumentierenden Befunde und Vorgehensweisen im Rahmen der DRG-Abbildung von Mangelernährung, insbesondere im Vorfeld einer potenziellen MDK-Anfrage lauten:
- Körpergröße und Körpergewicht,
- BMI,
- Ernährungsscreening (z.B. NRS-2002),
- Paraklinik: Albumin und Protein,
- ggf. Bestimmung der Köperzusammensetzung (BIA),
- ggf. Ernährungsberatung,
- ärztliche Anordnung und Dokumentation einer Ernährungstherapie.
Schlussfolgerung
Unter- und Mangelernährung sind relevante Risikofaktoren in den Krankenhäusern und Kliniken, die wesentliche klinische Parameter beeinflussen, vor allem die Letalität, Morbidität, Verweildauer im Krankenhaus, die Komplikationen, den Therapierfolg und – nicht zu unterschätzen – die Lebensqualität des Patienten. Um einen Therapieerfolg zu erzielen, ist die frühzeitige, gezielte Erfassung des Ernährungszustandes notwendig, um die leitliniengerechte Umsetzung der erarbeiteten Ernährungskonzepte anhand des Stufentherapieschemas durchzusetzen [16]. Erfolg garantiert nur die konsequente Umsetzung der erstellten Ernährungskonzepte, die zum Ziel haben, den Energie- und Proteinhaushalt des Patienten zu erhalten und zu verbessern.
Europaweite Studien und Metaanalysen bestätigen eindrucksvoll die Wichtigkeit einer medizinischen Ernährungsanalyse bei stationären Patienten [28]. Die Evaluationsscores sind eine sichere Basis für die Erfassung einer Unter- und Mangel-ernährung. Trink-, Zusatz- und Sondennahrung haben einen hohen therapeutischen Nutzen. Die setzt ein qualifiziertes Ernährungsteam voraus. Dieses Team sollte sich an leitliniengerechter Umsetzung ernährungstherapeutischer Maßnahmen orientieren [23].
„Das, was mit der Ernährungsmedizin erreicht werden kann, bewirkt kein einziges Medikament.“ (C. Meißner)
Gern stehen die Autoren Ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung.
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Korrespondenzanschrift:
Dr. med. Carl Meißner
Klinikum Magdeburg gemeinnützige GmbH
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