
Deutliche Erhöhung der Testbereitschaft erforderlich
Schulz C. 1, Selgrad M. 1, Färber J. 2, Körber S 1, Schlüter D. 2, Malfertheiner P. 1
1 Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie,
Universitätsklinikum Magdeburg AöR
2 Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene,
Universitätsklinikum Magdeburg AöR
Abstrakt
Die schrittweise signifikante Verbesserung der antiretroviralen Therapie seit Einführung der 3fach-Therapien 1996 führt zu einer Normalisierung des Gesamtüberlebens HIV-infizierter Patienten. Die dadurch bedingte Zunahme der Prävalenz wird bei stabilen Neuinfektionsraten auch in den kommenden Jahren anhalten. Trotz umfangreichen sowohl öffentlich geförderten als auch universitär und industriell begleiteten Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung und medizinisches Personal ist neben einer seit Jahren unveränderten Inzidenz eine Zunahme der Spätdiagnosen alarmierend.
Der vorliegende Artikel zeigt anhand der Charakteristika der im Jahr 2014 in der infektiologischen Ambulanz des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R. behandelten HIV-Neuinfektionen die Notwendigkeit zur vermehrten HIV-Testung insbesondere beim Auftreten von Indikatorerkrankungen auf.
Einleitung
Nach Erstbeschreibung eines vermehrten Auftretens von Pneumocystis jiroveci-Pneumonien (früher: Pneumocystis carinii) bei jungen homosexuellen Männern in amerikanischen Großstädten im Jahr 1981 konnten Luc Montagnier und Robert Gallo 1983 das jetzt als Human Immunodeficiency Virus (HIV) benannte Retrovirus identifizieren. Die zwischenzeitlich umfangreiche Kenntnis sowohl der Pathophysiologie als auch neuer therapeutischer Interventionspunkte in der Virusreplikation ermöglicht durch den Einsatz der antiretroviralen Therapie (ART), die seit 1996 generell aus drei direkt antiretroviral wirksamen Substanzen kombiniert wird, eine Normalisierung der Überlebenszeiten HIV-infizierter Patienten.
Angaben zu dieser nicht-namentlich meldepflichtigen Infektion werden in Deutschland vom Robert Koch-Institut erfasst und in regelmäßig erscheinenden epidemiologischen Bulletins anhand der zur Verfügung stehenden Daten als Modellrechnungen publiziert (Tab. 1). Die nach Beginn der Epidemie zur Mitte der 80er Jahre hin massiv angestiegenen Inzidenzraten waren seit Einführung der ART zum Ende der 90er Jahre deutlich rückläufig [2]. Zu Beginn dieses Jahrtausends kam es erneut zu einem Anstieg der Neuinfektionsraten mit Ausbildung eines bis 2012 persistierenden Plateaus [2]. Aktuell – möglicherweise auch durch den Anstieg der Migrationszahlen zu erklären – ist eine erneute Zunahme der Erstdiagnosen belegt. Subgruppenanalysen der Patienten zeigen stabile Neuinfektionszahlen bei homosexuellen Männern und eine Zunahme sowohl bei deutschen als auch afrikanischen Frauen [2].

(Schätzwerte, die aus Meldezahlen der Erstdiagnosen und unklaren Meldungen moduliert werden)

(PJP: Pneumocystis jiroveci- Pneumonie, CMV: Cytomegalievirus, TBC: Tuberkulose)

Stratifizierung nach CD4+- Lymphoyzten / μl.
Situation in Sachsen-Anhalt
Die infektiologische Ambulanz der Universitätsklinik Magdeburg betreut als einzige Einrichtung des nördlichen Sachsen-Anhalt HIV-Patienten. Derzeit werden ca. 350 HIV-infizierte Patienten betreut. Das Einzugsgebiet umfasst das gesamte nördliche Sachsen-Anhalt, Teile des östlichen Niedersachsens, Westbrandenburgs, Teile des Harzes sowie die Landeshauptstadt Magdeburg. Durch die enge personelle und räumliche Bindung zwischen der stationären Betreuung und der ambulanten Weiterbetreuung sowie durch eine gewachsene Kooperation mit den Gesundheitsämtern umliegender Städte und Kreise, den lokalen AIDS-Hilfen sowie der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber wird der größte Teil der in diesem Einzugsbereich erstdiagnostizierten Patienten zumindest initial durch uns betreut. Exemplarisch soll anhand der neu diagnostizierten Patienten unserer Ambulanz des Jahres 2014 die Aufmerksamkeit für frühzeitige Antikörpertestung erhöht werden und insbesondere das Problem der späten Diagnosestellung, die mit einem Anstieg der Mortalität und der Morbidität der Patienten einhergeht, skizziert werden.
Von den 48 neu vorgestellten Patienten des Jahres 2014 sind 27 % ausländischer Herkunft (n=13), von denen der überwiegende Teil als Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika über das Mittelmeer nach Deutschland gekommen ist (n=10).
11 der Patienten mit Neudiagnose befanden sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits im Stadium AIDS (23 %), bei insgesamt 33 (69 %) bestand schon zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eine Therapieindikation (Abb. 2). Die WHO-Kriterien eines late-presenters (CD4+-Lymphozyten < 350/µl) erfüllten 54 % (n=26) der Patienten. Die in diesem Zusammenhang häufig publizierte Verteilung in dieser Kohorte, in der sich oft Patienten finden, die nicht den klassischen Risikogruppen zugeordnet werden, älter sind, bzw. sich selbst als nicht gefährdet bewerten, trifft auf die nord-sachsen-anhaltische Kohorte nicht zu. Der Anteil von Männern mit homo-sexuellen Kontakten ist in allen Gruppen gleich.
Zu den häufigen AIDS-definierenden Erkrankungen in der beschriebenen Kohorte zählen die PJP, CMV-Infektionen (CMV-Pneumonie und CMV-Retinitis) und die Tuberkulose (Abb. 1). Eine Übersicht über die epidemiologischen Charakteristika der im Jahr 2014 erstdiagnostizierten Patienten unserer Ambulanz zeigen die Abbildungen 1 und 2.
Stellenwert der frühzeitigen HIV-Diagnose
In unserer Kohorte liegt der Anteil der Patienten mit Spätdiagnose i.S. einer late presentation mit 54 % über dem Bundesdurchschnitt von 50 %. Die Ursachen hierfür sind neben einem gering ausgebildeten Risikobewusstsein der Patienten auch in der infolge der relativ niedrigen Prävalenz geringen Sensibilität seitens des medizinischen Personals zu suchen.
Geht man ausweislich der deutschen Leitlinien von einer Therapieindikation bei asymptomatischen Patienten mit CD4+-Lymphozyten < 500/µl aus, besteht zur Senkung der Mortalität und Morbidität, aber auch zur Senkung des Transmissionsrisikos die Notwendigkeit zur frühzeitigen Diagnose einer HIV-Infektion. Symptomatische Patienten, hierzu zählen neben AIDS-definierenden Erkrankungen auch Erkrankungen, die einer HIV-Infektion oder einem zellulären Immundefekt zugeordnet werden können, die HIV-Nephropathie und das HIV-assoziierte neurologische Defizit (HAND), stellen immer eine Behandlungsindikation dar. Eine Schwangerschaft (zur Reduktion der materno-fetalen Transmission), diskonkordante Beziehungen und ein Lebensalter über 50 Jahre stellen zusätzliche Indikationen bzw. Kriterien zur Therapieeinleitung dar. Die amerikanischen Leitlinien sehen unter dem Leitsatz „treatment as prevention“ eine Therapie der HIV-Infektion in jedem Stadium der Infektion vor; die infolge der letzten Überarbeitungen angepassten deutschen Leitlinien entwickeln sich ebenfalls in diese Richtung. Eine Normalisierung der Lebenserwartung bei supprimierter Virusreplikation und normalen CD4+-Lymphozyten bei Patienten ohne symptomatische HIV-Infektion und eine nachgewiesene Reduktion des Transmissionsrisikos belegen die individuelle Wirksamkeit und den Kohorteneffekt einer antiretroviralen Therapie [3-5].

Die formale Unterscheidung zwischen einer ärztlich-initiierten HIV-AK-Testung und einer Klienten-initiierten HIV-AK- Testung beschreibt verschiedene Zugangswege zur Testdurchführung [6] (Tab. 2) und sollte aus Sicht der Autoren in der hausärztlichen Betreuung zunehmend Anwendung finden. Wie in Abbildung 3 dargestellt, erfolgte die Erstdiagnostik nur bei einem kleinen Anteil der Patienten im Rahmen der ambulanten Versorgung.
Die Indikation zur Durchführung eines HIV-Screeningtestes (p24AG/AK-Kombinationstest) sollte in jedem Falle bei vorliegenden Indikatorerkrankungen bzw. Indikatorsymptomen gestellt werden (Tab. 3).
Auch wenn in einigen stationären Einrichtungen regelhaft durchgeführt, sind flächendeckende HIV-Testungen aufgrund der geringen Prävalenz nicht empfohlen.

(HIV-Ambulanz Magdeburg)

Zusammenfassung
Die über die letzten Jahre auch in dem bisher als Niedrigprävalenzgebiet beschriebenen Bundesland Sachsen-Anhalt steigende Zahl von HIV-Infizierten ist neben den infolge der verbesserten Therapien normalisierten Lebenserwartungen der Patienten einer zunehmenden Zahl von Neuinfektionen geschuldet. Durch den überdurchschnittlich hohen Anteil an Spätdiagnosen, sowohl sogenannter „late-presenter“ als auch bereits von symptomatischen Patienten im Stadium AIDS, nehmen neben der Mortalität und Morbidität auch die sozioökonomischen Belastungen deutlich zu. Eine höhere Sensibilität zur frühzeitigen HIV-Testung ist sowohl bei Patienten mit bekanntem Risikoprofil als auch beim Auftreten von Indikatorerkrankungen und zur Differentialdiagnostik notwendig.
Literatur bei den Verfassern
Korrespondenzanschrift:
Dr. med. Christian Schulz
Universitätsklinik für Gastroenterologie,
Hepatologie und Infektiologie
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
Tel.: 0391/67-13100
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