Katja Simek
Katja Simek

Simek K.1, Haß H.-J.2, Meyer F.3, Krause, H.2

1 Klinik für Gastroenterologie, Klinikum Magdeburg
2 Arbeitsbereich Kinderchirurgie und Kindertraumatologie, Universitätsklinikum Magdeburg
3 Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg

Eine Analyse der von 2007 bis 2012 in der Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R. durchgeführten Orchidopexien

Abstract
Die 2009 erschienene Aktualisierung der S2k-Therapieleitlinie zur Behandlung des Hodenhochstands empfiehlt einen Therapieabschluss bis zum vollendeten 1. Lebensjahr (vorher: vollendetes 2. Lebensjahr). In der Kinderchi­rurgie des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R. wurden im Zeitraum von 2007-2012 die Orchidopexien von 409 Patienten ausgewertet. Für die 329 erstmalig aufgrund eines Hodenhochstands operierten Knaben ergab sich in der retrospektiven Analyse ein durchschnittliches Operationsalter von 3,48 ± 2,95 Jahren und bescheinigte dem nördlichen Sachsen-Anhalt ein Defizit bei der zeitgerechten Versorgung des Hodenhochstands. Nach der Leitlinienaktualisierung konnte keine signifikante Veränderung des Operationsalters festgestellt werden.

Einleitung
Seit dem 16. Jahrhundert ist die bestmögliche Behandlung des Hodenhochstands Forschungsgebiet vieler Mediziner. Die aktuell gültigen Therapieempfehlungen der S2k-Leitlinie der AWMF sollen Spätfolgen wie Infertilität und Malignität reduzieren bzw. bestenfalls verhindern. Dazu ist ein Behandlungsabschluss bis zum Ende des 1. Lebensjahres anzustreben. Das „Ärzteblatt Sachsen-Anhalt“ veröffentlichte im Jahr 2010 bereits einen Artikel unter der Überschrift „Aktuelle Therapierichtlinien zur Behandlung des Hodenhochstands“, um die Kernaussagen dieser Leitlinienaktualisierung zu verbreiten [1]. Defizite in der leitliniengerechten Versorgung des Hodenhochstands konnten bereits nationalen und internationalen Studien entnommen werden. Entsprechend der Zielsetzung der vorliegenden retrospektiven Analyse eines unselektierten „Singlecenter-Patientenklientels“ ist eine erste Beurteilung der Versorgungsqualität im nördlichen Sachsen-Anhalt möglich.

Material und Methoden
In einer retrospektiven Analyse wurden alle prospektiv dokumentierten konsekutiven Knaben, die von Anfang Januar 2007 bis Ende Dezember 2012 in der Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R. orchidopexiert wurden, herausgefiltert. Hierzu diente eine Eingriffsstatistik mit dem Suchbegriff „Orchidopexie“. Neben klinikinternen Operationslisten wurde das Krankenhausinformationssystem „Medico“ verwendet. Von den 409 herausgefilterten Patienten erhielten 329 eine Orchidopexie aufgrund eines erstmalig aufgetretenen Maldeszensus testis. Analysiert wurden die Lageanomalie, die Seitenverteilung der Fehlbildung, das Operationsalter, das Einzugsgebiet, Begleiterkrankungen, stattgefundene Vorbehandlungen sowie entwicklungsgeschichtliche Besonderheiten. Die statistische Auswertung des Vergleichs von Behandlungszeiträumen, Patientengruppen mit unterschiedlicher regionaler Herkunft oder Begleitbefunden erfolgte unter Verwendung der Software „IBM SPSS Statistics“. Die Ergebnisse wurden als Häufigkeiten in absoluten Zahlen, Prozentzahlen sowie als Lage- und Verhältnisparameter angegeben. Durch Auf- und Abrundung ergaben sich in der Summation nicht immer 100 %. Bei Altersangaben erfolgte die Umrechnung in Dezimalzahlen. Da sich beim Operationsalter Abweichungen von der Normalverteilungsannahme zeigten, wurden zum Vergleich des Operationsalters in Bezug auf verschiedene Gruppen nichtparametrische Tests (Mann-Whitney- bzw. Kruskal-Wallis-Tests) gerechnet. Als Signifikanzniveau bei den statistischen Tests wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von α=0,05 (alle p-Werte <0,05 gelten als signifikant) angenommen.

Abb. 1: Fehlbildungsvarianten (n=491), Quelle: Katja Simek
Abb. 1: Fehlbildungsvarianten (n=491), Quelle: Katja Simek

Ergebnisse
Im Untersuchungszeitraum von 6 Jahren erhielten 329 Patienten eine Orchidopexie aufgrund eines erstmalig aufgetretenen Maldeszensus testis. Davon wiesen 49 % eine beidseitige, 28 % eine rechtsseitige und 23 % eine linksseitige Hodenfehllage auf. Abbildung 1 beschreibt die Aufteilung der Fehlbildungsvarianten. 55 % der maldeszendierten Hoden (n=491) waren Leistenhoden, 37 % Gleithoden, 4 % Abdominalhoden, 3 % Pendelhoden und 1 % fehlende Hodenanlagen (Anorchie).

Abb. 2: Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Operation in den Jahren 2007-2012 Quelle: Katja Simek
Abb. 2: Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Operation in den Jahren 2007-2012 Quelle: Katja Simek

Das durchschnittliche Alter der Patienten des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R. zum Zeitpunkt der Orchidopexie beim Hodenhochstand lag bei 3,48 ± 2,95 Jahren. Im Verlauf der untersuchten Jahre zeigte sich von 2007 bis 2009 zunächst ein Absinken des durchschnittlichen Operationsalters, wie in Abbildung 2 dargestellt. Im nachfolgenden Zeitraum kam es wiederum zu einem Anstieg. Signifikante Unterschiede zwischen den Jahren ergaben sich nicht (p=0,808).

Im Zeitraum vor Aktualisierung der Leitlinie (2007-2008) wurden 8 % der Knaben im 1. Lebensjahr operiert und weitere 24 % im 2. Lebensjahr. Im Zeitraum nach Aktualisierung der Leitlinie (2009-2012) waren es 17 % im 1. Lebensjahr und weitere 26 % im 2. Lebensjahr. Abbildung 3 visualisiert das beschriebene Verteilungsverhältnis.

Das Herkunftsgebiet der Knaben (aus Magdeburg versus Umgebung von Magdeburg) hatte keinen bedeutsamen Einfluss auf das Operationsalter (p=0,255). Bei verschiedenen Begleiterkrankungen konnte ein signifikanter Einfluss auf das Operationsalter nachgewiesen werden. So zeigten Patienten mit bestehender Leistenhernie (p<0,001), Hydrozele (p<0,001) oder einem persistierenden Processus vaginalis (p=0,009) ein niedrigeres Operationsalter als Patienten ohne die jeweilige Begleitfehlbildung. Auch Patienten, die eine Frühgeburt (p=0,016) oder eine Hormontherapie (p=0,048) in der Anamnese aufwiesen, wurden signifikant früher operativ versorgt.

Abb. 3: Anteil der Orchidopexien in verschiedenen Zeiträumen und Altersgruppen Quelle: Katja Simek
Abb. 3: Anteil der Orchidopexien in verschiedenen Zeiträumen und Altersgruppen Quelle: Katja Simek

Diskussion
Bezüglich der vorgefundenen Fehlbildungsvarianten waren vergleichende Schlussfolgerungen nicht sinnvoll, da die Autoren ähnlicher Studien andere Formen der Klassifizierung nutzten. Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der Orchidopexie am Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R. lag bei 3,48 Jahren. In Würzburg (2005-2010) lag das durchschnittliche Alter von 504 untersuchten Knaben bei 3,3 Jahren [2]. In Österreich wurde ein Absinken des Operationsalters von 6 Jahren im Jahr 1993 auf 4,3 Jahre im Jahr 2009 beschrieben [3]. Eine britische Studie wies einen Altersmedian von 2,92 Jahren nach [4]. Im außereuropäischen Raum waren die Knaben zum Operationszeitpunkt zum Teil über 4,4 Jahre alt [5, 6, 7]. Diese Ergebnisse nationaler und internationaler Art erfüllen die Empfehlungen der jeweiligen Leitlinien nicht.
Insgesamt nimmt der Anteil der Knaben zu, die im jüngeren Lebensalter operiert werden. Allerdings erfolgt eine nur unzureichende Beachtung und Einhaltung des derzeit empfohlenen Operationsalters von maximal 12 Lebensmonaten. Signifikante Unterschiede im durchschnittlichen Operationsalter der in Magdeburg versorgten Knaben aus dem überregionalen Einzugsgebiet des nördlichen Sachsen-Anhalts zeigten sich weder zwischen den einzelnen Jahren noch zwischen den 2 Zeitperioden (vor und nach Leitlinienaktualisierung). Ähnliche Beobachtungen machten Hensel et al. mit Untersuchungen von 3.587 Knaben an 13 bundesweit verteilten Kliniken in den Jahren 2003-2012. Vor Änderung der Leitlinie wurden dort 22 % der Knaben innerhalb der ersten 2 Lebensjahre operiert, nach Aktualisierung der Leitlinie 27 % (5% innerhalb des 1. Lebensjahres) [8, 9].

Das Herkunftsgebiet der Knaben hatte keine Auswirkung auf das Operationsalter. Bei verschiedenen Begleiterkrankungen konnte hingegen ein signifikanter Einfluss auf das Operationsalter nachgewiesen werden. Dies liegt sehr wahrscheinlich an einer vermehrt auffälligen klinischen Symptomatik sowie an der konsekutiv intensivierten medizinischen Betreuung. Ähnliches gilt für Patienten, die eine Frühgeburt oder eine Hormontherapie in der Anamnese aufwiesen. Hinsichtlich studienbedingter Limitationen ist festzustellen, dass es trotz sorgfältiger Recherchen Unschärfen bei der Auswertung dieser retrospektiven Singlecenter-Studie gibt. Dies liegt begründet in fehlenden oder unterschiedlichen Angaben in den Krankenakten. Die damalige Anamneseerhebung war nicht auf die spätere Zielstellung dieser Arbeit zugeschnitten. Dokumentationen zu weiteren Nachkontrollen, z. B. aus dem ambulanten Bereich, waren nicht zugänglich.

Abb. 4: Flyerentwurf für Eltern (privates Bildmaterial), Quelle: Katja Simek
Abb. 4: Flyerentwurf für Eltern (privates Bildmaterial), Quelle: Katja Simek

Fazit
In der Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg A.ö.R., stellvertretend für das nördliche Sachsen-Anhalt, zeigt sich eine unzureichende Einhaltung des derzeit empfohlenen Operationsalters von maximal 12 Lebensmonaten. Andere nationale und internationale Studien kommen zu ähnlich unbefriedigenden Ergebnissen. Bei steigender Anzahl an männlichen Geburten [10] und steigender Prävalenz des Hodenhochstands in Sachsen-Anhalt [11] muss an der Einhaltung der Therapieleitlinie gearbeitet werden. Für Deutschland müssen die objektiven und subjektiven Gründe dieses Versorgungsproblems weiter präzise ermittelt und beseitigt werden, um leitlinienkonforme Behandlungen zu erzielen.

Der abschließend gezeigte Flyer (Abbildung 4) kann im Rahmen einer Aufklärungskampagne eingesetzt werden.

Literatur bei den Verfassern

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzanschrift:
Katja Simek
Assistenzärztin
Klinik für Gastroenterologie
Klinikum Magdeburg gGmbH
Birkenallee 34, 39130 Magdeburg
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Tel: 0391-7915401, Fax: 0391-7915403