Dr. Christine Schneemilch
Dr. Christine Schneemilch

Schneemilch C.1, Meyer F.2

1 Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Magdeburg
2 Klinik für Allgemein-, Viszeral- & Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg

Zusammenfassung
Hintergrund: Obwohl die Aufgaben des Anästhesisten mit Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin sowie Schmerztherapie sehr vielseitig sind, existier(t)en teils Wissensdefizite über seine Position im Krankenhaus und seine Zuständigkeiten im perioperativen Ablauf, die aus fachübergreifender Sicht insbesondere dem Chirurgen jedoch deutlich vor Augen stehen sollten.

Ziel: Darstellung fachspezifischer, d. h. anästhesiologischer, intensivmedizinischer und schmerztherapeutischer Charakteristika zur weiteren Entwicklung eines interdisziplinären gegenseitigen Grundverständnisses vor dem Hintergrund einer zu verfolgenden Optimierung klinischer, stark integrativ geprägter Alltagsabläufe.

Methode: Narrative Kurzübersicht, basierend auf klinischen Erfahrungen und selektiven Literaturangaben.

Ergebnisse/Eckpunkte: Seit 1953 gebührt dem Anästhesisten auch formal durch gewährte Eigenständigkeit ein fester und ebenbürtiger Platz in der Vor- und Nachbehandlung operativ versorgter Patienten mit sukzessivem Aufbrechen der traditionellen hierarchischen Sichtweise zur partnerschaftlichen interdisziplinären Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Ureigene Aufgabenfelder umfassen:
1. Im Rahmen der Prämedikationsvisite, stationär oder in Anästhesieambulanzen, die Vorbereitung des Patienten mit Risikoeinschätzung, Festlegung des Narkoseverfahrens und der postoperativen Schmerztherapie sowie die Aufklärung über den Ablauf der Anästhesie und relevanter Komplikationen; 2. Anästhesiedurchführung mit Monitoring der Vitalparameter, Erhaltung und Wiederherstellung von Vital- und Organfunktionen sowie Verlaufsdokumentation;
3. Ordination von Infusion, Transfusion sowie additiver Medikation/Supplementation; 4. Koordination organisatorischer Abläufe und des OP-Managements; 5. Intensivtherapie und Aspekte der chronischen Schmerz- und Palliativmedizin.

Im Fokus stehen neben Erforschung von Wirkmechanismen des Phänomens „Narkose“ und der unerwünschten Nebeneffekte, wie Awareness und kognitive Störungen, die Entwicklung neuer Therapieformen von Schmerzen, die Optimierung organspezifischer Monitoringsysteme sowie der zunehmende Erwerb eigener Kompetenz in der selektiven Diagnostikdurchführung (Bronchoskopie, Sonographie, Echokardiographie etc.).

Schlussfolgerung: Mehr als 60 Jahre nach Einführung des Facharztes für Anästhesiologie hat sich das interdisziplinär agierende Fachgebiet zunehmend als anerkannter Partner der operativ tätigen Fächer etabliert. Neben seiner Belastbarkeit und Teamfähigkeit befähigt ihn die multimodale Funktion mit interdisziplinärem Charakter darüber hinaus, als Koordinator in verschiedenen Krankenhausbereichen tätig zu werden.

Einleitung
Durch einen Beschluss des „Deutschen Ärztetages“ wurde die Facharztbezeichnung „Anästhesie bzw. Anästhesiologie“ erst 1953 in Deutschland eingeführt. Es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis sich das Fachgebiet durchgängig eta-blieren konnte. Obwohl die Aufgaben des Anästhesisten mit Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin sowie Schmerztherapie sehr vielseitig sind, existierten teils erhebliche Wissensdefizite über seine Position im Krankenhaus und seine Zuständigkeiten im perioperativen Ablauf. Publizierte, multizentrisch durchgeführte Umfragen der letzten Jahre über das Berufsbild des Anästhesisten und seiner Zuständigkeiten stellten zwar teilweise fest, dass der Kenntnisstand der Patienten im Vergleich zu vergangenen Jahren gestiegen, aber noch unzureichend abgebildet ist [1]. Die Befragten wussten zwar größtenteils, dass ein Anästhesist als Narkosearzt arbeitet und im Operationssaal tätig ist, aber weniger bekannt war, dass ein Anästhesist auch als Intensivmediziner, Schmerztherapeut oder Notarzt tätig ist. Nur einige der befragten Patienten wussten, dass Prämedikationsambulanz, Intensivstation, Aufwachraum und Rettungsmedizin in den Zuständigkeitsbereich des Anästhesisten fallen. Bei Fragen nach typischen Eigenschaften des Anästhesisten war den meisten Patienten bekannt, dass ein Anästhesist auch Medizin studiert hat, aber nur wenige sehen ihn als gleichwertigen Partner des Chirurgen im Operationssaal, der für das Wohlergehen des Patienten verantwortlich ist und entscheidend den OP-Erfolg beeinflusst [2,3]. Die Ergebnisse dieser Umfragen sind überraschend, da bekanntermaßen die größten Ängste nicht vor dem operativen Eingriff bestehen, sondern vor Komplikationen im Zusammenhang mit einer Anästhesie [4].

Das Ziel der vorliegenden kompakten narrativen Kurzübersicht ist es, basierend auf individuellen klinischen Alltagserfahrungen in der chirurgisch-anästhesiologischen Partnerschaft und selektiven themenbezogenen Literaturstellen, die grundlegenden fachspezifischen Aspekte zu umreißen, die das Fachverständnis besonders für den Anästhesiologen als auch den Intensiv- und Notfallmediziner noch besser für ein optimales praktisches und interdisziplinäres Mit-einander zum Wohle der Patienten und Gewährleistung bestmöglicher, stark integrativ geprägter Abläufe – durchaus auch für andere operativ tätige Fächer – weiterentwickeln zu helfen.

Entwicklung der Anästhesie zum selbstständigen Fachgebiet
Mit der Entdeckung und Entwicklung schmerzstillender und narkotisierender Mittel konnten in der Chirurgie neue Anwendungsbereiche erschlossen werden und die Anästhesie hat wesentliche Voraussetzungen für die moderne Chirurgie geschaffen. Die Zusammenarbeit im OP-Saal war aber leider mit der Entwicklung der Anästhesie zum eigenständigen Fachgebiet noch jahrelang von Grabenkämpfen begleitet. Hier wurden vor allem Probleme in der geteilten Autorität gesehen.
Diese Herausforderung an die traditionelle Stellung des Chirurgen empfanden einige Vertreter des Fachgebietes als unerträglich und sahen ihr Strukturbild zerstört [5]. Einen Artikel von Herrn Ebin, der für die Rückkehr traditioneller Strukturen vehement votierte, veröffentlicht 1971 in der amerikanischen Zeitschrift Surgery, Gynecology & Obstetrics, kommentierte Herr Langrehr aus Bremen mit den Worten: „Selten hat jemand so unumwunden eine vollständige Bankrotterklärung interdisziplinärer Zusammenarbeit zu Papier gebracht – schon gar nicht aus dem vielgelobten Lande des „team-works“. Mayrhofer aus Wien sah in ihm die Tragik eines Mannes, der im Wachstum seines eigenen Fachgebietes ein Vierteljahrhundert zurückgeblieben war und der nun glaubte, sich in seiner eigenen „Größe“ damit erhalten zu können, dass er sich mit kleineren Partnern umgibt. Der wahrhaft Große hingegen wächst mit der Größe seiner Partner und fürchtet nie, die Rolle des „Primus inter pares“ zu verlieren. Jean Lassner aus Frankreich stellte fest, dass „die Einordnung des Anästhesisten in das Ganze der Heilkunst und ihre gefügten Formen in vielen Ländern problematisch geblieben ist“. Er schlug vor, dem Anästhesisten einen festen Platz in der Vor- und Nachbehandlung der chirurgischen Patienten zuzuschreiben und ihm die Allgemeintherapie in der Intensivstation, besonders der operativen Fächer, zu überantworten. Weiterhin formulierte er, dass sich darüber hinaus eine ganz neue Form der Zusammenarbeit von Chirurgen und Anästhesisten vorstellen ließ, die dadurch sehr erleichtert werden könnte, dass in allen Fächern die bisherige Hierarchie eine Umgestaltung erfährt [6]. Hiermit wurde deutlich zu einer Umkehr von der traditionellen hierarchischen Sichtweise zur partnerschaftlichen interdisziplinären Zusammenarbeit auf Augenhöhe aufgefordert.

Ahnefeld resümierte 1997, dass trotz steigender Aufgaben und Verantwortung der Anästhesist jahrelang der im „Hintergrund tätige Helfer des Operateurs“ blieb, mit einem Ansehen, das bestenfalls dem Narkotiseur früherer Zeit zukam. Sein amerikanischer Kollege Levin wusste 1979 zu berichten, dass in den USA der Anästhesist nur als weisungsunabhängiger Assistent des Operateurs und als Techniker gesehen wird, dessen Tätigkeit auch durch Nichtärzte übernommen werden könnte [7]. In der gleichen Zeit war das Fachgebiet seit der Einführung des Facharztes für Anästhesiologie als eigenständiges Fach in Deutschland im Jahre 1953 etabliert und entwickelte sich ständig weiter. Die Etablierung des Faches war nicht zuletzt das Verdienst engagierter Chirurgen, die erkannt haben, dass es sich bei der Anästhesie um eine medizinische Disziplin handelt, welcher ein ebenbürtiger Platz neben den anderen medizinischen Spezialgebieten zukommen müsse [8].

Definition und Ziele der Anästhesie
Die Anästhesie ist das griechisch-neulateinische Wort für „Unempfindlichkeit“ und hat medizinisch eine doppelte Bedeutung. Sie definiert sich sowohl als Zustand einer iatrogen induzierten reversiblen Unempfindlichkeit (Schmerzempfindung) mit dem Ziel, eine Intervention zu ermöglichen als auch ein medizinisches Verfahren, um diesen Zustand herbei zu führen. Der Begriff der „Narkose“ erweitert hier den Begriff „Anästhesie“ um die Bewusstseinsausschaltung und verbietet deshalb auch die häufig zu hörende Bezeichnung eines Regionalanästhesieverfahrens als „Teilnarkose“. Narkose bzw. Allgemeinanästhesie ist eine allgemeine Betäubung des Organismus mit zentraler Schmerz- und Bewusstseinsausschaltung [9]. Eine Allgemeinanästhesie setzt sich somit aus verschiedenen Komponenten wie Hypnose, Amnesie, Analgesie und Immobilität zusammen. „Anästhesie“ ist auf keinen Fall eine Person, die gelegentlich im OP-Saal „auf Anweisung (z. B.) OP-Tische bewegen“ kann. Durch die Anästhesie werden physischer und psychischer Schmerz unterdrückt und die operative Stressantwort begrenzt bzw. modelliert mit dem Ziel, die Kompensationsmechanismen des Organismus zu erhalten und zur Aufrechterhaltung des physiologischen Gleichgewichtes beizutragen [10, 11]. Dieses Ziel einer Anästhesie kann mit unterschiedlichen Verfahren erreicht werden, bei denen verschiedene Anästhetika einzeln oder in Kombination appliziert zur Anwendung kommen. Die hauptsächlich eingesetzten Anästhesieverfahren sind in Abbildung 1 dargestellt. Bei den Allgemeinanästhesieverfahren wird üblicherweise zwischen Inhalations- und intravenöser Anästhesie unterschieden. Eine detaillierte Übersicht der einzelnen Verfahren gibt hier die Tabelle 1.

Tab. 1: Allgemeinanästhesieverfahren nach Adams et al. [9]

Verfahren

Definition

Inhalationsanästhesie

Ausschließlich unter Einsatz volatiler

Anästhetika und/oder Gase

Intravenöse Anästhesie

  • TIVA
  • NLA
  • Dissoziative Monoanästhesie
  • Analgosedierung
  • Totale intravenöse Anästhesie
  • Neuroleptanästhesie
  • Ketamin
  • schlafend, weckbarer Patient

Balancierte Anästhesie

  • Opioidsupplementierte 
    Inhalationsanästhesie
  • Inhalationssupplementierte 
    intravenöse Anästhesie

Kombination mehrerer Anästhetika mit dem Ziel,
Nebenwirkungen einer höherdosierten Monoanästhesie zu vermindern

Stand by

Ausschließlich Überwachung der

Vitalfunktionen durch Anästhesisten

Eine Allgemeinanästhesie unter Einsatz von Hypnotika, Analgetika und Muskelrelaxanzien erfordert eine Beatmung des Patienten und damit den Einsatz von Atemhilfsmitteln (Masken, Tuben) sowie Beatmungsgeräten, die die

  • Zubereitung eines Gasgemisches (Sauerstoff/Luft/volatiles Anästhetikum),
  • Zuleitung zum Patienten,
  • Eliminierung von Kohlendioxid (und)
  • Trennung der Narkosegase von der Umgebung


ermöglichen, komplettiert durch eine sicherheitstechnische Ausrüstung. Auch wenn die Lautstärke des Sicherheitsmonitorings manchmal als störend empfunden wird, es dient durch Früherkennung anästhesiebedingter Risiken, wie Sauerstoffmangel oder Diskonnektion, der Erhöhung von Patientensicherheit, einem gerade in heutiger Zeit sehr aktuellen und angezeigten Thema.Ebenfalls essenziell sind Überwachung und damit Minimierung des individuellen Patienten- und spezifischen OP-Risikos von Hämodynamik und Ventilation. Abhängig von Patient und Eingriff kann das Monitoring durch Anlage zentraler Venen- oder Pulmonalarterienkatheter oder auch neurophysiologische Messverfahren erweitert werden. Mangels objektiver Messverfahren zur Überwachung der Narkose-tiefe werden bis in die heutige Zeit größtenteils klinische Kriterien, wie Kreislaufparameter (Blutdruck, Herzfrequenz) und vegetative Zeichen (Schwitzen, Tränenfluss, Pupillenreaktion) herangezogen, die schon aus der Zeit der Äthernarkose bekannt sind [12]. Die Entwicklung der Computertechnologie erlaubte es jetzt, basierend auf neurophysiologischen Messverfahren wie EEG und evozierten Potenzialen, den Anästhesisten objektive Messverfahren in die Hand zu geben, mit denen eine Steuerung der Narkosetiefe möglich wird. Eine Optimierung der Schlaftiefe kann sowohl Episoden von intraoperativen Wachheitszuständen bei zu „flachen“ Narkosen als auch hämodynamische Instabilität durch zu „tiefe“ Narkosen vermeiden. Kostenersparnis durch verminderten Anästhetikaverbrauch und verkürzte Aufwachzeiten sprechen ebenfalls für den verstärkten Einsatz von neurophysiologischen Monitoringverfahren. Das apparative Monitoring soll immer als eine sinnvolle Ergänzung zum klinischen Monitoring verstanden werden. Es ersetzt nicht den fehlenden Blickkontakt des Anästhesieteams zum Patienten (Abbildung 2, Seite 38).

Regionalanästhesieverfahren bieten den Vorteil, sie nicht nur intraoperativ zur Analgesie zu nutzen, sondern auch zur postoperativen Schmerztherapie. Rückenmarksnahe Verfahren wie thorakale Periduralanästhesie werden verstärkt in der Viszeralchirurgie in Kombination mit einem Allgemeinanästhesieverfahren im Rahmen eines multimodalen Schmerzkonzeptes zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt (Abbildung 3). In zahlreichen Untersuchungen konnte nicht nur die hohe überlegene analgetische Potenz gegenüber einer systemischen Opioidanalgesie belegt werden, darüber hinaus wurden positive Einflüsse auf Organsysteme und kardioprotektive Effekte nachgewiesen [13,14]. Angesichts potenzieller Komplikationen sollte aber bei der Planung speziell vor dem Hintergrund des Einsatzes neuer oraler Antikoagulanzien und der steigenden Ko-Morbiditäten der anvertrauten Patienten eine sorgfältige individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine gute interdisziplinäre Kommunikation ist unabdingbar, da Art und Umfang des operativen Eingriffes über Indikation und Kontraindikation für einen thorakalen Periduralkatheter entscheiden und Patienten optimal auf den bevorstehenden Eingriff vorbereitet werden können.

Mechanismus der Anästhesie – Narkosetheorien
Die Frage nach der Wirkung von Anästhetika kann auch heute nach mehr als 150 Jahren seit Einführung der Narkose noch nicht umfassend beantwortet werden.

Kurz nach der Entdeckung der Äther- und Chloroformwirkung unternahmen Bibra und Harleß schon 1847 den Versuch, das Phänomen der Narkose physiko-chemisch zu erklären [15]. Sie sahen die Ursache in der Auslaugung der Hirnfette durch Anästhetika. 1901 stellten dann Meyer und Overton eine Theorie auf, die den Zusammenhang zwischen der lipidlöslichen Eigenschaft von Pharmaka und ihrer anästhetischen Potenz beschreibt. Die Lipidtheorie basierte auf der lipidlöslichen Eigenschaft von Anästhetika, die sich in die Phospholipidschicht der Nervenzellmembran einlagern und so auf physikochemischen Weg die Erregbarkeit neuronaler Membranen reduzieren und zu einer allgemeinen Verminderung der Aktivität des Zentralnervensystems führen [16]. Mit der rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der Molekularwissenschaften konnten in den letzten Jahren die molekularen und zellulären Mechanismen, die einer Anästhesie zugrunde liegen, weitestgehend erforscht werden [17].

Anästhetika beeinflussen die Funktion vieler Rezeptoren und Ionenkanäle (Rezeptortheorie) und haben nachweislich differenzierte Angriffspunkte in unterschiedlichen molekularen und anatomischen Strukturen des Zentralnervensystems. Anästhetika führen zu reversiblen Veränderungen von Zellmembranfunktionen und synaptischer Signaltransmission mit dem gemeinsamen Ziel – die verminderte zerebrale Aktivität [18-21]. Das Phänomen Narkose beschreibt somit ein einheitliches Ergebnis differenzierter Vorgänge in verschiedenen Ebenen des zentralen Nervensystems (Multi-„Site“-Theorie) [22, 23].

Das Fachgebiet der Anästhesiologie gerät leider oftmals erst in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn Schlagzeilen wie „Albtraum unter Narkose“ oder „Macht Narkose dumm?“ zu lesen sind. Hintergrund des medialen Interesses ist offensichtlich auch der Tatsache geschuldet, dass der Mechanismus einer Narkose noch nicht vollständig erklärbar ist. Unerwünschte Wirkungen einer Narkose wie Awareness, postoperative kognitive Störungen oder Halluzinationen bleiben Problemfelder, die gegenwärtig im Fokus intensiver klinischer Forschung stehen. Sind bisher nur Risikofaktoren wie Alter und Komorbidität der Patienten bei Entstehung kognitiver Störungen oder Delir identifiziert, bleiben Ätiologie und Pathophysiologie noch weitestgehend ungeklärt. Um unerwünschte Wachheitszustände unter Allgemeinanästhesie zu vermeiden, benötigt man objektive instrumentelle Messmethoden des Schlafzustandes. Mit der Entwicklung von Monitorsystemen, die EEG-basiert die Schlaftiefe messen ist ein erster Schritt in diese Richtung getan.

Der Anästhesist als perioperativer Mediziner
Präoperativ
Der Patient hat in der Regel seinen ersten Kontakt mit dem Fachgebiet Anästhesiologie in der präoperativen Vorbereitung. Hier wird nach Anamnese, körperlicher Untersuchung und entsprechender Diagnostik neben Festlegung des Narkoseverfahrens und der postoperativen Schmerztherapie auch das perioperative Risiko erfasst [24, 25]. Das perioperative Risiko wird sowohl bestimmt durch

  • Art und Umfang des operativen Eingriffes,
  • der anästhesierelevanten Risiken, wie Intubations- und Beatmungsprobleme,
  • allergische Reaktionen auf Anästhetika oder Nervenschäden durch Regionalanästhesie (als auch)
  • patientenspezifische Risiken wie Herz-Kreislauferkrankungen und Erkrankungen der Atmungsorgane.


An der Stelle können Konflikte entstehen, wenn ein elektiver Eingriff zugunsten einer Optimierung des präoperativen Gesundheitszustandes verschoben werden muss. Kann der präoperative Zustand nicht verbessert werden, sollten Operateur und Anästhesist gemeinsam zum Wohle des Patienten über das weitere Vorgehen entscheiden. Der Patient wird in der Prämedikationsvisite entsprechend dem geplanten Eingriff über Anästhesieverfahren, Risiken und natürlich über Verhaltensregeln informiert, beraten und aufgeklärt. Deshalb sind detaillierte Kenntnis über das von den chirurgischen Kollegen gewählte OP-Verfahren sowie Art und Umfang der erfolgten Aufklärung darüber essenziell für eine sorgfältige Planung von

  • Anästhesieverfahren,
  • postoperativer Betreuung (und)
  • Schmerztherapie [26].


Die Prämedikationsvisite ob in einer Ambulanz oder am Krankenbett umfasst neben Aufklärung und Dokumentation auch die Ordination entsprechender Pharmaka mit der eine

  • Anxiolyse,
  • Sedierung (und)
  • Analgesie


erzielt werden.
Mit der Prämedikationsvisite soll ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden, welches leider allzu häufig durch den Konflikt von Sorgfalt vs. Zeitmangel als auch Aufklärungspflicht und ärztlicher Zuwendung geprägt ist [27].

Die Einrichtung von Anästhesieambulanzen hat zwar wesentlich dazu beigetragen, personelle und materielle Ressourcen effizienter einzusetzen [28], kann aber dem Patientenbedürfnis nach persönlicher Zuwendung oftmals nicht entsprechen, da aufklärender und narkoseführender Anästhesist nicht identisch sind [29, 30]. Die Entwicklung vertrauensbildender Konzepte scheint an dieser Stelle wichtiger, als eine Implementierung multimedialer Aufklärungsformen. Die in der Anästhesieambulanz tätigen Kollegen müssen stellvertretend ein allgemeines Vertrauen in die gesamte Anästhesieklinik vermitteln und sollten neben hohem Fachwissen eine gute Sozialkompetenz mitbringen [31].

Intraoperativ
Der Aufgabenbereich umfasst die Durchführung von Anästhesien für operative, interventionelle und dia-gnostische Eingriffe. Während der intraoperativen Phase ist der Anästhesist neben Einleitung und Durchführung der entsprechenden Anästhesieverfahren zuständig für die Überwachung der Vitalparameter und Dokumentation des Verlaufes. Er entscheidet entsprechend Art und Dauer des operativen Eingriffes über Umfang des notwendigen Monitorings und ist u. a. (mit-) verantwortlich für Anordnung und Durchführung von

  • Infusionen,
  • Transfusionen (sowie)
  • additiven Medikationen (Antibiotika, Gerinnungsfaktoren etc.).


Er trägt nicht nur Verantwortung für die unmittelbare postoperative Nachsorge der Patienten, sondern hat sich auch als Koordinator verschiedener organisatorischer Abläufe bewährt und übernimmt zunehmend Aufgaben des OP-Managements [32].

Postoperativ
Zur unmittelbaren postoperativen Nachsorge in einem Aufwachraum oder später im stationären Bereich zählt neben Stabilisierung bzw. Wiederherstellung von Vitalfunktionen zunächst die postoperative Schmerztherapie. Bereits im Jahre 1992 wurde eine Vereinbarung zwischen den deutschen Berufsverbänden der Chirurgen und Anästhesisten zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie getroffen [33]. Diese formulierte, dass die Schmerzbehandlung die Lebensqualität des Patienten verbessert, die Heilungschancen erhöht und die Behandlungsdauer verkürzen kann. Neben der subjektiven Belastung für den Patienten führt postoperativer Schmerz in der Folge u. a. durch die Aktivierung des sympathoadrenergen Systems zu einer Kaskade von Stressreaktionen im Körper. Neurohumorale und metabolische Veränderungen sowie die Freisetzung von endogenen Katecholaminen und Kortisol führen u. a. zu einer hyperglykämen Stoffwechsellage, Immunsuppression, Thrombozytenaggregation und zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch durch Hypertonie und Tachykardie [34]. Unzureichend behandelte postoperative Schmerzen können neben den genannten Organkomplikationen chronifizieren, die frühzeitige Mobilisation verzögern und zu verlängerter Krankenhausverweildauer führen [35]. In zahlreichen „Fast-Track“-Konzepten nimmt die adäquate Schmerztherapie eine zentrale Stellung ein [36]. Bei geringen oder mäßigen Schmerzen hat sich die Gabe von Nichtopioidanalgetika (NOPA) wie Metamizol, nichtselektiven nichtsteroidalen Antirheumatika (nsNSAR) oder selektive COX-II-Hemmer zur Basisanalgesie bewährt [37]. Nach größeren Operationen ist die Kombination eines NOPA mit systemischen Opioiden und/oder Regionalanästhesieverfahren indiziert [38].
Die Opioidanalgetika Piritramid und Morphin werden vorzugsweise zur parenteralen Schmerztherapie eingesetzt. Bereits in den 70er Jahren wurden Systeme entwickelt, die es den Patienten möglich machten, sich selbst einen vorgegebenen Bolus eines Opioids bei Bedarf i. v. zu applizieren [39]. Die Vorteile dieser patientenkon-trollierten Systeme (PCIA) zur systemischen Opioidtherapie sind eine höhere Patientenzufriedenheit und eine bessere Analgesie gegenüber dem konventionellen Ansatz [40]. Der Anästhesist ist nicht nur als Schmerztherapeut in der unmittelbaren postoperativen Phase gefragt, seine spezielle Kenntnis über Möglichkeiten der Analgesie befähigt ihn auch bei der Behandlung chronischer Schmerzen tätig zu werden. Hier kommen in speziellen Schmerzambulanzen alle Verfahren im Sinne eines multimodalen Ansatzes auch fachübergreifend zur Anwendung.

Nicht nur die originäre postoperative Nachsorge von Patienten nach operativen Eingriffen wie Beatmungs-, Flüssigkeits- und Ernährungstherapie zur Wiedererlangung und Stabilisierung von Organfunktionen zählt zu den Aufgaben des Anästhesisten. Zunehmend ist er in einem multidisziplinär agierenden Team in die Betreuung von Patienten mit schwersten Erkrankungen mit Organversagen unterschiedlichster Genese eingebunden. Palliative Kompetenz erlangte der Anästhesist durch seine Tätigkeit in der Intensiv- und Schmerztherapie. Sie ist heute als sogenannte 5. Säule Bestandteil der Arbeitsaufgaben in vielen anästhesiologischen Kliniken.

Entwicklungen in der Anästhesiologie
Forschung: In den letzten Jahrzehnten bestimmten, bedingt durch wissenschaftliche Fortschritte in Physiologie und Pharmakologie, vor allem monokausale Ansätze die Grundlagenforschung in der Anästhesie [41]. Der Entwicklung und dem Einsatz moderner bildgebender Verfahren wie funktioneller Magnetresonanz-, Positronen-Emissions-Tomographie und moderner EEG-Techniken ist es u. a. zu verdanken, dass die Erforschung von Wirkmechanismen einer Anästhesie zu einem multimodalen Verständnis führten. Mit Hilfe von Vernetzungen mit den Neuro– und Immunwissenschaften, im Verbund translationaler Forschungsprojekte, sollte es gelingen, das Phänomen „Narkose“ besser erklären zu können. Im Fokus der klinischen Forschung stehen weiterhin neben Entwicklung neuer Therapieformen von akuten und chronischen Schmerzen die Reduzierung unerwünschter Nebeneffekte einer Narkose wie „Awareness“, kognitive Störungen als auch Übelkeit und Erbrechen. Darüber hinaus wird gemeinsam mit den Bereichen Intensiv- und Notfallmedizin forciert an präklinisch und klinisch einsetzbaren therapeutischen Möglichkeiten zur Organprotektion geforscht.

Der technologischen Entwicklung verdanken wir den Einsatz verbesserter organspezifischer Monitoringsysteme, die sowohl perioperative Morbidität und Letalität senken können als auch zu einem verbesserten Outcome der Patienten beitragen.

Perioperatives Management: Das Berufsbild des Anästhesisten ist zurzeit einem Wandel unterworfen. Der früher meist für den Patienten nicht sichtbare, individuell tätige Anästhesist übernimmt zunehmend Aufgaben in den Bereichen Organisation und Koordination perioperativer Prozesse. Schon heute wird der Anästhesist bei entsprechender zusätzlicher Qualifikation häufiger in leitenden Positionen von Qualitäts- und OP-Management eingesetzt. Hier kann er, in einem interdisziplinären Team agierend, einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität in einem Klinikum leisten [41-45].

In diesem Zusammenhang ist auch die sich forsch entwickelnde Aneignung von Kompetenzen in die eigene Durchführung von Diagnostikmodi zu nennen wie z. B. Bronchoskopie (periinterventionell, intensivmedizinisch), Echokardiographie (insbesondere intraoperativ), Sonographie usw.

Fazit

So wie der Operateur in allen Versorgungsbereichen für das Grundleiden zuständig bleibt, sollte der Anästhesist sowohl peri-, intra- als auch postoperativ für die vitalen Funktionen verantwortlich sein [7, 32]. Neben seinen originären Aufgaben im OP-Saal ist der Anästhesist heute schon an zahlreichen Schnittstellen der operativen Versorgung tätig. Er

  • bewahrt den Patienten vor Schmerz und operativem Stress,
  • schafft Voraussetzungen für ein positives operatives Ergebnis,
  • betreut die Patienten im Aufwachraum und auf Intensivstationen,
  • betätigt sich als Schmerztherapeut und Notfallmediziner (und)
  • ist in Kooperation mit anderen Fachdisziplinen zunehmend als Palliativmediziner tätig.


Seine multimodale Funktion mit interdisziplinärem Charakter befähigt ihn darüber hinaus, als Koordinator in verschiedenen Krankenhausbereichen tätig zu werden. Belastbarkeit und Teamfähigkeit verbunden mit Entschlusskraft sollten einen guten Anästhesisten auszeichnen.

Mehr als 60 Jahre nach Einführung des Facharztes für Anästhesiologie hat sich unser interdisziplinär agierendes Fachgebiet zunehmend als anerkannter Partner der operativ tätigen Fächer etabliert.

Literatur bei den Verfassern

Korrespondenzadresse:
PD Dr. C. Schneemilch
Klinik für Anästhesiologie und
Intensivtherapie
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Leipziger Str. 44
39120 Magdeburg
Tel.: 0391 67 13500
Fax: 0391 67 13501
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