
Möhlig A.1
1 Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Salus-Fachklinikum Bernburg
Ein Überblick
Zusammenfassung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung beginnt in der Adoleszenz. Sie erreicht ihren Peak an Symptomatik zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr. Im Zentrum steht eine Störung der Affektregulation. Betroffene leiden unter unerträglichen Anspannungszuständen, die sie z. B. durch Selbstverletzung oder Fremdaggressivität beenden. Ätiologisch geht man heute von einem biopsychosozialen Zusammenwirken von genetischen Faktoren und umweltbezogenen Einflüssen wie z. B. frühe sexuelle Traumatisierung aus. Der Langzeitverlauf ist insgesamt besser als bisher angenommen. Trotzdem sind viele Patienten auch nach Besserung der klinischen Symptomatik kaum sozial integriert. Vier störungsspezifische Psychotherapieverfahren gelten als evidenzbasiert, wobei die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) als Verfahren der ersten Wahl gilt und sich in Deutschland im Wesentlichen durchgesetzt hat. Der Einsatz von Psychopharmaka erfolgt grundsätzlich „off label“, es sei denn, eine komorbid auftretende Störung (z. B. eine depressive Episode) bedarf der medikamentösen Behandlung. Auf polypharmazeutische Ansätze, insbesondere auf den Einsatz von Benzodiazepinen, sollte möglichst verzichtet werden.
Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick zur Epidemiologie, Ätiologie und Psychopathologie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Psychotherapeutische Behandlungskonzepte werden aufgezeigt und die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan näher vorgestellt. Auf der DBT basieren die störungsspezifischen Therapieangebote für Patienten mit einer Borderline-Störung, die das Salus-Fachklinikum Bernburg im ambulanten, tagesklinischen und stationären Setting einsetzt. Daher fließen umfassende Praxiserfahrungen in den Beitrag ein.
Epidemiologie und Verlauf
Die Lebenszeitprävalenz der Borderline-Störung liegt gemäß einer 2010 veröffentlichten Studie bei etwa 3 % (Trull et al. 2010). Im Querschnitt leidet etwa 1 bis 2 % der Bevölkerung darunter (Lieb et al. 2004). Damit ist es eine Erkrankung, die deutlich häufiger auftritt als z. B. die Schizophrenie. Das Geschlechterverhältnis ist in etwa ausgeglichen. Die weit verbreitete Vermutung der weiblichen Geschlechterpräferenz für Borderline-Störungen liegt wohl primär im klinischen Eindruck, da vornehmlich weibliche Patienten psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen.
Nur etwa die Hälfte der Betroffenen sucht psychiatrische Behandlung, obgleich 66 % über Suizidversuche berichten. Die häufigsten Gründe, die zur Konsultation beim Facharzt führen, sind komorbide Störungen, wie Depressionen und Angststörungen.
Alle Daten deuten darauf hin, dass die Borderline-Störung ihren Beginn in der frühen Adoleszenz hat und zu einer Maximierung des dysfunktionalen Verhaltens und Erlebens mit Mitte 20 führt (Winograd et al. 2008). Auch die stationären Behandlungen aufgrund von selbstverletzendem Verhalten zeigen ihren Höhepunkt zwischen 15 und 24 Jahren. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen tritt die Störung häufiger auf, bezogen auf die Lebensspanne seltener. Borderline-Patienten berichten aber oft rückwirkend, dass sie sich bereits im Grundschulalter Selbstverletzungen zugefügt haben.
Die Behandlung von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen fordert die Versorgungsstrukturen und die Sozialversicherungssysteme. Die jährlichen Kosten belaufen sich in Deutschland auf 4 Mrd. Euro, das entspricht 25 % der Gesamtkosten, die für die Diagnostik und Behandlung von psychischen Störungen ausgegeben werden (Bohus et al. 2007). 90 % dieser Kosten entstehen durch die stationäre Behandlung. Die durchschnittliche Liegezeit beträgt derzeit in Deutschland 65 Tage pro Jahr.
In den letzten Jahren haben sich die Daten zum Langzeitverlauf der Borderline-Störungen etwas verdichtet. Die Punktprävalenz nimmt über die Lebensspanne deutlich ab (Winograd et al. 2008), d. h.: Insgesamt ist unter klinischem Gesamtaspekt der Langzeitverlauf deutlich besser als früher immer angenommen. Im Rahmen einer 10-jährigen Katamnese-Studie mit 290 Patienten erreichten 85 % innerhalb von 10 Jahren nach stationärer Behandlung eine Remission, die mindestens 2 Jahre anhält (Zanarini et al. 2015) (Abb. 1). Allerdings zeigen sich bei vielen Borderline-Patienten trotz Remission nach DSM noch erhebliche psychosoziale Defizite. Nur 40 % erreichten einen Wert auf der GAF-Skala (Global Assessment of Functioning Scale) über 60. Der überwiegende Teil dieser Patientinnen und Patienten ist auch nach 10 Jahren ausgesprochen schlecht sozial integriert (Bohus et al. 2008).
Anhand von Risikoanalysen (Zanarini et al. 2003) zeigte sich, dass insbesondere der Alkohol- und Drogenmissbrauch noch vor comorbider PTSD und Depression als Risikofaktor für Chronifizierung gilt. Weitere klinische Prädiktoren für einen eher schlechten Verlauf sind ein sexueller Missbrauch in der Kindheit und eine besonders schwer ausgeprägte Symptomatik (Zanarini et al. 2006; Gunderson et al. 2006). Prognostisch günstig sind daher ein jüngeres Lebensalter, eine Vorgeschichte ohne sexuellen Missbrauch und eine gute berufliche Integration.
Bezüglich der Diagnostik der Borderline-Störungen wird überwiegend das DSM verwendet, seit 2013 die DSM-V. Die Diagnosekriterien haben sich von DSM-IV auf DSM-V nicht verändert. Zur Diagnosestellung müssen 5 von 9 Kriterien sowie die allgemeinen Diagnosekriterien für eine Persönlichkeitsstörung erfüllt sein.
Eine operationalisierte Diagnostik der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist empfehlenswert: Das IPDE (International Personality Disorder Examination) gilt als Instrument der Wahl (Loranger et al. 1998). Es integriert die Kriterien des DSM-IV bzw. DSM-V und der ICD-10. Die Interrater- und Test-Reliabilität sind gut und deutlich höher als bei unstrukturierten klinischen Interviews. Alternativen sind das von Zanarini entwickelte diagnostische Interview für DSM-IV Persönlichkeitsstörungen DIPD oder das SKIDD-II (Structured Interview for DSM-IV Personality) (Zanarini et al; Frankenburg et al. 2001; First et al. 1996). Es gibt mittlerweile auch Instrumente zur Schweregradbestimmung. Empfohlen wird im deutschsprachigen Raum die von Bohus und Mitarbeitern entwickelte Borderline-Symptom-Liste (BSL) als 90 Items Selbstrating Instrument. Das Instrument liegt auch als gut etablierte 23 Items Kurzfassung vor (Bohus et al. 2001, 2007, 2009).

Ätiologie
Das derzeit favorisierte ätiologische Modell geht von einer Wechselwirkung zwischen psychosozialen Variablen und genetischen Faktoren aus (Abb. 2, S. 30). Die neueste derzeit vorliegende Analyse von 5000 Zwillingen findet heraus, dass genetische Faktoren etwa 46 % der Varianz erklären (Distel et al. 2009). An biografisch relevanten psychosozialen Belastungsfaktoren lassen sich sexuelle Gewalterfahrungen, körperliche Gewalterfahrungen und Vernachlässigung identifizieren (Zanarini et al. 2000). Bei der sexuellen Gewalt handelt es sich zum Teil um sehr frühe Erfahrungen und es scheint sich anzudeuten, dass Borderline-Patienten diese Erfahrungen eher im Binnenraum der Familie machen. Strukturelle Läsionen werden vor allem in der Amygdala und im limbischen System beschrieben. Dysfunktionelle Verhaltensmuster verstärken sich selbst und erhalten so die Störung aufrecht.
Psychopathologie
Störung der Affektregulation
Im Zentrum der Borderline-Problematik sehen die meisten wissenschaftlich orientierten Arbeitsgruppen heute eine Störung der Affektregulation (Bohus et al. 2004 b) (Abb. 3). Marsha Linehan geht davon aus, dass eine gestörte Affektregulation die Basis der Borderline-Störung ist. Eher tiefenpsychologisch ausgerichtete Kollegen postulieren eine Störung der sozialen Interaktion, sehen also Beziehungsprobleme als Basis und die Probleme bei der Affektregulation als sekundär bedingt. In jedem Fall gilt: Die Reizschwelle für interne oder externe Ereignisse, die Emotionen hervorrufen, ist niedrig, das Erregungsniveau hoch. Nur verzögert erreicht der Patient wieder das emotionale Ausgangsniveau. Die unterschiedlichen Gefühle werden dann von den Betroffenen oft nicht differenziert wahrgenommen, sondern häufig als äußerst quälende, diffuse Spannungszustände mit Hypalgesie und dissoziativer Symptomatik erlebt.

Das klinische Leitsymptom der Borderline-Störung stellt die erhebliche einschießende Anspannung dar. Die Patienten können diese Anspannung keinem kategorialen Gefühl zuordnen – es ist für sie „zum aus der Haut fahren“ und ein Empfinden „das einen zerreißt“. Grundsätzlich erleben Borderline-Patienten auch im entspannten Zustand eine höhere Anspannung als andere Menschen. Daher ist es wichtig, betroffene Patienten frühzeitig zum Monitoring ihrer eigenen Anspannung zu befähigen. Spannungskurven werden zwischen 0 - 100 % angegeben. Bei 70 % liegt der Punkt, an dem viele den Überblick verlieren: Es entsteht kognitive Einengung. Die Fähigkeit zum differenzierten Denken leidet. Die sozialen Wahrnehmungsprozesse sind eingeengt. Auf diesem Nährboden breiten sich innerer Notstand und Impulsivität aus. Selbstverletzungen oder auch Fremdaggressivität, Alkohol- und Drogenkonsum, Wutausbrüche, Essanfälle mit Erbrechen dienen dazu, die starken Emotionen zu regulieren. Auch Suizidphantasien können einen Notausgang darstellen, um der schwierigen Situation durch suizidale Imagination zu entkommen. Irgendwann läuft diese wie automatisiert ab; initial haben sich die Patienten in diese Phantasien hineingeträumt, später produziert das Gehirn unweigerlich Suizidgedanken.
Borderline-Patienten kommen oft aus einem Milieu, in dem sie gelernt haben: Um Zuwendung zu bekommen, muss man richtig „wilde Dinge“ machen. Ob riskanter Sex, Wutanfälle, Suizidversuche oder Selbstverletzungen – unabhängig von der Erscheinungsform handelt es sich dann um automatisiertes, gelerntes Verhalten – kurzfristig selbstverstärkend, langfristig zerstörend für alle Beziehungen. Es führt die Patienten ins psychiatrische Versorgungssystem.
Die meisten Patienten setzen die Selbstschädigung ein, um Spannungszustände zu reduzieren. Ebenso gibt es Patienten, bei denen die Selbstverletzung eine Euphorisierung auslöst. Sie schneiden sich häufig ausgesprochen oberflächlich, zum Teil täglich und neigen insgesamt zum Hochrisikoverhalten. Dahinter steht nicht das Bestreben, sich ernsthaft zu schädigen oder gar umzubringen. Vielmehr stellt es einen „Lebensversuch“ dar, denn unter Hochrisikoverhalten nehmen sie sich selbst besonders wahr.
Die häufig ausgeprägten dissoziativen Phänomene sind oft nicht mehr an konkrete Auslöser gekoppelt, sondern generalisiert. Die Schwelle zum Auftreten dieser dissoziativen Phänomene sinkt dabei von Mal zu Mal. Die mangelhafte Wahrnehmung der eigenen Emotionen, Verzerrungen des Raum-Zeit-Gefühls, ein ausgeprägtes Gefühl von Fremdheit und vor allem der Verlust der Kontrolle über die Realität charakterisieren diese Phase. Hinzu kommen häufig Flashbacks, sich aufdrängendes Wiedererleben traumatischer Ereignisse, die zwar kognitiv der Vergangenheit zugeordnet werden, emotional jedoch als real erlebt werden.
Störung der Identität
Viele Borderline-Patienten kennen Empfindungen der „inneren Leere“ und das Gefühl, „nicht dazuzugehören“. Oft haben sie schon seit der Kindheit den Eindruck, dass zwischen ihnen und der Welt ein unüberwindbarer Riss verläuft. Diese emotionale Einsamkeit führt häufig zu „Homesickness“, einer Art Heimweh, die sich als tiefgreifende Sehnsucht nach Heimat bei den Anderen umschreiben lässt. Selbst Borderline-Patienten mit hoher Compliance, denen es familiär und beruflich wieder relativ gut geht, empfinden auch nach Jahren der Behandlung eine Distanz zwischen sich und der Welt. Sie sagen, dass die Einsamkeit bleibt.
Beim Betrachten des eigenen Körpers erleben viele Patienten Gefühle von Scham, Schuld und Ekel und zwar unabhängig davon, ob sie missbraucht wurden oder nicht. Sie können sich daher nicht vorstellen, von einem Partner begehrt zu werden. Borderline-Patientinnen denken mitunter auch, dass ihr Partner nicht normal sein könne, jemanden wie sie zu begehren.
Störung der sozialen Interaktion
Borderline-Patienten ringen in einer Gruppensituation schnell darum, wer von ihnen der größte Versager ist. Ihr Gefühl der Ausgeschlossenheit korrespondiert oft mit einem Verhalten, als wären sie tatsächlich schon ausgeschlossen. Es besteht eine hohe Sensitivität gegenüber sozialer Zurückweisung. Viele Patienten gehen mit einem Überangebot an Vertrauen und Zuwendung in normale soziale Situationen. Da die damit verbundenen Erwartungen aber nie erfüllt werden können, ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Auf die als Vertrauensbruch erlebte Situation reagieren Betroffene häufig mit Feindseligkeit (Bohus et al. 2013).
Hat man eine Borderline-Patientin zum Beispiel mit viel Mühe in eine Arbeitsstelle vermittelt, ist erst einmal alles super. Tolle Kollegen, spannender Job, Überstunden kein Problem. Nach zwei Wochen kündigt sie dann plötzlich, weil nun „alle doof“ sind. Was ist passiert? Nach der besonderen Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuwendung, mit der die neue Kollegin initial willkommen geheißen wurde, hat sich das System wieder auf seine Normaltemperatur reguliert. Borderline-Patienten nehmen dies als Zurückweisung wahr und reagieren feindselig.
Komorbiditäten
46 % der Borderline-Betroffenen erleben depressive Episoden, häufig treten Angsterkrankungen auf. Diese Komorbiditäten sind vielfach der Grund dafür, dass die Patienten nicht in die ambulante Behandlung kommen. Auch Essstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, ADHS, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit können die Borderline-Persönlichkeitsstörungen begleiten.
Im Vergleich zur Normalpopulation geben diese Patienten signifikant häufiger aktuelle Erfahrungen mit körperlicher Gewalt, sexueller Gewalt und Gewalt bei der Arbeit an. Hinzu kommt oftmals eine Vielzahl von Problemen, die weitgehend außerhalb des medizinischen Versorgungsbereichs auftreten. Dazu gehören zum Beispiel finanzielle Schwierigkeiten, Obdachlosigkeit oder Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt. Aufgrund von Scham wird dem behandelnden Arzt über das soziale Elend oft nicht berichtet.
Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Aktuell liegen vier störungsspezifische Behandlungskonzepte vor (Übersicht siehe Bohus und Krüger 2001; Döring et al. 2011; Stoffers et al. 2012). Die Dialektisch Behaviorale Therapie nach Marsha M. Linehan (DBT), das Mentalization Based Treatment nach Batman und Fonagy, die Schematherapie für Borderline-Persönlichkeitsstörungen nach Young und die übertragungs-fokussierte Therapie (TFP) nach Kernberg. Mit der DBT hat sich in Deutschland ein Therapieverfahren durchgesetzt, das einen hohen Evidenzgrad aufweist. So konnte von 4 unabhängigen Arbeitsgruppen in mittlerweile 12 randomisierten, kontrollierten Therapiestudien die Wirksamkeit der DBT gezeigt werden (Übersicht in Bohus et al. 2011; Döring et al. 2011; Stoffers et al. 2012). Zudem liegt eine kontrollierte, nicht randomisierte Studie aus Deutschland vor, welche den Wirksamkeitsnachweis eines 3-monatigen stationären DBT-Behandlungskonzeptes erbringt (Bohus et al. 2004).
In der metaanalytischen Betrachtung von Therapieeffekten zeigten sich gesicherte moderate bis starke Effekte bezüglich der Reduktion von Ärger, Impulsivität, Suizidalität und parasuizidalem Verhalten sowie eine Verbesserung des generellen Funktionsniveaus (Stoffers et al. 2012). Daneben gibt es auch zahlreiche spezifische, DBT-basierte Anpassungen für die häufigsten Komorbiditäten der Borderline-Störung und für unterschiedliche Behandlungssettings. Diese stehen z. B. für Essstörungen, PTBS, Drogen- und Alkoholabusus sowie – bezogen auf die Settings – für adoleszente und forensische Patienten zur Verfügung (siehe z. B. Bohus et al. 2013). In einer aktuelleren Studie konnten Marsha M. Linehan und Kollegen zeigen, dass das DBT-Skillstraining einer Standard-DBT-Therapie bezüglich der Reduktion von Suizidversuchen und selbstverletzendem Verhalten nicht unterlegen war. Dies unterstreicht die Bedeutung des Fertigkeitentrainings (Linehan et al. 2015).
Die vier genannten störungsspezifischen Therapieverfahren haben Gemeinsamkeiten: Grundvoraussetzung für die Durchführung ist eine operationalisierte Eingangsdiagnostik, die dem Patienten offen gelegt wird. Therapieformen, deren Diagnostik sich im interaktionellen klinischen Prozess entwickelt, gelten heute als obsolet.
Zeitlicher Rahmen
Die Dauer der jeweiligen Therapieform ist unterschiedlich, oft auch durch Forschungsdesigns bestimmt. Es hat sich aber durchgesetzt, dass bereits zu Beginn der Therapie zeitlich klare Limitationen zu vereinbaren und auch einzuhalten sind.
Therapievereinbarung
Allen Therapieformen gemeinsam sind klare Regeln und Vereinbarungen bezüglich des Umgangs mit Suizidalität, Kriseninterventionen und Störungen der therapeutischen Rahmenbedingungen. Deshalb werden zu Beginn sogenannte Therapieverträge vereinbart.
Hierarchisierung des therapeutischen Vorgehens
Sei es explizit vereinbart oder implizit im therapeutischen Kontext verankert, verfügen alle störungsspezifischen Verfahren zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörungen über eine Hierarchisierung des Behandlungsvorgehens. Suizidales Verhalten oder drängende Suizidideen werden stets vorrangig behandelt. Verhaltensmuster oder Ideen, welche die Therapie gefährden, den Therapeuten oder die Mitpatienten stark belasten, gelten ebenfalls als vordringlich. Das Prinzip der dynamischen Hierarchisierung wurde erstmals von Marsha M. Linehan formuliert. Es hat sich heute generell durchgesetzt. Die Wahl des Behandlungsvorgehens orientiert sich an den jeweiligen momentanen Gegebenheiten, die der Patient mitbringt. Diese werden im Rahmen vorgegebener Heurismen organisiert und strukturiert.
Multimodaler Ansatz
Die meisten Verfahren kombinieren verschiedene therapeutische Module in der Gruppe, Einzeltherapie und Pharmakotherapie sowie insbesondere Telefonberatung zur Krisenintervention.
Standard Dialektisch Behaviorale Therapie(DBT)
(Linehan et a. 1993; Bohus und Wolf et al. 2009)
M. Linehan, eine amerikanische Psychologie-Professorin der University of Washington in Seattle, entwickelte Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die sogenannte Dialektisch Behaviorale Therapie, ein Verfahren zur ambulanten Behandlung von chronisch suizidalen Frauen. Dieses komplexe Therapieverfahren ist überwiegend verhaltenstherapeutisch orientiert, integriert allerdings auch Elemente aus dem Psychodrama, dem Zen-Buddhismus und der Tiefenpsychologie. Es besteht zum einen aus einem Fertigkeitentraining (Skillstraining). Es ist aufgebaut wie eine Schuldoppelstunde und vermittelt den Patienten neue Fertigkeiten. Idealerweise findet die Skillsgruppe wöchentlich statt, während die Patienten in den Tagen dazwischen die mitgegebenen Hausaufgaben erarbeiten. Das Skillstraining ist nach der Überarbeitung durch die deutsche Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Bohus, (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Universität Mannheim/Heidelberg) in fünf Module unterteilt (zur Erläuterung: Ursprünglich waren es nach Marsha Linehan vier Module, das Modul „Selbstwert“ wurde ergänzt).
Im Rahmen des Moduls „Stresstoleranz“ werden Fertigkeiten zum Umgang mit Anspannung, Selbstverletzung und Suizidalität vermittelt. Dabei geht es insbesondere um die Wahrnehmung von Frühwarnsymptomen und die Entwicklung von Alternativstrategien, um Selbstverletzungen oder Suizidalität zu verhindern.
Im Modul „Zwischenmenschliche Fertigkeiten“ erwerben die Patienten Techniken für die bessere Gestaltung und Bewertung sozialer Situationen. Es wird aufgezeigt, wie man eigene Ziele selbstachtungsvoll und zugleich mit Gespür für die Beziehung zu anderen Menschen erreichen kann.
Das Modul „Umgang mit Gefühlen“ klärt psychoedukativ über die Bedeutung und Entstehung von Gefühlen auf. Handlungsalternativen werden angeboten, wenn ein Patient in ein sogenanntes „altes Gefühl“ gerät, welches aus frühen, evtl. traumatisierenden Lebenssituationen stammt.
Das Modul „Selbstwert“ lehrt die Patienten Strategien zur Selbstakzeptanz und zum freundlicheren Umgang mit sich selbst.
Im Mittelpunkt des Moduls „Achtsamkeit“ steht das Wahrnehmen von Anspannung und Gefühlen als Grundvoraussetzung für jeden Veränderungsprozess.
Begleitet wird dieses Skillstraining, dessen fünf Module idealerweise zweimal durchlaufen werden sollten, von einer wöchentlich stattfindenden Einzeltherapie (Abb. 4, 5). Aufgabe des Einzeltherapeuten ist es, das im Skillstraining Gelernte mit dem Leben des Patienten zu verbinden sowie in Notfallsituationen zum Telefoncoaching zur Verfügung zu stehen. Marsha Linehan sah es als notwendig an, dass Borderline-Therapeuten eine kontinuierliche Supervision erhalten.
Am Salus-Fachklinikum Bernburg gibt es seit 2014 ein spezialisiertes ambulantes Behandlungsangebot gemäß der Dialektisch Behavioralen Therapie nach Marsha Linehan, das in der
psychiatrischen Institutsambulanz angesiedelt ist. Schwerkranke Borderline-Patienten werden hier sowohl in eine ambulante Skillsgruppe integriert als auch mit psychologischen Einzelgesprächen und fachärztlichen Konsultationen versorgt. Weiterhin können sie in Krisensituation auf das Telefoncoaching mit ihrem Einzeltherapeuten zurückgreifen. Auch im stationären Bereich wurde das Behandlungsangebot für Borderline-Störungen DBT-basierend ausgebaut. Im stationären Setting nehmen diese Patienten nach einer Diagnostikphase zweimal wöchentlich an der Skillsgruppe teil. Dort wird vor allem das Modul Stresstoleranz bearbeitet. Ziel ist es, Fertigkeiten für den Umgang mit Suizidalität und Selbstverletzung zu vermitteln, um diese reduzieren zu können und ambulante Behandlungsfähigkeit zu erreichen. Begleitend gibt es therapeutische Einzelgespräche und ein Coaching für Krisensituationen. Außerdem nehmen die Patienten am emotionalen und sozialen Kompetenztraining teil. Es handelt sich dabei um zwei Trainingseinheiten, die im Wesentlichen den DBT-Modu-len „Umgang mit Gefühlen“ und „zwischenmenschliche Fertigkeiten“ entsprechen. Patienten, deren Borderline-Störung mit einer komorbiden posttraumatischen Belastungsstörung einher geht, werden zusätzlich in eine psychoedukativ orientierte Traumagruppe integriert.
Pharmakotherapie
Fast alle Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen werden medikamentös behandelt (Übersicht in Lieb et al. 2004; Stoffers et al. 2010; Stoffers und Lieb 2015; Bridler et al. 2015). Eine Verordnung kann ggf. sinnvoll und notwendig sein zur Behandlung komorbider Erkrankungen wie z. B. einer depressiven Episode. Für die Kernsymptomatik der Borderline-Störung gibt es kein zugelassenes Psychopharmakon. Die Medikamente zeichnen sich vielmehr durch eine mehr oder weniger charakteristische Wirksamkeit in bestimmten Bereichen der Psychopathologie aus. Während in Deutschland eine zeitlich begrenzte Medikation in Einzelfällen als sinnvolle Unterstützung gilt, wird die Evidenzlage in anderen Ländern viel kritischer eingeschätzt und der Einsatz von Medikamenten bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen grundsätzlich nicht empfohlen. Eine Pharmakotherapie lässt sich im Einzelfall aber durchaus rechtfertigen. In mehreren Placebo-kontrollierten Studien zeigten sich Wirksamkeitsnachweise, insbesondere für die Stimmungsstabilisierer Lamotrigin, Valproinsäure und Topiramat sowie für das Antipsychotikum der zweiten Generation Aripiprazol (Stoffers et al. 2010; Lieb et al. 2010). Unter Olanzapin zeigte sich in jüngsten Studien ein leichter Anstieg der Suizidalität. Wenn man dies zusammen mit der häufigen Gewichtszunahme und Gefahr eines metabolischen Syndroms betrachtet, kann es nicht mehr empfohlen werden (Stoffers et al. 2010). Quetiapin wird sehr häufig verordnet, führt aber zu Müdigkeit, Appetitssteigerung und häufig zum Therapieabbruch (Block et al. 2014; Bridler et al. 2015). Für die vielfach eingesetzten SSRIs ließen sich im Rahmen der publizierten Studien keine signifikanten Effekte nachweisen, es sei denn, sie dienten der Behandlung einer komorbiden Depression oder Angsterkrankung. SSRIs verschlechtern die Schlafqualität und können Alpträume triggern.
Für die Wirksamkeit der oft praktizierten Polypharmakotherapie gibt es bisher keine Evidenz. Benzodiazepine bergen bei Borderline-Patienten ein erhebliches Suchtpotenzial, so dass deren Einsatz auf wenige, gut begründete Einzelfälle und eine kurzzeitige Gabe zu beschränken ist. Wenn überhaupt, sollten sedierende Substanzen möglichst zeitlich begrenzt und nur in der Anfangsphase verordnet werden.
Literatur bei der Verfasserin
Korrespondenzanschrift:
Dr. med. Antje Möhlig
Fachärztin für Psychiatrie und
Psychotherapie, Fachärztin für Neurologie
Ärztliche Direktorin des
Salus-Fachklinikums Bernburg
Chefärztin der Klinik für Allgemeine
Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik
Fachklinikum Bernburg
SALUS gGmbH
Olga-Benario-Straße 16-18
06406 Bernburg
Abbildungen: Fachklinikum Bernburg