
Büntjen L., Voges J.
Universitätsklinik für Stereotaktische Neurochirurgie Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R., Magdeburg
1. Einleitung
Neuropathische Schmerzen stellen eine klassische interdisziplinäre Problemstellung dar. Während der Großteil der betroffenen Patienten in hausärztlichen und neurologischen Praxen vorstellig und letztlich auch dort versorgt wird, findet nur ein geringer Anteil den Weg in eine spezialisierte Einrichtung zur Evaluation und Therapie. Jedoch erreichen selbst unter optimaler medikamentöser Therapie 40 - 60 % der Patienten kein befriedigendes Therapieergebnis [6]. Somit kommt den Primär- und Sekundärbehandlern eine Schlüsselfunktion bei der Koordination spezialisierter Behandlungsangebote zu. Die Kenntnis neuromodulativer Verfahren erweitert die Beratungs- und Handlungsoptionen in der Betreuung chronischer Schmerzpatienten.
2. Epidemiologie
Die Prävalenz neuropathischer Schmerzen wurde vor 20 Jahren auf ca. 1 % der in der hausärztlichen Versorgung vorstelligen Patienten geschätzt [2]. Neuere britische Untersuchungen gehen von einer Prävalenz von bis zu 8 % aus [35]. In spezialisierten Schmerzkliniken leiden ca. 27 % der Patienten unter Schmerzen mit neuropathischem Charakter [3]. Im Vergleich unterschiedlicher chronischer Schmerzformen weisen Patienten mit neuropathischen Schmerzen eine deutlich höhere Schmerzintensität auf, als solche mit chronisch nozizeptiv induzierten Schmerzen. Diese Beobachtung geht mit einer höheren Anzahl und größeren Menge konsumierter Analgetika einher [32].
3. Definition „neuropathischer Schmerz“
Neuropathische Schmerzen sind die direkte Folge einer Schädigung somatosensorischer Nervenstrukturen im peripheren oder zentralen Nervensystem. Die Diagnosestellung ist nicht immer offensichtlich, sodass ein Graduierungssystem zwischen sicheren, möglichen, wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen neuropathischen Schmerzen unterscheidet [36].
4. Diagnosestellung „neuropathischer Schmerz“
Die Diagnose stützt sich auf anamnestische Angaben einer Nervenverletzung oder -läsion, die typischen somatosensorischen Symptome und Befunde im betroffenen Areal und den Nachweis einer relevanten Schädigung oder Erkrankung des peripheren oder zen-tralen somatosensorischen Systems [43]. Nozizeptive Schmerzen als mittelbare Folge der neurologischen Ausfälle (muskuloskelettale Schmerzen vor allem im Kontext von Fehlbelastung oder Spastik) sollten durch geeignete Untersuchungen und vertiefte Anamnese aufgedeckt und ausgeschlossen werden. Typische Minussymptome (Hypästhesie, Hypalgesie) sind häufig gepaart mit brennendem Dauerschmerz, allodynen Hautarealen und einschießenden Schmerzattacken. Die Klassifikation der Negativ- (L0 = keine, L1 = thermische Hypästhesie, L2 = mechanische Hypästhesie, L3 = Kombination aus L1 und L2) und Positivsymptomen (G0 = keine, G1 = thermische Hyperalgesie/Allodynie, G2 = mechanische Hyperalgesie/Allodynie, G3 = Kombination aus 1 und 2) hat zunächst einmal einen rein deskriptiven Charakter. Ob und inwieweit eine Relevanz in Bezug auf die Ätiologie oder das therapeutische Vorgehen besteht, müssen klinische Studien erst noch unter Beweis stellen [1].
Klassische Beispiele für neuropathische Krankheitsbilder sind Zustände nach mechanischen Nervenläsionen (posttraumatische Neuralgie), Schmerzen nach Amputationen (es gilt den neuropathischen Stumpfschmerz vom Phantomschmerz zu differenzieren), Plexusschädigungen, die Trigeminusneuralgie, postzosterische Schmerzen, das komplex regionale Schmerzsyndrom Typ 1 und Typ 2 (ohne und mit Nachweis einer Nervenschädigung) sowie Schmerzen in Zusammenhang mit einer Polyneuropathie. Für alle genannten Ätiologien existieren neuromodulative Behandlungsoptionen.
Die zentralen Schmerzsyndrome stellen eine Sondergruppe innerhalb des neuropathischen Formenkreises dar. Man unterscheidet zerebrale Schädigungsmuster, z. B. den Thalamusschmerz (central post stroke pain) von spinalen Pathologien (cord central pain). Letztere beruhen auf heterogenen Erkrankungen, wie dem traumatischen Querschnittssyndrom, spinalen Ischämien oder einer Syringomyelie. Spinale Demyelinisierungen im Rahmen einer Multiplen Sklerose sind möglicherweise die häufigste Ursache für zentral bedingte neuropathische Schmerzen [22].
Unter optimalem Einsatz der medikamentösen Mittel erreichen 40 - 60 % der Patienten keine befriedigende Schmerzlinderung [6]. Die AWMF-Leitlinie zur Pharmakologischen Therapie neuropathischer Schmerzen benennt eine Schmerzreduktion von 30 - 50 % unter konservativer Therapie als realistisches Therapieziel [42]. Dabei ist der Nutzen dieser Mittel nicht ohne Nebenwirkungen zu haben. So kann der Einsatz von Antiepileptika Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme, Schwindel und Ödeme hervorrufen. Der Langzeiteinsatz dieser Präparate kann Osteoporose induzieren [30, 41]. Das ist insofern bedenkenswert, als es sich für viele Patienten in der Folge um eine lebenslange Therapie handelt.
Der Langzeiteinsatz von Opioiden bei Nichttumorschmerzen wurde mehrfach in den letzten Jahren Gegenstand kritischer Diskussionen im Deutschen Ärzteblatt [11, 29, 39].
Komplementär zu den medikamentösen Therapien stellen die neuromodulativen Verfahren seit Ende der 60er Jahre für viele Patienten eine wertvolle Komplettierung des therapeutischen Angebotes dar. Sie werden von den meisten Therapeuten nachrangig eingesetzt, da sie wenig bekannt sind und kleinere Operationen beinhalten. Die wesentlichen Vorteile der Neuromodulation liegen in der guten Verträglichkeit der Therapie bei fehlenden Interaktionen mit medikamentösen Therapien.
5. Epidurale Rückenmarksstimulation
Die epidurale Rückenmarksstimulation ist ein minimalinvasives, streng lokal wirksames und nicht zuletzt reversibles schmerztherapeutisches Verfahren, welches in den 60er Jahren entwickelt wurde. Die klassische epidurale Rückenmarksstimulation induziert Parästhesien im Sinne eines angenehmen Kribbelns oder leichten Stromflusses. Die Qualität dieser Parästhesien spricht für die Rekrutierung von Aß-Fasern in den Hintersträngen des Rückenmarkes. Deren antidrome Transmission führt zur Modulation sogenannter Wide-dynamic-range Neurone in der Rexed Zone V der Hinterhörner. Diese WDR-Neurone sind auch an der Schmerzweiterleitung beteiligt. Im Sinne der Gate-Control-Theorie stören die eintreffenden Signale der schnell leitenden Aß-Fasern die Übermittlung von Schmerzinformationen via langsam leitenden C- und Aδ-Fasern. Weitere zentrale Mechanismen der Schmerzhemmung, wie Aktivierung des periaquäduktalen Grau und damit der deszendierenden Schmerzhemmung, werden diskutiert [33].
5.1 Operative Technik
Moderne Systeme zur epiduralen Rückenmarksstimulation bestehen aus komplett implantierbaren Komponenten für die dauerhafte Therapie und externen Hardwareanteilen zur Durchführung von Teststimulationen vor der Permanentimplantation. Die Stimulation wird von einem Impulsgeber gesteuert und erfolgt über Elektroden, welche epidural, d. h. nur durch die Dura vom Rückenmark getrennt, platziert werden. Derzeit besteht große Variabilität bei der Auswahl sowohl der Elektroden (Plattenelektroden mit großer Auflagefläche, Stabelektroden mit kurzem oder verlängertem Elektrodenabstand, Hybridelektroden) als auch der Impulsgeber, sodass es möglich ist, ein System zu wählen, welches dem individuellen Patientenbedürfnis möglichst nahe kommt.
Die Anlage der Elektroden erfolgt entweder percutan (Abb. 1) im Rahmen eines Wacheingriffes mit intraoperativer klinischer Testung zur optimalen Platzierung der Kontakte (Abb. 3) oder mittels Laminotomie zur Einbringung einer Plattenelektrode mit größerer und stabilerer Auflagefläche in Intubationsnarkose.
Grundsätzlich wird empfohlen, zunächst eine mehrtägige, teils mehrwöchige Testphase vorzunehmen. Hierzu wird die implantierte Elektrode an einen externen Impulsgeber angeschlossen. Der Patient und Arzt werden somit in die Lage versetzt, unterschiedliche Stimulationsparameter zu testen und sich unter Alltagsbedingungen einen Eindruck von der Wirksamkeit des Systems zu machen. Es ist möglich, an den Therapie- einen Auslassversuch anzuschließen. Moderne Stimulationsverfahren erlauben zunehmend parästhesiefreie Stimulation (Burst, HF) und damit die Verblindung des Patienten. Wird der vorab mit dem Patienten vereinbarte Zielwert auf der visuellen Analogskala erreicht, so kann die Indikation zur Permanentimplantation gestellt werden. Realistisch sind bei enger Indikationsstellung Schmerzreduktionen um die 50 %, wobei sich im Einzelfall deutliche Abweichungen ergeben können und auch komplette Schmerzausschaltungen beobachtet werden. Sollte der Patient keine relevante Verbesserung erfahren, wird die Testelektrode entfernt.
5.2 Risiken
Es handelt sich um eine wenig invasive Technik. Die Komplikationen sind überwiegend auf Hardwareverschleiß zurückzuführen. In der Literatur werden Infektionsraten von 3,7 bis 11 % angegeben. Dieser Wert wird im eigenen, in der Universitätsklinik Magdeburg behandelten Patientenkollektiv deutlich unterschritten (< 1 %). Neurologische Komplikationen werden in 0,9 % der Fälle gesehen (eigenes Patientenkollektiv 0 %). Häufiger finden sich material- und technikassoziierte Probleme wie Elektrodenmigrationen (11 - 34 %), Elektrodenbrüche (0,8 - 13,4 %) [37]. Sowohl die Ankertechnik (Fixierung der Elektrode), als auch die Elektrodenkonstruktionen wurden in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert, was sich günstig auf die Häufigkeit des Auftretens der oben geschilderten Probleme auswirkt. Bei einigen Patienten (5 - 13 %) lässt trotz erfolgreicher Teststimulation der Therapieeffekt im Laufe der Jahre nach [37].
6. Wichtige Indikationen6.1 CRPS
Das komplex regionale Schmerzsyndrom (CRPS) (Abb. 2) ist ein neuropathischer Schmerzzustand, charakterisiert durch sensorische, vasomotorische, sudomotorische sowie motorische und trophische Symptome. Diese Symptome können einzeln oder in Kombination auftreten und im Verlauf der Erkrankung wechseln. Ausgangspunkt der Krankheit sind in der Regel ein Extremitätentrauma oder eine Operation.
In einer randomisierten Studie [13] wurden 24 Patienten mit epiduraler Rückenmarksstimulation (SCS für Spinal Cord Stimulation) und Physiotherapie behandelt. Die Kontrollgruppe von 20 Patienten erhielt Physiotherapie. Die Implantation eines Impulsgebers erfolgte nur nach erfolgreicher Teststimulation. In der SCS-Gruppe erhielten 20 Patienten einen Impulsgeber nach der Testphase. In dieser Gruppe wurde nach 6 Monaten eine Verbesserung von wenigstens 50 % auf der visuellen Analogskala nachgewiesen. Entsprechende Verbesserungen zeigten sich in einem globalen Effekt („much improved“) sowie in den Messungen zur Lebensqualität. In einer Nachuntersuchung nach 24 Monaten wurde das Fortbestehen des initialen therapeutischen Effektes im Langzeitverlauf dokumentiert [14]. Einige Arbeitsgruppen wiesen eine Reduktion der Behandlungskosten durch frühzeitige neuromodulative Therapie nach [15]. Des Weiteren wirkt sich die Rückenmarksstimulation hinsichtlich der Prävention einer Chronifizierung günstig aus, sodass CRPS-Patienten rechtzeitig, d. h. nicht erst in einem hochgradig chronifizierten Zustand in der funktionellen Neurochirurgie vorgestellt werden sollten [26].
6.2 FBSSDer Begriff des Failed Back Surgery Syndroms ist in Expertenkreisen aufgrund seiner geringen Spezifität umstritten. Er bezeichnet eine Patientengruppe, die nach einer Wirbelsäulenoperation nicht beschwerdefrei geworden ist. Aus Sicht des funktionellen Neurochirurgen ist das FBSS charakterisiert durch ein entsprechendes lumbales bzw. radikuläres Beschwerdebild ohne Nachweis der Kompression entsprechender nervaler Strukturen (Ausschluss Bandscheibenvorfall, Neuroforamenstenose, Spinalkanalstenose).
Die epidurale Rückenmarksstimulation ist ein etabliertes Therapieverfahren für diese Patientengruppe. Die EVIDENCE-Studie [21] verglich bei persistierenden Schmerzen nach Bandscheibenoperation die Wirksamkeit der Re-Operation mit der epiduralen Rückenmarksstimulation. Dazu wurden 50 Patienten mit radikulärem Schmerzbild in eine der beiden Gruppen randomisiert. Nach 6 Monaten konnten Patienten die Gruppe wechseln und sich für eine SCS, respektive eine Re-Operation ent-schließen. Während 54 % der Reoperierten eine Rückenmarksstimulation wünschten, entschlossen sich lediglich 18 % der SCS-Patienten zu einer erneuten Wirbelsäulenoperation. Eine signifikant höhere Schmerzreduktion (p = 0.0149) wurde in der SCS-Gruppe erzielt. Gleichzeitig konnte der Opiatverbrauch gesenkt werden. Die Datensammlung erfolgte durch einen unbeteiligten Dritten, da eine Verblindung methodenbedingt nicht möglich war.
Eine weitere kontrollierte randomisierte Multicenterstudie [16] rekrutierte 100 Patienten mit überwiegendem Beinschmerz, die auf die Studienarme „conventional medical treatment“ und SCS verteilt wurden. Nach 6 Monaten Therapie erhielten die Patienten die Möglichkeit, den Studienarm zu wechseln. In der SCS-Gruppe entschieden sich 10 % der Patienten für einen Wechsel in den medikamentösen Therapiearm. Gleichzeitig wechselten 73 % der medikamentös Behandelten in den SCS-Arm. Das primäre Therapieziel einer 50 %igen Schmerzreduktion erreichten 48 % in der SCS-Gruppe und nur 9 % in der medikamentös behandelten Gruppe. In einer 2-Jahres-Nachuntersuchung waren schmerzlindernde Wirkungen im Bein und Funktionalität weiterhin signifikant gebessert [16].
Die Analyse zur Kosteneffizienz [20] dokumentierte den ökonomischen Vorteil der SCS gegenüber der Re-Operation insbesondere dann, wenn Letztere durch die SCS vermieden werden konnte. Bei SCS-Versagern ging die Re-Operation mit höheren Kosten einher, während der Therapieerfolg ungewiss war.
Mit dem pathophysiologischen Verständnis des Rückenschmerzes als „mixed pain“ [7] der einen neuropathischen Anteil beinhaltet, ist eine kritisch durchgeführte Teststimulation unbedingt erforderlich.
6.3 Neuropathischer Schmerz (ohne weitere Zuordnung)
Generell können Patienten mit allen Formen neuropathischer Schmerzen von der Rückenmarksstimulation profitieren. Lediglich für Neuropathien im Gesichts- und Mundbereich stehen spezielle neuromodulative Techniken der peripheren Nervenstimulation im Vordergrund. Aufgrund der heterogenen Patientengruppe liegen jedoch randomisierte Studien nur für die Diagnose „diabetische Neuropathie“ vor [31]. Von den 36 randomisiert behandelten Patienten erfuhren die Patienten im SCS-Behandlungsarm in 59 % eine über 50 %ige Besserung gegenüber 7 % in der Best-medical-Treatment-Gruppe. 2 Patienten konnten unter der Rückenmarksstimulation auf medikamentöse Schmerztherapie verzichten. Ergebnisse nicht-kontrolliert durchgeführter Studien unterstützen die Indikation [5, 24, 25, 34].
6.3.1 Spinale Schmerzen bei kompletten Querschnittssyndromen (Cord Central Pain)
Dieses Krankheitsbild gilt als wenig responsiv im Langzeitverlauf. Jedoch müssen Schmerzen im Übergangsbereich der Deafferentierung von solchen distal des Querschnittsniveaus differenziert werden, da bei Ersteren eine Restsensibilität und somit die Zielstruktur für die Stimulation erhalten sein kann. Typischerweise werden solche Patienten mit einer Plattenelektrode evaluiert. Schwer refraktäre Fälle können unter Umständen von einer Motorcortexstimulation oder einer Tiefen Hirnstimulation profitieren. Da die Datenlage sich auf Einzelfallberichte beschränkt, sollten in solchen Konstellationen die konservativen Maßnahmen sowie neuromodulative Ansätze geringerer Invasivität entsprechend eines Eskalationsschemas getestet worden sein, bevor invasivere Verfahren zum Einsatz gelangen.
6.3.2 Central post stroke pain (“Thalamusschmerz”)
Die Prävalenz eines zentralen Schmerzsyndroms nach Schlaganfall beträgt 11 % [27], unter den jungen Schlaganfallspatienten (unter 50 Lbs.) 5,9 % [10]. Zwischen Insult und Auftreten des Schmerzes liegt eine zeitliche Latenz von ca. 3 - 6 Monaten.
Der Begriff „Thalamusschmerz“ ist kritisch zu hinterfragen, da entsprechende Schmerzsyndrome nicht ausschließlich nach thalamischen Insulten auftreten, sondern auch bei capsulären und anderweitigen zentralen Läsionen beobachtet wurden. Für den englischen Terminus „central post stroke pain“ gibt es keine etablierte Übersetzung. Der Begriff „zerebraler Postinsult-Schmerz“ beschreibt die Ätiologie treffend.
Die klinische Symptomatik ist vielgestaltig. Neben spontanen (Dysästhesie) können auch evozierte und paroxysmale Schmerzen auftreten. Evozierte Schmerzen werden teils durch nozizeptive (Hyperalgesie), teils durch nicht nozizeptive Reize (Allodynie) ausgelöst. Minussymptome im Sinne einer Hypästhesie/Anästhesie können damit assoziiert sein. Der sogenannter Pain Detect Score, der zur Differenzierung neu-ropathischer von nozizeptiven Schmerzen entwickelt wurde, hat sich bei der Detektion cerebraler zentraler Schmerzen nicht bewährt [10].
Die medikamentösen Therapieansätze entsprechen weitestgehend der üblichen Vorgehensweise bei neuropathischen Schmerzen mit Klasse II Evidenz für Amitriptylin als Prophylaxe, Klasse I Evidenz für Lamotrigin als moderat effektivere Therapie sowie fehlender Evidenz für die Wirksamkeit von Gabapentin, Phenytoin, Zonisamid, Topiramat, Morphin und Tramadol.
Bei eingeschränktem Ansprechen eines zentral bedingten Schmerzes kann entsprechend der Therapieeskalation ein neuromodulatorisches Verfahren zum Einsatz kommen. Die zerebrale Läsion schließt eine spinale Teststimulation bei erhaltener Restsensibilität nicht aus. Tiefe Hirnstimulation und Motor-Kortex-Stimulation können im Sinne eines Off Label Versuches ebenfalls getestet werden. Auch wenn Ergebnisse aus kontrollierten, randomisierten Studien fehlen, rechtfertigen positive Ergebnisse aus kleineren Fallserien diese Vorgehensweise [18].
6.4 Trigeminusneuropathie
Die Trigeminusneuropathie ist ein seltenes Krankheitsbild im Rahmen einer bleibenden Schädigung des N. trigeminus (z. B. Tumor bedingt), die im Unterschied zur Trigeminusneuralgie nicht von einer vaskulären Dekompression nach Janetta profitiert. Klinisch imponiert ein Brennschmerz, häufig einhergehend mit einer Hypästhesie im Rahmen einer Deafferentierung. Möglich ist eine neuromodulative Behandlung durch dauerhafte Stimulation der Endäste des N. trigeminus oder des Ggl. trigeminale.
7. Neue Techniken der Neuromodulation
In der Vergangenheit war die schmerzmodulierende Wirkung der SCS untrennbar an die Wahrnehmung einer SCS-induzierten Parästhesie im Schmerzareal gekoppelt. Diese Voraussetzung verhinderte die Durchführung doppelt verblindeter Studien. Seit einigen Jahren gibt es ernsthafte Bestrebungen seitens der Hersteller, Parästhesie freie Stimulationsparadigmen zu entwickeln. Nennenswert sind in diesem Zusammenhang 3 neue technische Entwicklungen.
Burst Stimulation
2010 veröffentlichte De Ridder [4] ein neues Stimulationsparadigma, welches im Unterschied zur herkömmlichen tonischen Stimulation kurze Salven elektrischer Impulse appliziert. Die Methode beruht auf der Erkenntnis, dass solche Salven eine geringere zeitliche Integration benötigen, um das neuronale Schwellenpotential zu überschreiten. Möglicherweise werden derart Neurone aktiviert, die unter einer tonischen Stimulation nicht ansprechen. Erste klinische Ergebnisse einer doppelt verblindeten Studie [28] sind vielversprechend. Der neue Modus scheint bei Rückenschmerzen und schmerzhafter diabetischer Poly-neuropathie zu einer zusätzlichen Schmerzreduktion zu führen [5]. Eigene erste Erfahrungen bei neuropathischen Stumpfschmerzen und FBSS, Clusterkopfschmerz und CRPS sind vielversprechend. Eine weitere Multicenterstudie (Prodigy I) hat die Rekrutierungsphase abgeschlossen.
Hochfrequenz Stimulation
Eine prospektive multizentrische Studie beschreibt die Anwendung einer Hochfrequenz-Stimulation (10 kHz) bei 72 Patienten mit Rücken- und Beinschmerzen [38]. Sowohl Rücken- als auch Beinschmerzen waren deutlich (VAS 8.2 für Rückenschmerz auf VAS 2.7) gebessert. Die Implantation des SCS-Systems erfolgt, ein Novum in der Rückenmarksstimulation, ohne intra- oder postoperative Testung der Parästhesieausbreitung. Kapural et al. [12] berichten ähnlich gute Behandlungsergebnisse im Vergleich von Parästhesie basierter- mit Hochfrequenzstimulation bei 198 randomisierten Patienten. 84 % der Patienten gaben eine signifikante Besserung der Rückenschmerzen an. 35,5 % konnten die Opioid-Medikation reduzieren. Trotz der guten Ergebnisse bleibt unklar, warum grundsätzlich 2 Elektroden verwendet werden statt einer, und aus welchem Grund man auf eine tonische Teststimulation zur Lagekontrolle verzichtet.
Eine Placebo-kontrollierte Doppelblind-Studie [23] konnte keinen Unterschied zwischen einer 5kHzHochfrequenz- und einer Placebostimulation nachweisen, so dass die Datenlage derzeit uneinheitlich ist und die Hochfrequenzstimulation nicht uneingeschränkt empfohlen werden kann.
Dorsale Wurzelganglion Stimulation (DRG-Dorsal Root Ganglion)
Diese Technik ermöglicht die selektive Stimulation eines Dermatoms, da die Elektrode unmittelbar auf dem sensorischen Ganglion platziert wird (Abb. 4). Die benötigten Stromintensitäten liegen teils unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. [17]. Wegen der umschriebenen Stimulation eignen sich Schmerzzustände nach Leistenhernien-Operation aber auch Phantomschmerzen [7] besonders für das Verfahren. Das berichtete Ausmaß der Schmerzlinderung liegt im Bereich der für konventionelle SCS bekannten Werte.
MRT kompatible SCS
Dieses System sollte bei Erkrankungen eingesetzt werden, die absehbar wiederholt durch MRT kontrolliert werden müssen. Die Verwendung neuer Stimulationsformen ist damit zunehmend möglich. In unserem Behandlungskollektiv findet sich eine Patientin mit Deafferentierungsschmerz nach spinaler Kavernomblutung (Abb. 5) und weiteren zerebralen Kavernomen. In diesem Fall stand eine individualisierte Indikationsstellung im Vordergrund und der Stimulationsmodus war nachrangig. Bei zwingender MR-Indikation kann ein Austausch älterer Systemkomponenten erwogen werden.
Wiederaufladbare Impulsgeber
Derzeit werden wiederaufladbare Impulsgeber mit variablen Laufzeiten angeboten (8 bis 25 Jahre). Wenngleich keine generellen Empfehlungen ausgesprochen werden können, ist aufgrund eines möglichen Wirkverlustes bei Erstimplantation zunächst der Einsatz eines Batterie-betriebenen Systems sinnvoll. Leider sind in manchen Fällen Stimulationsformen (z. B. Hochfrequenzstimulation) aufgrund des erhöhten Stromverbrauches an wiederaufladbare Impulsgeber gebunden.
Unabhängige Stromquellen
Die ausgereifte Hardware ermöglicht durch getrennte Stromquellen für die einzelnen Elektrodenkontakte eine hochselektive Stimulation im Bereich des Rückenmarkes. Die Programmierung der Parästhesieausbreitung kann mit Hilfe moderner Software teilweise vom Patienten selbst gesteuert werden. Die derart erzeugten Parästhesien werden von vielen Patienten als angenehm empfunden.
Multiple Stimulationsformen
Einige Geräte unterstützen unterschiedliche Stimulationsformen (tonisch, Burst, HF). Möglicherweise entwickelt eine Untergruppe von Patienten Gewöhnungsphänomene, die durch den Wechsel des Stimulationsmodus verhindert werden können.
Synopsis
Die Neuromodulation ist für die Behandlung neuropathischer Schmerzsyndrome eine wichtige Therapieoption [44]. Es handelt sich um ein seit vielen Jahren erprobtes wenig invasives, reversibles Verfahren. Die kritische Indikationsstellung zur dauerhaften Therapie basiert in der Regel auf einer positiv abgeschlossenen Testphase. Neuromodulation ergänzt das konservative Therapieregime für neuropathische Schmerzen und kann zur Verringerung des Analgetikaverbrauches beitragen. Die Verbesserung der Schmerzsituation kann ein therapeutisches Fenster für eine sich daran anschließende multimodale Schmerztherapie öffnen.
Technische Neuerungen wie MRT-Kompatibilität und parästhesiearme Stimulation erfordern eine individuelle Beratung der Patienten in Hinblick auf die Implantatwahl. Letztere sollte daher in spezialisierten Zentren erfolgen.
Die komplexe Versorgung zentraler Schmerzsyndrome mit Motorkortex- oder Tiefer Hirnstimulation stellen für schwer refraktäre Patienten eine sinnvolle Behandlungsoption dar und sollte in akademischen Einrichtungen erfolgen.
Tab. 1: Indikationen für eine neuromodulative Schmerzbehandlung/Teststimulation
Morbus Sudeck (CRPS I und II)
Deafferentierungsschmerzen nach Nervenläsion
Schmerzhafte Polyneuropathie
Postzosterische Neuralgien (Harke et al. 2002)
Phantomschmerz
Stumpfschmerz
inkompletter Querschnitt mit Deafferentierungsschmerz
Neuropathischer Schmerz bei Multipler Sklerose
Plexusläsionen
Restless legs Syndrom im Rahmen einer Polyneuropathie
Occipitalisneuralgie, Trigeminusneuropathie
Thalamusschmerz, Post-insult-Schmerz
Tab. 2: Techniken der Neuromodulation zur Behandlung neuropathischer Schmerzen
Epidurale Rückenmarksstimulation (Spinal Cord Stimulation = SCS)
Periphere Nervenstimulation (PNS) (z. B. N. occipitalis)
Dorsale Wurzelganglion Stimulation (Dorsal root ganglion = DRG)
Subkutane Feldstimulation (SFS)
Motor-Kortex-Stimulation (MCS)
Tiefe Hirnstimulation (THS)
Literatur beim Verfasser
Korrespondenzanschrift:
Dr. Lars Büntjen
Universitätsklinik für Stereotaktische Neurochirurgie
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R. Leipziger Straße 44
39120 Magdeburg
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