Dr. H.-G. Damert (Foto: Helios Bördeklinik)
Dr. H.-G. Damert (Foto: Helios Bördeklinik)

Ursachen, Symptome, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten

Damert, H.-G.1; Kober, M.1; Schack, S.1; Bahsoun, A.1
1    Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie, Helios Bördeklinik, Neindorf/Oschersleben

Einleitung

Das Lipödem ist weder eine seltene noch eine neue Erkrankung. Man geht davon aus, dass etwa 10 % der europäischen Frauen davon betroffen sind (1). In der medizinischen Literatur wurde es erstmals 1940 durch Allen und Hines erwähnt (2, 3), die ersten bildlichen Hinweise kann man beispielsweise im Tempel des Pharaos Hatshepsut in Deir el Bahri vermuten. Bis zum heutigen Tage ist die Ursache der Erkrankung nicht eindeutig bekannt. Charakteristisch ist neben einer Unterhautfettgewebsvermehrung an Armen und/oder Beinen eine Neigung zu Blutergüssen ohne Trauma sowie Druck-, Berührungs- und Spannungsschmerzen. Auffällig ist eine Disproportion zwischen Ober- und Unterkörper mit einem schlankeren Oberkörper, da der Rumpf von der Fettgewebsvermehrung nicht betroffen ist (4, 5). Diese Merkmale stellen neben Verlauf und Erkrankungsbeginn die wesentlichen Diagnosekriterien dar und lassen das Lipödem zu anderen Erkrankungen wie Adipositas, Lymphödem und schmerzhafter Lipodystrophie abgrenzen. Eine Adipositas kann mit einem Lipödem vergesellschaftet sein und die Beschwerden verstärken (6, 7).

Derzeit ist es für Betroffene bis zur Diagnose des Lipödems oft ein weiter Weg, da das Lipödem in der ärztlichen Ausbildung noch zu kurz kommt und es wenige lymphologisch versierte Kollegen gibt. Die Betroffenen erfüllen zwar auf den ersten Blick die Kriterien einer Adipositas, aber nicht jeder mit „dicken Beinen“ ist einfach nur übergewichtig. Aber auch nicht jedes dickere Bein ist ein Lipödem! Erschwerend kommt hinzu, dass es derzeit noch keine objektiven Diagnosekriterien für das Lipödem gibt. Dieser Artikel kann nur eine Kurzübersicht über den derzeitigen Stand der Diagnose, Differentialdiagnosen und Therapie des Lipödems geben.

In der Zukunft werden zu dem Thema noch weitere Veröffentlichungen und wissenschaftliche Untersuchungen erwartet. Gespannt darf man auch darauf sein, was die vom G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) initiierte Erprobungsstudie für Ergebnisse bezüglich der Wirtschaftlichkeit und des medizinischen Nutzens der operativen Therapie liefert.


Ätiologie

Die Ursache ist bis heute nicht eindeutig geklärt, jedoch lässt das Auftreten einer familiären Häufung eine erbliche Komponente vermuten. Weiterhin steht der Erkrankungsbeginn oft mit hormonellen Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft und Menopause im Zusammenhang, so dass auch ein Zusammenhang mit Östrogenen als Ursache in Frage kommen kann. Auch nach gynäkologischen Operationen (Entfernung der Gebärmutter, Eierstöcke, Eileiter etc.) kann es zum Auftreten oder zu einer Stadienverschlechterung eines Lipödems kommen (6-9).
 

Typische Symptome/Diagnose


Wie bereits oben angeführt, existieren derzeit keine objektiven Diagnosekriterien, so dass man eher von typischen Charakteristika eines Lipödems spricht (4, 5). Hierzu zählen:

  • Disproportionale Fettgewebsvermehrung an den Beinen (und/oder Armen)
  • Symmetrisches Auftreten, Hände und Füße werden ausgespart
  • Schweregefühl und/oder Schmerzhaftigkeit der betroffenen Extremitäten sowie Druckschmerz
  • Hämatomneigung
  • Ödeme (meist im Tagesverlauf zunehmend)
  • Stemmer-Zeichen (Hautfalte über der zweiten und dritten Zehe ist verbreitert, verdickt und schwer oder überhaupt nicht abhebbar) negativ


Zur Verlaufskontrolle des Lipödems werden weitere Parameter wie Gewicht, Body-Mass-Index (BMI), die „WaistHip-Ratio“ (WHR), die „Waist-Height-Ratio“ (WTR) sowie Umfangsmessungen der Extremitäten empfohlen. Volumenmessungen der Extremitäten sind ebenfalls empfehlenswert, allerdings sehr aufwendig und in der Praxis nur eingeschränkt umzusetzen.  

Um das Lipödem von anderen Erkrankungen zu unterscheiden, kann eine apparative Diagnostik zum Beispiel durch Sonografie, CT, MRT sowie die Lymphografie hilfreich sein. Da deren Rolle in der Diagnostik noch nicht ausreichend erforscht ist, werden diese Methoden aktuell noch nicht als Standarddiagnostikum verwendet (10–12).


Differentialdiagnosen


Differentialdiagnostisch kommen sowohl Fettverteilungsstörungen als auch weitere Erkrankungen der Lymphbahnen sowie phlebologische Ursachen in Frage. Die Autoren empfehlen im Rahmen der Diagnosestellung die Vorstellung bei einem Lymphologen/Angiologen. Tabelle 1 zeigt weitere typische Merkmale zur Abgrenzung eines Lipödems sowie Differentialdiagnosen inklusive Therapieoptionen, wie sie derzeit im aktuellen Stand der S1-Leitlinie „Lipödem“ zu finden sind.

Tabelle 1: Weitere Differentialdiagnosen inklusive Therapieoptionen (mod. nach Miller 2014) (13–15). Die apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) ist dabei jeweils ergänzend zur manuellen Lymphdrainage (MLD) einzusetzen, niemals als deren Ersatz.
Tabelle 1: Weitere Differentialdiagnosen inklusive Therapieoptionen (mod. nach Miller 2014) (13–15). Die apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK) ist dabei jeweils ergänzend zur manuellen Lymphdrainage (MLD) einzusetzen, niemals als deren Ersatz.

Tabelle 2: Stadien des Lipödems
Tabelle 2: Stadien des Lipödems


Stadien


Derzeit werden beim Lipödem 3 Stadien (s. Tabelle 2; Abb. 1a-c) unterschieden. Eine Progression zum Lipödem mit sekundärem Lymphödem kann in jedem Stadium stattfinden. Dies kann von Komorbiditäten (z. B. Adipositas, Folgen der Inaktivität) abhängig sein.


Behandlungsmöglichkeiten

Konservativ:
Die Therapie des Lipödems verfolgt zum einen das Ziel, die Beschwerden wie Schmerzen und Hämatomneigung sowie Ödeme und Disproportionen zu verbessern, zum anderen Komplikationen (z. B. Mazerationen, Infektionen, Erysipele, Lymphödem, Gangbildstörungen, Achsenfehlstellungen) zu verhindern. Allerdings müssen in der Therapie auch „Begleiterscheinungen“ des Lipödems bedacht und ggf. behandelt werden. Hierzu zählen u. a. die psychische Belastung durch die Erkrankung, möglicherweise eine begleitende Adipositas, Essstörungen, körperliche Schmerzen, orthopädische und andere Erkrankungen. Da eine kausale Therapie nicht bekannt ist, erfolgen die symptomatisch wirksamen Maßnahmen individualisiert (16, 17). Als derzeitige Standardtherapie gilt die kombinierte physikalische Entstauungstherapie (KPE) zur Ödem- und Schmerzreduktion. Sie gliedert sich in:

  • Manuelle Lymphdrainage
  • Kompressionstherapie
  • Bewegungstherapie, Hautpflege.


Die KPE muss konsequent und entsprechend des Ausprägungsgrades und der Beschwerden durchgeführt werden. Insbesondere die Kompressionstherapie sollte nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig erfolgen. Auf die Notwendigkeit müssen die Patienten hingewiesen werden. Durch Umfangsmessungen können der Erfolg der Therapie und der Verlauf dokumentiert werden. Eine Reduzierung des krankhaft vermehrten Fettgewebes mit Beseitigung der Disproportion ist allerdings durch die KPE nicht zu erreichen.

 Abb. 1 a-c: Stadien des Lipödems (Fotos: Helios Bördeklinik)
Abb. 1 a-c: Stadien des Lipödems (Fotos: Helios Bördeklinik)
Abb. 2 a-c: Achsengerechte, Wasserstrahl-assistierte Liposuction bei Lipödem Stadium II (Fotos: Helios Bördeklinik)
Abb. 2 a-c: Achsengerechte, Wasserstrahl-assistierte Liposuction bei Lipödem Stadium II (Fotos: Helios Bördeklinik)
Abb. 3 a-d: Lipödem Stad. II präoperativ (a, b) und gleiche Patientin postoperativ (c, d) (Fotos: a, b: Helios Bördeklinik; c, d: Patientin)
Abb. 3 a-d: Lipödem Stad. II präoperativ (a, b) und gleiche Patientin postoperativ (c, d) (Fotos: a, b: Helios Bördeklinik; c, d: Patientin)


Operativ:  

Bei der operativen Therapie wird das krankhafte Fettgewebe mittels Fettabsaugung (Liposuction) entfernt. Nach der S1-Leitlinie Lipödem (15, 18) ist sie insbesondere „dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestehen bzw. wenn eine Progredienz von Befund (Unterhautfettvolumen) und/oder Beschwerden (Schmerzen/Ödeme) auftritt“. Allerdings ist dies in der Praxis nicht so einfach umzusetzen, da bisher für die meisten Patienten von den Krankenkassen keine operative Therapie übernommen wurde.

Der heutige Standard für das Lipödem ist die Liposuction mit Tumeszenzlösung („wet technique“) und stumpfen Kanülen (17, 19–22). Um die Lymphgefäße zu schonen, sollte „achsengerecht“, also parallel zu den Lymphbahnen in Längsrichtung abgesaugt werden (23–27). Die bei der ästhetischen Liposuction durchgeführte „criss-cross-technique“, bei der fächerförmig über zwei gegenüberliegende Areale abgesaugt wird, sollte vermieden werden. Als „unterstützende Techniken“ werden Vibration oder Wasserstrahl empfohlen, wobei aktuell bei der Wasserstrahl-assistierten Technik ein Vorteil bezüglich des Lipödems beschrieben wird (17, 19–21, 21, 24). Je nach Ausprägung der Fettmenge und Stadium des Lipödems (s. Tabelle 2) können mehrere Eingriffe notwendig sein. Das Absaugen einzelner Areale soll keinen Vorteil für das postoperative Ergebnis haben, vielmehr wird beim Lipödem die zirkuläre Liposuction empfohlen.

Eine ausgeprägte Adipositas sollte vor einer Liposuction ggf. auch durch eine Anbindung an ein Adipositaszentrum behandelt werden. Die Liposuction ist kein Ersatz für eine gesunde Lebensweise oder eine anderweitige Gewichtsreduktion! Zu den abzusaugenden Fettmengen pro Eingriff gibt es in der Literatur unterschiedliche Angaben. Gerade beim Lipödem sind Fettmengen von mehr als 5000 ml keine Seltenheit. Derzeit werden nicht mehr als ca. 8-10 % des Körpergewichtes als maximale Fettmenge empfohlen (15, 18, 19). Die Eingriffe sollten dann aber nicht ambulant, sondern stationär mit der Möglichkeit der Überwachung durchgeführt werden. Im Entwurf des G-BA zur Behandlung des Lipödems Grad III mittels Liposuction findet sich unter §5 (5) folgende Angabe (28): „Mehr als 3000 ml reinen Fettgewebes pro Eingriff dürfen nur dann abgesaugt werden, wenn die postoperative Nachbeobachtung über mindestens 12 Stunden sichergestellt ist. Das maximale Fettvolumen, das pro Sitzung entfernt werden kann, beträgt 8 % des Körpergewichtes in Litern.“

Wir führen die Liposuction beim Lipödem in der Regel stationär (bei großen Fettvolumina) und in Vollnarkose durch (Abb. 2 a-c). Bei der Wasserstrahl-assistierten Technik verwenden wir lediglich Kochsalz und Adrenalin und verzichten auf das Lokalanästhetikum. Postoperativ erfolgt noch am OP-Tag die erste Lymphdrainage und danach die elastische Wicklung. Am Folgetag wird nach erneuter Lymphdrainage die Kompressionsbekleidung angelegt. Diese wird dann für 6 Wochen konsequent getragen. Sport und andere körperliche Aktivitäten können je nach Befinden des Patienten wiederaufgenommen werden. Ab dem 8. postoperativen Tag können die Fäden entfernt werden. Zusätzlich zur Kompressionstherapie sollten weiterhin regelmäßige Lymphdrainagen erfolgen. Fast ausnahmslos berichten die Patientinnen im Rahmen der Nachkontrollen über eine schnelle Besserung der typischen Beschwerden nach Liposuction, selbst wenn nur erst ein Teil des Fettes (z. B. Beinvorderseite) abgesaugt wurde. Nachuntersuchungsergebnisse, insbesondere Langzeitergebnisse, sollen dann nach Abschluss einer standardisierten Nachuntersuchung vorliegen und entsprechend publiziert werden.


Diskussion


Das Lipödem betrifft fast ausschließlich Frauen und gilt als chronische und meist progrediente Erkrankung überwiegend der unteren, aber auch der oberen Extremitäten. Bei Durchsicht der Literatur finden sich allerdings unterschiedliche Ansichten bezüglich der Progredienz der Erkrankung.

Das Lipödem als Erkrankung ist einem großen Teil der Ärzteschaft immer noch weitgehend unbekannt. Möglicherweise ist dies ein Grund, weshalb viele Betroffene nicht selten einen jahre- oder jahrzentelangen Leidensweg hinter sich haben, bis die korrekte Diagnose gestellt und die geeignete Therapie eingeleitet wird. Diese sollte zunächst durch die Kombinierte Physikalische Entstauungstherapie (KPE) erfolgen. Weiterhin sollte die Diagnose gesichert sein und Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden. Aus Erfahrung der Autoren liegt in den meisten Fällen eine begleitende/vorbestehende Adipositas vor, welche ebenfalls mitbehandelt werden sollte. Die normalgewichtigen Patientinnen mit einem Lipödem, insbesondere der Stadien II-III sind in unserem Patientengut eher die Ausnahme. Bezüglich der Kompressionstherapie spielt die Compliance der Patientinnen eine große Rolle. Das Tragen der Kompressionswäsche in den kühleren Monaten ist sicher kein Problem, insbesondere in den warmen Monaten sorgt das Tragen dieser nicht unbedingt für Behagen. Eine hohe Zufriedenheit nach Fettabsaugung zeigt sich nach unserer Erfahrung bereits in den frühen klinischen Nachkontrollen. Derzeit werden noch größere Datenmengen für eine objektivere Auswertung gesammelt. Die Langzeitergebnisse werden dann zeigen, ob auch auf Dauer die Liposuction der konservativen Therapie überlegen ist. Bestätigt sich die Vermutung allerdings, eine korrekte Indikationsstellung vorausgesetzt, relativieren sich nach Ansicht der Autoren auch die Kosten für die operative Behandlung, im Vergleich zur jahrelangen KPE. Gegebenenfalls ist sogar mit einer Kosteneinsparung zu rechnen. Vorausgesetzt, das Tragen der Kompressionswäsche und die hohe Frequenz der Lymphdrainagen können nach Liposuction reduziert werden. Die jahrelange kontinuierliche konservative Behandlung kostet die Krankenkasse nicht selten mehr als 20 000 € pro Jahr.

Das Jahr 2020 wird also auch bezüglich des Lipödems spannend. Für die Zukunft wären objektivierbare Untersuchungsparameter wünschenswert, welche die klinische Diagnose bestätigen könnten. Versuche mittels Bildgebung (z. B. Sonografie) werden beschrieben, sind aber noch nicht etabliert. Weiterhin fehlen uns noch Kenntnisse über die eigentlichen Ursachen und der damit möglicherweise verbundene Ansatz der Therapie, z. B. medikamentös? Bisher muss man sich allerdings weiterhin auf die symptomatische Behandlung, sei es konservativ oder operativ, beschränken. Wichtig bleibt – den Patientinnen möglichst auf Dauer eine Linderung, oder besser, Heilung zu ermöglichen.

In speziellen Lipödemsprechstunden finden für betroffene Patientinnen eingehende Untersuchungen und Beratungen statt. Dies schließt die Selektion der Patientinnen genauso ein, wie die Beratung über mögliche Therapieoptionen und die Beantragung einer Kostenübernahme (29) durch die Krankenkasse.


Ergänzende Kostenbetrachtungen und Literaturverzeichnis

Die Kosten für die KPE können erheblich sein, werden in der Regel aber durch die Krankenkasse übernommen. Beispielhaft haben wir im Folgenden eine Kostenaufstellung für die KPE einer Patientin mit einem Lipödem (Stad. III) und sekundärem Lymphödem aufgeführt, welche bisher keine Kostenzusage für eine Liposuction erhalten hat (Tabelle 4). Geht man bei der 48jährigen Patientin davon aus, dass die Therapie bis an ihr Lebensende erfolgen muss, ist eine 6-stellige Summe für die Behandlungskosten zu erwarten. Eine operative Therapie mit mehreren Sitzungen hingegen hätte voraussichtlich nicht mehr als die Kosten eines Jahres betragen.

Kostenaufstellung für die konventionelle Behandlung eines Lipödems mit sekundärem Lymphödem pro Jahr (Quelle: Patient)
Kostenaufstellung für die konventionelle Behandlung eines Lipödems mit sekundärem Lymphödem pro Jahr (Quelle: Patient)




Aktueller Stand bezüglich der Kostenübernahme durch die Krankenkassen

Im April 2018 befand das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az: B 1 KR 10/17 R), dass eine Liposuktion bei Lipödem keine Kassenleistung ist, weil die dauerhafte Wirksamkeit der Methode noch nicht ausreichend nachgewiesen wurde. Das bedeutet, dass es keine Kostenerstattungspflicht gibt und ein Rechtsanspruch auf Kostenübernahme nicht mehr durchsetzbar ist. Alle zurzeit laufenden Widerspruchs- oder Klageverfahren, bei denen keine Genehmigungsfiktion eingetreten ist, werden scheitern. Die einzige Möglichkeit einer Kostenübernahme bestand deshalb bisher aus einer seltenen positiven Einzelfallentscheidung oder einer Genehmigungsfiktion (Genehmigung des Antrages aufgrund von Nichtreagieren der Krankenkasse).

Dann gab es einen „Vorstoß“ vom derzeitigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, welcher die Lipsouction bei Lipödem als Kassenleistung durchsetzen möchte. Ab 2020 soll es nun möglich sein, bei Lipödem Stadium III die operative Behandlung mittels Liposuction zu Lasten der Krankenkassen durchführen zu lassen. Dies ist im Sinne der Patientinnen sehr zu begrüßen. Die entsprechenden Voraussetzungen zur Diagnosestellung sowie zur Qualitätssicherung sind hierzu bereits festgelegt. So müssen auch die Operateure entsprechende Voraussetzungen erfüllen, um die Operation von der Kasse vergütet zu bekommen (s. u.).

Weiterhin soll eine sogenannte „Erprobungsstudie“ aufgelegt werden, welche den Nutzen der Liposuction beim Lipödem untersuchen soll, insbesondere im Vergleich zur alleinigen nicht-operativen Behandlung (Methodenbewertung). Dies hat der G-BA im Januar 2018 beschlossen (www.erprobungliposuktion.de). Teilnehmen können Patientinnen, „die das 18. Lebensjahr vollendet haben, bei denen ein Lipödem der Beine im Stadium I, II oder III diagnostiziert wurde und eine konservative Behandlung die Beschwerden nicht ausreichend lindert.“ Ausschlussgründe sind jedoch u.a. eine Adipositas. Damit würden nach unseren Erfahrungen aus diesem Patientenklientel nur sehr wenige Patientinnen in Frage kommen.  

Liposuction ist ab 2020 befristete Kassenleistung bei Lipödem im Stadium III

Der G-BA hat in seiner Sitzung am 19. September 2019 folgende Richtlinie zur Qualitätssicherung bei Verfahren der Liposuction bei Lipödem im Stadium III beschlossen. Die neue Regelung kann ab Januar 2020 erstmals Anwendung finden und ist zunächst bis zum 31. Dezember 2024 befristet.

  • Es muss eine gesicherte Diagnose des Lipödems im Stadium III vorliegen.
  • Die Liposuction kann sowohl nach § 108 SGB V von zugelassenen Krankenhäusern als auch von Vertragsärzten („Kassenärzten“) ambulant oder stationär durchgeführt werden.
  • Die Liposuction soll als Tumeszenz-Liposuction unter Verwendung von Wasserstrahlassistierten Systemen oder von Vibrationskanülen erfolgen.
  • Eine Liposuctionsbehandlung kann mehrere aufeinanderfolgende Teileingriffe umfassen.
  • Für eine Diagnose des Lipödems im Stadium III müssen alle folgenden Kriterien erfüllt sein:
    a)    Disproportionale Fettgewebsvermehrung (Extremitäten-Stamm) mit großlappig überhängenden Gewebeanteilen von Haut und Subkutis.
    b)    Fehlende Betroffenheit von Händen und Füßen.
    c)    Druck- oder Berührungsschmerz im Weichteilgewebe der betroffenen Extremitäten.
  • Vor einer Operation des Lipödems im Stadium III muss über einen Zeitraum von sechs Monaten eine konservative Therapie kontinuierlich durchgeführt worden sein. Wenn trotz der konservativen Therapie keine Linderung der Beschwerden eintritt, kann die Durchführung einer Liposuctionsbehandlung verordnet werden.
  • Bei Patientinnen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 35 kg/m² findet eine Behandlung der Adipositas statt. Ab einem BMI von 40 kg/m² soll keine Liposuction durchgeführt werden.


Zudem wurden Maßnahmen zur Qualitätssicherung definiert:

  • Die Indikationsstellung und die Durchführung der Methode erfolgt durch Fachärztinnen und Fachärzte für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie sowie andere operativ tätige Facharztgruppen (z.B. Dermatologen).
  • Vor erstmaligem erbringen müssen die behandelnden Ärzte und Ärztinnen folgende Erfahrungen nachweisen können:
    a)    Selbstständige Durchführung der Liposuction bei Lipödem in 50 oder mehr Fällen bereits vor Inkrafttreten des Beschlusses.
    b)    Durchführung der Liposuction bei Lipödem in 20 oder mehr Fällen innerhalb von zwei Jahren unter Anleitung eines bereits erfahrenen Anwenders im Falle der Neuanwendung.  
  • Vor dem ersten Eingriff ist eine übergreifende Operationsplanung (unter anderem Zahl der Einzeleingriffe, geplantes abzusaugendes Fettvolumen, zu behandelnde Areale etc.)   vorzunehmen.  
  • Das maximale Fettvolumen, das pro Sitzung entfernt werden kann, beträgt 8% des Körpergewichtes in Litern. Mehr als 3.000 ml reinen Fettgewebes pro Eingriff dürfen nur dann abgesaugt werden, wenn die postoperative Nachbeobachtung über mindestens 12 Stunden sichergestellt ist.


Diese Richtlinie muss innerhalb von zwei Monaten vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft werden. Sofern es keine Beanstandungen gibt, werden die Beschlüsse im Bundesanzeiger veröffentlicht und treten am Tag danach in Kraft. Zudem muss der Bewertungsausschuss den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erstellen.  Am 07.12.2019 ist der Beschluss dann veröffentlicht worden.


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