als Instrument zur Fehlervermeidung und damit zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Behandlung
Bereits in den späten 90er-Jahren gab es in einigen Fachgebieten, insbesondere in der Anästhesie, Bestrebungen, zu einer offenen flexiblen Fehlerkultur überzugehen. Da jedoch einerseits im Rahmen von haftungsrechtlichen Konsequenzen große Schwierigkeiten befürchtet wurden, andererseits aber diesbezüglich in der Luftfahrt mit anonymen und sanktionsfreien Meldungen gute Erfahrungen vorlagen, wurde ein auf den Gesundheitsbereich adaptiertes webbasiertes „Critical Incident Reporting System“ (CIRS) entwickelt.
Das Sicherheitskonzept von CIRS wurde maßgeblich von dem englischen Psychologen James Reason (1990) geprägt. Reason untersuchte die Unglücksberichte von Katastrophen wie Bhopal, Challenger, King’s Cross, Tschernobyl und Zeebrugge und schlug eine Unterscheidung zwischen aktivem und latentem Versagen vor. Im Gesundheitswesen unterscheidet Reason bei der Untersuchung von Fehlern in Personen- und System-Ansatz. Seine Forschungen wurden als Schweizer-Käse-Modell (engl. Swiss cheese model) bekannt.
Die Einführung eines Fehlermeldesystems im Gesundheitswesen wurde durch das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch ab 2014 festgelegt. Berichtssysteme über kritische Vorkommnisse werden vom Gesetzgeber im Gesundheitswesen Fehlermeldesysteme genannt (§ 137 SGB V), Krankenhäuser müssen einen Beauftragten für das Risikomanagement vorhalten sowie ein Beschwerdemanagement für Patienten einrichten.
Bereits seit 2005 gibt es eine, bis zum 30.06.2020 von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer bereitgestellte und vom Ärztlichen Zentrum für Qualitätssicherung begleitete, frei zugängliche Internetplattform CIRSMEDICAL: https://www.cirsmedical.de/ auf der medizinisches Personal berufsgruppenübergreifend aus allen Sektoren des deutschen Gesundheitswesens Fehler, Beinahe-Schäden, kritische oder auch unerwünschte Ereignisse veröffentlicht und zur Diskussion stellt. Seit dem 1. Juli 2020 wird CIRSMEDICAL durch die Bundesärztekammer beim ÄZQ fortgeführt. Die in CIRSMEDICAL eingestellten Berichte dürfen keine Daten enthalten, die Rückschlüsse auf die beteiligten Personen oder Institutionen erlauben. Die Übertragung der Daten erfolgt verschlüsselt. Es werden keinerlei personen- oder ortsbezogene Daten gespeichert (wie z. B. IP-Adresse). Die Fallbeschreibungen werden anschließend von Experten diskutiert und kommentiert sowie rechtliche und organisatorische Konsequenzen dargestellt. Es entstand so ein ständig wachsender Fundus an Fehlervermeidungsstrategien, von denen jeder im Gesundheitswesen Tätige profitieren kann. Viele Krankenhausabteilungen sind inzwischen dazu übergegangen, CIRS als Lernplattform im Rahmen der abteilungsinternen Fortbildungen zu nutzen.
Bereits im Juli 2016 sind zusätzlich die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Anforderungen an einrichtungsübergreifende Fehlermeldesysteme von Krankenhäusern als Grundlage für Vergütungszuschläge in Kraft getreten.
Mit dem Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland (KH-CIRS-NETZ-D) liegt ein Berichtssystem speziell für sicherheitsrelevante Ereignisse im Krankenhaus vor, welches dem überregionalen, interprofessionellen und interdisziplinären Lernen dient. Die Träger des Projekts sind das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin, die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. und der Deutsche Pflegerat e. V.: https://www.kh-cirs.de/
Speziell für den hausärztlichen Bereich wurde schon 2004 vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt „Jeder Fehler zählt“ als erstes bundesweites Fehlerberichtssystem einer Fachgruppe entwickelt. Fehler und kritische Ereignisse aus Praxen werden berichtet, damit andere Praxen nicht die gleichen Fehler machen müssen. Je häufiger gemachte Fehler berichtet werden, desto genauer und praktikabler können die Analysen und die daraus abgeleiteten Strategien zur Vermeidung von Fehlern sein: https://www.jeder-fehler-zaehlt.de/
Der Ausschuss Qualitätssicherung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt möchte im „Ärzteblatt Sachsen-Anhalt“ in regelmäßigen Abständen Fallbeispiele aus dem Fundus von CIRSMEDICAL oder JEDER FEHLER ZÄHLT veröffentlichen. Dabei soll versucht werden, Fälle herauszufiltern, die für möglichst viele Kollegen von Interesse sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Fehler können jedem und zu jeder Zeit passieren. Sie passieren ohne Absicht. Oft führen Zeitmangel, Stress, aber auch Unachtsamkeit oder mangelnde Sicherheitsvorkehrungen dazu. Die heutige Zeit mit ihrer Schnelllebigkeit und einem wachsenden Arbeitsaufkommen ist geradezu, vor allem im Gesundheitswesen mit den steigenden Ansprüchen von Gesellschaft, Geschäftsführung, aber auch Patienten, prädestiniert für die Gefahr des Auftretens unerwünschter Ereignisse und deren Ursachen. Die zunehmende Digitalisierung auch im Gesundheitswesen mag uns vielleicht an mancher Stelle hilfreich sein. Die Schwachstelle jedoch bleibt der Mensch.
Zum Glück bleiben viele Fehler ohne Folgen. Sie können aber auch zu ernsten Vorkommnissen, kritischen Ereignissen oder sogenannten Beinahe-Schäden führen.
Das Ziel von CIRS soll nicht sein, einen Schuldigen zu finden und an den Pranger zu stellen. Es soll dazu dienen, in der Analyse Ursachen von Fehlern und Beinahe-Fehlern zu finden und Lösungen zu erarbeiten, Sicherheiten zu schaffen, um diese zu verhindern und damit vor Folgen und Konsequenzen zu schützen. Vielleicht werden sich manche (oder viele) von Ihnen in dem einen oder anderen Fallbeispiel wiederfinden oder etwas ähnliches schon einmal erlebt haben. Dann darf dies einerseits Trost sein, andererseits vor allem aber in der Analyse Wege aufzeigen, diese auch in der eigenen Tätigkeit so oder ähnlich zu integrieren, um zukünftig diese Fehler zu vermeiden.
Zum Auftakt haben wir einen ganz aktuellen Fall herausgesucht: „Ungenügende Kenntnis eines neuen Medikamentes“, welcher sicher alle Bereiche der Patientenversorgung betreffen könnte. Zukünftig möchten wir die Aufmerksamkeit auf jeweils 2 Fälle lenken, welche aus verschiedenen Bereichen gemeldet wurden.
Wir hoffen, damit auch Ihr Interesse geweckt zu haben, vielleicht nicht nur die von uns ausgewählten Fälle zu lesen, sondern auch die jeweiligen Web-Seiten einmal zu besuchen oder vielleicht einen eigenen Fall zu melden. Gern stehen wir für kritische Bemerkungen oder Ihre Fragen auch persönlich zur Verfügung.
Dr. med. Walter Asperger
Vorsitzender Ausschuss Qualitätssicherung
Dr. med. Manuela Wolf
Leiterin Abteilung Qualitätssicherung ÄKSA