Jasmin Dillner Foto: privat
Jasmin Dillner (Foto: privat)

Ätiopathogenese, Diagnostikspektrum, Therapiespezifika, Outcomecharakteristika (#) (+)

Dillner, J. 1); Pech, M. 2); Meyer, F. 1) *); Halloul, Z. 1) *)
1)    Arbeitsbereich Gefäßchirurgie, Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
2)    Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.

(#)    Der Artikel wird Herrn Prof. Winfried Wagemann gewidmet.

(+)    Der Artikel entspricht einer gekürzten und modifizierten Version von: Halloul Z., Dillner J. Gefäßverletzungen (Kapitel 21). In: Zühlke H et al. Septische Gefäßmedizin. Thieme, Stuttgart, 2019 (mit freundlicher Genehmigung der Thieme Gruppe)
*)    Die Autoren sind gleichberechtigte „senior authors“.

Einleitung

Bei Gefäßverletzungen handelt es sich meist um Notfallsituationen mit drohender Ischämie von Organen und/oder Extremitäten bzw. mit lebensbedrohlichem Blutverlust. Sie nehmen in der Gesamtzahl rekonstruktiver Eingriffe jedoch nur einen geringen Prozentsatz ein. Gefäßverletzungen als Folge penetrierender und stumpfer Gewalteinwirkungen sind als weitere Komplikationsquelle im Rahmen der septischen Gefäßchirurgie von besonderer Bedeutung. Über Jahrzehnte führte die Gefäßverletzung zu kaum beherrschbaren Schwierigkeiten und Problemen. Offene Gefäßverletzungen der Extremitäten wurden unterbunden und zogen entweder den Verlust der Extremität oder durch Ischämie, Nekrose und Weichteilinfektionen wie Gasbrand den Tod nach sich. Verletzungen zentraler Gefäße führten wegen der fehlenden Therapiemöglichkeiten grundsätzlich zum Tode. So wurde Ende des 19. Jahrhunderts damit begonnen, offene Gefäßverletzungen durch gefäßrekonstruktive Maßnahmen zu therapieren.

Diagnostik und Therapie von Gefäßverletzungen sind kompliziert und sehr anspruchsvoll, vor allem bei Patienten, bei denen der Erfolg der Gefäßrekonstruktion primär durch eine kontaminierte Wunde oder durch eine Infektion bedroht ist. Eine erfolgreiche Behandlung von Gefäßverletzungen setzt heutzutage ein multidisziplinäres Vorgehen voraus, bei dem Gefäß- und Viszeralchirurgen, Unfallchirurgen, Anästhesisten, Herzchirurgen und auch Radiologen Hand in Hand arbeiten sollten. Insbesondere die Arbeit der Radiologie rückt seit einiger Zeit immer mehr in den Vordergrund (Coiling und Stentversorgungen). Auch die Arbeit der intensivmedizinischen Begleittherapie (Volumenmanagement, Monitoring, Kreislaufstützung, Beatmung etc.) wird immer bedeutsamer.

Durch innovative Entwicklungen wie passagere Shunts oder Tourniquets [1-4], auch zur Verlängerung des Zeitfensters der Ischämie und Gewährleistung der Extremitätendurchblutung sowie Optimierung von chirurgischen, aber auch interventionellen Maßnahmen, konnte im Laufe der Zeit die Amputationsrate weiter minimiert werden. Dennoch bleiben Morbidität, das Amputationsrisiko und die allgemeine Komplikationsrate bei peripheren Gefäßverletzungen erhöht, vor allem wenn Gefäßverletzungen, insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten, nicht rechtzeitig erkannt werden.

Das Ziel dieser kompakten Kurzübersicht ist es, das Spektrum der sehr komplexen Gefäßverletzungen (Gefäßkomplikationen bei gezielten therapeutisch intendierten Gefäßzugängen werden abgegrenzt und sind nicht Gegenstand der Arbeit) hinsichtlich Etiopathogenese, klinischem Erkennen, objektivierender Diagnostik, befundspezifischer Therapie und erzielbarem Outcome als auch aus Sicht der verschiedenen Lokalisationen, Versorgungsspezifika sowie im Spiegel selektiver Referenzen der aktuellen Literatur inkl. repräsentativer und illustrativer Fallbeispiele zu charakterisieren.


Eckpunkte

Pathogenese

Gefäßverletzungen können alle Gefäßsegmente betreffen, treten jedoch vorzugsweise in besonders exponierten Regionen auf. Bis zu 50 % der Gefäßverletzungen betreffen das arterielle System [5]. Am häufigsten sind die obere und untere Extremität betroffen [6]. Eine Gefäßverletzung kann durch ein direktes oder indirektes Trauma (z. B. Verkehrs-, Arbeits- und Freizeitunfälle) verursacht werden.

Auch im Rahmen diagnostisch- oder therapeutisch-interventioneller Maßnahmen kann ein Gefäßdefekt entstehen. Man unterscheidet perforierende/offene Läsionen nach Stich- und Schussverletzungen oder auch iatrogen zugefügt von stumpfen/geschlossenen Gewalteinwirkungen („Blunt“-Trauma), die ohne eine direkte Verbindung zur äußeren Haut entstehen. Während die einzelnen Gefäßwandschichten bei scharfer Gewalt von außen nach innen geschädigt werden, werden diese beim stumpfen Trauma in Abhängigkeit von den einwirkenden Kräften von innen nach außen verletzt. Führt eine scharfe Gewalteinwirkung von außen nach innen in der Regel zu einer lebensbedrohlichen Blutung und weist diese mitunter den Weg zur Läsion, fehlen bei der stumpfen Gewalteinwirkung oft äußere Blutungszeichen.

Die indirekte, geschlossene bzw. stumpfe Verletzung der Gefäße durch Überdehnung, Zerrung, Schleudertrauma und Torsion wird von VOLLMAR (1965, 1996) in 3 Grade eingeteilt (Fehlinterpretation: Gefäßspasmus).

  • Grad I: Intimaeinriss (Verschluss)
  • Grad II: Mediabefall (Dissektion)
  • Grad III: Nur die Adventitia steht
  • Thrombose
  • sekundäres Aneurysma spurium.


Eine begleitende Gefäßverletzung liegt bei etwa 5 % aller Patienten mit Extremitätenfrakturen vor. Arterielle Gefäße sind dabei mit 80-90 % wesentlich häufiger betroffen als venöse. Die durch eine Gefäßverletzung bedingte Minderperfusion der abhängigen Strombahn kann zu einer Gewebehypoxie bzw. -anoxie distal der Läsion führen.

Das direkte, offene bzw. scharfe Gefäßtrauma wird von VOLLMAR ebenfalls in 3 Grade eingeteilt:
Der 1. Grad ist durch eine äußere Wunde der Gefäßwand, der 2. Grad durch eine partielle Durchtrennung der Gefäßwand mit äußerer Blutung und der 3. Grad durch eine komplette Gefäßdurchtrennung gekennzeichnet.

Bei der perforierenden Verletzung werden Bakterien, Fremdkörper sowie Hautlefzen in die Wunde eingesprengt, was zu einer mehr oder weniger starken Kontamination führt. Aus diesem Grund scheint eine systemische perioperative Antibiotikagabe indiziert. Darüber hinaus ist eine wichtige Voraussetzung zur Infektionsprophylaxe das chirurgische Débridement von infektiösem, verschmutztem bzw. nekrotischem Gewebe. Schussverletzungen nehmen eine Sonderstellung ein. Die teilweise massive Gewebezerstörung und die Verletzung von Venen und Arterien können zu erhöhter Morbidität und Letalität sowie zum Extremitätenverlust führen [7].

Nach der Morphologie werden Schrotschussverletzungen von SHERMAN und PARISH in 3 Kategorien eingeteilt:

  • Typ 1: Schusswunden aus einer Entfernung von mehr als 7 m mit Verletzung der Haut ohne Durchtrennung der tiefen Faszie,
  • Typ 2: Schusswunden aus einer Entfernung von 3-7 m mit Verletzung der tiefen Faszie, einschließlich der Gefäße,
  • Typ 3: Schusswunden aus einer Entfernung von weniger als 3 m mit massiver Weichteilzerstörung, einschließlich Knochen und Gefäßen.

Schrotschussverletzungen verursachen eine ausgedehnte Weichteilzerstörung mit Nekrosen, die einen hervorragenden Nährboden für Bakterien bieten, zu ausgedehnter Entzündung führen und damit die Gefäßrekonstruktion bedrohen können. Schussverletzungen sind häufig mit Venenverletzungen, Frakturen, Nervenläsionen und einer massiven Weichteilmantelzerstörung kombiniert [8,9].

Diagnostik

Die Diagnostik von Gefäßverletzungen stützt sich auf klinische und apparativ(-bildgebend)e Untersuchungen. Die zentrale Massenblutung wird aufgrund des sich rasch entwickelnden Volumenmangelschocks kaum übersehen [10]. Blutansammlungen bei Verletzungen intraabdomineller Gefäße können durch Sonografie (im Schockraum) bereits frühzeitig diagnostiziert werden. Die Diagnose einer peripheren Gefäßverletzung, insbesondere bei stumpfer Gewalteinwirkung oder beim polytraumatisierten Patienten, kann schwierig sein, da durch die generalisierte Kreislaufdepression die periphere Minderdurchblutung übersehen werden kann. Ein interdisziplinäres standardisiertes Vorgehen ist deshalb empfehlenswert [11,12].

Die klinische Diagnose stützt sich auf folgende Punkte, auch in Anlehnung an die Richtlinien des „Advanced Trauma and Life Support“ (ATLS) [13]:

  • Anamnese/Fremdanamnese
  • Äußere Verletzungszeichen
  • Ischämiezeichen
  • Schwellung
  • Neurologischer Status
  • Kreislaufparameter
  • Pulsstatus.


Das Vorhandensein eines peripheren Pulses schließt jedoch eine Gefäßverletzung nicht aus [6]. Die Palpation der distalen Pulse im Seitenvergleich ist obligat [14]. Die klinische Untersuchung kann durch apparative Untersuchungen sinnvoll ergänzt werden und sollte vom Zustand des Patienten (Schocksymptomatik, stabiler Patient etc.) und benötigtem diagnostischen Zeitaufwand abhängig gemacht werden. Nach der primären Diagnostik sollte in der Notfallsituation entweder die sofortige operative Versorgung (kreislaufinstabiler Patient) oder die weitere Diagnostik, vor allem mittels CT-Angiografie, erfolgen [12].

Weitere anwendbare diagnostische Verfahren in Abhängigkeit vom Zustand des Patienten sind [15]:

  • Dopplersonografie (Messung der kapillären Fülldruckzeiten und Doppler-Druckmessung)
  • Sonografie
  • Duplex-/Farbduplexsonografie
  • Röntgen-Thorax
  • CT-Angiografie/Multislice-CT/Trauma-Scan
  • ggf. sofortige chirurgische Exploration, ohne weitere Voruntersuchung
  • diagnostische Arteriografie/Angiografie (ist in der Notfallsituation in den Hintergrund getreten).


Mit der Dopplersonografie können Minderperfusionen der Extremitäten aufgedeckt werden, vor allem, wenn zusätzlich eine chronische arterielle Verschlusskrankheit vorliegt.

Die Sonografie stellt eine Möglichkeit dar, retroperitoneale Hämatome, intraabdominelle Blutungen oder die Ausdehnung einer gedeckten Ruptur zu diagnostizieren.

Die Duplex-/Farbduplexsonografie ist prinzipiell gut geeignet, Verletzungen von zentralen Gefäßen, aber auch z. B. der A. carotis zu diagnostizieren.

Die Röntgenaufnahme, z. B. des Thorax, kann bei Verletzung der Mediastinalgefäße eine Verbreiterung und Verdrängung zeigen (meist aber [erst] bei entsprechender Ausdehnung).

Die CT-Angiografie kann Hinweise auf Durchblutungsstörungen (Gefäßabbruch), Verletzungen der abdominellen oder thorakalen Aorta durch Darstellung von Wandunregelmäßigkeiten (Intimaläsion) oder auf ein retroperitoneales Hämatom geben. Darüber hinaus kann sie auch als Entscheidungshilfe zur Intervention (Operation [OP]) bzw. Planung einer Intervention (OP, interventionell-radiologisches Vorgehen) eingesetzt werden.

Weiterhin kann man über eine kraniale CT – bei Verdacht auf eine Verletzung der Halsgefäße – eine Infarzierung diagnostizieren oder eine Einblutung ausschließen, um ggf. das Therapieregime anzupassen.

Die Multislice-CT ist in der Lage, sowohl Verletzungen des Bewegungsapparats als auch des Gefäßsystems aufzudecken und stellt damit heute das Diagnostikum der Wahl dar [16,17], vor allem bei Verletzungen des Abdomens und des Beckens, insbesondere im Polytrauma-Setting. Durch ihre breite Verfügbarkeit sowie Anwendbarkeit ist sie ein wichtiges diagnostisches Verfahren. Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit der mehrdimensionalen Darstellung knöcherner Verletzungen.

Die Angiografie (auch intravenöse DSA) war lange Zeit die Methode der Wahl, um arterielle Gefäßverletzungen mit hoher Sicherheit zu diagnostizieren. Sie stellt ein wichtiges Untersuchungsverfahren dar, um die Morphologie der Gefäßverletzungen abzubilden, begleitende Thromben zu entdecken, Ein- und Ausstrombahn zu beurteilen und eine Op-Planung zu ermöglichen [18-21].

Indikationen zur Angiografie, eventuell auch zur selektiven Angiografie, sind:

  • Schusswunden in der Nähe von Gefäßlogen
  • multiple Schusswunden
  • Wunden bei Patienten, bei denen vor dem Trauma anamnestisch eine chronische arterielle Verschlusskrankheit bestand
  • Wunden, bei denen sich in der Folgezeit ein Pseudoaneurysma oder eine arteriovenöse Fistel entwickelte.


Besteht trotz eingehender, klinischer und apparativ(-bildgebend)er Untersuchung ein Zweifel, ob eine Gefäßverletzung vorliegt, so ist eine operativ-chirurgische Exploration der verletzten Gefäße indiziert. Gründe für eine operative Freilegung sind:

  • abgeschwächter oder fehlender Puls
  • starke Blutungsepisoden oder weiter persistierende Blutung (trotz Kompression)
  • großes oder expandierendes Hämatom
  • Kreislaufdepression, instabiler Patient
  • pathologische Gefäßgeräusche
  • penetrierende Wunde in der Nähe großer Gefäße
  • Zeichen einer peripheren Ischämie.

 Abbildung 1


Therapie


Die Therapie einer Gefäßverletzung richtet sich nach Lokalisation, Ausmaß und Begleitverletzungen. Die ideale Reihenfolge der Rekonstruktion ist: Knochen, Venen, Arterien, Nerven, Weichteile. Diese kann jedoch nicht immer eingehalten werden. Patienten mit penetrierenden Verletzungen der Extremitäten und Zeichen der Blutung oder der stattgehabten Blutung müssen notfallmäßig ohne Verzug versorgt werden, um einerseits die Vitalfunktionen zu erhalten und andererseits ein Ischämiesyndrom zu beheben. Bei abdominellen perforierenden Verletzungen muss daran gedacht werden, dass bei eröffnetem Colon eine erhöhte Kontaminationsgefahr besteht und ggf. ein extraanatomischer Bypass nötig wird.

Eine Gefäßverletzung wird nach folgenden Gesichtspunkten versorgt:

  • Exploration
  • Blutungskontrolle
  • Rekonstruktion
  • Infektionsprophylaxe.


Primäres Ziel ist die schnelle, d. h. umgehende Blutstillung. Um eine optimale Übersicht zu gewinnen, wird das verletzte Gefäßsegment großzügig freigelegt. Das kosmetische Ergebnis tritt bei massiver lebensbedrohlicher Blutung zugunsten der Übersicht in den Hintergrund.

Nach Darstellung und Abklemmung des verletzten Gefäßsegments erfolgt ein exzessives Wunddébridement. Nekrotisches Gewebe und eingesprengte Fremdkörper müssen vollständig entfernt werden. Eine zusätzliche Spülung mit einer antiseptischen Lösung sollte folgen. Beschädigte Arterien werden radikal mit dem traumatisierten Gewebe entfernt und eine großzügige Mobilisation der Arterienstümpfe wird durchgeführt, vor allem wenn eine End-zu-End-Anastomose geplant ist.

Die Ligatur und Durchtrennung abgehender Äste erleichtern die Mobilisation. Vor der Gefäßnaht werden der distale und der proximale Gefäßstumpf mit dem Ballonkatheter gereinigt, Ein- und Ausstrombahn kontrolliert und Heparin-Kochsalz-Lösung sowohl in den Zentralstumpf, als auch in die Peripherie injiziert. Kann die Arterie oder auch die Vene nicht primär rekonstruiert werden, erfolgt mit Hilfe der autologen Vene (meist V. saphena magna; probater Ausweich: V. brachialis, V. mesenterica inferior), ggf. auch des kontralateralen Oberschenkels die Rekonstruktion. Bei ausgedehnten ipsilateralen Verletzungen der Venen muss die Vene der traumatisierten Extremität als Abstromgefäß erhalten werden. Die Rekonstruktion erfolgt je nach Morphologie der Verletzung. Eine intraoperative Heparinisierung mit 5.000 IE Heparin sollte ebenfalls durchgeführt werden (bei singulärer peripherer Gefäßverletzung). Postoperativ ist darüber hinaus eine kontinuierliche Heparingabe via Perfusor durchzuführen. Bei polytraumatisierten Patienten – vor allem bei simultanen Beckenfrakturen oder intrakraniellen Blutungen – ist dieses Vorgehen problematisch und muss mit dem Intensivmediziner oder dem betreffenden Fachkollegen vorher abgesprochen werden, insbesondere falls auch Begleiterkrankungen oder Vormedikationen thrombozytenaggregationshemmend oder antikoagulierend vorliegen.

Besteht simultan eine Fraktur und beträgt die Ischämiezeit weniger als vier Stunden, wird primär die Stabilisierung des Knochens durchgeführt. Dieses Vorgehen schützt die empfindliche Gefäßrekonstruktion vor der unruhigen Manipulation während der Frakturversorgung, sodass eine präzise und exakte Gefäßrekonstruktion ohne Angst vor Traumatisierung, Zerrung und Abweichung der Gefäßanastomosen vorgenommen werden kann. Bei intra- oder postoperativen klinischen Hinweisen auf ein Kompartmentsyndrom oder einer Ischämiezeit von mehr als sechs Stunden sollte im Anschluss an die Revaskularisation eine (protektive) Fasziotomie durchgeführt werden [22]. Besteht eine perforierende Abdominalverletzung, so erfolgt die Eröffnung des Abdomens über eine großzügige Medianlaparotomie, die die Exploration der intra- und extraperitonealen Organe und der Gefäße ermöglicht. In der massiven Blutung können Ballonkatheter zur Blutstillung über die V. cava und Aorta eingeführt und in Höhe der Nierengefäße geblockt werden. In speziellen Fällen ist ein defektüberbrückender intraluminaler Shunt empfehlenswert. Verletzungen der Intestinalarterien können durch Naht, Patch oder Interponat rekonstruiert werden, dabei kann die V. saphena magna oder die A. iliaca interna verwendet werden.

Bei ausgedehnten Verletzungen der Aorta und Beckengefäße können auch alloplastische Materialien (Prothesen, a.e. Silber-imprägniert) zur Anwendung kommen. Defekte der V. cava sollten primär genäht oder durch Patch (xenogen/alloplastisch) verschlossen werden. Eine Rekonstruktion empfiehlt sich bei der V. cava superior et inferior, der V. portae, V. mesenterica superior und eine der Nierenvenen.

Alloplastisches Material sollte bei Venenverletzungen jedoch nur in extremen Fällen verwendet werden, da die postoperative Thromboserate – auch bei erfolgreicher Rekonstruktion – hoch ist. Grundsätzlich können alle peripheren Venen ohne größeren Schaden ligiert werden. Kann eine verletzte Vene ohne größeren Zeitaufwand durch direkte Naht rekonstruiert werden, so sollte dieses Vorgehen jedoch favorisiert werden. Aufwendige Venenrekonstruktionen durch Interponate oder Venenplastiken aus V. saphena sollten nur dann durchgeführt werden, wenn die Kreislaufsituation eine zeitliche Verlängerung der Operation zulässt.

Abbildung 2


Kontaminationsgrad


Die Einteilung der Gefäßverletzungen nach Vollmar berücksichtigt den Kontaminationsgrad nicht und lässt somit die Gefahren der Infektion außer Acht. Bei der penetrierenden Verletzung kommt es durch das Eindringen von Bakterien zu einer Kontamination der Wunde. Der Kontaminationsgrad bei der offenen Gefäßverletzung ist abhängig vom Mechanismus und Ort der Wundsetzung, von Weichteilzerstörungen und Begleitverletzungen anderer Strukturen wie Knochen oder Nerven. Daneben kann die direkte Verletzung bakterienbesiedelte Hohlorgane eröffnen, was den Kontaminationsgrad erhöht. Entsprechend den unterschiedlichen Kontaminationsgraden müssen sowohl Rekonstruktionsverfahren als auch das Rekonstruktionsmaterial (Vene, Prothese, xenogenes Material etc.) ausgewählt werden.

Direkte und indirekte Gefäßverletzungen sollten in Bezug auf die Infektionsgefährdung in vier Grade eingeteilt werden:

  • Grad 1 der Infektionsgefährdung kann nur bei indirektem Trauma vorliegen und ist gekennzeichnet durch eine Gefäßverletzung ohne zusätzliche Beschädigung des umgebenden Weichteilmantels oder von Hohlorganen. Die Infektionsgefährdung ist der bei einem gefäßchirurgischen Notfalleingriff gleichzusetzen.
  • Grad 2 findet sich nach direktem oder indirektem Trauma, bei dem das Gefäß und der umgebende Weichteilmantel verletzt wurden, ohne dass größere Schäden des umliegenden Gewebes entstanden sind. In dieser Situation gelangen Bakterien in die Wunde. Die Infektionsgefährdung ist noch gering.
  • Grad 3 bezeichnet eine Gefäßverletzung durch ein direktes oder indirektes Trauma, bei dem zusätzlich eine ausgedehnte Zertrümmerung des Weichteilmantels vorliegt. Eine Fraktur kann simultan bestehen. Aufgrund der ausgedehnten Gewebezertrümmerung muss mit einer massiven Kontamination und Infektionsgefährdung der Gefäßrekonstruktion gerechnet werden.
  • Grad 4 umfasst Verletzungen durch direktes oder indirektes Trauma, bei denen neben der Gefäßläsion auch ein bakteriell besiedeltes Hohlorgan eröffnet ist. Die Kontamination der Wunde mit primär hochvirulenten Keimen bedeutet die sichere Infektion – ggf. auch der Gefäßrekonstruktion.


In der septischen Gefäßchirurgie hat sich bei der Gefäßrekonstruktion (in kontaminierten Wunden) die Verwendung autologer Venen bewährt (ggf. auch silberbeschichtetes Dacron). Bei ausgedehnten Verletzungen der unteren ipsilateralen Extremität kann – nicht zuletzt aufgrund der erhöhten posttraumatischen Thrombosegefahr des tiefen Venensystems – ggf. auch die Vene vom kontralateralen Bein zur Gefäßrekonstruktion verwendet werden. Da es sich bei Gefäßverletzungen jedoch häufig um Notfallsituationen mit kreislaufinstabilen Patienten handelt, sollte die längere Op-Zeit bei Verwendung autologer Venen bedacht werden und ggf. eine Alternative (vor allem silberbeschichtete Dacronprothesen) erwogen werden, denn auch hier scheint nach neueren Untersuchungen die Infektionsgefahr deutlich geringer zu sein als bisher angenommen [23]. Eine Weichteildeckung des Prothesenmaterials, vor allem bei Verwendung von alloplastischem Material, sollte jedoch angestrebt werden. Dies kann bei ausgedehnten Verletzungen des Weichteilmantels ggf. auch zweizeitig erfolgen.

Abbildung 3



Spezielle technische Aspekte


Die Nahttechnik hat großen Einfluss auf den Erfolg einer Gefäßrekonstruktion. Es gibt unterschiedliche Nahttechniken wie die fortlaufende Naht und die Einzelknopfnaht. Durch die Einzelknopfnaht bleibt die Elastizität der Gefäßwand erhalten. Bei kurzstreckigen Defekten ist häufig eine Direktnaht möglich mit dem Vorteil der Zeitersparnis und Ersparnis von Fremdmaterial. Bei größeren Wanddefekten kann ein Patch aus autologer Vene, Kunststoff oder xenogenem Material zum Einsatz kommen, wenn eine Direktnaht nicht möglich ist. Die Versorgung mittels Patch führt darüber hinaus dazu, dass einer Stenosierung vorgebeugt wird. Bei Längsdefekten, vor allem kleinerer (dünnkalibriger) Gefäße, sollte stets ein Patch verwendet werden. Bei langstreckigen Defekten kommen Interponate oder Bypässe zur Anwendung. Grundsätzlich besteht kein großer Unterschied zwischen Bypässen und Interponaten. Als Material kommen sowohl autologe Venen, als auch alloplastische Prothesen in Betracht. Dabei zeigen Veneninterponate und -bypässe längere Offenheitsraten und geringere Infektionsraten als Kunststoffprothesen. Rekonstruktionen mit Venenmaterial kommen daher vor allem bei kontaminierten Wunden und Anschluss auf kleinkalibrige Gefäße infrage. Bei ausgeprägten Verletzungen der Gefäße sollte immer auch die Gegenseite für eine mögliche Spendervene in Betracht gezogen werden, da bei arterieller Verletzung ein Defekt der begleitenden Vene nicht auszuschließen ist. Wenn keine Vene verfügbar ist (weder ipsilateral, noch kontralateral), kann man auch auf alloplastisches Material zurückgreifen. Die Kunststoffprothesen (Dacron, PTFE) bieten bei entfallender Entnahmenotwendigkeit und Präparation eine deutliche Zeitersparnis.

Interventionelle Therapiemöglichkeiten

Seit den Fortschritten in der Diagnostik und technischen Errungenschaften in der Bildgebung bei Gefäßverletzungen haben sich auch die interventionellen Therapiemöglichkeiten stetig weiter entwickelt und werden in der Routine immer häufiger eingesetzt. Dazu gehören vor allem die minimalinvasive Bildgebung und die endovaskuläre Stent-Graft-Versorgung (TEVAR/EVAR etc.) [16]. Zur optimalen Durchführung einer endovaskulären Versorgung sollte der therapeutisch tätig werdende endovaskuläre Gefäßmediziner / Gefäßchirurg bereits während der Diagnostik anwesend sein, um ein optimales Procedere festzulegen [16], z. B. Evaluation der Bilddiagnostik und Abwägen möglicher endovaskulärer Therapien. Die endovaskuläre Therapie beschränkt sich nicht nur auf die thorakale und abdominelle Aorta. Auch periphere Gefäßverletzungen, z. B. der Extremitätenarterien, können im Notfall endovaskulär versorgt werden (z. B. Stentimplantation, Coiling). Letztendlich stellt die endovaskuläre Therapie eine gute Möglichkeit dar, auch bei hämodynamisch instabilen Patienten eine Gefäßverletzung schnellstmöglich und effizient zu versorgen sowohl zur Blutungskontrolle und Wiederherstellung der Perfusion als auch zum Extremitäten- und Organerhalt und letztlich zur Lebenserhaltung.

Wenn ein Patient mit Verdacht auf ein Trauma der thorakalen Aorta das Krankenhaus lebend erreicht, sollte zunächst notfallmäßig eine CT-Angiografie erfolgen sowohl zur Diagnostik als auch zur Planung des weiteren Procederes (Stentgraft vs. Op). Die endovaskuläre Versorgung einer traumatischen Ruptur der thorakalen Aorta hat seit den ersten klinischen Erfahrungen unter Parodi et al. [24] in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und stellt eine gute und sichere Alternative zur offen chirurgischen Versorgung dar [25]. Die Wahl des Stentgrafts sollte nach bestimmten Kriterien erfolgen: Aortendurchmesser, proximale Halslänge (Landungszone) und Stentlänge. Darüber hinaus ist auch die Entfernung des A.-subclavia-Abgangs links zum Beginn der Veränderung der Gefäßwand (z. B. Dissektion) ausschlaggebend und sollte ca. 15 mm betragen [16]. Bei jungen Patienten führt der kleinere Aortendiameter, kombiniert mit einer deutlichen Angulierung im Bereich des Aortenbogens, häufig zu einem „Mismatch“ zwischen Stentgraft und nativem Gefäß (Aorta). Hier sollte bei Gefahr einer unzureichenden proximalen Fixation bzw. Verankerung des Stentgrafts ggf. die zusätzliche Verwendung eines Cuffs als Stentverlängerung nach proximal und distal erwogen werden, um die Angulierung im Aortenbogen und den kleinen Diameter der nativen Aorta auszugleichen. Hier sollte vor allem das postoperative Endoleak Typ 1 in den durchgeführten CT-Angio-Kontrollen nicht übersehen werden [26].

Die Durchführung der TEVAR setzt eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kollegen der Radiologie, Gefäßchirurgie, Anästhesie, Herz-Thorax-Chirurgie und Intensivmedizin voraus. Darüber hinaus sollte für den Notfall ein „Lager“ mit den häufigsten verwendeten Stentgrafts aufgebaut werden bzw. vorhanden sein, um eine schnellstmögliche Durchführung zu gewährleisten [26].

Auch bei den Abdominal- und Viszeralgefäßen ist initial wie bei fast allen Gefäßverletzungen zunächst eine Diagnostik erforderlich. Hier wird vor allem die kontrastmittelverstärkte Computertomografie (CT-Angio) empfohlen. Bei Verletzungen von Viszeralarterien kommen Embolisationen vor allem bei Blutungen in Betracht. Etwas seltener kann in einigen Fällen auch ein gecoverter Stent implantiert werden, um eine Blutung zu stoppen. Die Wahl des Embolisats basiert auf den gegebenen anatomischen Verhältnissen des betroffenen Gefäßes, der auftretenden Klinik und der gewünschten Komplexität der Embolisation (Teilokklusion, Totalokklusion etc.). Ein endovaskuläres Management (Coiling, Embolisation) kann in manchen Fällen, vor allem bei aktiven Blutungen im Bereich der Viszeralarterien, eine operative Versorgung ersetzen bzw. die Blutung stabilisieren und somit eine operative Versorgung möglich machen [27].

Bei Milzarterien- und direkten Milzverletzungen kann bei stabilen Kreislaufverhältnissen ein konservatives Management gewählt werden mit engmaschigen Labor- und Ultraschallkontrollen sowie Ausgleich des Volumenstatus bei z. B. Milzlazeration. Bei hämodynamisch instabilen Patienten kann eine Reduktion des Druckes in der Milzarterie über eine Blutflussreduktion zum Organerhalt notwendig werden. Dieses gelingt über eine Embolisation der Milzarterie. Eine Embolisation ist auch bei aktiver Blutung möglich, um eine Stabilisierung der Blutungssituation zu erreichen [28]. Auch bei Milzarterienaneurysmen (mögliche Traumafolge) ist eine endovaskuläre Versorgung i.S. einer Stentimplantation möglich [29].

Eine Verletzung der Lebergefäße hat häufig eine iatrogene Ursache, vor allem bei Laparoskopien oder Leberbiopsien treten diese Begleitverletzungen auf. Bei aktiver Blutung kommen therapeutisch die Embolisation (Coils etc.) des betreffenden Gefäßes – abhängig von der Lokalisation und des Ausmaßes der Gefäßverletzung – in Frage.

Endovaskuläre Methoden im Bereich der Nierenarterien stellen eine minimalinvasive und wichtige Möglichkeit zur Versorgung von renovaskulären Traumata dar mit dem Ziel des Organerhalts. Die offen-chirurgische Therapie kann häufig vermieden werden, jedoch selten bei hämodynamisch instabilen Patienten mit Verletzung der Nierenvene [30]. Endovaskuläre Coilembolisationen stellen eine suffiziente Möglichkeit zur Blutstillung bei Verletzungen der Nierenarterien dar, wenn eine spontane Kompression/Tamponade durch die Gerota-Faszie nicht ausreichen sollte und das Hämatom pararenal zunimmt. Auch gecoverte Stents kommen in bestimmten Fällen zur Versorgung einer aktiven Blutung im Bereich der Nierenarterie in Betracht.
Arterielle Blutungen im Beckenbereich sollten schnellstmöglich detektiert werden, um Folgeschäden wie Koagulopathie, Hypothermie und Multiorganversagen aufgrund eines hämorrhagischen Schocks zu verhindern. Auch hier steht zur Diagnostik die kontrastmittelverstärkte CT an erster Stelle. Wenn die Blutungsquelle detektiert worden ist, kann eine selektive Embolisation durchgeführt werden. Bei hämodynamisch instabilen Patienten scheint diese Prozedur aufgrund des zeitlichen Aufwands jedoch nicht ideal und häufig wird stattdessen eine nichtselektive Embolisation durchgeführt. Bei hämodynamisch stabilen Patienten können Gefäßverletzungen wie Dissektionen und Pseudoaneurysmen in den Iliakalarterien oder der A. femoralis communis auch mittels gecoverten Stents versorgt werden. Bei notfallmäßiger Embolisation der A. iliaca interna beidseits sollte auch immer an die Langzeitfolgen/-komplikationen gedacht werden wie sexuelle und Blasendysfunktion.

Bei notwendiger sofortiger knöcherner Stabilisierung (Beckenringfraktur etc.) ist ggf. auch zuerst eine Ballonokklusion der Iliakalarterien und nach Stabilisierung des knöchernen Beckens eine definitive Versorgung der Gefäßverletzung möglich. Die Ballonokklusion ermöglicht eine traumatologische Versorgung der Beckenverletzungen mit Minimierung des Blutverlusts und insgesamt Stabilisierung des Patienten. Letztlich stellt die endovaskuläre Embolisation die Methode der Wahl bei Blutungen im Bereich des Beckens und im Bereich des Retroperitoneums nach Beckenfrakturen dar [31,32].

Abbildung 4

 

Besonderheiten der Therapie bei Kindern

Traumatische Verletzungen, vor allem stumpfe Traumata, sind die häufigste Todesursache in der Pädiatrie [33], dagegen sind Verletzungen der abdominellen Aorta eine Rarität [34,35]. Verletzungen der Gefäße der oberen Extremitäten [18,35] sind in ihrer Anzahl stärker vertreten. Bei der Therapie von Gefäßverletzungen von kindlichen Gefäßen sollte eine primäre Versorgung (Direktnaht) angestrebt und auf prothetische Materialien verzichtet werden. Bei prothetischen Materialien ist davon auszugehen, dass aufgrund des Wachstums des Kindes Folgeeingriffe notwendig sind. Bei der Versorgung erweist sich vor allem bei Kindern und Heranwachsenden die autologe Vene als Methode der Wahl. Auch xenogene Patchplastiken sind möglich [36]. Darüber hinaus sollte darauf geachtet werden, dass Einzelknopfnähte und PDS-Fäden verwendet werden. Endovaskuläre Versorgungen, vor allem im thorakalen Bereich, nehmen auch bei Gefäßverletzungen im Kindesalter an Bedeutung zu [37]. Dennoch sollte man die Indikation zur Stentimplantation streng prüfen, vor allem aufgrund des festen Innendurchmessers der Stentgrafts im Verhältnis zum biologischen Wachstum der kindlichen Aorta [38].

Versorgungsaspekte nach Lokalisation

Extra- und intrakranielle Verletzungen

Bei bestimmten Verletzungsmustern sollte man auch dann an eine Verletzung der A. carotis denken, wenn keine klinische Symptomatik vorliegt. Die Unterscheidung zwischen folgenden Verletzungsmustern ist von großer Bedeutung:

  • Perforation
  • Intimadissektion
  • Abriss
  • Pseudoaneurysma
  • arteriovenöse Fistel.


Danach richtet sich die Wahl der Therapie und das prognostische Ergebnis. Bei lokalisierter Verletzung mit operativer Erreichbarkeit und lokalisiertem neurologischen Defekt ist die Indikation zur operativen Versorgung gegeben. Es ist jedoch zu beachten, dass bei schwerem und komplettem neurologischen Defizit oder großflächiger Infarzierung des Hirnparenchyms eine Kontraindikation zur Rekonstruktion besteht. Eine Verletzung der A. carotis communis und der A. carotis interna sollte je nach Verletzungsart unverzüglich rekonstruiert bzw. therapiert werden, denn hier bestehen eine erhöhte Letalität und Morbidität. Je nach Verletzungsmuster kann operativ, interventionell-(neuro-)radiologisch mittels Stent, Ballon oder Coiling [39] oder konservativ im Sinne einer ausreichenden Antikoagulation vorgegangen werden.

Obere Extremität

Möglich sind Direktnaht, Patchplastik oder Interponat. Iatrogene Gefäßverletzungen bzw. operativ schwer erreichbare Gefäßabschnitte im Bereich der oberen Extremität können auch endovaskulär durch gecoverte Stents versorgt werden [40,41]. Bei der Verwendung von Interponaten kommen sowohl alloplastische Materialien als auch autologe Venen in Betracht. Bei gelenküberschreitenden Rekonstruktionen sind ringverstärkte Kunststoffprothesen den einfachen Kunststoffprothesen vorzuziehen. Ein Interponat mit autologer Vene wäre jedoch die erste Wahl. Bei Verletzung der Venen der oberen Extremität kann je nach Ausmaß der Verletzung eine Ligatur der beeinträchtigten Vene erfolgen.

Abdomen und Becken

Bei Verletzungen der Aorta besteht fast immer eine Op-Indikation [42]. Prinzipiell stehen bei der Versorgung von aortalen Verletzungen abhängig vom Verletzungsmuster mehrere operative Verfahren zur Verfügung:

  • Rekonstruktion in situ (alloplastisches Prothesenmaterial) entweder transperitoneal oder retroperitoneal (anschließend transperitoneale Versorgung möglicher Darmverletzungen)
  • Rekonstruktion unter Verwendung autologen/xenogenen Materials
  • Ligatur proximal und distal sowie Implantation eines extraanatomischen axillobifemoralen oder axillobiiliakalen Bypasses (ggf. auch subklaviobifemoral, -biiliakal) mit ggf. zweizeitiger Implantation einer alloplastischen/xenogenen Rekonstruktion nach Stabilisierung des Patienten [11].


Generell lassen sich aortale Gefäßverletzungen auch interventionell mittels Implantation einer Stentprothese versorgen [43,44]. Hier sollte auf eine ausreichende Landungszone geachtet werden, um mögliche Überstentungen von wichtigen aortalen Abgängen (z.B. A. renalis) zu vermeiden. Prinzipiell besteht auch die Möglichkeit der Implantation von „gebranchten“/fenestrierten Stentprothesen. Bei Kontamination des Bauchraums (z.B. bei Darmperforation) sollte jedoch an die Möglichkeit einer zweizeitigen Protheseninfektion und daran anschließend erneut notwendig werdenden Gefäßrekonstruktion gedacht werden, wobei eine Infektion der endovaskulären Prothese mit nur geringer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Inzidenz begleitender arterieller Verletzungen bei komplexen Beckenverletzungen liegt bei ca. 5–25 % [33].

Häufig ist bei stumpfen Verletzungen eine interventionelle Versorgung (Stentimplantation) möglich. Bei intraabdomineller freier Flüssigkeit oder sichtbar eröffnetem Abdomen ist die operative Versorgung indiziert. Im Gegensatz dazu sollte bei spitzen Traumata immer eine offene operative Versorgung erfolgen, da hier begleitende Verletzungen im Bauchraum vorliegen können, welche ggf. ebenso versorgt werden müssen [45].

Auch bei der Versorgung der Beckenarterien stehen einige Verfahren zur Verfügung. Zu nennen sind Direktnaht, Patchplastik (xenogen, autolog, alloplastisch) bei kleineren betroffenen Abschnitten und Interponate (alloplastisch, autolog) bei längeren Gefäßabschnitten. Hier scheint die Versorgung mittels alloplastischen Materials auch bei Begleitverletzungen des Intestinums möglich. Eine ausgiebige intraoperative Spülung des Abdomens und eine peri- und postoperative Antibiotikatherapie sollten jedoch immer erfolgen, vor allem bei eröffnetem Hohlorgan. Auch interventionelle Maßnahmen sind abhängig vom Verletzungsmuster möglich.

Intraabdominelle Venen (Lebervenen / V. cava)

In Abhängigkeit vom Verletzungsausmaß sind nach Wunddébridement eine Direktnaht, eine Patchplastik (autolog, xenogen, alloplastisch) oder ein Interponat (alloplastisch) möglich. Bei den großkalibrigen Venen sollte eine ringverstärkte Kunststoffprothese entsprechenden Durchmessers als Interponat verwendet werden. Bei ausgedehnten Verletzungen der V. cava inferior und kreislaufinstabilen Patienten kann es auch notwendig werden, die V. cava zu umstechen, um einen weiteren Blutverlust zu vermeiden.

Untere Extremität

Bei Gefäßverletzungen der unteren Extremität ist eine Ligatur des betroffenen Gefäßes nur noch selten indiziert. Auch bei den Gefäßen der unteren Extremität stehen die Direktnaht, die Patchplastik (autolog, alloplastisch, xenogen) und Interponate (autolog, alloplastisch) zur Auswahl. Hier sollte bei Kunststoffprothesen-Interponaten, wenn möglich vor allem bei gelenküberschreitenden Gefäßen auf ringverstärkte Prothesen zurückgegriffen werden. Bei Verletzungen im Bereich der A. poplitea sollte auf die Implantation von Kunststoffprothesen bei schlechterer Offenheitsrate [46]0 möglichst verzichtet werden. Interventionelle Maßnahmen sind nur in Ausnahmefällen und meist nicht in der Akutphase indiziert. Bei Gefäßverletzungen am Unterschenkel ist eine Gefäßrekonstruktion prinzipiell nur notwendig, wenn sich kein sprunggelenküberschreitendes Unterschenkelgefäß nachweisen lässt. Bei Rekonstruktionen sollte am Unterschenkel, bei schmallumigen Anschlussgefäßen und dadurch schlechteren Offenheitsraten bzw. hohen Verschlussraten der Kunststoffbypässe auf autologes Venenmaterial (Bypass, Interponat) zurückgegriffen werden.


Fazit

Verletzungen der vor allem peripheren Gefäße können viele Ursachen haben. Die Indikation zur Durchführung einer Angiografie ist abhängig von den klinischen Befunden wie Pulsabnormitäten oder Temperaturdifferenz zur Gegenseite (z. B. „kalte Extremität“). Bei Auftreten von aktiven Blutungen oder Ischämie ist prinzipiell die chirurgische Exploration empfehlenswert, dennoch spielt auch die endovaskuläre Therapie mittels gecoverten Stents oder Embolisation von nichtrelevanten Gefäßen vor allem im Bereich von großen und mittleren Gefäßen eine zunehmende Rolle [47,48]. In kleinen Gefäßen bleibt die endovaskuläre Versorgung fraglich, vor allem hinsichtlich der Langzeitergebnisse (Offenheitsrate, Stentthrombose, Stentstenose etc.) [16]. Im Bereich der unteren Extremität ist bei aktiver relevanter Blutung auch eine Embolisation von nichtrelevanten Gefäßen, z. B. von distalen Ästen der A. profunda femoris oder einer infrapoplitealen Arterie (z. B. A. tibialis anterior) bei Dreigefäßversorgung am Unterschenkel, möglich.

Gefäßverletzungen im Bereich der distalen A. poplitea haben ein erhöhtes Risiko für den anschließenden Verlust der Extremität, da die Kollateralen im Bereich des Knies nicht gut ausgebildet sind. Aus diesem Grund ist in diesem Bereich für einen Extremitätenerhalt eine frühzeitige operative Exploration empfehlenswert.

Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. med. habil. F. Meyer
Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R.
Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg
Tel.: 0391/67 15666, Fax: 0391/67 15541
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