apl. Prof. Steffen Rickes (Portraitfoto: Ronald Göttel, Agentur Media Konzept, Halberstadt)
apl. Prof. Steffen Rickes (Foto: Ronald Göttel, Agentur Media Konzept, Halberstadt)

Eine Alternative zur klassischen endoskopisch-retrograden Cholangiographie (ERC)

Rickes, S. 1; Rauh, P. 1; Eder, F. 2; Mönkemüller, K. 1

AMEOS Klinikum Halberstadt
1    Zentrum für Innere Medizin
2    Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie


Einleitung

Abflussstörungen im biliären System sind häufig. Insbesondere bei Vorliegen einer akuten Cholangitis ist eine zügige Ableitung der gestauten Gallenwege wichtig. Die endoskopisch-retrograde Cholangiographie (ERC) mit der Möglichkeit der Papillotomie und Stenteinlage ist dabei die Methode der Wahl. Zusätzliche Probleme entstehen, wenn technische Defekte der Röntgendurchleuchtungsanlage die zügige Durchführung einer ERC verhindern, eine Verlegung der Patienten schwierig ist (z. B. während einer Epidemie) oder Strahlenbelastungen – insbesondere bei Schwangeren und Kindern – vermieden werden sollten. Mit der vorliegenden Kasuistik soll daher eine ultraschallbasierte Alternative zur ERC dargestellt werden.


Kasuistik


Eine 77-jährige Patientin wurde in deutlich reduziertem Allgemeinzustand mit gürtelförmigen Oberbauchschmerzen stationär eingewiesen. Anamnestisch waren ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2, eine hypertensive Herzerkrankung, eine chronische Niereninsuffizienz (KDIGO 3a), ein paroxysmales Vorhofflimmern und ein Z. n. Zystektomie wegen Harnblasenkarzinom zu eruieren. Wegen des paroxysmalen Vorhofflimmerns war die Patientin mit Apixaban antikoaguliert. Labormedizinisch waren die Entzündungsparameter (Leukozytenzahl: 17,08 Gpt/l, Norm 4,0 – 10,0), die Transaminasen (ALAT: 1,20 µkat/l, Norm < 0,6), die Cholestaseparameter (Gesamtbilirubin: 40,1 µmol/l, Norm < 15,0), die Lipasekonzentration (20,33 µkat/l, Norm < 1,0) und die INR (1,38, Norm 1,00 – 1,25) erhöht. Die Temperatur betrug 37,5 °C. Der Blutdruck, der Puls und die Atemfrequenz waren normal. Es wurde die Diagnose einer akuten Pankreatitis gestellt und wegen der erhöhten Transaminasen und Cholestaseparameter eine biliäre Genese vermutet. Alkoholkonsum verneinte die Patientin glaubhaft.

In der Abdomensonographie (Abbildung 1) fand sich eine bis max. 10 mm wandverdickte, leicht druckschmerzhafte, prall wirkende Gallenblase mit multiplen kleinen Konkrementen und Sludge. Die intrahepatischen Gallenwege waren mit einem Durchmesser von bis zu 5 mm leicht erweitert. Der Ductus hepatocholedochus stellte sich bis zur Papille mit einem Durchmesser von max. 15 mm ebenfalls dilatiert dar, es fand sich dort Sludge. Das Pankreas war unauffällig.

Sonographisch wurden – unter Berücksichtigung von Anamnese, Klinik und Laboruntersuchungen – folgende Diagnosen gestellt:

  • akute Cholecystitis bei Cholecystolithiasis,
  • Papillenstenose nach Gallensteinabgang bei Choledocholithiasis mit konsekutiver Gallengangserweiterung und akuter Cholangitis,
  • akute ödematöse, biliäre Pankreatitis ohne bildgebend darstellbare Veränderungen an der Bauchspeicheldrüse.

Abbildung 1: Abdomensonographie mit einem C5-1-Schallkopf des Ultraschallgeräts „EPIQ Elite“ (Philips, Bothell, WA, USA). (a) Wandverdickte, prall wirkende Gallenblase mit kleinen Konkrementen und Sludge. (b) Der Ductus hepatocholedochus (DHC) ist dilatiert und partiell mit Sludge gefüllt.
Abbildung 1: Abdomensonographie mit einem C5-1-Schallkopf des Ultraschallgeräts „EPIQ Elite“ (Philips, Bothell, WA, USA). (a) Wandverdickte, prall wirkende Gallenblase mit kleinen Konkrementen und Sludge. (b) Der Ductus hepatocholedochus (DHC) ist dilatiert und partiell mit Sludge gefüllt.

 

Die Patientin erhielt sofort eine kalkulierte intravenöse antibiotische Behandlung mit Piperacillin/Tazobactam. Bei Vorliegen einer akuten Cholangitis bestand die Indikation zur schnellstmöglichen Ableitung der gestauten Gallenwege. Wegen eines technischen Defekts der Röntgendurchleuchtungsanlage hätte die Patientin dazu in ein anderes Krankenhaus verlegt werden müssen. Aufgrund ihres eingeschränkten klinischen Zustands und der nach Möglichkeit einzuhaltenden Kontaktminimierungen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie wurde die Entscheidung getroffen, eine endoskopische Gallenwegsableitung mittels retrograder Stenteinlage über den Ductus choledochus unter perkutaner abdomineller Ultraschallsicht durchzuführen.

Für dieses Verfahren (Abbildung 2) kamen zwei Untersucher zum Einsatz, ein Untersucher für die Duodenoskopie und ein weiterer Untersucher für die perkutane abdominelle Sonographie. Mittels Duodenoskopie wurde die Papilla Vateri eingestellt, aus der sich spontan Eiter entleerte. Die korrekte Sondierung des Ductus choledochus mit einem Führungsdraht wurde durch den zweiten Untersucher mit Hilfe der Sonographie im bewegten Bild überprüft. Anschließend wurde endoskopisch über den Führungsdraht ein 10-French-Plastikstent in den Ductus choledochus eingelegt. Auf eine Papillotomie wurde wegen der Antikoagulation verzichtet. Auch die korrekte Stentanlage im Gallenwegssystem konnte vom zweiten Untersucher im bewegten Ultraschallbild überwacht werden. Nach der Stentanlage zeigten sich Gallenwege und -blase sonographisch entstaut und gefüllt mit Gasbläschen.

Abb. 2: Endoskopisch-retrograde, ultraschallüberwachte Gallengangssondierung (ERUG) mit Stenteinlage über den Ductus choledochus in das biliäre System. Es kam jeweils ein Untersucher für die Duodenoskopie (Duodenoskop TJF-Q180V der Firma Olympus, Hamburg, Deutschland) und für die perkutane abdominelle Sonographie (C5-1-Schallkopf des Ultraschallgeräts „iU22“ der Firma Philips, Bothell, WA, USA) zum Einsatz. (a) Mittels Duodenoskopie wird die Papilla Vateri eingestellt, aus der sich spontan Eiter entleert. (b) Sondierung des Ductus choledochus mit einem Führungsdraht. (c) Die korrekte Sondierung des Ductus choledochus mit dem Führungsdraht wird sonographisch überprüft. (d) Über den Führungsdraht wird endoskopisch ein 10-French-Plastikstent in den Ductus choledochus eingelegt. (e) Sonographische Darstellung der korrekten Lage des partiell gasgefüllten Stents im nun entstauten Ductus hepatocholedochus.
Abb. 2: Endoskopisch-retrograde, ultraschallüberwachte Gallengangssondierung (ERUG) mit Stenteinlage über den Ductus choledochus in das biliäre System. Es kam jeweils ein Untersucher für die Duodenoskopie (Duodenoskop TJF-Q180V der Firma Olympus, Hamburg, Deutschland) und für die perkutane abdominelle Sonographie (C5-1-Schallkopf des Ultraschallgeräts „iU22“ der Firma Philips, Bothell, WA, USA) zum Einsatz. (a) Mittels Duodenoskopie wird die Papilla Vateri eingestellt, aus der sich spontan Eiter entleert. (b) Sondierung des Ductus choledochus mit einem Führungsdraht. (c) Die korrekte Sondierung des Ductus choledochus mit dem Führungsdraht wird sonographisch überprüft. (d) Über den Führungsdraht wird endoskopisch ein 10-French-Plastikstent in den Ductus choledochus eingelegt. (e) Sonographische Darstellung der korrekten Lage des partiell gasgefüllten Stents im nun entstauten Ductus hepatocholedochus.

 

Im weiteren Verlauf kam es zu einer schnellen klinischen Besserung. Die Körpertemperatur war nach der Stenteinlage in den Ductus choledochus durchgehend normal. Die Leukozytenzahl (10,87 Gpt/l, Norm 4,0 – 10,0) und die Cholestaseparameter (Gesamtbilirubin: 11,5 µmol/l, Norm < 15,0) fielen innerhalb von 3 Tagen deutlich ab. Die Patientin konnte – wieder antikoaguliert mit Apixaban – am 6. Behandlungstag in die Häuslichkeit und damit in die Behandlung des Hausarztes entlassen werden. Im Intervall ist – nach komplettem Ausheilen der akuten Cholangitis – eine Wiederaufnahme zur Stententfernung (ggf. mit Papillotomie) und Cholecystektomie geplant.


Diskussion


Eine schnelle Diagnostik und Ableitung von gestauten und akut entzündeten Gallenwegen ist – neben einer antibiotischen Behandlung – entscheidend für die Prognose der Patienten. Vorrangig versucht man die Ableitung der Gallenwege mittels retrograder endoskopischer Stenteinlage über den Ductus choledochus zu erreichen (sogenannte interne Drainage). Dafür kommt standardmäßig die ERC zum Einsatz (1-4).

Frank Eder, Klaus Mönkemüller, Steffen Rickes und Peter Rauh  (v. l. n. r.) neben der Büste von Hans Kehr im Foyer des AMEOS Klinikums Halberstadt während der Coronapandemie. Hans Kehr (1862-1916) wirkte lange Jahre in Halberstadt. Er gilt als ein Wegbereiter der Gallenchirurgie. Nach ihm ist das „Kehrsche-T-Drain“ benannt.
Frank Eder, Klaus Mönkemüller, Steffen Rickes und Peter Rauh (v. l. n. r.) neben der Büste von Hans Kehr im Foyer des AMEOS Klinikums Halberstadt während der Coronapandemie. Hans Kehr (1862-1916) wirkte lange Jahre in Halberstadt. Er gilt als ein Wegbereiter der Gallenchirurgie. Nach ihm ist das „Kehrsche-T-Drain“ benannt.

Der vorliegende Fall zeigt, dass auch die perkutane Sonographie in der Lage ist, die korrekte endoskopisch-retrograde Sondierung des Ductus choledochus und die Einlage von Stents in das biliäre System zu überwachen.

Unter Berücksichtigung der fehlenden Strahlenbelastung und der guten Verfügbarkeit des Ultraschalls stellt dieses Verfahren eine mögliche Alternative zur klassischen endoskopischen Gallengangsdrainage unter Röntgendurchleuchtung dar. Auf diese Weise können – insbesondere bei fehlenden technischen Voraussetzungen für die Durchführung einer ERC (z. B. bei Defekt der Röntgendurchleuchtungsanlage) und schwierigen Verlegungsbedingungen (z. B. während Epidemien) – Patienten mit akuten Gallenwegsentzündungen schnell und adäquat behandelt und zudem Strahlenbelastungen – insbesondere bei Schwangeren und Kindern – vermieden werden.

Potenzielle Nachteile der endoskopisch-retrograden, ultraschallüberwachten Gallengangssondierung (ERUG) sind darmgas- und untersucherbedingte Beeinträchtigungen der sonographischen Darstellung des biliären Systems sowie die erforderliche Anwesenheit von zwei Untersuchern. Ob durch das endoskopisch-retrograde Einbringen eines Ultraschallkontrastmittels in das biliäre System und der parallelen Beurteilung der Kontrastmittelausbreitung durch den perkutanen abdominellen Ultraschall auch ein differenzialdiagnostischer Nutzen hinsichtlich der Abklärung von unklaren Gallenwegserkrankungen besteht, müsste in prospektiven Untersuchungen geklärt werden.


Fazit


Die ERUG stellt ein Verfahren dar, mit dem auch Stents sicher über den Ductus choledochus in das biliäre System eingelegt werden können. Die Methode könnte – sowohl hinsichtlich Therapie als auch Diagnostik am Gallenwegssystem – in Zukunft eine Alternative zur klassischen ERC sein und Strahlenbelastungen – insbesondere bei Schwangeren und Kin-dern – reduzieren helfen.

 

 

Literatur

  1. Lan Cheong Wah D, Christophi C, Muralidharan V. Acute cholangitis: current concepts. ANZ J Surg 2017; 87: 554-559. doi: 10.1111/ans.13981. Epub 2017 Mar 24.
  2. Gutt C, Jenssen C, Barreiros AP, et al. Aktualisierte S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von Gallensteinen. Z Gastroenterol 2018; 56: 912-966. doi: 10.1055/a-0644-2972. Epub 2018 Aug 13.
  3. Rickes S, Treiber G, Mönkemüller K, et al. Impact of the operator's experience on value of high-resolution transabdominal ultrasound in the diagnosis of choledocholithiasis: a prospective comparison using endoscopic retrograde cholangiography as the gold standard. Scand J Gastroenterol 2006; 41: 838-843.
  4. Demehri FR, Alam HB. Evidence-based management of common gallstone-related emergencies. J Intensive Care Med 2016; 31: 3-13. doi: 10.1177/0885066614554192. Epub 2014 Oct 15.

 

Abbildungen und Foto: AMEOS Klinikum Halberstadt


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