Perorale endoskopische Myotomie (POEM) nach klinisch erfolgreicher Botulinumtoxin-Injektion in den unteren Ösophagussphinkter

D. Ensberg*, Th. Lalla**, B. Hanke*
Helios Bördeklinik, Oschersleben
* Zentrum für Innere Medizin; ** Chirurgie
Einleitung und Zielsetzung
Die Achalasie mit Leitsymptom Dysphagie lässt sich heute mit modernen Funktionsuntersuchungen wie der High-Resolution-Manometrie (HRM) in drei Subklassen einteilen. Die Diagnosekriterien sind nach den Chicago-Kriterien definiert. Die neue Leitlinie der European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) fasst die Studien zur fachgerechten Behandlung zusammen.
Allerdings finden sich immer wieder Grenzbefunde wie die ösophago-gastrische Abflussstörung. Dieser Befund ist charakterisiert durch eine fehlende Relaxation des unteren Ösophagussphinkters. Die typischen Zeichen der Achalasie in Bezug auf den tubulären Ösophagus fehlen: Fehlende tubuläre Peristaltik (Typ I), simultane tubuläre Peristaltik (Typ II) oder vermehrte spastische Kontraktionen des tubulären Ösophagus (Typ III). Der klinische Schweregrad ist variabel und reicht von nicht vorhandenen Symptomen bis zur schweren Dysphagie. Teils ist der Befund selbstlimitierend, teils über Jahre persistierend mit Entwicklung einer Achalasie. Handlungsrichtlinien existieren nicht. Mittels probatorischer Botulinumtoxin-Injektion in den unteren Ösophagussphinkter und Erfassung des klinischen Symptomenscores vor und nach Therapie, inklusive dem Relaps nach primär klinisch erfolgreicher Therapie, lässt sich die Prognose einer invasiveren Therapie mit pneumatischer Ballondilatation, Hellerscher Myotomie oder peroral endoskopischer Myotomie abschätzen.
Klinisches Fallbeispiel
Achalasieformer Symptomenkomplex bei ösophago-gastrischer Abflussstörung
Eine seit Jahren unter täglicher Durchschluckstörung leidende 55-jährige Patientin stellte sich in der Bördeklinik vor. Der Eckardt Score der Patientin betrug 5 Punkte. Dieser setzt sich aus den Symptomenindices aus Dysphagie, Regurgitation, Brustschmerz und Gewichtsverlust zusammen. Der maximal erreichbare Wert liegt bei 12. Die dysphagischen Symptome traten vermehrt bei fester Nahrung mit retrosternalen Schmerzen und Regurgitationen auf. Die refluxartige Symptomatik zeigte kein Ansprechen auf unterschiedliche Protonenpumpenhemmer in doppelter Standarddosis. Nach Absetzen der PPI ist es zu keiner Verschlechterung der Symptomatik gekommen.

Zudem ist ein saurer Reflux ausgeschlossen, da der De-Meester-Score in der pH-Metrie, nach 10-tägiger Pausierung der PPI negativ war. Die Patientin nahm keine weiteren Medikamente wie z. B. Opioide ein, die eine Schluckstörung aggravieren können. Gastroskopisch, auch histologisch ergab sich ein Normalbefund. In der Impedanz-Manometrie (HRM) imponierte eine vermehrte Refluation von Flüssigkeit mit unvollständiger Clearance, es verblieb nach dem Schluckakt Flüssigkeit im tubulären Ösophagus (Abb. 1). Der untere Ösophagussphinkter relaxierte unvollständig. Im tubulären Ösophagus zeigten sich angedeutete simultane Kontraktionen. Die Latenzzeit, die Zeit vom Initiieren des Schluckens bis zur tubulären Peristaltik, war jedoch unauffällig. Nach der gängigen Chicago-Klassifikation ist eine ösophago-gastrische Abflussstörung diagnostiziert worden. Eine Achalasie mit Beteiligung des tubulären Ösophagus lag bei der Patientin nicht vor. Im dynamischen Breischluck imponierte eine Hypomotilität bei Engstellung des unteren Ösophagus auf einer Strecke von insgesamt 10 mm. Das Ösophaguslumen war nicht dilatiert (Abb. 2a).
Diagnostisch-therapeutisches Vorgehen
Diagnostische Therapie: Botulinum-Injektion in den unteren
Ösophagussphinkter mit passagerer Relaxation
Es erfolgte ein konservativer Therapieversuch mit Pfefferminzöl ohne Erfolg. Anschließend wurde auf Höhe der Z-Linie und ca. 1 cm proximal eine endoskopische 4-Quadranten Injektion von 100 IE Botulinustoxin (Allergan 100 IE) streng intramuskulär durchgeführt. Drei Tage danach zeigte sich eine deutliche Besserung der Symptomatik. Die Besserung hielt über sieben Monate an, dann begann ein Relaps der Symptomatik.

Definitive Therapie: Therapeutische Myotomie
des unteren Ösophagusdrittels
Als Resultat der vorgegangenen Therapien erfolgte bei der Patientin die posteriore perorale endoskopische Myotomie (POEM) in Intubationsnarkose nach prophylaktischer Antibiose. Nach Längsinzision der Mukosa über ca. 2 cm im oberen Ösophagus erfolgte die endoskopische Tunnelpräparation in der submukosalen Schicht zwischen Mukosa und Muscularis propria mit dem ERBE-Hybrid-Messer (T-Type, ERBE-Elektromedizin GmbH, Tübingen) über die Z-Linie hinaus in den Magen und die Myotomie der Ringmuskulatur. Die Myotomie erfolgte ab 4 cm distal des Mukosaeintritts bis 2 cm über die Z-Linie hinaus in den Magen, im proximalen Anteil die selektive Myotomie der zirkulären Muskulatur, weiter distal eine Vollwand-Myotomie inklusive der äußeren Längsmuskulatur. Anschließend ist die Inzision der Mukosa mittels Clip-Reihe (Microtec, Lockado) verschlossen worden (Abb. 2a, b, c, d). Die radiologische Breipassage am Folgetag war prompt und zeigte eine vollständige Entleerung des Ösophagus nach dem Schlucken (Abb. 3a und b). Die Clipreihe zeigte keine Leckage.

Verlauf
Nach Abklingen der Schmerzsymptomatik berichtete die Patientin von einem ungestörten Schluckakt. Die Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmer (20 mg Pantoprazol) wurde in reduzierter Dosis beibehalten, um nach Spaltung der Refluxbarriere eine refluxbedingte Symptomatik zu verhindern. Per Telefoninterview blieb die Patientin über fünf Monate beschwerdefrei. Sechs Monate postinterventionell ist eine erneute Gastroskopie und High-Resolution-Manometrie sowie pH-Metrie geplant. Bei klinischer Beschwerdefreiheit und fehlender Refluxsymptomatik wird dann der Protonenpumpenhemmer abgesetzt.
Diskussion
Die Achalasie entwickelt sich schleichend mit zuerst unspezifischen thorakalen Symptomen. Hierbei handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung mit fehlender Fähigkeit der Relaxation des unteren Ösophagussphinkters mit Durchschluckstörungen. Zusätzlich ist die Motorik des tubulären Ösophagus beteiligt. Bei der Typ-I-Achalasie ist der tubuläre Ösophagus atonisch und dilatiert, bei der Typ-II-Achalasie zeigen sich im gesamten tubulären Ösophagus zeitgleiche, simultane Kontraktionen, beim Typ III spastische Kontraktionen. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 1/10.000, das Manifestationsalter liegt in der Regel im mittleren Lebensalter.

Oft verkannt als Refluxsymptomatik, dauern die Beschwerden jahrelang an, ohne dass die Diagnose gestellt wird. Teils werden diese Patienten mit PPI-resistenten refluxartigen Beschwerden zur Antirefluxchirurgie zugewiesen. Demzufolge gehört heute vor therapeutischen Eingriffen die pH-Metrie mit Impedanzmessung und die High-Resolution-Manometrie zur Standardvoruntersuchung, um diese Patienten zu erkennen. Die Impedanzmessung zeigt auch nicht saure Refludate an sowie eine gestörte tubuläre Clearance, die Manometrie, die Kontraktilität des tubulären Ösophagus und des unteren Ösophagussphinkters. Die ÖGD mit Stufenbiopsien zum Ausschluss einer eosinophilen Ösophagitis ist obligat, andere Ursachen für Dysphagie wie Stenosen werden sicher erkannt. Die Achalasie ist endoskopisch nicht immer einfach zu diagnostizieren. Bei der Typ-I-Achalasie mit massiv erweitertem Ösophagus ist die Diagnose schnell klar. Anders verhält es sich bei Typ-II- und III-Achalasien, diese werden leider leicht übersehen. Die Anamnese sollte den Untersucher leiten und aufmerksam machen: Flüssigkeitsretentionen im Ösophagus und das typische plötzliche Gleiten des Endoskops beim Überwinden des kontrahierten unteren Ösophagussphinkters nach stärkerem Gerätedruck sind wegweisend. Die radiologische Breischluckuntersuchung mag schon teilweise konservativ anmuten, ist aber in einigen Fällen sehr aussagekräftig. Es zeigt sich der typische Kontrastmittelverhalt am unteren Ösophagussphinkter.

Eine Standardbehandlung mittels direkter Injektion von Botulinumtoxin in den unteren Ösophagussphinkter wird nur in Einzelfällen oder zu prognostisch-diagnostischen Zwecken empfohlen. Eine 4-Quadranten-Injektion von 100 IU Botulinumtoxin in 0,5-1 ml Einzel-Volumina direkt proximal der Z-Linie ist empfehlenswert. Im Gegensatz zu generellen endoskopischen Injektionen muss hier streng intramuskulär und nicht submukös injiziert werden. In seltenen Fällen ist als Komplikation eine Mediastinitis beschrieben.
Behandlung der Wahl ist endoskopisch die mehrfache pneumatische Dilatation des unteren Ösophagussphinkters und laparoskopisch die Hellersche Myotomie. Beide Methoden sind gleichwertig zu betrachten. Bei der pneumatischen Ballondilatation wird eine Kardiasprengung primär mit einem 30-mm-Ballon durchgeführt, im Anschluss mit einem 35-mm-Ballon im zeitlichen Abstand von 2-4 Wochen. Bei klinisch fehlendem Erfolg kann die Dilatation auf 40 mm erweitert werden. Damit lässt sich die Perforationsrate gegenüber der primären Verwendung von großlumigen Ballons entscheidend senken. Die Hellersche Myotomie, meist in Kombination mit einer Fundoplikatio nach Dorr, wird laparoskopisch durchgeführt. Die Fundoplikatio wird einerseits bei den anterioren Myotomien zum Zweck der Deckung der Myotomie durchgeführt, andererseits um nach Zerstörung der Antirefluxbarriere einer Refluxsymptomatik vorzubeugen. Häufig ist nach erfolgreicher Therapie beider Methoden die zumindest passagere Einnahme von Protonenpumpenhemmern.

Seit 2010 setzt sich in Zentren die perorale endoskopische Myotomie (POEM) durch. Diese ist eine der wenigen Techniken, die aus dem NOTES-„Hype“ (natural orifice transluminal endoscopic surgery) nachhaltig ist. Der intubierte Patient liegt in der Regel in Rückenlage und erhält eine prophylaktische Antibiose. Es wird ein diagnostisches Gastroskop mit Aufsatzkappe in den Ösophagus eingeführt und entweder anterior oder posterior ein Tunnel zwischen der Mukosa und der Muscularis propria präpariert, in den das Endoskop eingeführt wird. Als Insufflationsgas ist CO2 dringend erforderlich. Insbesondere zwei Endoskopiemesser sind zu empfehlen: Das TT-knife (triangel-tip-knife, Olympus) und das ERBE Hybrid Messer (s. o.). Hierbei handelt es sich um vergleichsweise längere Messer, beide mit integrierter Unterspritzungsfunktion, um die submukosale Schicht ohne Instrumentenwechsel immer wieder durch Nachinjektion anheben zu können. Der submukosale Tunnel wird bis 2 cm distal des unteren Ösophagussphinkters bis in den Magen präpariert. Anschließend erfolgt die endoskopische Myotomie mit demselben Messer wie bei der Tunnelpräparation. Die Myotomie wird ebenfalls bis in den Magen fortgesetzt. Nahe der Einrittsstelle in den Tunnel, ganz proximal, wird die Muscularis propria geschont. Im mittleren Ösophagusdrittel wird die selektive Myotomie der Ringmuskulatur durchgeführt, weiter distal die Vollwandmyotomie inklusive der äußeren Längsmuskulatur. Kleinere Blutungen werden sorgfältig mit dem Endoskopiemesser, wenn nötig mittels einer Koagulationszange gestillt. Verletzungen der Mukosa sind unbedingt zu vermeiden und müssen, falls notwendig, endoskopisch verschlossen werden. Die abschließende Versieglung der Eintrittstelle in den submukösen Tunnel erfolgt in der Regel mit TTS-Clips (through the scope clips) in Reißverschlusstechnik. Zuerst wird der distale Clip etwas entfernt der Mukosainzision gesetzt. Dieser rafft die Inzision, sodass sich die folgenden Clips technisch einfach und sicher applizieren lassen. Verschlusstechniken wie der Over the Scope Clip (OTSC) oder mittels endoskopischer Nahttechnik (z. B. Apollo overstich, Apollo Surgery) werden selten eingesetzt.
Die POEM gilt als hochwirksam und sicher, da die Komplikationsraten recht gering sind. Allerdings ist die Refluxrate etwas höher als bei der Hellerschen Myotomie. Die Untersuchungszeit sollte unter 2 Stunden liegen. Vor Beginn der Prozedur ist das intensive Spülen des Ösophagus teils sehr zeitraubend, um die Kontamination des im Verlauf eröffneten Mediastinums zu vermeiden. Ein präoperatives Gurgeln mit Chlorhexidin Lösung hilft, Rachenkeime zu reduzieren.
In der neuen Achalasieleitlinie der European Society of Gastrointestinal Endoscopy von 2020 werden alle drei Verfahren als gleichwertig beschrieben. Insbesondere bei Typ-III-Achalasie, bei der eine sehr lange Myotomie notwendig für eine adäquate Therapie ist, stellt die perorale Methode die Methode der Wahl dar.
Die betroffenen Patienten sollten über alle Behandlungsoptionen informiert werden. Bei jüngeren, sonst gesunden Patienten wird der Untersucher eher ein definitives Verfahren wählen. Bei älteren, multimorbiden Patienten eher das rasche Verfahren der pneumatischen Ballondilatation.
Die ösophago-gastrische Abflussstörung ist eine Durchschluckstörung mit fehlender Relaxation des unteren Ösophagussphinkters und unauffälliger tubulärer Kontraktion. Es fehlen die typischen tubulären Motilitätszeichen der Achalasie, wie die Atonie (Typ I), die simultane Kontraktion (Typ II) und die Spastik (Typ III). Die klinische Ausprägung dieser Funktionsstörung ist sehr unterschiedlich. Teils findet sich die gastro-ösophageale Abflussstörung als Zufallsbefund bei beschwerdefreien Patienten, teils leiden die Patienten an einer schweren Dysphagie. Der Befund beschreibt erkennbar eine heterogene Gruppe von „Krankheiten“. Die Beschwerden sind zum Teil zeitlich selbstlimitierend, zeigen ein gutes Ansprechen auf Spasmolytika und sind refluxassoziiert. Andere Patienten erkranken im Verlauf an einer Achalasie. Durch Opioide verschlimmern sich die Symptome der Betroffenen. In kleinen Fallserien spricht die ösophago-gastrische Abflussstörung auf die Standardbehandlung der Achalasie an.
Fazit
Bei ösophago-gastrischer Abflussstörung sollte zunächst in Risiko-Nutzen-Abwägung der Patient über den möglichen Verlauf aufgeklärt werden und zum Abwarten geraten werden. Oft sind die Symptome leicht und passager. Opioide können die Symptomatik verschlimmern, ein Therapieversuch mit Protonenpumpenhemmer und ggf. Kalziumantagonist, Nitrat oder Pfefferminzöl kann unterstützend wirken. Erst bei Versagen der Therapie und bei persistierend schweren dysphagischen Symptomen ist eine invasive Therapie in Form einer Myotomie gerechtfertigt. Wertvolle Hinweise auf den zu erwartenden Erfolg der Myotomie kann ein gut dokumentierter Therapieversuch mit Botulinum Injektion in den unteren Ösophagus-sphinkter sein.
Literatur:
- Endoscopic managment of gastrointestinal motility disorders – part 1: European Society of gastrointestinal Endoscopy (ESGE) Guideline
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Dr. med. Dipl.-Pharm. B. Hanke
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