
(Foto: Melitta Schubert/UMMD)
Ahrens, D.1; Törpel, A.2; Dietz, C.1; Braun-Dullaeus, R. C.1
1) Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R., Klinik für Kardiologie und Angiologie, Magdeburg
2) Deutscher Schwimm-Verband e. V., Kassel
Einleitung
Körperliche Aktivität und körperliches Training rücken in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der stetigen Zunahme lebensstilassoziierter Erkrankungen kontinuierlich in den Fokus präventivmedizinischer Interventionsansätze.
Dieser Beitrag soll einen Überblick über den Nutzen körperlicher Aktivität und körperlichen Trainings in Bezug auf die Senkung des Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko bieten und in diesem Zusammenhang aufzeigen, inwieweit eine individualisierte Leistungsdiagnostik dazu beitragen kann, gesundheitsförderliche Effekte zu optimieren.
1. Differenzierung zwischen körperlicher Aktivität und körperlichem Training sowie körperlicher Fitness und körperlicher Leistungsfähigkeit
Bei bewegungsorientierten Empfehlungen zum Erhalt oder Aufbau der Gesundheit im Sinne der Prävention werden oftmals Begriffe wie körperliche Aktivität und körperliches Training synonym verwendet. Hinzu kommt der Begriff der körperlichen Fitness, der als Surrogat für den Status der körperlichen Leistungsfähigkeit benannt wird. Jedoch sind diese Begriffe fachlich klar definiert, voneinander abzugrenzen und somit nur innerhalb eines bestimmten Kontextes zu verwenden.
Unter körperlicher Aktivität wird jegliche (meist unspezifische) muskelinduzierte Bewegung zusammengefasst, die zu einem Anstieg des Energieverbrauches über ~1.0/1.5 MET führt (MET: engl., metabolic equivalent of task; 1 MET = 1 kcal (4184 kJ) x kg-1 x h-1 bzw. Sauerstoffaufnahme von 3,5 ml/kg/min; [1]). Demgegenüber wird nur die geplante, strukturierte, wiederholte und zweckbestimmte Form der körperlichen Aktivität als körperliches Training definiert [2, 3]. Für beide Bewegungsformen kann die Einheit MET in ihrer reinen Form zur Beschreibung der Höhe der Beanspruchung (Intensität) und in Kombination mit der Dauer (z. B. in Minuten) zur Charakterisierung der Gesamtbeanspruchung verwendet werden (beispielsweise 5 MET über 60 min entsprechen 300 MET Minuten).
Im Gegensatz zu diesen bewegungsorientierten Begriffen ist die körperliche Fitness sowie die körperliche Leistungsfähigkeit eine Zusammenfassung von Eigenschaften, die Menschen besitzen (Status) oder erreichen (trainingsbedingte Veränderung). Mit körperlicher Fitness (Ursprung vom englischen Wort „fit“) wird der Zustand der körperlichen Tauglichkeit bzw. Eignung beschrieben, wenn alltägliche Dinge ohne größere körperliche Ermüdung und mit ausreichend Energie bewältigt werden können [2]. Körperliche Fitness bezieht sich somit auf ein bestimmtes, individuell definiertes Ausmaß der körperlichen Leistungsfähigkeit, wobei das Ausmaß von der individuellen Höhe der Beanspruchung abhängig ist. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist hingegen als Größe des körperlichen Leistungsvermögens definiert, die durch spezifische Diagnostikmethoden quantifiziert und somit im Ausmaß beschrieben werden kann (z. B. anhand der VO2max).
2. Körperliche Leistungsfähigkeit und Mortalität
![Abbildung 1 (nach Sandvik et al., 1993 [4]): kumulative, alters-adjustierte kardiovaskulär bedingte Mortalität über einen Beobachtungszeitraum von 16 Jahren, in Abhängigkeit des Fitness-Zustandes (aufgeteilt in Quartile) Abbildung 1 (nach Sandvik et al., 1993 [4]): kumulative, alters-adjustierte kardiovaskulär bedingte Mortalität über einen Beobachtungszeitraum von 16 Jahren, in Abhängigkeit des Fitness-Zustandes (aufgeteilt in Quartile)](/images/stories/21_heft_10/38a.jpg)
Der positive Zusammenhang zwischen körperlicher Leistungsfähigkeit und verminderter Gesamtmortalität ist hinreichend belegt. So konnte die mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit schon 1993 für das Auftreten kardiovaskulär bedingter Todesfälle als unabhängiger Risikofaktor identifiziert werden (s. Abb. 1), [4; körperliche Leistungsfähigkeit wird von den Autoren als körperliche Fitness bezeichnet]. Aktuelle Daten belegen weiterhin, dass mit einer gesteigerten körperlichen Aktivität die Gesamtmortalität (Senkung von 20-30 %) und das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse positiv beeinflusst werden können [5].
Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 könnten jährlich weltweit mehr als ca. 5,3 Mio. Todesfälle verhindert werden, wenn alle inaktiven Menschen zu einem aktiveren Lebensstil wechseln würden [6]. Es wird davon ausgegangen, dass die Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit um 1 MET (s. Kapitel 1) eine Verbesserung des Überlebens um 12 % zur Folge hat [7].
Die Beziehung zwischen der möglichen Risikoreduktion durch die Aufnahme körperlicher Aktivität bzw. körperlichem Training und dem dafür notwendigen Umfang verläuft nicht durchgehend linear. Die größte Risikoreduktion kann bei der Aufnahme körperlicher Aktivität bzw. körperlichem Training bei vorausgegangener inaktiver Lebensweise und niedrigem körperlichen Leistungsstand verzeichnet werden [8].
3. Allgemeine Empfehlungen zum körperlichen Training
![Abbildung 2 (nach Kyu et al., 2016 [11]): Risikokurven für die Assoziation zwischen körperlicher Aktivität (in MET Minuten/Woche) und verschiedenen Erkrankungen Abbildung 2 (nach Kyu et al., 2016 [11]): Risikokurven für die Assoziation zwischen körperlicher Aktivität (in MET Minuten/Woche) und verschiedenen Erkrankungen](/images/stories/21_heft_10/38b.jpg)
Sowohl die europäische als auch die amerikanische Leitlinie zur Primärprävention empfehlen für gesunde Erwachsene allen Alters mindestens 150 Minuten (bis 300 Minuten) moderate körperliche Aktivität pro Woche. Alternativ hierzu kann auch für mindestens 75 Minuten (bis 150 Minuten) pro Woche eine körperliche Aktivität mit höherer Intensität durchgeführt werden. Eine Kombination aus moderater und intensiverer körperlicher Aktivität wird ebenso empfohlen [9,10]. Das Gesamtvolumen dieser Empfehlungen liegt bei ca. 500-1000 MET Minuten/Woche, was bei einer durchschnittlichen Anthropometrie und körperlichen Leistungsfähigkeit ein bis zwei Stunden Jogging bei 8 km/h entspricht (verteilt über eine Woche, im Kontext körperlichen Trainings). Auch kürzere Belastungsperioden ab 10 Minuten werden als gewinnbringend angesehen. Der initial lineare Verlauf der Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf chronische Erkrankungen scheint bis ca. 3000-4000 MET Minuten/Woche anzuhalten (s. Abb. 2) [11]. Hieraus lässt sich ableiten, dass durch das Überschreiten der Empfehlungen ein weiterer deutlicher Zugewinn für die Gesundheit zu erreichen ist.
Körperliche Aktivität sollte in allen Lebensbereichen (Freizeit und Beruf) und Sektoren (Schule, Betriebe, Naherholung) lebenslang verankert sein. Körperliches Training ist mit einem allgemeinen körperlich aktiven Lebensstil zur Steigerung der zielgerichteten Wirksamkeit von Bewegung unter Berücksichtigung eines multimodalen Ansatzes (vielfältige Bewegungsreize hinsichtlich der Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit) einzubeziehen.
Wir als Ärzte*innen sind aufgefordert, jede Konsultation zu nutzen, um das aktuell vorliegende Aktivitätsniveau der Patienten*innen und dessen Optimierung abzuklären [9, 12]. In Anbetracht dessen, dass eine bestehende kardiovaskuläre Erkrankung noch nicht bekannt ist bzw. subklinisch verläuft, ist vor Aufnahme eines körperlichen Trainings eine Abschätzung des kardiovaskulären Risikos mit Hilfe einer Symptomabfrage und des SCORE-Risiko-Algorithmus [12] sowie ggf. die Durchführung einer sportärztlichen Vorsorgeuntersuchung einschließlich weiterführender Untersuchungen empfehlenswert [13].
4. Präventive Effekte körperlicher Aktivität und körperlichen Trainings am Beispiel ausgewählter Erkrankungen
Der positive Effekt körperlicher Aktivität und körperlichen Trainings ist für eine Vielzahl internistischer Erkrankungen im präventiven und therapeutischen Kontext nachgewiesen. Beispielsweise wirkt körperliche Aktivität hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen sowohl in Bezug auf das Auftreten einer arteriellen Hypertonie (Risikoreduktion von ca. 6 % [14]) als auch bei einer bestehenden arteriellen Hypertonie (durchschnittliche Senkung des systolischen Blutdrucks um ca. 7-5 mmHg [15]) positiv. Bei Patienten*innen mit bestehender koronarer Herzerkrankung ist eine Mortalitätsreduktion assoziiert [16]. In diesem Zusammenhang ist die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität ein unabhängiger Prädiktor für das Überleben, wobei nachgewiesen ist, dass durch dessen Erhöhung um 1 ml/min/kg die Mortalität um ca. 15 % reduziert werden kann [17]. Aufgrund dessen ist die Empfehlung zur Durchführung regelmäßiger körperlicher Aktivität fest in der ESC-Leitlinie der KHK verankert [18].
Auch für das Auftreten von Tumorerkrankungen ist ein primärpräventiver Effekt von körperlicher Aktivität nachgewiesen. Für 7 von 15 untersuchten Tumorentitäten besteht ein geringeres Prävalenzrisiko bei körperlich aktiven Menschen (z. B. 8-14 % für das Kolonkarzinom der Männer, 6-10 % bei Mammakarzinom [19]). Bei bestehenden Tumorerkrankung ist ebenso nachgewiesen, dass regelmäßige körperliche Aktivität zu einer verminderten Fatigue-Symptomatik [20] und erhöhten Lebensqualität [21] führt.
5. Möglichkeiten der Festlegung von Intensitätsempfehlungen
Die Empfehlungen zur körperlichen Aktivität beinhalten, neben Hinweisen zu zuträglichen Bewegungsformen (z. B. Radfahren) auch Ausführungen zur Dosis, die meist allein anhand der Dauer, Häufigkeit und Intensität der körperlichen Aktivität charakterisiert wird. Dabei ist jedoch die Dosis als ein sehr komplexes und interindividuelles Konstrukt zu sehen, welches weniger als „Einheitsgröße“ verschrieben werden sollte [22].
Insbesondere in Bezug auf die Intensität der körperlichen Aktivität werden die Empfehlungen häufig nur grob und unscharf differenziert, mit beispielsweise “gering“, “mittel“, “moderat“ oder “mäßig intensiv“, beschrieben. Mit der Maßgabe einer genaueren Intensitätsvorgabe sind weiterhin spezifischere Empfehlungen in Prozent zur maximalen Leistung, zur maximalen Herzfrequenz oder zur maximalen Sauerstoffaufnahme zu finden. Im Rahmen des körperlichen Trainings sollten diese Intensitätsvorgaben jedoch individuell genau dosiert, vergleichbar zu einer Medikation, vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend gängige Methoden zur Festlegung von Intensitätsbereichen im präventionsmedizinischen Kontext aufgeführt und diskutiert.
Intensitätsbereiche in Prozent der maximalen Herzfrequenz (HFmax): Für diese Methode wird die HFmax entweder mittels Faustformeln indirekt rechnerisch bestimmt, oder anhand von Ausbelastungstests auf einem Ergometer direkt gemessen. Eine der gängigsten Faustformeln ist „220 – Lebensalter“. Diese Formel wird mittlerweile jedoch als zu starr und zu monoton angesehen, da diese nur das Alter berücksichtigt [23]. Mit dem Ausbelastungstest auf einem Ergometer kann hingegen die individuelle HFmax valide bestimmt werden, jedoch sollte dies nach Möglichkeit sportartspezifisch stattfinden, d.h. für ein Lauftraining sollte die Untersuchung mittels einer Laufbandergometrie durchgeführt werden. Die vermeintlich individuell definierten Vorgaben der Beanspruchungsintensität anhand von Prozentwerten zur HFmax sind jedoch nicht wirklich individuell. Dies zeigen Untersuchungen, die bei vergleichbaren prozentualen Auslenkungen der HF in Bezug zur HFmax individuelle Beanspruchungsreaktionen ermittelt haben [24].
Intensitätsbereiche in Prozent zur Herzfrequenzreserve (Karvonen-Formel): Intensitätsvorgaben anhand der Herzfrequenzreserve (engl. „heart rate reserve“, HRR) setzen die Kenntnis über die (sportartspezifische) HFmax sowie der Ruheherzfrequenz voraus. Mit diesen Kennzahlen kann mittels der Karvonen-Formel die Trainingsherzfrequenz berechnet werden (siehe Infokasten). Hierbei ist es möglich, unter Berücksichtigung eines Intensitätsfaktors die Beanspruchungsintensität von gering bis hoch zu errechnen [25].

Festlegung der Beanspruchungsintensität mit Hilfe des subjektiven Belastungsempfindens: die RPE-Skala (=engl. Received Perception of Exertion, nach Borg, 1988) wird während körperlicher Belastungen genutzt, um das subjektive Beanspruchungsempfinden zu quantifizieren. Entsprechend der RPE-Skala werden Intensitätsvorgaben gemäß Leitlinien ausgesprochen. Vorsicht ist jedoch bei Patienten*innen mit wenig Sporterfahrung geboten, da aufgrund eines verminderten Körperempfindens unter Belastung, der Anstrengungsgrad nicht immer adäquat eingeschätzt werden kann.

Festlegung von Intensitätsbereichen mittels leistungsdiagnostisch bestimmter metabolischer bzw. ventilatorischer Schwellen: Leistungsdiagnostische Untersuchungsverfahren wie die Spiroergometrie oder die Laktatleistungsdiagnostik ermöglichen es, sogenannte metabolische bzw. ventilatorische Schwellen individuell festzulegen und somit orientiert am Energiestoffwechsel Intensitätsbereiche zu definieren. Hierbei sind die individuelle aerobe Schwelle und die individuelle anaerobe Schwelle markante Abgrenzungen zwischen Beanspruchungen, die primär aerob (<individuelle aerobe Schwelle) oder primär anaerob (>individuelle anaerobe Schwelle) realisiert werden. Ziel der leistungsdiagnostischen Untersuchungen ist es, die individuelle Herzfrequenz (beanspruchungsorientierte Intensitätssteuerung) oder die individuelle Geschwindigkeit/Leistung (belastungsorientierte Intensitätssteuerung) beim Erreichen einer Schwelle zu bestimmen, um anschließend die Trainingssteuerung mit Hilfe dieser Information durchzuführen. Die leistungsdiagnostische Untersuchung sollte in der später geplanten Bewegungsform (z. B. Laufen, Radfahren) durchgeführt werden.
- Spiroergometrie: Während einer Belastungsuntersuchung wird die aufgenommene und abgegebene Menge Sauerstoff und Kohlendioxid je Minute sowie einige weitere Parameter wie die Atemfrequenz und das Atemzugvolumen gemessen (z. B. mittels einer Atemmaske). Anhand dieser Parameter ist es möglich, die individuelle aerobe und anaerobe Schwelle (ventilatory threshold 1 und 2 = VT1 und VT2) zu bestimmen [26]. Zeitgleich ermöglicht die Erfassung ventilatorischer und kardiozirkulatorischer Parameter die Fahndung nach eventuellen pathologischen pulmonalen oder kardialen Ursachen einer Leistungseinschränkung. Weiterhin erfolgt die Beurteilung des Blutdruck- und Herzfrequenz-Verhaltens im Belastungsverlauf.
- Laktat-Leistungsdiagnostik: Während einer stufenförmigen Belastung wird am Ende einer jeden Belastungsstufe die Blutlaktatkonzentration als Marker der metabolischen Beanspruchung bestimmt. Anhand des charakteristischen kurvenförmigen, exponenziellen Verlaufes der Blutlaktatkonzentration im Verlauf des Belastungstests kann die individuelle aerobe und anaerobe Schwelle (lactate threshold 1 und 2 = LT1 und LT 2) bestimmt werden (u. a. unter Zuhilfenahme von leistungsdiagnostischen Softwarelösungen). Mit Hilfe dieser Informationen können individualisierte Intensitätsempfehlungen abgeleitet und ausgesprochen werden. Durch Wiederholung der Laktat-Leistungsdiagnostik nach erfolgtem Training kann den Patienten*innen sehr eindrucksvoll der Trainingsfortschritt mit hohem motivationalem Charakter demonstriert werden (s. Abb. 3, Rechtsverschiebung der Laktatleistungskurve).
Die Tabelle 1 (modifiziert nach Pelliccia et al. [12]) gibt einen Überblick über verschiedene Intensitätsbereiche in Bezug auf einige der gennannten Methoden für deren Bestimmung.
![Tabelle 1 (eigene Tabelle, modifiziert nach Pelliccia et al., 2021 [12]): Kennziffern der Beanspruchungsintensität im Ausdauersport; HFmax = maximale Herzfrequenz, HRR = Herzfrequenzreserve (Vgl. Karvonen-Formel), RPE = received perceived exertion, VO2max = maximale Sauerstoffaufnahmekapazität; aS = aerobe Schwelle, anS = anaerobe Schwelle, a: angepasst an Referenzen, die die Trainingszonen in Beziehung zu der aeroben und anaeroben Schwelle setzen Tabelle 1 (eigene Tabelle, modifiziert nach Pelliccia et al., 2021 [12]): Kennziffern der Beanspruchungsintensität im Ausdauersport; HFmax = maximale Herzfrequenz, HRR = Herzfrequenzreserve (Vgl. Karvonen-Formel), RPE = received perceived exertion, VO2max = maximale Sauerstoffaufnahmekapazität; aS = aerobe Schwelle, anS = anaerobe Schwelle, a: angepasst an Referenzen, die die Trainingszonen in Beziehung zu der aeroben und anaeroben Schwelle setzen](/images/stories/21_heft_10/40b.jpg)
6. Beispiele einzelner ausgewählter Trainingsmethoden
In Ausrichtung auf die Zielstellung des körperlichen Trainings kommen unterschiedliche Trainingsmethoden zur Anwendung. Trainingsmethoden sind als die methodische Übersetzung eines zielführenden Trainingsreizes zu verstehen. Hierbei ist die Beanspruchungsintensität eine der bedeutendsten trainingsreizbestimmenden sowie leistungslimitierenden Größen. Diesbezüglich kann grundlegend zwischen niedrig-intensiven und hoch-intensiven Trainingsmethoden unterschieden werden (engl. low-intensiy training [LIT], high-intensity training [HIT]). Während das LIT unterhalb der aeroben Schwelle (<VT1/LT1) realisiert wird, ist die Beanspruchungsintensität beim HIT oberhalb der anaeroben Schwelle (>VT2/LT2) [27]. Aufgrund begrenzter Energiereserven bzw. der Rate der Energieresynthese kann das LIT mit einem hohen Umfang im Vergleich zum HIT realisiert werden (engl. high volume training [HVT], low volume training [LVT]). Der jeweilige Umfang ist dabei von der individuellen Leistungsfähigkeit abhängig.
Durch das LIT (HVT) sind insbesondere Trainingseffekte hinsichtlich peripherer Parameter zu erwarten (Steigerung der Kapillarisierung, der Mitochondrienanzahl, der mitochondrialen Funktion, Sauerstoffverabreitungsmechanismen [28]). Durch die Anwendung von HIT (LVT) konnten u.a. signifikante Steigerungen der VO2max und des Schlagvolumens nachgewiesen werden [29]. Entscheidender Vorteil gegenüber dem LIT ist, dass beim HIT ein geringerer Zeitaufwand notwendig ist.
Die Kombination beider Trainingsmethoden bedarf einer optimalen Abstimmung hinsichtlich ihrer Relation zueinander. Hierbei ist eine Verteilung von 80 % LIT (HVT) und 20 % HIT (LVT), auch als polarisiertes Training bekannt (engl., polarized training) [30], als besonders wirkungsvoll anzusehen. Entsprechend rückt diese Trainingsmethode in letzter Zeit immer mehr in den Fokus des Freizeit- und Gesundheitssports. Das polarisierte Training hat laut einer Arbeit von Stöggl und Sperlich einen signifikant größeren Einfluss auf verschiedene Leistungsparameter (VO2max, Belastungsdauer, maximale Leistung) als die Anwendung der einzelnen Trainingsmethoden LIT oder HIT [31].
7. Diskussion
Bei der Beratung unserer Patienten*innen zur Steigerung der individuellen körperlichen Aktivität bzw. der Aufnahme körperlichen Trainings sollte unbedingt darauf eingegangen werden, dass in Abhängigkeit von der vorliegenden Erkrankung der zu erwartende Benefit von körperlicher Bewegung oft mit dem Effekt einer Pharmakotherapie zu vergleichen ist bzw. diesen übersteigt. Es sollten sowohl die empfohlene bzw. bevorzugte Sportart, als auch die Dauer, Frequenz und Intensität der einzelnen Trainingseinheiten zur Sprache kommen. Insbesondere bei Sport(wieder)einsteigern ist in diesem Rahmen eine Abschätzung des kardiovaskulären Risikos und ggf. die Durchführung einer sportärztlichen Vorsorgeuntersuchung einschließlich weiterführender Untersuchungen zur Feststellung der medizinischen Sporttauglichkeit empfehlenswert.
Bei Patienten*innen, die ein Training beginnen möchten, stellt sich die Frage nach dem Intensitätsbereich, in dem effektiv anvisierte Ziele erreicht bzw. gesundheitsbezogene Anpassungseffekte zu erwarten sind. Besonders zu Beginn eines Trainings bei Personen mit einer niedrigen körperlichen Leistungsfähigkeit ist die richtige Beratung zum Umfang und zur Intensität der körperlichen Aktivität bzw. des körperlichen Trainings entscheidend, um Abbrüche aufgrund anfänglicher Selbstüberschätzung und/oder Überforderung zu vermeiden.
8. Zusammenfassung
Die positiven Effekte regelmäßiger körperlicher Aktivität bzw. körperlichem Training sind sowohl im primärpräventiven Bereich als auch in der Therapie verschiedenster Erkrankungen hinreichend belegt. Ziel muss es sein, die Patienten*innen zu motivieren, um somit ihr Aktivitätsniveau zu steigern. Um den Patienten*innen die Freude an der Bewegung zu bewahren und den Abbruch des Trainings zu vermeiden, ist es unabdingbar, konkrete Empfehlungen zu geben. Gemeinsam mit dem Patienten*innen sollte:
- die Sporttauglichkeit bzw. gesundheitliche Limitationen mit Hilfe einer medizinischen Vorsorgeuntersuchung festgestellt werden,
- das Trainingsziel und der Weg dahin klar definiert werden,
- idealerweise eine leistungsdiagnostische Methode zur Festlegung der individuellen Intensitätsbereiche angewendet werden,
- eine konkrete Trainingsberatung zu Häufigkeit, Dauer und Intensität des Trainings (idealerweise in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern*innen) unter besonderer Beachtung der vorliegenden Gegebenheiten bei den Patienten*innen (berufliche Belastung, chronische Krankheit, individuelle Neigung) und unter Einbeziehung von Kraft-, Beweglichkeits- und Koordinationstraining durchgeführt werden,
- nach einem angemessenen Zeitraum eine Überprüfung des Trainingserfolges mit Anpassung der Trainingsempfehlungen erfolgen.
Durch den Einsatz der Leistungsdiagnostik in der Beratung von Patienten*innen kann das Training individueller und effektiver gestaltet, die Motivation der Patienten*innen erhöht und eine Überforderung vermieden werden. Somit behalten die Patienten*innen dauerhaft Spaß an der Bewegung und die Compliance wird verbessert.
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