
Abele N 1,2, Hanke B 1, Horter S 3, Kern, BC 4†, Schütte W 3, Schildhaus H-U 5, Mawrin C 1*
1) Institut für Neuropathologie, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg
2) Institut für Pathologie, FAU Erlangen
3) Klinik für Innere Medizin II, Krankenhaus Martha-Maria, Halle (Saale)
4) Klinik für Neurochirurgie, BG-Kliniken, Halle (Saale)
5) Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Essen
* Korrespondierender Autor
Einleitung
Bösartige Neubildungen der Lunge sind die größte Subgruppe unter den krebsbedingten Todesursachen weltweit. Nichtkleinzellige Lungenkarzinome (non-small-cell lung cancer/ NSCLC) machen dabei 85 % der Tumoren aus. Sie werden unter anderem weiter unterteilt in Plattenepithel- und Adenokarzinome. Die aktuelle Inzidenz liegt bei 87,9 (Männer) bzw. 45,7 (Frauen) Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr (1). Insbesondere metastasierte Erkrankungen zeigen dabei eine signifikant schlechtere Prognose. Das mediane Überleben von Patienten mit Hirnmetastasen liegt bei gerade einmal 5 Monaten und die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 7 % gegenüber 48 % bei Abwesenheit von Fernmetastasen (2).
Die Analysen tumorgenetischer Veränderungen beim NSCLC haben das mögliche Therapiespektrum und die Prognose der Erkrankung in jüngerer Vergangenheit deutlich gebessert: Neben EGFR-, BRAF-, ROS1-, NTRK-, HER2-, KRAS-Mutationen sowie dem PD-L1-Status ist eine EML4/ALK-Fusion, insbesondere in fortgeschrittenen Stadien, oft therapiebestimmend und geht zum Teil mit einer erheblich verbesserten Prognose einher. Sie kann in etwa 7–8 % der NSCLC nachgewiesen werden (3). Das EML4-ALK Fusionsonkogen entsteht durch eine Inversion im Chromosom 2p und führt zur dauerhaften Expression einer chimären Tyrosinkinase (4).
Es steht ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, mit dem mittels immunhistochemischer Färbung die Überexpression des Genprodukts dargestellt werden kann (Abbildung 2). Der Beweis einer Chromosomenmutation bzw. einer Translokation gelingt mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH). Sonden binden derart, dass floureszensmikroskopisch entweder Signale in orthotoper Lage nachgewiesen werden (ALK direkt neben 2p23) oder durch die Translokation voneinander entfernte Signale bzw. verlorene Signale festgestellt werden können. Ein sog. single-red Signal stellt eine dieser aberranten Konstellationen dar (Abbildung 3).
Das Wirken als Onkogen wird dann über die kontinuierliche und amplifizierte Tyrosinkinaseaktivität vermittelt. Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) blockieren diese Aktivität und wirken somit dem Onkogen entgegen. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit der zielgerichteten Therapie ALK-positiver Lungenkarzinome (4).
Ein solcher TKI ist Crizotinib. Das orale Aminopyridin ist zur Therapie des ALK-positiven nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms zugelassen. Im Laufe der Therapie können jedoch unter dem Selektionsdruck der TKI-Blockade Resistenzen auftreten, die durch Punktmutationen der ALK-Tyrosinkinasedomäne oder die Aktivierung von Bypass-Signalwegen entstehen. Das Auftreten von Resistenzen muss bei fast allen Patienten festgestellt werden und wird meist nach etwa 10–12 Monaten Therapiedauer beobachtet (5). Bei Resistenzen gegen Crizotinib werden die TKI der zweiten Generation Ceretinib oder Alectinib eingesetzt. Bei erneuter Resistenz kann auf einen TKI der dritten Generation ausgewichen werden (Lorlatinib).
Im Folgenden stellen wir den Fall eines Patienten mit metastasiertem, ALK-fusioniertem NSCLC vor. Der beeindruckende Therapieerfolg der eingesetzten ALK-Tyrosinkinaseninhibitoren und das lange Überleben des Patienten sind hierbei hervorzuheben.
Klinischer Verlauf
Bei dem zum Zeitpunkt der Erstdiagnose 45 Jahre alten männlichen Patienten wurde im Februar 2012 ein NSCLC der rechten Lunge diagnostiziert. Als Risikofaktor ist ein Nikotinabusus von ca. 15 pack years zu nennen (entsprechend etwa 110.000 gerauchten Zigaretten). Histologisch wurde der Tumor als Adenokarzinom subklassifiziert. Initial lag ein klinisches, bildmorphologisches TNM-Stadium von cT4 cN3 M0 (UICC IIIC) vor. Primär wurde eine kombinierte Radiochemotherapie eingeleitet, wobei eine Gesamtdosis von 60 Gy und zwei Zyklen Cisplatin/Vinorelbin appliziert wurden (03-04/2012) und eine minimale Regression erzielt werden konnte. Unter erneuter konsolidierender Chemotherapie mit Carboplatin/Pemetrexed (06-08/2012) und nachfolgender Erhaltungstherapie mit Pemetrexed konnte weiterhin eine minimale Remission erreicht werden, bis es im Dezember 2013 zu einem Progress mit malignem Perikarderguss kam. Unter der begonnenen third-line Therapie mit Erlotinib imponierte jedoch weiterhin ein Tumorprogress. Im Rahmen der erneuten histologischen Sicherung mittels transbronchialer Kryobiopsie konnte eine EML4/ALK-Fusion nachgewiesen werden.
Die Therapie wurde daraufhin im August 2014 auf den ALK-Tyrosinkinaseninhibitor (TKI) Crizotinib umgestellt. Hierunter kam es zu einer sehr guten partiellen Remission bis zum erneuten Progress im September 2015. Eine Umstellung auf Ceritinib führte daraufhin abermals zur Remission und zu einer Stabilisierung des Krankheitsgeschehens für ungefähr zweieinhalb Jahre.
Im April 2018 wurde aufgrund von Wortfindungsstörungen ein solitärer Hirntumor parietal links bei jedoch stabiler pulmonaler Situation entdeckt und reseziert. Histologisch wurde der Tumor als schlecht differenziertes Adenokarzinom identifiziert und bei nukleärer Expression von thyroidalem Transkriptionsfaktor 1 (TTF1) einer Metastase des bekannten NSCLC zugeordnet (Abbildung 1). Erneut konnte eine ALK-Überexpression in der Metastase immunhistochemisch nachgewiesen werden und die dem zugrunde liegende Translokation mittels FISH-Analyse bestätig werden (Abbildung 2). Außerdem wurde der PD-L1 Status erhoben, dabei zeigte der Tumor eine schwache Expression (Tumor proportion score (TPS): 10 %), somit stünde bei Therapieversagen eine PD-L1-Inhibitor-Therapie als alternative Option zur Verfügung (Pembrolizumab).
![Abbildung 1: HE (200x) [a] und immunhistochemische Färbung gegen TTF1 (200x) [b] der im April 2018 resezierten Hirnmetastase eines Adenokarzinoms. Abbildung 1: HE (200x) [a] und immunhistochemische Färbung gegen TTF1 (200x) [b] der im April 2018 resezierten Hirnmetastase eines Adenokarzinoms.](/images/stories/21_heft_11/31a.jpg)
Im Juli 2018 imponierte bildmorphologisch ein Rezidiv der zerebralen Metastasierung. Es erfolgte daraufhin die Umstellung der Therapie auf den TKI Alectinib. Hierunter kam es zu einer kompletten Remission. Seit im Februar 2020 mittels Magnetresonanztomografie eine Meningeosis carcinomatosa entdeckt wurde, erfolgte eine erneute Therapieumstellung auf Lorlatinib. Einen Monat später waren die metastatischen Veränderungen in der Verlaufskontrolle bereits nicht mehr nachweisbar (Abbildung 3).
Insgesamt befindet sich der Patient wegen seines NSCLC seit acht Jahren in Therapie, davon sechs Jahre unter ALK-Tyrosinkinaseninhibitor-Therapie. Trotz initialem Stadium III und zerebraler Metastasierung seit zwei Jahren (04/2018) erfreut sich der Patient einer vergleichsweise hohen Lebensqualität (Karnofsky Performance Status/KPS 90 %).
Diskussion
![Abbildung 2: Abb. 2: Immunhistochemische Färbung (200x) [a] und Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung (630x) [b] zur ALK-Analyse der im April 2018 resezierten Hirnmetastase. Immunhistochemisch zeigt sich eine spezifische, membranöse Anfärbung mit einem ALK-Antikörper. In der FISH zeigen sich single-red-Signale, einzelne rote Fluoreszenzsignale bei Verlust der grünen Signale. Abbildung 2: Abb. 2: Immunhistochemische Färbung (200x) [a] und Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung (630x) [b] zur ALK-Analyse der im April 2018 resezierten Hirnmetastase. Immunhistochemisch zeigt sich eine spezifische, membranöse Anfärbung mit einem ALK-Antikörper. In der FISH zeigen sich single-red-Signale, einzelne rote Fluoreszenzsignale bei Verlust der grünen Signale.](/images/stories/21_heft_11/31b.jpg)
Aufgrund der infausten Prognose (medianes Überleben 5 Monate) von Patienten mit metastasiertem NSCLC gilt das Auftreten von Hirnmetastasen bei Patienten mit NSCLC meist als Zeichen des Eintretens in das finale Krankheitsstadium (2). Für bereits mit Crizotinib-behandelte Hirnmetastasen eines NSCLC wurden allerdings 1-Jahres-Überlebensraten von 64 % berichtet (6). In diesem Stadium spielt die histopathologische Subklassifizierung für die schlechte Prognose keine wesentliche Rolle (2). Allerdings konnten in der jüngeren Vergangenheit einzelne molekulare Veränderungen im Tumor ausgemacht werden, welche eine wesentliche Verbesserung der Prognose durch gezielte und individualisierte Therapie ermöglichen. Mit der Entdeckung von ALK-Translokalisationen in NSCLC im Jahr 2007 und der im Jahr 2010 eingeführten, zielgerichteten ALK-Tyrosinkinaseninhibitor-Therapie wurde die mittlerweile routinemäßig durchgeführte molekularpathologische Analyse von NSCLC etabliert. Das Portfolio der etablierten Untersuchungen mit zugehöriger zielgerichteter Therapieoption umfasst neben der ALK-Analyse heute auch EGFR, ROS1 sowie PD-L1, wobei stetig neue molekularpathologische Biomarker untersucht und zugehörige Therapieoptionen entwickelt werden (7).
![Abbildung 3: Hirn-MRT (T1-Wichtung) nach KM-Applikation in axialer Schnittrichtung. Dabei [a] vom 25.02.20 mit Meningeosis carcinomatosa und [b] vom 23.03.20 nach begonnener Lorlatinib-Therapie mit vollständiger Remission. (Bilder freundlicherweise von Dr. Wujciak zur Verfügung gestellt). Abbildung 3: Hirn-MRT (T1-Wichtung) nach KM-Applikation in axialer Schnittrichtung. Dabei [a] vom 25.02.20 mit Meningeosis carcinomatosa und [b] vom 23.03.20 nach begonnener Lorlatinib-Therapie mit vollständiger Remission. (Bilder freundlicherweise von Dr. Wujciak zur Verfügung gestellt).](/images/stories/21_heft_11/31c.jpg)
Die durch zielgerichtete Therapie mittels ALK-Tyrosinkinaseinhibitoren erzielte Prognoseverbesserung bei ALK-positiven Patienten mit NSCLC kann am Beispiel des hier vorgestellten Falls deutlich beobachtet werden.
Nach Erstdiagnose des NSCLC vor acht Jahren wurde der Patient seit nun sechs Jahren mittels ALK-Tyrosinkinaseinhibitor-Therapie behandelt. Dabei konnte ein über zweijähriges progressionsfreies Intervall erreicht werden. Trotz einer vor zwei Jahren hinzugekommenen zerebralen Metastasierung konnte erneut eine Remission herbeigeführt werden. Die übliche Prognose eines medianen Überlebens von fünf Monaten nach Entwicklung zerebraler Metastasen wurde somit bereits jetzt deutlich übertroffen. Daher passt der Verlauf gut zu den vorbeschriebenen Therapieerfolgen bei ALK-translozierten NSCLC, welche ein mittleres Überleben nach zerebraler Metastasierung unter begonnener ALK-Tyrosinkinaseinhibitor-Therapie von etwa 28 Monaten zeigen (3).
Das hier gezeigte Fallbeispiel zeigt deutlich die Bedeutung der ALK-Analysen im Kontext von NSCLC und demonstriert, welche bemerkenswerten Erfolge durch eine individualisierte und zielgerichtete Therapie erreicht werden können.
Literaturverzeichnis:
- Barnes B, Kraywinkel K, Nowossadeck E, et al.: Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland. 2016.
- Riihimäki M, Hemminki A, Fallah M, et al.: Metastatic sites and survival in lung cancer. Lung Cancer 2014; 86.
- Johung KL, Yeh N, Desai NB, et al.: Extended survival and prognostic factors for patients with ALK-rearranged non-small-cell lung cancer and brain metastasis. J Clin Oncol 2016; 34.
- Sharma GG, Mota I, Mologni L, Patrucco E, Gambacorti-Passerini C, Chiarle R: Tumor resistance against ALK targeted therapy-Where it comes from and where it goes. Vol. 10, Cancers. 2018.
- Matikas A, Kentepozidis N, Georgoulias V, Kotsakis A: Management of Resistance to Crizotinib in Anaplastic Lymphoma Kinase-Positive Non–Small-cell Lung Cancer. Vol. 17, Clinical Lung Cancer. 2016.
- Costa DB, Shaw AT, Ou SHI, et al.: Clinical experience with crizotinib in patients with advanced ALK-rearranged non-small-cell lung cancer and brain metastases. J Clin Oncol 2015; 33.
- Herbst RS, Morgensztern D, Boshoff C: The biology and management of non-small cell lung cancer. Vol. 553, Nature. 2018.
Danksagung:
Wir danken den Kolleginnen & Kollegen der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Halle (Dres. Wujciak, Diestelhorst, Drevenstedt, Gollmann, Gürtler, Weidt) für die Überlassung des Bildmaterials.
Interessenskonflikte:
HU Schildhaus: Honorare: Roche Pfizer, Novartis; Forschungsunterstützung: Novartis
C. Mawrin: Forschungsförderung ROCHE
Schütte W: Honorar und Reisekosten bei Mitarbeit in einem Wissenschaftlichen Beirat und bei Vortrags-/oder Schulungstätigkeit: Roche, Drittmittel für Forschungsvorhaben/Durchführung klinischer Studien: Roche, Novartis
Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. Christian Mawrin
Institut für Neuropathologie
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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39120 Magdeburg
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