Paul-Christoph Zeisler
Paul-Christoph Zeisler
(Foto: privat)

Zeisler, P.-C. 1; Müller, M.2

1 Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2 Klinik für Innere Medizin I, Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau


Zusammenfassung


Der Impfstoff Spikevax® mRNS-1273 (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) wird erfolgreich zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt. Mit zunehmender Anzahl an verabreichten Impfdosen können auch seltene Nebenwirkungen detektiert werden.

Anamnese und klinischer Befund
Es wird von einem 90-jährigen Patienten ohne bekannte kardiale Vorerkrankungen, der in zeitlichem Zusammenhang mit der Erstdosis des Covid-19-Impfstoffs Spikevax® mRNS-1273 (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) einen ST-Hebungsinfarkt (STEMI) erlitten hat, berichtet. Die Symptome, die wenige Stunden nach der Impfung auftraten, interpretierte der Patient als Impfreaktion.

Untersuchung und Diagnose
Im Elektrokardiogramm (EKG) zeigten sich ST-Hebungen in den Ableitungen II, III, aVF sowie V5-V6, passend zu einem STEMI der Hinterwand, der sich in der Koronarangiografie objektivieren ließ.

Therapie und Verlauf
Bei Verschluss der rechten Koronararterie (RCA) erfolgte nach Re-Kanalisation die Implantation von drei SYNERGY™ „Drug-Eluting Stents“ (DES) (Boston Scientific Medizintechnik GmbH, Ratingen, Deutschland) und anschließend eine thrombozytenaggregationshemmende Therapie.

Folgerung
Das Patientenalter und die damit einhergehende statistische Häufung von Herzinfarkten lassen eine Koinzidenz möglich erscheinen. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen erfolgter Impfung und dem Auftreten eines Myokardinfarkts sollte eine Impfnebenwirkung diskutiert werden. Mit zunehmender Anzahl an Impfungen wird sich herausstellen, ob ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte besteht. Dieser Fallbericht zeigt, dass Impfreaktionen eine schwerwiegende akute Erkrankung verschleiern und die korrekte Diagnosestellung erschweren und verzögern können.
Die zügige Entwicklung und Zulassung von mehreren wirksamen Impfstoffen gegen Covid-19 ist eine große Errungenschaft der Wissenschaft, die dieser Fallbericht nicht in Frage stellen will.


Einleitung


Seit über einem Jahr beeinflusst die Covid-19-Pandemie das Leben der Menschen weltweit. Zur Bekämpfung der Pandemie wurden mehrere Impfstoffe entwickelt. Mehr als 57 Millionen Menschen haben in Deutschland bereits mindestens eine Impfung erhalten.1 Mit zunehmender Anzahl an verabreichten Impfungen wächst das Verständnis über mögliche seltene Nebenwirkungen. Dieser Fallbericht soll auf die Ähnlichkeit von Impfreaktionen und Herzinfarktsymptomen und der Möglichkeit der Fehlinterpretation aufmerksam machen.


Kasuistik


Anamnese
Ein 90-jähriger sich selbstversorgender Patient erhielt am 3. Februar 2021 die erste Impfung mit dem Impfstoff Spikevax® mRNS-1273 (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) in den linken Oberarm. Wenige Stunden nach der Impfung verspürte er Schmerzen im linken Arm und der linken Schulter. Zudem fühlte er sich schwach und taumelig.Der Patient interpretierte die Beschwerden als Impfreaktionen. Einen Arzt konsultierte er nicht.
Zwei Tage nach der Impfung stürzte der Patient und zog sich multiple Hämatome und Schnittwunden zu. Bei Eintreffen des Rettungsdienstes war der Patient wach und kreislaufstabil. Fremdanamnestisch bestand keine Bewusstlosigkeit. Pektanginöse Beschwerden wurden nicht angegeben.

Abbildung 1: Aufnahme-EKG: Es zeigten sich ST-Hebungen und Q-Zacken in den Ableitungen II, III, aVF sowie V5-V6.
Abbildung 1: Aufnahme-EKG: Es zeigten sich ST-Hebungen und Q-Zacken in den Ableitungen II, III, aVF sowie V5-V6.

 

Abbildung 2: Darstellung des Befunds der Koronarangiografie prä (A)- und postinterventionell (B): Es zeigte sich ein Verschluss der RCA, der durch Implantation von drei SYNERGY™ „Drug-Eluting Stents“ (DES) (Boston Scientific Medizintechnik GmbH, Ratingen, Deutschland) rekanalisiert werden konnte.
Abbildung 2: Darstellung des Befunds der Koronarangiografie prä (A)- und postinterventionell (B): Es zeigte sich ein Verschluss der RCA, der durch Implantation von drei SYNERGY™ „Drug-Eluting Stents“ (DES) (Boston Scientific Medizintechnik GmbH, Ratingen, Deutschland) rekanalisiert werden konnte.
 


Diagnostik/Befunde

Im Aufnahme-EKG (Abb. 1) zeigten sich ST-Hebungen in den Ableitungen II, III, aVF sowie V5-V6. Im Verlauf zeigte sich zudem ein AV-Block III°.
In der Koronarangiografie (Abb. 2) konnte der Verdacht auf einen STEMI der Hinterwand objektiviert werden.
In der transthorakalen Echokardiografie bestand eine Akinesie inferoseptal, inferior und posterior. Die linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) betrug 48 %.
Laborchemisch (Tab. 1, S. 44) zeigte sich ein initiales Troponin T von 3,790 ng/ml sowie eine deutlich elevierte Kreatinkinase-MB (CK-MB).


Therapie und Verlauf


Durch den Notarzt wurde der sofortige Transport des Patienten in das Herzkatheterlabor veranlasst. Bei Verschluss der rechten Koronararterie (RCA) erfolgte die Implantation von drei SYNERGY™ „Drug-Eluting Stents“ (DES) (Boston Scientific Medizintechnik GmbH, Ratingen, Deutschland) (Abb. 2). Eine thrombozytenaggregationshemmende Therapie mit ASS 100 mg und Ticagrelor 90 mg wurde begonnen.
Bei einem AV-Block Grad III° wurde die Implantation eines Zweikammerschrittmachers (Attesta™ DR MRI SureScan™, Medtronic GmbH, Meerbusch, Deutschland) vorgenommen.
Nach vierzehntägiger Hospitalisierung erfolgte die Verlegung in die Kurzzeitpflege und anschließend in die Rehabilitation. Noch während des Aufenthaltes in der Kurzzeitpflege erhielt der Patient komplikationslos die zweite Impfdosis.

Tabelle 1: Verlaufsübersicht kardiologisch relevanter Laborparameter
Tabelle 1: Verlaufsübersicht kardiologisch relevanter Laborparameter


Diskussion


Große Studien zum Zusammenhang von Covid-19-Impfungen und dem Auftreten von Herzinfarkten gibt es bisher nicht. Der unserer Kenntnis nach weltweit erste Fallbericht über einen Herzinfarkt nach erfolgter Impfung mit dem Spikevax® mRNS-1273 Impfstoff (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) wurde im März 2021 veröffentlicht.2 Eine weitere Publikation über zwei Patienten, bei denen ein Myokardinfarkt in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung mit dem Spikevax® mRNS-1273 Impfstoff (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) auftrat, wurde von Sung et. al veröffentlicht.3 Einer der beschriebenen Patienten, interpretierte die Symptome – ähnlich wie in dem hier beschriebenen Fall – zunächst als Folge der kurz zuvor erfolgten Impfung.3 Auch für andere verwendete Covid-19-Impfstoffe gibt es einzelne Fallberichte von Myokardinfarkt nach erfolgter Impfung.4 5 6
Als Auslöser für einen Herzinfarkt nach der Impfung können verschiedene Theorien diskutiert werden. Möglich ist ein durch die Impfung allergisch vermittelter Vasospasmus der Koronargefäße.7 8 9 Eine weitere Erklärung könnte eine Antikörper-vermittelte Bildung von prokoagulierenden Thrombozyten, wie sie in in-vitro-Untersuchungen mit Serum von Covid-19-Patienten gezeigt wurde, sein.10
Möglicherweise wirkt Stress als Trigger für einen Herzinfarkt. Die Impfstoffknappheit und komplizierte Terminvergabe kann für ältere Menschen ein erhöhtes Stresspensum darstellen und einen Herzinfarkt begünstigen.2
Für Vektor-Impfstoffe wird eine Immunthrombozytopenie ähnlich der Heparin-induzierten Thrombozytopenie diskutiert.11 Für die Influenzaimpfung sind Vaskulitiden, die zu einem Myokardinfarkt führen, als seltene Nebenwirkung beschrieben.12

Neben einem kausalen Zusammenhang sollte auch eine Koinzidenz in Betracht gezogen werden. Laut „Deutscher Herzstiftung“ erleiden mehr als 300.000 Menschen in Deutschland pro Jahr einen Herzinfarkt.13 Besonders betroffen sind ältere Menschen. Vor allem ältere Personen, also die Risikogruppe für Herzinfarkte, wurden bisher geimpft. Diese Tatsache kann zur Koinzidenz von Herzinfarkten nach Covid-19-Impfung führen.

In Studien waren Schmerzen an der Injektionsstelle, Fatigue, Myalgie, Kopfschmerzen sowie Schüttelfrost die häufigsten Impfreaktionen.14 15 16 Meist waren die Symptome mild und begannen circa 15 Stunden nach der Impfung.15 16 Die für den Impfstoff Spikevax® mRNS-1273 (MODERNA BIOTECH SPAIN, S.L., Madrid, Spanien) beschriebenen Impfreaktionen können aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Herzinfarktsymptomen verwechselt werden. In dem hier beschriebenen Fall interpretierte der Patient seine Symptome als Impfreaktionen, an einen Herzinfarkt dachte er nicht.
In Anbetracht des ausgeprägten Befundes in der Koronarangiografie und des Patientenalters erscheint die Impfung als alleinige Ursache für den STEMI unwahrscheinlich. Als Auslöser kann sie jedoch eine Rolle gespielt haben.

Mit diesem Fallbericht soll die Aufmerksamkeit für seltene Impfreaktionen geschärft werden. Eine gute Dokumentation und ein funktionierendes Meldewesen sind essenziell, um die Impfsicherheit und das Vertrauen in den Impfstoff zu gewährleisten. Es bleibt abzuwarten, ob über weitere Fälle von Herzinfarkten nach Covid-19-Impfung berichtet wird.Einzelne Fallberichte von Impfreaktionen sollten nicht zu vorschnellen Schlüssen und zu Zweifeln an der Sicherheit der Impfstoffe führen.

Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Impfreaktionen und Herzinfarktsymptomen sollte im Zweifel die Indikation zur weiteren Abklärung und dem Ausschluss eines Herzinfarktes großzügig gestellt werden. Das gilt insbesondere für Patienten mit kardialen Risikofaktoren.

Kernaussagen

  • Impfreaktionen können eine schwerwiegende Erkrankung maskieren. Insbesondere bei älteren Menschen können Impfreaktionen einen Myokardinfarkt verschleiern.
  • Schwere Impfnebenwirkungen sind nicht auszuschließen und sollten erfasst und gemeldet werden.
  • Beschwerden nach Impfungen sollten ausreichend Beachtung finden.
  • Eine hohe Durchimpfungsrate in der Bevölkerung wird dazu beitragen, die Covid-19-Pandemie zu beenden.

 


Literaturverzeichnis

  1. Gesundheit B für. Das offizielle Dashboard zur Impfkampagne der Bundesrepublik Deutschland. Accessed October 25, 2021. https://impfdashboard.de/
  2. Boivin Z, Martin J. Untimely Myocardial Infarction or COVID-19 Vaccine Side Effect. Cureus. 2021;13(3):e13651. doi:10.7759/cureus.13651
  3. Sung JG, Sobieszczyk PS, Bhatt DL. Acute Myocardial Infarction Within 24 Hours After COVID-19 Vaccination. The American Journal of Cardiology. 2021;156:129-131. doi:10.1016/j.amjcard.2021.06.047
  4. Tajstra M, Jaroszewicz J, Gąsior M. Acute Coronary Tree Thrombosis After Vaccination for COVID-19. JACC Cardiovasc Interv. 2021;14(9):e103-e104. doi:10.1016/j.jcin.2021.03.003
  5. Chatterjee S, Ojha UK, Vardhan B, Tiwari A. Myocardial infarction after COVID-19 vaccination-casual or causal? Diabetes Metab Syndr. 2021;15(3):1055-1056. doi:10.1016/j.dsx.2021.04.006
  6. Srinivasan KN, Sathyamurthy I, Neelagandan M. Relation between COVID-19 vaccination and myocardial infarction – Casual or coincidental? IHJ Cardiovascular Case Reports (CVCR). 2021;5(2):71-74. doi:10.1016/j.ihjccr.2021.05.003
  7. Kounis NG, Koniari I, de Gregorio C, et al. Allergic Reactions to Current Available COVID-19 Vaccinations: Pathophysiology, Causality, and Therapeutic Considerations. Vaccines. 2021;9(3):221. doi:10.3390/vaccines9030221
  8. Kraus J, Schuler J, Hoppe UC, Hawranek T, Altenberger J. Der allergische Myokardinfarkt - Kounis-Syndrom. Journal für Kardiologie - Austrian Journal of Cardiology. Published online 2012:19 (5-6),118-122.
  9. Kounis NG, Koniari I, Mplani V, Kouni SN, Plotas P, Tsigkas G. Acute Myocardial Infarction Within 24 Hours After COVID-19 Vaccination: Is Kounis Syndrome the Culprit? Am J Cardiol. Published online October 24, 2021.doi:10.1016/j.amjcard.2021.09.032
  10. Althaus K, Marini I, Zlamal J, et al. Antibody-induced procoagulant platelets in severe COVID-19 infection. Blood. 2021;137(8):1061-1071. doi:10.1182/blood.2020008762
  11. Greinacher A, Thiele T, Warkentin TE, Weisser K, Kyrle PA, Eichinger S. Thrombotic Thrombocytopenia after ChAdOx1 nCov-19 Vaccination. N Engl J Med. 2021;384(22):2092-2101. doi:10.1056/NEJMoa2104840
  12. Ritter O, Bonz A, Strotmann J, Langenfeld H. [Myocardial infarction after influenza vaccination]. Z Kardiol. 2003;92(11):962-965. doi:10.1007/s00392-003-0983-7
  13. Deutsche Herzstiftung. Herzinfarkt. Accessed March 21, 2021. https://www.herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinfarkt
  14. Jackson LA, Anderson EJ, Rouphael NG, et al. An mRNA Vaccine against SARS-CoV-2 - Preliminary Report. N Engl J Med. 2020;383(20):1920-1931. doi:10.1056/NEJMoa2022483
  15. Baden LR, El Sahly HM, Essink B, et al. Efficacy and Safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine. N Engl J Med. 2021;384(5):403-416. doi:10.1056/NEJMoa2035389
  16. Anderson EJ, Rouphael NG, Widge AT, et al. Safety and Immunogenicity of SARS-CoV-2 mRNA-1273 Vaccine in Older Adults. N Engl J Med. 2020;383(25):2427-2438. doi:10.1056/NEJMoa2028436

 

Korrespondenzanschrift:
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