Berichtet wird in einem Fall des Fehlerregisters der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für Klinische Hämotherapie (IAKH) aus dem Jahr 2020 über eine Fehltransfusion (https://t1p.de/fehltransfusion).
Das Fehlerregister der IAKH dient der Analyse von Fehlern und (Beinahe-) Zwischenfällen in der Hämotherapie mit dem Zwecke einer zukünftigen Vermeidung und ist allen Ärzten zugänglich, die aktiv Hämotherapie betreiben.
Was ist passiert?
Ein Patient mit kritischem Zustand wurde aus einem externen Haus zur weiteren Versorgung in die chirurgische Klinik auf die Intensivstation verlegt. Der Patient zeigte sich bei Aufnahme im Schock, war katecholaminpflichtig und intubiert/beatmet.
Es folgte der zügige Transport von der Intensivstation in die interventionelle Diagnostik. Während des Eingriffs wurde der Patient zunehmend instabiler und zeigte sich volumenbedürftig bei steigenden Katecholamindosen, schlechter Gerinnung und einem Hämoglobin-Wert (Hb) im transfusionsbedürftigen Bereich. Der Assistenzarzt informierte seinen Facharzt, welcher anschließend 4 Erythrozytenkonzentrate (EKs) und 2 aufgetaute Gefrierplasmen (FFPs) vorbeibrachte. Die EKs waren gerade nach einer Notfallanforderung aus der Blutbank geschickt worden und waren mit passendem Begleitschein versehen. Die 2 FFPs lagen bereits aufgetaut und abgezeichnet im Patientenzimmer. Begleitscheine waren nicht mehr dabei.
Nachdem ein Bedside-Test durchgeführt wurde, wurden 2 EKs transfundiert. Der Patient hatte die Blutgruppe A positiv, im Bedside-Test bestätigte sich die Blutgruppe A. Anschließend wurde ein FFP, welches bereits abgekreuzt gewesen ist, ohne weitere Überprüfung durch den Assistenzarzt angehängt. Nachdem dieser nochmals ein Blick auf die Blutkonserve geworfen hatte, fiel auf, dass es sich bei dem FFP um die Blutgruppe 0 handelte. Die Transfusion wurde sofort gestoppt, abgehängt und die Blutbank darüber informiert. Der Patient zeigt keine bemerkbare Reaktion auf diesen Transfusionszwischenfall.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die FFPs für den Patienten im Nachbarbett auf der Intensivstation gedacht gewesen waren. Diese waren dort bereits durch einen anderen Assistenzarzt zur Transfusion kontrolliert und die Begleitscheine noch vor Transfusion in die Akte abgeheftet worden. Der Facharzt hatte die Blutprodukte aus dem Zimmer mit in die Angiografie genommen, ohne nochmals die fehlenden Begleitscheine zu suchen und zu überprüfen. Der Assistenzarzt in der Diagnostik hatte sich in der Situation ohne Nachfragen darauf verlassen, dass diese FFPs dem richtigen Patienten zugeordnet worden waren und er hatte vor Anhängen die Blutgruppenkompatibilität fehlgedeutet bzw. nicht wahrgenommen. Schlecht war, dass die Transfusion von bereits gekreuzten Blutprodukten ohne Begleitschein erfolgte.
Einschätzung
Obwohl ein sehr realistisches und übliches Szenario geschildert wird, ist die Aufteilung der Transfusionstherapie auf verschiedene Funktionsbereiche im Krankenhaus (Normalstation, Schockraum/Aufnahme, Intensivstation, Angiographie/Endoskopie/OP) nach einer notfallmäßigen Aufnahme des Patienten von einem externen Haus ein komplexer und deshalb immer individuell strikt zu regelnder Prozess. Bei diesem Fall sind mehrere Probleme festzustellen. Die Transfusion mehrerer Blutkonserven und multipler Komponenten ist bei der Verteilung auf mehrere Ärzte hinsichtlich eines identischen Vorgehens bei der Verabreichung und der Sicherheitsmaßnahmen in dem geschilderten Fall verbesserungswürdig.
Weshalb die Plasmen des Nachbarpatienten nicht unmittelbar angehängt und transfundiert worden sind, bleibt unklar. Bei einem nicht immer vermeidbaren Personalwechsel oder bei Mitarbeit des Supervisors innerhalb einer Transfusionsserie sind einheitliches Vorgehen, klare Absprachen und bestimmte Regeln notwendig, die hier offensichtlich nicht eingehalten wurden:
- Blutprodukte wurden ohne Begleitschein transportiert und wurden im Patientenzimmer zwischengelagert. Sowohl die unbeaufsichtigte Zwischenlagerung als auch der Zugriff durch den Facharzt ist laut Hämotherapierichtlinie der Bundesärztekammer Kap. 4.7 („Transport innerhalb der Einrichtung“ [1]) regelwidrig („Der Transport von Blutprodukten hat unter den entsprechenden kontrollierten Bedingungen zu erfolgen und ist durch eine schriftliche Anweisung zu regeln. Während des Transports der Blutprodukte ist bis zur Übergabe in den Verantwortungsbereich des Anwenders dafür Sorge zu tragen, dass kein Unbefugter Zugriff zu den Blutprodukten hat und die Qualität der Blutprodukte nicht beeinträchtigt wird.“) [1]. Im Qualitätshandbuch Bluttransfusion des Hauses sollte eine Vorschrift zum internen Blutkonserventransport zu finden sein.
- Die Plasmen wurden ohne Einsicht in die Begleitscheine transfundiert. Der Abgleich von Begleitscheinen, Blutgruppenbefund und Kreuzprobe, Bedside-Test und Patientenidentität erfordert die bettseitige Anwesenheit aller Komponenten. Das scheint entweder in diesem Haus nicht durchgängig gehandhabt zu werden oder die Begleitscheine waren auch für den eigentlich vorgesehenen Nachbarpatienten nicht regelkonform entfernt worden oder versehentlich schon abheftet worden. Eine eindeutige Verfahrensanordnung/SOP oder die Scannerbegleitung dieses Prozesses verspräche zusätzliche Sicherheit.
- Die Verabreichung gekreuzter Konserven spricht trotz Katecholaminpflichtigkeit für eine geplante, aber bedingt dringliche Indikationsstellung bei einem „instabilen“ Patienten. Ob deshalb die gleichzeitige Verabreichung mehrerer Komponenten indiziert ist, kann nicht beurteilt und aus der Meldung geschlossen werden. Auffällig ist die paarweise Standarddosierung, die nur in manchen dringenden Fällen gerechtfertigt ist. Die Indikation zur Transfusion ist kritisch und restriktiv zu stellen [2]. Die Gefahren sind Übertransfusion, Volumenbelastung und erschwerte Zuordnung von eventuell auftretenden anderen Transfusionsreaktionen [3].
- Die Dosierung von 2 Einheiten Gefrierplasma ist schwer einzuordnen. Eine Gerinnungsstörung wurde vermutlich nicht diagnostiziert (somit keine Indikation gegeben) und die Verabreichung von Plasma zur Volumensubstitution ist nicht leitliniengerecht. Da die Plasmen für den Nachbarpatienten gedacht waren, lässt sich die Indikationsstellung nicht beurteilen. Eine Fortbildung hinsichtlich der Indikationsstellung oder die Rückfrage des Blutdepots bei Anforderung der 2 Frischplasmen hinsichtlich der Indikation und Begründung dieser Dosierung reduziert dennoch solche fraglich indizierten Transfusionen.
- Die Supervision des Assistenzarztes lässt zumindest in diesem Fall vermuten, dass sie nicht so sorgfältig stattfinden konnte, sodass der Fehler, der durch den Facharzt mitbedingt war, aufgefallen wäre. Ein Fehlverhalten des Facharztes ist in dieser Notfallsituation zwar verständlich, aber muss infolge der Patientengefährdung UND der mangelnden Vorbildfunktion für den Assistenzarzt kritisiert werden.
- Da dieser Fall typisch ist für die häufigen und vielfältigen Schnittstellen der Kommunikation im perioperativen Bereich oder wie hier nach der Notfallaufnahme und Diagnostik, soll das Übergabekonzept BARF der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten e. V. (BDA) nicht unerwähnt bleiben [4]. Die strukturierte Patientenübergabe als etablierter Standard hätte eventuell Einfluss genommen auf diesen Fall und die Plasmen bereits früher als nicht zum Patienten gehörig identifiziert.
Empfehlungen zur zukünftigen Vermeidung
Prozessqualität:
- SOP/VA/QM-Handbuch-Hämotherapie und Fortbildung: Transport und Verabreichung einer Bluttransfusion, auch Mehrfach- und Massivtransfusion
- Fortbildung Bluttransfusion und Gerinnung für alle Mitarbeiter: Effektive Gerinnungsdiagnostik und -therapie mit Plasma, Thrombozyten- und Gerinnungsfaktorkonzentraten
- Fortbildung und SOP/VA: Das SBAR-Konzept – Erhöhte Sicherheit durch die strukturierte Patienteninformation beim Transport durch die Abteilungen
- Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität:
- Transfusionsverantwortlicher (TV): Überarbeitung des Qualitätshandbuchs hinsichtlich der Transportregelung und Überprüfung der Anwendungs-SOP
- Ärztlicher Direktor (ÄD) und TV: Begleitung der ersten Verabreichung von Bluttransfusionen bei neuen Mitarbeitern
- ÄD und TV: Einrichtung eines Curriculums Transfusionsmedizin z. B. Transfusionsführerschein mit dokumentierter Teilnahme an den transfusionsmedizinischen Fortbildungen
- Geschäftsführung (GF) und ÄD: Einrichtung einer Jahresregelfortbildung Hämotherapie/Transfusionsmedizin mit Teilnahmedokumentation
- ÄD und Abteilungsleitung: Überprüfung des Supervisionskonzepts, Einbindung der Fachärzte.
Literatur:
[1] Richtlinie Hämotherapie BÄK 2017
https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/RL/Richtlinie_Haemotherapie_AEV.pdf
[2] Querschnittsleitlinien Hämotherapie der BÄK 2020
https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/Querschnitts-Leitlinien_BAEK_zur_Therapie_mit_Blutkomponenten_und_Plasmaderivaten-Gesamtnovelle_2020.pdf
[3] Bowman Z, Fei N, Ahn J, et al. Single versusdouble-unit transfusion: Safety and efficacyfor patients with hematologic malignancies. Eur J Haematol.2019;102(5):383-388. doi:10.1111/ejh.13211
[4] Strukturierte Patientenübergabe in der perioperativen Phase – Das SBAR-Konzep
https://www.bda.de/files/Februar_2016_-_Strukturierte_Patientenbergabe_in_der_perioperativen_Phase_-_Das_SBAR-Konzept.pdf
Quelle: https://www.iakh.de/files/iakh/public/register/2021/CM-227794-2021-Fehltransfusion.pdf