
Erwartbare Auswirkungen in Sachsen-Anhalt
Walles, T.
Universitätsmedizin Magdeburg, Universitäres Lungenzentrum
Das Lungenkarzinom ist die zweithäufigste Tumorerkrankung bei Männern und Frauen und das häufigste zum Tode führende Malignomleiden. In Deutschland erkranken jährlich ungefähr 60.000 Patienten.
Nach Berechnungen des Instituts für Community Medicine in Greifswald wird sich die Lungenkrebs-Prävalenz in Deutschland bis 2025 bei Frauen um 8 % und bei Männern um 13 % zusätzlich erhöhen. Sachsen-Anhalt liegt bei den Lungenkrebs-Neuerkrankungen im Bundesvergleich seit Jahren mit an der Spitze und wird diese Position weiter ausbauen [1].
Operation des Lungenkarzinoms
Die Resektion von Lungenkarzinomen in den frühen Erkrankungsstadien stellt für die Patienten die wirksamste Therapieoption dar. Die für die fachgerechte Tumorentfernung erforderlichen anatomischen Lungenresektionen sind hochkomplexe chirurgische Eingriffe. Für gute Behandlungsergebnisse sind neben der Erfahrung des einzelnen Operateurs ein optimales Komplikationsmanagement in den betreuenden Kliniken mit interdisziplinären Behandlungsteams, einer Notfallversorgung mit leistungsstarken Intensivstationen sowie interventionellen Behandlungsmöglichkeiten „rund um die Uhr“ erforderlich [2]. Analysen tödlicher Behandlungsverläufe mit dem Blick auf „Failure to rescue“ zeigen bessere Behandlungsergebnisse in zentralisierten Klinikstrukturen mit abgestimmten Behandlungsprozessen.
Gegenwärtige Versorgungssituation in Deutschland
In Deutschland werden jährlich mehr als 15.000 Lungenkrebs-Operationen durchgeführt. Wie für andere komplexe chirurgische Therapieverfahren (z. B. Knie-TEP/totale Endoprothese [Gelenkersatz]), Ösophagusresektion) konnte für die Operation des Lungenkarzinoms in zahlreichen nationalen und internationalen Studien nachgewiesen werden, dass sich die Behandlungsergebnisse mit zunehmendem Operationsvolumen pro Klinik verbessern [3, 4]. So belegen Analysen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) eine Halbierung der Krankenhaussterblichkeit in Einrichtungen mit mehr als 75 anatomischen Lungenresektionen gegenüber Kliniken mit weniger als 25 Resektionen pro Jahr [3]. Vor diesem Hintergrund führt eine Mindestmengenregelung für Lungenkrebs-Operationen zu einer Verbesserung der Patientenversorgung. Jedoch: Im Jahr 2015 führten bundesweit nur 47 Kliniken mehr als 75 anatomische Resektionen bei Lungenkrebs durch. Diese Kliniken operierten insgesamt 57 % aller bundesdeutschen Lungenkrebs-Patienten. Die verbleibenden 43 % der Patienten wurden in 271 weiteren Kliniken behandelt [3].
Mindestmengenregelung für Lungenkrebsoperationen

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) leitete 2018 ein Beratungsverfahren zur Einführung von Mindestmengen für die chirurgische Behandlung des Lungenkarzinoms ein und schloss diesen Prozess nach 2,5 Jahren ab [5]. Das Verfahren wurde durch eine breite Mehrheit der deutschen Thoraxchirurgen unterstützt [6]. In seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 legt der GBA eine Mindestmenge von 75 anatomischen Lungenresektionen pro Klinik pro Jahr für die Behandlung des Lungenkrebses fest. Diese Festlegung gilt ab 2025. Bereits für 2024 müssen die Kliniken mindestens 40 Lungenkrebs-Operationen nachweisen, um diese abrechnen zu können. Die jeweiligen Krankenhausträger müssen nun vor Erbringung der Leistung gegenüber den Krankenkassen darlegen, dass an ihrer Klinik die geforderten Mindestmengen im folgenden Kalenderjahr erreicht werden können. Ist dies nicht möglich, ergibt sich kein Vergütungsanspruch durch die Krankenkassen [6, 7].
Auswirkungen des GBA-Beschlusses bundesweit
Durch die Entscheidung des GBA ist die geplante Operation von Patienten mit einem Lungenkarzinom künftig nur großen spezialisierten Einrichtungen vorbehalten [8]. Es ist auf Basis der vorliegenden Daten davon auszugehen, dass sich dadurch die Behandlungsqualität bei vielen Patienten verbessern wird [3, 4, 6]. Bundesweit reduziert sich die Anzahl der Standorte für die Operation des Lungenkarzinoms voraussichtlich von 328 auf 91 Kliniken [8]. In den wenigsten Fällen ist damit eine Schließung von Kliniken verbunden: Viele Standorte bieten thoraxchirurgische Leistungen ergänzend zu einem meist allgemein- bzw. viszeralchirurgischen oder herzchirurgischen Leistungsschwerpunkt an. Mit Aufgabe der Lungenoperationen verengt sich das Behandlungsspektrum dieser Kliniken. Dagegen ist für kleine selbstständige thoraxchirurgische Abteilungen die Operation des Lungenkarzinoms der Behandlungsschwerpunkt. Der Ausschluss dieser Einheiten von der Regelversorgung wird hier tatsächlich zu einer Schließung bzw. Zusammenlegung von Thoraxchirurgie-Einheiten führen. Es wird zu Recht befürchtet, dass dies insbesondere thoraxchirurgische Einrichtungen an zahlreichen Universitätskliniken treffen könnte [9]. Dies hätte Auswirkungen auf die klinische Versorgung von Patienten z. B. in Traumazentren [10] sowie auf die Ausbildung von Medizinstudenten sowie die Weiterentwicklung des Faches Thoraxchirurgie in der Klinik (z. B. Hybrid-Operationen, roboterassistierte Thoraxchirurgie) [11] und Forschung.
Die Versorgungsdichte bleibt hoch
Ein gängiges Argument gegen die räumliche Konzentration von Lungenkrebs-Operationen war eine mögliche schlechtere Erreichbarkeit der Krankenhäuser und ein damit einhergehender reduzierter Zugang von Patienten zu einer adäquaten thoraxchirurgischen Versorgung. Deshalb wurde der Einfluss der Mindestmengenregelung auf die künftig erforderliche Wegstrecke der Lungenkrebs-Patienten vom GBA mitbewertet: Tatsächlich verlängert sich die Fahrzeit eines Patienten zu einem Zentrum für Lungenkrebs-Operationen im Bundesschnitt von aktuell 20 auf künftig 31 Minuten. Im Durchschnitt beträgt die Wegstrecke dann 35 km [8].

Erwartbare Auswirkungen in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt werden gegenwärtig an 18 Kliniken Lungenoperationen durchgeführt [12]. Es ist davon auszugehen, dass nicht an allen Standorten Lungenkrebs-Operationen stattfinden. Eine Analyse für den Verband der Ersatzkassen weist für Sachsen-Anhalt bereits eine im Bundesvergleich sehr hohe Konzentration des Behandlungsangebots für Lungenkrebs-Operationen aus [13].
Das Versorgungsangebot gliedert sich in 3 Cluster (Abb. 1). Auf Basis der aktuellen Analyse werden gegenwärtig lediglich 16 % der Lungenkrebs-Patienten außerhalb von spezialisierten Behandlungsstrukturen operiert. Beide Universitäts-Standorte im Land haben leistungsstarke Thoraxchirurgie-Programme eigenständig etabliert bzw. führen diese in enger Kooperation mit einem Maximalversorger durch [14].
Die Zertifizierung als universitäres Lungenkrebs-Zentrum befindet sich im Norden des Bundeslandes aktuell in Vorbereitung und ist im Süden bereits etabliert und stellt eine wichtige Grundlage für die Weiterführung der Thoraxchirurgie-Programme an den Universitätskliniken nach Inkrafttreten der GBA-Mindestmengenregelungen dar. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Mindestmengenregelung für Lungenkrebs-Operationen zu einer weiteren Konzentration des Behandlungsangebots in Sachsen-Anhalt führen wird.
Weitere Einflussfaktoren auf die Versorgungssteuerung
Die jetzt beschlossene Mindestmengenregelung für die Operation von Patienten mit Lungenkrebs ist wissenschaftlich durch Daten der DKG untermauert [3, 6]. In von der DKG zertifizierten Lungenkrebszentren wird neben der Operation die gesamte Behandlungskette eines Patienten von der Diagnose bis zur Nachsorge standardisiert und dokumentiert. Jedoch nimmt die Komplexität der Therapie von Patienten mit Lungenkrebs wegen der zunehmend erforderlichen interdisziplinären Behandlung seit mehreren Jahren rasant zu: 1) immunmodulatorische medikamentöse Behandlungsstrategien mit neuartigen nicht-pulmonologischen Nebenwirkungsprofilen, 2) innovative lokalablative Therapieverfahren durch die Strahlentherapie und interventionelle Radiologie als Alternative oder Ergänzung zur Thoraxchirurgie, 3) Ermöglichung erweiterter interdisziplinärer Resektionen durch Kooperationen mit Herz-, Neuro- oder Gefäßchirurgen, 4) Salvage-Operationen als ultima ratio bei therapie-induzierten Komplikationen nach nicht-chirurgischen Therapieansätzen.
Um künftig weiterhin die bestmöglichen Versorgungsstrukturen für eine umfassende, interdisziplinäre und fachübergreifende, leitlinienkonforme Diagnose, Behandlung und Nachbetreuung von Patienten mit Lungenkrebs sicherstellen zu können, wird GBA-seitig deshalb an einer Zusammenführung der existierenden DKG-Lungenkrebszentren mit anderen Organkrebszentren an einem Standort gearbeitet [15]. In die gleiche Richtung gehen Rahmenvorgaben für die Neuaufstellung des Krankenhausplans in anderen Bundesländern [16]. Darüber hinaus hat die Deutsche Ärzteschaft auf dem 125. Deutschen Ärztetag in Berlin beschlossen, im deutschen Gesundheitswesen durch erhebliche Reduktion der CO2-Emissionen und nachhaltiges Wirtschaften einen relevanten Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten. Maßnahmen hierzu sind unter anderem die räumliche Konzentration von diagnostischen und therapeutischen Leistungen [17]. Alle drei Entwicklungen lenken die künftige operative Versorgung von Lungenkrebs-Patienten an große interdisziplinär arbeitende Klinikstandorte.
Fazit
Der GBA hat eine sinnvolle Mindestmengenregelung für Lungenkrebs-Operationen verabschiedet, die durch wissenschaftliche Daten untermauert ist. Die Regelung tritt 2025 in Kraft und wird die operative Behandlung von Patienten an bereits bestehende große thoraxchirurgische Kliniken umleiten. Die Versorgung in Sachsen-Anhalt ist gegenwärtig bereits stark konzentriert. Es ist davon auszugehen, dass eine weitere Konzentration erfolgt. Die Entfernungen für Patienten zu thoraxchirurgischen Kliniken wird sich nicht relevant verändern.
Kontaktdaten des Autors
Univ. Prof. Dr. med. Thorsten Walles, FETCS
Universitätsmedizin Magdeburg
Universitäres Lungenzentrum
Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg
Tel.: 0391/67-21905, Fax: 0391/67-21906
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Portraitfoto: Universitätsmedizin Magdeburg (UMMD)
Foto: T. Walles, Universitätsmedizin Magdeburg
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Hämataologie und Medizinische Onkologie. Deutschlandweite Prognose der bevölkerungsbezogenen Morbiditätserwartung für häufige Krebserkrankungen. Gesundheitspolitische Schriftenreihe der DGHO. Band 14. 2019. ISBN 978-3-9818079-5-0.
- Hartwig Bauer. Mindestmengen in der Chirurgie – Wir wissen, was zu tun ist und müssen tun, was wir wissen. Wissenschaftliches Institut der AOK. Pressekonferenz zum Krankenhaus-Report 2017. URL: https://aok-bv.de/imperia/md/aokbv/hintergrund/dossier/krankenhaus/06_statement_bauer_pk_khr_2017_web.pdf (abgerufen 29.01.2022).
- Hoffmann H, Passlick B, Ukena D et al. Chirurgische Therapie des Lungenkarzinoms: Argumente für die Behandlung in großen Zentren. Zentralbl Chir 2019; 144: 62–70.
- Kommalapati A, Tella SH, Appiah AK et al. Association between treatment facility volume, therapy types, and overall survival in patients with stage IIIA non-small cell lung cancer. J Natl Compr Canc Netw 2019; 17: 229–236.
- Gemeinsamer Bundesaussschuss. Mindesmengenregelungen: Ergänzung der Anlage Nr. 10 – Thoraxchirurgische Behandlung des Lungenkarzinoms bei Erwachsenen. 16. Dezember 2021. URL: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-5204/2021-12-16_Mm-R_Lungenkarzinom-Thoraxchirurgie.pdf (abgerufen 29.01.2022).
- Robold T, Ried M, Neu R, Hofmann HS. Mindestmengen in der Behandlung des Lungenkarzinoms. Chirurg 2020; 91: 1053-61.
- Gemeinsamer Bundesausschuss. Mindestmengenregelungen gemäß §136b Abs.1 Satz1 Nr.2 SGBV für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser: 5. Dez. 2018 BAnz AT 14. Dez. 2018 B4
- Frisch J. Gemeinsamer Bundesausschuss. Höhere Mindestmengen verringern Zahl zugelassener Kliniken. Ärztezeitung, 17.12.2021. URL: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Hoehere-Mindestmengen-verringern-Zahl-zugelassener-Kliniken-425502.html (abgerufen 29.01.2022)
- Osterloh F. Neue Mindestmengen. Weitreichende Auswirkungen. Deutsch Ärzteblatt 2022; 119 (12): A518-22.
- Freitag P, Bechmann C, Eden L, Meffert R, Walles T. Surgical stabilization of serial rib fractures is advantageous in patients with relevant traumatic brain injury. Eur J Trauma Emerg Surg. 2022 Feb 7. doi: 10.1007/s00068-022-01886-2. Epub ahead of print. PMID: 35128563.
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- Gieselmann K, Osterloh F. Klimaschutz im Gesundheitswesen: Klimaneutralität bis 2030. Dtsch Ärztebl 2021; 118: A-2088 / B-1724.