Aktueller Stand und Perspektiven
Dr. rer. medic. Patrick Müller 1,2,3; Prof. Dr. med. Stefanie Schreiber 1,3,4,5; Dr. med. Katharina Lechner 6, Dr. med. Dörte Ahrens 2; Prof. Dr. phil. Anita Hökelmann 7, Prof. Dr. med. Frank Meyer 8; Dr. med. Tarek Bekfani 2; Prof. Dr. med. Emrah Düzel 1,3,5,9; Prof. Dr. med. Rüdiger Braun-Dullaeus 2

1 Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Magdeburg
2Klinik für Kardiologie und Angiologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
3 Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG), Magdeburg
4 Klinik für Neurologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
5 Center for Behavioral Brain Sciences (CBBS), Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
6 Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen, Deutsches Herzzentrum München, Technische Universität München
7 Bereich Sportwissenschaft, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
8 Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
9 Institut für kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND), Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Einleitung
Dieser Übersichtsartikel befasst sich mit der Prävention und Therapie vaskulär bedingter kognitiver Beeinträchtigungen (engl. vascular cognitive impairment [VCI]), inklusive der vaskulären Demenz. Vaskuläre Demenzen sind mit einem Anteil von 10 bis 15 % die zweithäufigste Demenzursache. Zusätzlich zeigt sich bei bis zu 75 % aller Demenzen eine vaskuläre Komponente (1).
Im Kontext des demographischen Wandels ist mit einer weiteren Zunahme dementieller Erkrankungen zu rechnen. Aktuelle Hochrechnungen prognostizieren, dass sich die Zahl weltweiter Demenzfälle bis zum Jahr 2050 fast verdreifachen könnte (von 57 Millionen im Jahr 2019 auf rund 153 Millionen im Jahr 2050). Für Deutschland prognostiziert diese Hochrechnung eine Zunahme der Demenzfälle um ca. 65 % (von 1,7 Millionen im Jahr 2019 auf rund 2,8 Millionen im Jahr 2050) (2). Diese Entwicklung stellt die Gesellschaft im Allgemeinen und das Gesundheitssystem im Speziellen vor große Herausforderungen. Aufgrund der im Bundesvergleich erhöhten Prävalenz von Risikofaktoren (z. B. arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus) und seiner Altersstruktur ist Sachsen-Anhalt besonders betroffen. Allerdings fehlen bisher kausale Therapieoptionen. Deswegen besteht die dringende Notwendigkeit flächendeckender Präventionskonzepte.
Demenzen
Demenz ist ein Syndrom, welches (i) mit einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses sowie mindestens einer weiteren kognitiven Funktion, (ii) einer Einschränkung der Alltagskompetenz, (iii) sowie einer progredienten Symptomatik über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten einhergeht (3). Mit einem Anteil von 50 bis 75 % ist die Alzheimer-Demenz die häufigste Demenzerkrankung. Die vaskuläre Demenz ist mit einem Anteil von 10 bis 15 % die zweithäufigste Demenz-ursache. Dabei ist jedoch kritisch zu berücksichtigen, dass die vaskuläre Demenz häufig anhand einer Schlaganfallanam-nese diagnostiziert wird. Mittels Bildgebung und Autopsiebefunden zeigt sich in bis zu 75 % aller Demenzen eine vaskuläre pathophysiologische Komponente (1). Daraus resultierend, hat sich in den letzten 20 Jahren zunehmend das Konzept der vaskulären kognitiven Beeinträchtigung (VCI) etabliert.
Vaskuläre kognitive Beeinträchtigung
Die vaskuläre kognitive Beeinträchtigung (VCI) umfasst alle kognitiven Defizite, die auf vaskuläre Hirnpathologien zurückzuführen sind. Klinisch bezeichnet die VCI ein breites Spektrum, das von subjektiven (engl. subjective cognitive impairment [SCI]), über milde kognitive Defizite (engl. mild cognitive impairment [MCI]) bis hin zur Demenz reicht (1) (Abbildung 1). Die wichtigste Ätiologie der VCI ist die zerebrale Mikroangiopathie (engl. cerebral small vessel disease [CSVD]).

Klinik
Die klinische Symptomatik der VCI umfasst neben einer Beeinträchtigung und Verlangsamung zahlreicher kognitiver Fähigkeiten (insbesondere Störungen der Exekutivfunktionen, aber auch z. B. des Arbeitsgedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Handlungsplanung) auch Gang- und Gleichgewichtsstörungen, neuropsychiatrische Symptome (z. B. Depression), Persönlichkeitsveränderungen und Blasenfunktionsstörungen (1).
Diagnostik
Die Diagnostik der VCI beinhaltet eine Selbst- und Fremd-anamnese (inkl. Erhebung kardiovaskulärer und metabolischer Risikofaktoren), klinische Untersuchungen, Labor-untersuchungen, neuropsychologische Testverfahren (z. B. Montreal-Cognitive-Assessment-Test, MoCA-Test M) und eine zerebrale Bildgebung mittels Magnetresonanztomographie (MRT). Typische MRT-Befunde der mikrovaskulär bedingten VCI sind gemäß der STRIVE-Kriterien (STandards for ReportIng Vascular changes on nEuroimaging) Mikro- und Makroblutungen, eine kortikale superfiziale Siderose, subkortikale Infarkte, Erweiterungen der perivaskulären Räume, Lakunen und Marklagerläsionen (4) (Abbildung 2).

Risikofaktoren
Die zentralen Risikofaktoren für vaskulär bedingte kognitive Beeinträchtigungen, insbesondere für die zerebrale Mikroangiopathie, sind ein höheres Alter und die arterielle Hypertonie im mittleren Lebensalter (5). Weitere Risikofaktoren sind unter anderem Diabetes mellitus, Adipositas, Genetik und körperliche Inaktivität. Diesbezüglich kommt der arteriellen Hypertonie eine besondere Bedeutung zu, da sie (i) extrem häufig, (ii) gut medikamentös und nicht-medikamentös behandelbar ist und (iii) eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der VCI spielt. Die arterielle Hypertonie führt, vermutlich über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren, zu einer mikrovaskulären Schädigung. Aktuelle Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die arterielle Hypertonie über eine endotheliale Dysfunktion die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke erhöht, in deren Folge es wahrscheinlich zu einer Aktivierung von Gliazellen mit einer folgenden Neuroinflammation kommt; dieser Prozess könnte dann einen möglichen Mechanismus darstellen, auf dem eine mikrovaskuläre Schädigung zur Neurodegeneration führt (4, 6).
Therapie der VCI
Für die medikamentöse Therapie der rein vaskulären Demenz ist in Deutschland kein Wirkstoff zugelassen. Es gibt Hinweise, dass Memantin und Acetylcholinesterase-Inhibitoren insbesondere Exekutivfunktionen verbessern können. Diesbezüglich empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie „Demenzen“, dass im Einzelfall eine Therapie mit diesen Substanzen erwogen werden kann (off-label Therapie) (3). Dies betrifft v. a. die prävalenten Mischdemenzen mit gleichzeitiger vaskulärer und Alzheimer-Pathologie (insbesondere bei Atrophie des Hippocampus).
Grundelement der Therapie der vaskulär bedingten kognitiven Beeinträchtigung ist die Behandlung der vaskulären Risikofaktoren sowie Grunderkrankungen. Kernelemente sind dabei (i) Monitoring von kardiovaskulären und metabolischen Risikofaktoren, (ii) Blutdrucktherapie, (iii) Gerinnungstherapie, (iv) Statintherapie und (v) Verbesserung der Lebensstilfaktoren
(z. B. körperliche Aktivität, Ernährungskonzepte) (7). Häufige Komorbiditäten bei VCI (z. B. chronische Nieren- und kardiovaskuläre Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus) sollten interdisziplinär behandelt werden. Dabei ist insbesondere auch auf eine Multimedikation und potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen zu achten, z. B. Anticholinergika. Diesbezüglich wird auf die PRISCUS-Liste verwiesen (8). Perspektivisches Ziel wäre eine interdisziplinäre Behandlung von VCI-Patienten durch ein Team aus Neurologen, Internisten, Psychologen, Ernährungs- und Sportwissenschaftlern/Physiotherapeuten in enger Kooperation mit niedergelassenen Hausärzten. Eine solche Struktur könnte im Rahmen von Gedächtnisambulanzen umgesetzt werden. Ziel von diesen wäre, unter Berücksichtigung klinischer Kriterien sowie patientenspezifischer Kriterien inklusive der Patientenpräferenz, ein multimodales Therapiekonzept zu entwickeln. Hierbei fungiert der behandelnde neurologische Facharzt als Koordinator innerhalb des multidisziplinären Teams und bleibt Ansprechpartner für den Patienten. Zudem übernimmt er eine regionale und möglicherweise überregionale außenrepräsentative Funktion (z. B. Dialog mit Zuweisern), um Netzwerke rund um das Kompetenzzentrum zu etablieren.
Prävention der VCI
Parallel zur steigenden Prävalenz metabolisch-vaskulärer Risikofaktoren steigt auch die Prävalenz von (vaskulären) Demenzformen. Allerdings fehlen bis dato kausale Therapieoptionen. Das Interesse an der Entwicklung medikamentöser und nichtmedikamentöser Präventionsstrategien gewinnt deswegen zunehmend an Bedeutung (Abbildung 3) (9). Ansatzpunkt sind hier modifizierbare Risikofaktoren, auf die Hochrechnungen zufolge 40 % der weltweiten Demenzerkrankungen zurückzuführen sind (10). Knapp 20 % dieser modifizierbaren Risikofaktoren sind kardiovaskulärer Genese.
Modifizierbare Risikofaktoren sind unter anderem geringe Bildung im frühen Lebensalter, Hörprobleme, Hypertonie und Adipositas im mittleren Erwachsenenalter sowie körperliche Inaktivität, Depression, Rauchen, Diabetes und soziale Isolation im späten Erwachsenenalter (10).

Körperliche Aktivität und Sport
Körperliche Aktivität ist eine kostengünstige und, in der richtigen Dosierung sowie an die individuellen Voraussetzungen des Patienten angepasste, nebenwirkungsarme Intervention sowohl in der Prävention als auch der Therapie zahlreicher kardiovaskulärer, neoplastischer, metabolischer und neurodegenerativer Erkrankungen (11). Europäische und internationale Leitlinien empfehlen mindestens 150 Minuten moderate bzw. 75 Minuten hochintensive Aktivität und ein ergänzendes Krafttraining etwa zweimal pro Woche. Über 40 % der erwachsenen Bevölkerung in westlichen Ländern erreichen diese Mindestanforderungen nicht – möglicherweise mitunter ist dieses auch der bisher noch geringen Verschreibungspraxis im ärztlichen Alltag geschuldet (12).
Dies verwundert, da zahlreiche epidemiologische als auch randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien zeigen, dass ein sportlicher und aktiver Lebensstil kognitive Abbauprozesse verzögern und das Demenzrisiko reduzieren kann (9). Die zu Grunde liegenden Mechanismen sind vielfältig und Gegenstand aktueller Forschung. So beeinflusst körperliche Aktivität kardiovaskuläre und metabolische Faktoren positiv und kann zudem über verschiedene Mechanismen die Plastizität des Gehirns induzieren (z. B. Anstieg des neurotrophen Wachstumsfaktors BDNF).
Diesbezüglich zeigen aktuelle Studien, dass körperliche Fitness und Trainingsinterventionen sich positiv auf zahlreiche Surrogatparameter auswirken. So ist eine höhere körperliche Leistungsfähigkeit verbunden mit verbesserter Kognition, einer geringeren Atrophie der grauen Hirnsubstanz, einem geringeren Volumen von Marklagerläsionen sowie weniger zerebralen ß-Amyloid (Aß) Ablagerungen (13). Jedoch ist kritisch zu konstatieren, dass mehrere randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien keine Effekte bei manifester Demenz zeigen konnten (z. B. DAPA-Studie [14]). Die Effekte von Sportinterventionen auf Kognition und Neurodegeneration sind noch Gegenstand aktueller Forschungsprojekte, jedoch aufgrund der multifaktoriellen Pathologie der Demenzen eine große Herausforderung für Forschung und Versorgung.
Darüber hinaus gibt es eine große interindividuelle Variabilität der Effekte von Sportinterventionen auf Kognition (15). Dies könnte ggf. auch dadurch mitverursacht sein, dass in bisherigen Interventionsstudien die zu Grunde liegende Demenzform (Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz etc.) sowie genetische Prädiktoren nicht berücksichtigt werden.
Diesbezüglich weisen mehrere Arbeiten darauf hin, dass sich Lebensstilinterventionen insbesondere bei vulnerablen Patientenpopulationen mit bereits vorhandenen zerebralen Aß-Ablagerungen oder erhöhtem genetischen (Demenz-)Risiko (z. B. positiver Apolipoprotein-E4-Status) besonders positiv im Hinblick auf Demenzprävention auswirken können (16, 17). Daraus resultierend, ist in Zukunft mit zunehmend personalisierten Interventionen zu rechnen, basierend auf individualisierter Risikostratifizierung.
Antihypertensive Therapie
Der wahrscheinlich bedeutendste modifizierbare Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und vaskuläre kognitive Beeinträchtigungen ist die arterielle Hypertonie (6, 18). Sie ist laut der aktuellen ESC/ESH-Leitlinie von 2018 anhand des Vorliegens von reproduzierbar gemessenen Ruheblutdruckwerten in der Praxis/Klinik von ≥ 140 mmHg systolisch und/oder ≥ 90 mmHg diastolisch definiert. Alternativ kann die arterielle Hypertonie durch die häusliche Blutdruckselbstmessung (≥ 135 mmHg systolisch und/oder ≥ 85 mmHg diastolisch) oder eine Langzeitblutdruckmessung (≥ 130 mmHg systolisch und/oder ≥ 80 mmHg diastolisch) diagnostiziert werden (19). In den USA gelten für die arterielle Hypertonie niedrigere Grenzwerte. So hat die US-amerikanische Leitlinie im Jahr 2017 die Grenzwerte für die Diagnose einer Hypertonie auf ≥ 130 mmHg systolisch und/oder ≥ 80 mmHg diastolisch reduziert (Messung in der Praxis/Klinik).
Die globale Prävalenz der Hypertonie hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen. Im Zeitraum von 1990 bis 2019 hat sich beispielsweise die Anzahl der 30- bis 79-jährigen Personen mit arterieller Hypertonie von ca. 650 Millionen auf ca. 1,3 Milliarden fast verdoppelt (20). Darüber hinaus prognostizieren aktuelle Hochrechnungen eine weitere Zunahme der globalen Anzahl der Patienten mit einem Hypertonus auf bis zu 1,5 Milliarden bis zum Jahr 2025 (19). Ein Vergleich mit der Diabetes- (ca. 500 Millionen), Demenz- (ca. 57 Millionen) oder Depressionsprävalenz (ca. 240 Millionen) zeigen diese Daten die herausragende Bedeutung der Hypertonie als eventuell wichtigste Volkskrankheit.
Ziel der antihypertensiven Therapie ist die Blutdrucknormalisierung mit dem Ziel der Verhinderung bzw. Verlangsamung von mikro- und makrovaskulären Endorganschäden. Der prognostische Nutzen der antihypertensiven Therapie im Hinblick auf diesen Aspekt konnte in zahlreichen randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien belegt werden (21). Bezüglich des Potentials zur Demenzprävention können ACE-Hemmer, AT2-Blocker, ß-Blocker, Kalziumantagonisten und Diuretika aktuell als gleichwertig betrachtet werden; entscheidend ist, dass die Blutdrucksenkung suffizient und kontinuierlich erfolgt (36). Die Substanzklasse der ersten Wahl ist aus internistischer Perspektive für die meisten Patienten ein RAAS-Blocker – hierzu zählen z. B. Patienten mit Herzinsuffizienz, Diabetes oder koronarer Herzkrankheit (optimal ab Therapiebeginn Kombination zwei verschiedener Substanzklassen) (28).
Darüber hinaus zeigen epidemiologische Studien sehr eindrücklich, dass die arterielle Hypertonie im mittleren Erwachsenenalter mit strukturellen Hirnveränderungen (z. B. Marklagerläsionen, Atrophie der grauen Hirnsubstanz), kognitiven Abbauprozessen und einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert ist (22, 23). Eine antihypertensive Therapie wiederum kann das Demenzrisiko signifikant, um mehr als 20 %, reduzieren (24). Inwiefern erhöhte Blutdruckwerte im höheren Lebensalter das Demenzrisiko beeinflussen, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt.
Im Jahr 2015 hat die SPRINT-Studie (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) die antihypertensive Therapie nachhaltig revolutioniert. Die Studie untersuchte eine intensivierte (Zielwert systolisch ≤ 120 mmHg) im Vergleich zu einer Standardtherapie (Zielwert systolisch ≤ 140 mmHg) und wurde bereits vorzeitig beendet, da die intensivierte Blutdrucktherapie mit einer signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und Mortalität einherging (25). Die nachfolgende SPRINT-MIND Studie aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass eine intensivierte Blutdrucktherapie das Risiko für eine leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) reduziert und mit einer verlangsamten Zunahme von MRT-Bildgebungsmarkern der VCI (verringerte Atrophie, verlangsamte Zunahme von Marklagerläsionen) assoziiert ist (26, 27).
Bei Patienten im Alter ≤ 65 Jahren sollte, sofern toleriert, der systolische Zielblutdruck bei 120 – 130 mmHg eingestellt werden. Bei Patienten über 65 Jahren sollten, unter Berücksichtigung der finalen SPRINT-Studienergebnisse, systolische Zieldruckwerte von ≤ 140 mmHg empfohlen werden (19, 28, 29).
Körperliche Aktivität und Sport in der Prävention und Therapie der Hypertonie
Lebensstilfaktoren (insbesondere körperliche Aktivität und protektive Ernährungsmuster) sind elementare Bestandteile in der Prävention und Therapie der arteriellen Hypertonie (Klasse IA-Empfehlung in der aktuellen ESC/ESH Leitlinie Hypertonie). Regelmäßige körperliche Aktivität, im Sinne einer sportlich-aktiven Lebensführung, kann den systolischen Blutdruck um 5 – 9 mmHg reduzieren (28). Ergebnisse aus randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien zeigen, dass bereits ein 12-wöchiges Ausdauertraining den systolischen Blutdruck um 6 mmHg reduzieren kann (30). Die Effekte von körperlicher Aktivität auf den Blutdruck sind dabei bei hypertensiven Patienten größer als bei normotensiven Menschen. Wichtige Variablen im Zusammenhang von Sport und Training sind die Sportart (z. B. Ausdauersport, Kraftsport), die Trainingsintensität, der Trainingsumfang (zeitlicher Umfang der jeweiligen Trainingseinheiten) und die Trainingshäufigkeit (Anzahl der Trainingseinheiten pro Woche). Bezüglich der Sportart zeigt eine aktuelle Metaanalyse, dass aerobes Ausdauertraining bei hypertensiven Patienten und isometrisches Krafttraining bei normotensivem Blutdruck die größten Effektstärken aufweisen (31). Geringe Trainingsintensitäten zeigen keine bis minimale, moderate Trainingsintensitäten die größten und hochintensive Trainingsintensitäten mittlere Effekte auf den arteriellen Blutdruck (30). Diesbezüglich vermuten aktuelle Forschungsergebnisse eine Dosis-Wirkungs-Beziehung und empfehlen mindestens 3 Sporteinheiten pro Woche mit einer Dauer von jeweils 40 – 60 Minuten (32). Die aktuelle ESC/ESH-Leitlinie Hypertonie empfiehlt sogar 5 – 7 Einheiten moderates Ausdauertraining (Walking, Joggen, Fahrrad fahren, Schwimmen) mit einer Dauer von über 30 Minuten pro Einheit (19). Dabei entspricht ein moderates Ausdauertraining einer Herzfrequenz von 60 – 75 % der maximalen Herzfrequenz.
In Zusammenschau der aktuellen Forschungsergebnisse und der ESC/ESH-Leitlinie wird für die Prävention und Therapie der arteriellen Hypertonie ein personalisiertes Sportkonzept empfohlen (31). Die personalisierte Prävention und Therapie sollte dabei an Bedürfnisse und Komorbiditäten (z. B. Fahrrad- und Schwimmtraining anstatt Joggen bei Übergewichtigen) des Individuums adaptiert und in gemeinsamer Entscheidung zwischen Arzt und Patienten getroffen werden („shared decision making“ unter Berücksichtigung individueller Bewegungs- und Sportpräferenzen). Insbesondere bei Senioren sollte dabei zusätzlich das Verletzungs- und Sturzrisiko mitberücksichtigt werden (bei erhöhtem Sturzrisiko z. B. Empfehlung von Ausdauertraining auf dem Fahrradergometer sowie koordinativ-motorisches Training zur Verbesserung der Gleichgewichtsfähigkeiten und Reduktion des Sturzrisikos). Weiterhin kann eine individuelle leistungsdiagnostische Untersuchung zur Festlegung der individuellen Dosis (optimale Trainings-Herzfrequenz) auch in Bezug auf unter Belastung bestehende Blutdruckwerte, sinnvoll sein. Ergänzend sollte allen Patienten empfohlen werden, körperliche Aktivität in den Lebensalltag zu implementieren (z. B. Nutzung des Fahrrads bzw. eines Spazierganges für kurze Wegstrecken, Nutzung von Treppen anstatt des Fahrstuhls, tägliches Ziel von mindestens 10.000 Schritten). Weitere nichtmedikamentöse Präventions- und Therapieansätze sind unter anderem Gewichtsreduktion, kochsalzärmere und kaliumreichere Ernährungsmuster, Alkoholrestriktion, mediterrane Diät und Nikotinabstinenz (Tab. 1).
Maßnahme | Systolische Blutdruckreduktion (mmHg) | Diastolische Blutdruckreduktion (mmHg) |
Körperliche Aktivität | 5 – 9 | 2 – 3 |
Gewichtsreduktion (pro kg, ab 3kg) | 1 – 2 | 1 |
Mediterrane Ernährung | 4 | 2 – 3 |
Kochsalzrestriktion (3g/d) | 7 | 4 – 5 |
Alkoholrestriktion | 4-7 | 3 – 5 |
Tab. 1: Einfluss von Lebensstilfaktoren auf die Blutdruckreduktion (nach [28])
Multimodale Präventionsprogramme
Basierend auf der multifaktoriellen Genese von Demenzen, ist die Effizienz multimodaler Präventionsinterventionen (inklusive körperlicher Aktivität, Diät, kognitives Training, Monitoring und intensivierte Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren) Gegenstand intensiver aktueller Forschungen (33). In diesem Rahmen hat die finnische FINGER-Studie erste positive Effekte einer derartigen multimodalen Intervention (Monitoring kardiovaskulärer Risikofaktoren, Gedächtnistraining, Sporttraining, Ernährungsberatung) auf kognitive Fähigkeiten gezeigt (34). Die Wirkung und Bedeutung weiterer multimodaler Präventionsinterventionen (z. B. U.S. Pointer, MIND-China, MIND-AF) wird in aktuellen Studien untersucht (35).
Diese Ergebnisse sollten bereits heute bei der Versorgung von Patienten berücksichtigt werden, indem (i) Risikopatienten stratifiziert werden, (ii) Patienten bei Arztbesuchen über Lebensstilmodifikationen aufgeklärt werden, (iii) metabolische und kardiovaskuläre Risikofaktoren früh erkannt und intensiviert therapiert werden und (iv) Interventionsmöglichkeiten (z. B. Gesundheitssportangebote, Ernährungsberatung) niedrigschwellig angeboten werden. In diesem Kontext zeigt sich die Notwendigkeit der engen Kooperation von niedergelassenen Hausärzten, Internisten, Neurologen, Psychologen, Sportwissenschaftlern, Ernährungswissenschaftlern und weiteren Fachdisziplinen. Hierfür müssen geeignete Netzwerke aufgebaut und intensiviert werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen des demographischen Wandels sowie der zunehmenden Prävalenz metabolisch-vaskulärer Risikofaktoren ist mit einer Zunahme vaskulärer Demenzen zu rechnen. Aufgrund der fehlenden kausal wirksamen Therapieoptionen sind zwingend flächendeckende Präventionsprogramme, insbesondere auch in Sachsen-Anhalt, notwendig. Zentraler Ansatzpunkt für medikamentöse und nicht-medikamentöse Präventionsprogramme sind kardiovaskuläre und metabolische Risikofaktoren. Insbesondere die intensivierte Therapie der arteriellen Hypertonie im mittleren Erwachsenenalter stellt das größte Präventionspotential dar. Die Entwicklung und Validierung von personalisierten Präventions- und Therapiekonzepten für vaskulär bedingte kognitive Beeinträchtigungen sind Gegenstand aktueller Forschung.
Korrespondenzadresse
Dr. rer. medic. Patrick Müller
Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät
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