ein geriatrisches Netzwerk für Sachsen-Anhalt
Medizinische Fakultät der MLU kooperiert landesweit
Am 26.04.2013 fand der 1. Geriatrie-tag am Universitätsklinikum Halle (Saale) statt, zu der die interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Projektgruppe für alte und hochbetagte Patienten am Universitätsklinikum Halle (Saale) eingeladen hatte. Diese ist Teil des Interdisziplinären Zentrums für Altern Halle (IZAH). Der Kongress stand unter dem Patronat der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und dem der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (DGGG). Die Resonanz dieser ersten Veranstaltung war groß, mehr als 120 Teilnehmer kamen aus allen Teilen Sachsen-Anhalts, von Gardelegen bis Naumburg, von Blankenburg bis Wittenberg.
Das Interesse an dieser Thematik verwundert nicht, ist die demographische Entwicklung in Deutschland bereits heute deutlich spürbar und wird uns schon in wenigen Jahren in vollem Umfang erreichen. Laut einer aktuellen Prognose der europäischen Statistikbehörde EUROSTAT wird Sachsen-Anhalt im Jahr 2030 europaweit die Region mit dem höchsten Anteil an Über-65-Jährigen sein! In der Folge ist das Land Sachsen-Anhalt von der Prognose für Deutschland, die bis 2030 eine Verdopplung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen vorhersieht, regional noch stärker betroffen. Somit war die Einladung gleichzeitig ein Aufruf dazu, sich dieser dringlichen Aufgabe zu stellen und mit Hochdruck an Lösungen zu arbeiten. Vordringliches Anliegen unserer Veranstaltung ist die Bildung eines Netzwerkes zwischen den niedergelassenen Haus- und Fachärzten, den Krankenhausärzten, den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten, den Physio- und Ergotherapeuten sowie Ernährungsexperten, Selbsthilfe-gruppen und ehrenamtlich Tätigen, aber auch der Regional- und Landespolitik sowie den gesetzlichen und privaten Kostenträgern.
Bereits die Begrüßungsreden zeugen von der anerkannten Wichtigkeit der Problematik. Der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Halle (Saale), Herr PD Dr. Klöss, wies auf die besonderen Erfordernisse in der stationären Behandlung geriatrischer Patienten hin und zeigte die damit verbundenen Herausforderungen für die Krankenhäuser auf. Herr Prof. Stang als Prodekan der medizinischen Fakultät der MLU und Direktor des Instituts für Klinische Epidemiologie skizzierte die Dimensionen der zukünftigen medizinischen und sozialen Aufgaben und die Möglichkeiten, die eine Universität mit ihrer fakultären Vielfalt dazu beitragen kann. Frau Dr. Willer, Referatsleiterin für Medizinische Angelegenheiten, Krankenhauswesen und Öffentlicher Gesundheitsdienst im Ministerium für Arbeit und Soziales überbrachte die Grüße von Herrn Minister Norbert Bischoff. Sie machte deutlich, wie sehr der Landesregierung die demographische Entwicklung in Sachsen-Anhalt bewusst ist und signalisierte Unterstützung für themenbezogene Projekte.
Mit der Rede von Herrn Kogge, Beigeordneter für Bildung und Soziales, zeigt sich die Stadt Halle (Saale) als Kommune bereit für die neuen Aufgaben einer älter werdenden Bevölkerung.
Geriatrie als besondere und eigenständige medizinische Kompetenz und die vielfältigen altersbezogenen Forschun-gen waren Inhalte der Grußworte von Herrn Dr. Meisel, Weiterbildungsbeauftragter der DGG und von Herrn Prof. Simm, Präsident der DGGG.
Mit dem 1. Themenblock – AKTIV ALTERN – ging es dann in medias res. Neben den Spezifika der alternden Bevölkerung standen die Möglichkeiten und Grenzen der sportlichen Aktivität im Alter und der Beitrag der Ernährung für gesundes Altern im Focus. Alterungsprozesse und ihr Verhalten unter förderlicher Bewegung und Ernährung wurden von den Professores Simm, Stoll und Stangl erörtert.
Die 2. Sitzung widmete sich Besonderheiten in der stationären Versorgung geriatrischer Patienten. Eine besonders von der demographischen Entwicklung betroffene Fachrichtung ist die Unfallchirurgie. Das speziell geriatriegerechte perioperative Management hat bereits im Jahr 2008 am Universitätsklinikum Halle (Saale) zur Gründung der Station „Spezielle Alterstraumatologie“ geführt. Weitere Besonderheiten dieser Station sind regelmäßige Visiten durch Geriater, klinische Pharmakologen und Mikrobiologen am Krankenbett und ein frühzeitiges Case- und Entlassungsmanagement, welches über die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs und des individuellen Rehabilitationspotentials die ideale Nachbetreuung sicherstellt. Die geriatrische Rehabilitation war das Thema des Vortrages von Herrn Dr. Meisel aus Dessau, welcher auf diesem Gebiet eine langjährige Erfahrung besitzt. Unter dem Leitsatz „Rehabilitation vor Pflege“ wurden die besonderen Spezifika und die unterschiedlichen Rehabilitationsformen, von der mobilen ambulanten Rehabilitation, der frührehabilitativen geriatrischen Komplexbehandlung bis zur Rehabilitation gemäß § 111 SGB V und den tagesstationären Angeboten dargestellt.
Die Kardiologin und Geriaterin Frau Prof. Müller-Werdan ging mit dem Herzinfarkt / KHK, der Aortenklappenstenose, der Herzinsuffizienz, der arterielle Hypertonie und dem Vorhofflimmern auf die häufigsten Herzerkrankungen im Alter ein. Sie konnte zeigen, dass im Vergleich zu nichtgeriatrischen Patienten differierende klinische Symptome, eine veränderte Krankheitsvernehmung und ein oft eingeschränktes Kommunikationsvermögen zu einer signifikant später einsetzenden Diagnostik und Therapie führen. Dabei profitiert gerade diese Patientengruppe von modernen minimalinvasiven Be- handlungsmethoden wie Herzkatheter via Arteria radialis, die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) oder interventionell-operative Behandlung im Hybrid-OP.
Die einstündige Mittagspause wurde sehr rege zum Austausch von Gedanken und Erfahrungen sowie zum gegenseitigen Kennenlernen genutzt. Informationsstände der Industrie und von Selbsthilfegruppen sowie Pflegediensten luden dabei zu konkreten thematischen Gesprächen ein. Dieser großzügige zeitliche Freiraum im Rahmen des Kongresses bildete ein wesentliches Element bei der angestrebten Netzwerkbildung.
Anschließend eröffnete Herr Prof. Rujescu mit einem Vortrag mit dem Titel „Frühdiagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen“ den 3. Themenblock, der den Menschen mit Demenz im Krankenhaus gewidmet war.
In gewohnt engagierter Weise brach Frau Dr. Reuter eine Lanze für den dementen Patienten in der Rehabilitation, gilt doch auch hier der Grundsatz Rehabilitation vor Pflege. Gegenwärtig bestehen vielmals eklatante Defizite in Therapie und Pflege, meist fehlt ein Gesamtkonzept, welches sich an das Voranschreiten der Erkrankung adaptiert.
Mit besonderem Interesse verfolgten die Teilnehmer den Vortrag „Kognitive Funktionsstörungen und Demenz - Analyse der Polypharmazie“. Basierend auf ihrer internistischen und pharmakologischen Ausbildung und den gesammelten Erfahrungen der klinischen Visite auf der Station Spezielle Alterstraumatologie zeigte Frau Dr. Wolf Interaktionen vieler gebräuchlicher Medikamente auf, die Einflüsse auf den kognitiven Zustand oder wichtige Organfunktionen haben und manchmal auch sturzauslösende Ursachen waren. Ein Umstand, von dem bereits viele Patienten profitiert und der zu Umstellungen in den medikamentösen Behandlungsschemata in unserem Klinikum geführt haben.
Den Abschluss des eintägigen Kongresses bildete die große Podiumsdiskussion. Viele der vorgenannten Referenten und Sitzungsleiter erörterten in lebhafter Interaktion mit den Teilnehmern eine Vielzahl von Themen. Unter anderem ging es um die Frage, wie viele Geriater für die Versorgung künftig gebraucht werden und wie sie in kurzer Zeit ausgebildet werden sollen. In Sachsen-Anhalt existieren hierfür zwei Weiterbildungsmöglichkeiten, der Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie mit 72 Monaten Weiterbildungszeit und die Zusatz-Weiterbildung Geriatrie mit 18 Monaten. Unstrittig ist ferner der notwendige Wissenstransfer in die Behandlung und vor allem auch in die Pflege. Frau Prof. Meyer, Direktorin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Martin-Luther-Universität, zeigte hierbei das große Potenzial einer strukturierten Pflegeforschung bis hin zur zeitnahen praktischen Umsetzung auf.
Der 1. Geriatrietag am Universitätsklinikum Halle (Saale) war ein großer Erfolg und markiert gleichzeitig der Beginn eines geriatrischen Netzwerkes für Sachsen-Anhalt. Dieses hat als vordringliches Ziel die Verknüpfung all der an der Behandlung und Betreuung alter und hochbetagter Menschen beteiligten Personen- und Berufsgruppen. Künftig werden zwei Veranstaltungen pro Jahr organisiert. Der 2. Geriatrietag am Universitätsklinikum Halle (Saale) wird am 15.11.2013 unter dem Leitthema „Überleitungsmanagement geriatrischer Patienten“ stehen.
Das Programm und die Anmeldeformalitäten finden Sie unter www.izah.uni-halle.de.
Dr. med. Rüdiger Neef, Leitender Oberarzt Alterstraumatologie Universitätsklinikum Halle (Saale) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg