eine kurze Notiz zur Medizingeschichte der Trabantenstadt
Der Hallische Stadtteil Neustadt feiert in diesem Jahr das 50. Jubiläum seines Bestehens. Am 17. September 1963 fand die Grundsteinlegung statt. Für die Mitarbeiter der „strukturbestimmenden Chemiebetriebe Buna und Leuna“ wollte die damalige Bezirksregierung unweit der Stadt Halle eine neue Wohnstadt bauen, die gleichzeitig „Modell für sozialistische Wohn- und Lebensbedingungen“ sein sollte.
Die Errichtung der neuen Vorzeigestadt schritt zügig voran. Bis zum Jahre 1980 wurde hier Wohnraum für über 110.000 Personen geschaffen. Ein wichtiges Ziel war die Verringerung des Anfahrtsweges zwischen Arbeitsstätte und Wohnort. Die gewonnene Zeit sollte sinnvoller, vor allem auch zu Erholungszwecken genutzt werden. Ein Schwerpunkt des Bebauungskonzepts war „die Sicherung der gesundheitlichen Betreuung.“
So wurde für die Neugründung ein Bauplatz gesucht, der lufthygienisch, bioklimatisch und hydrologisch die besten Voraussetzungen bot. Auch eine uneingeschränkte Sonneneinstrahlung war ein Gesichtspunkt. Die Wahl fiel auf ein 400 Hektar großes Gelände westlich der Stadt Halle, von dem 60 % bebaut werden sollte. Die Freiflächen sollten der Klimasicherung dienen und zur Freizeitgestaltung genutzt werden. Die ersten Bewohner zogen im Sommer 1965 nach Halle-Neustadt.
In medizinischer Hinsicht ungewöhnlich war das Durchschnittsalter der neuen Bewohner der Neustadt. Es lag bei 23,5 Jahren und bedeutete, dass sich die medizinische Versorgung aufgrund der hohen Kinderzahl vor allem auf eine gynäkologische und pädiatrische Betreuung konzentrierte.
Begonnen hatte die Gesundheitsversorgung im Februar 1964 rund um das Plattenwerk Halle-West. In einer Baubaracke wurde eine Sanitätsstelle errichtet und ein Ambulanzwagen stand in Form eines umgebauten alten Busses zur Verfügung. Mit diesen behelfsmäßigen Gegebenheiten konnte vor allem Erste Hilfe bei Unfällen auf der Baustelle geleistet werden. Im Wohnblock 441 wurde dann im September 1964 das erste Betriebsambulatorium in Halle-Neustadt eröffnet. Dort waren ein Facharzt für Sozialhygiene, ein Zahnarzt und sechs Pflegekräfte beschäftigt.
Darüber hinaus wurde ein „Bereichsarztsystem“ aufgebaut, wie es vorher bereits in der Sowjetunion und der Tschechoslowakei erprobt worden war. Das System bestand aus vier Ambulatorien (die werktags durchgehend von 7-19 Uhr und samstags bis 13 Uhr geöffnet waren), in denen sich die Patientinnen und Patienten anmelden konnten. Von hier aus wurden sie an den für sie zuständigen Bereichsarzt überwiesen. Als Bereichsärzte arbeiteten in jedem Ambulatorium drei Allgemeinmediziner, ein Kinderarzt, ein Frauenarzt und vier Zahnärzte. Der Betreuungsbereich eines Ambulatoriums umfasste etwa 3000 Einwohner. Nach und nach entstanden in der Neustadt vier kleinere Stadtambulatorien und eine zentrale Poliklinik (siehe Bild) sowie ein Kinderkrankenhaus. Am nordöstlichen Rand des Bebauungsgeländes wurde außerdem ein Versorgungskrankenhaus geplant (das heutige Uniklinikum Kröllwitz) und ab 1974 schrittweise eröffnet. Hier sollten zusätzlich auch Patientinnen und Patienten aus dem „alten“ Halle aufgenommen werden.
Literatur beim Verfasser
Andreas Jüttemann, Dipl.-Psych.
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin