Dorothea Christiana Erxleben (1715–1762) zum 300. Geburtstag
Iatrike techne, medicina, Medizin – alles weiblich. Reiner Zufall? Wenn man sich die heutigen Verhältnisse vergegenwärtigt, ist die Situation zweigeteilt: Während der überwiegende Anteil der Studierenden der Humanmedizin weiblich ist, gehen viele Frauen auf dem Weg in die Leitungsebene verloren. Das beginnt bei der Facharztweiterbildung und endet bei der ordentlichen Professur. Vorbilder können Frauen Mut machen, ihren Karriereweg zielstrebig zu verfolgen. Und wieder einmal lohnt sich ein medizinhistorischer Blick, denn in der Geschichte gab es von Anfang an bedeutende und durchaus einflussreiche Frauen. So auch Dorothea Christiana Erxleben (1715–1762), deren 300. Geburtstag wir 2015 feiern.
Dorothea stammte aus Quedlinburg. Sie wurde am 13.11.1715 geboren und hatte drei Geschwister: Maria Elisabeth (1712–1797), Christian Polycarp (1717–1791) und Johann Christian Justus (1720–1794). Ihr Vater Dr. Christian Polycarp Leporin (1689–1747) praktizierte in Quedlinburg als Arzt. Ihre Mutter trug den Namen Anna Sophia (1681–1757), geborene Meinecke. Ihr Familienhaus war voll von Büchern. Sie war wissbegierig und engagiert, so durfte sie mit ihrem älteren Bruder Christian Polycarp den Vater auch bei Krankenbesuchen begleiten. Das war für ein Mädchen dieser Zeit keinesfalls selbstverständlich, da das Lernen nützlicher Dinge Männern vorbehalten war. Am akademischen Gymnasium in Quedlinburg wurde Dorothea unterrichtet. Ein Universitätsstudium durfte sie nicht aufnehmen. Frauen war dies ja erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland möglich.
1740 stellte Dorothea anlässlich der Erbhuldigung des Preußenkönigs Friedrich II. (1712–1786) ein Gesuch, die ins Militär eingezogenen Brüder freizustellen und gemeinsam mit ihrem Bruder Christian Polycarp Leporin an der Medizinischen Fakultät der Fridericiana zur Promotion, also zum medizinischen Examen, zugelassen zu werden. Diesem Gesuch wurde am 24.4.1741 durch Friedrich II. stattgegeben.
1742 veröffentlichte Dorothea noch unter ihrem Mädchennamen Leporin, mit Unterstützung ihres Vaters, der auch das Vorwort beigab, eine Schrift mit dem Titel „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie mög-lich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleisse“. Mit dieser Arbeit legte sie ein Bildungskonzept für Frauen vor und versuchte mit Vorurteilen aufzuräumen. Allerdings wurde diese Bildungsschrift kaum rezipiert.Als es zum Krieg zwischen Preußen und Schlesien kam, desertierte ihr Bruder Christian. Deshalb mussten ihr älterer Bruder und ihr Vater das Land verlassen. Dorothea übernahm in dieser Zeit die väterliche Praxis in Quedlinburg, ohne dass sie hierfür legitimiert war. Daneben beschäftigte sie sich eifrig, wie man auch der später abgefassten Dissertation entnehmen kann, im Selbststudium mit den Schriften bedeutender Ärzte, die alle an der jungen Universität in Halle (Saale) wirkten, wie Johann Juncker (1679–1759), Friedrich Hoffmann (1660–1742), Michael Alberti (1682–1757) und Georg Ernst Stahl (1659–1734).
Als ihre Cousine Sophia Elisabeth Erxleben, geborene Meinecke, 1742 starb, heiratete Dorothea den dadurch verwitweten Diakon Johann Christian Erxleben (1697–1759). Er brachte fünf Kinder in die Ehe mit und Dorothea bekam dann noch vier weitere Kinder von ihm. Zwei Jahre später übernahm Dorothea Erxleben dann mit dem Tod ihres Vaters dessen Praxis. Sie trug damit wesentlich zur Existenz der Familie bei. Am 16.3.1750 gebar Dorothea Erxleben ihre Tochter Anna Dorothea. Durch ihre erfolgreiche Praxistätigkeit war sie der Missgunst zahlreicher Kollegen ausgesetzt. So wandten sich im Februar 1753 drei Ärzte aus Quedlinburg an den Stiftshauptmann Baron Paul Andreas von Schellersheim (1711–1781), welcher der Vertreter des preußischen Staates in Quedlinburg war, und zeigten sie an. Es läge eine Verletzung der preußischen Medizinalordnung wegen unbefugter Krankenbehandlung vor. Dorothea Erxleben wurde explizit der Pfuscherei bezichtigt und auch für den Tod einer Patientin verantwortlich gemacht. Ein wesentlicher Grund für diese Anzeige dürfte darin bestanden haben, dass sie mit ihrer gut gehenden Praxis eine ökonomische Konkurrenz darstellte. Um weiter praktizieren zu dürfen, wurde Dorothea Erxleben die Auflage erteilt, sich innerhalb von drei Monaten des Examens zu unterziehen. Wegen der Geburt ihres vierten Kindes Johann Heinrich Christian 1753 wurde ihr dann noch einmal Aufschub gewährt. Doch am 6.1.1754 überreichte sie dem Stiftshauptmann von Schellersheim ihre auf Latein verfasste Dissertationsschrift mit dem Titel „Quod nimis cito ac iucunde curare saepius fiat caussa minus tutae curationis“. Friedrich II. erteilte am 6.3.1754 seine Zustimmung zur Promotion. Der Stiftshauptmann machte kurze Zeit später gegenüber der medizinischen Fakultät in Halle (Saale) deutlich, dass das Promotionsvorhaben ohne Einschränkung befürwortet werde und bat um zügige Zulassung der Kandidatin.
So konnte Dorothea Erxleben am 6.5.1754 an der noch recht jungen Universität ihr Promotionsexamen absolvieren. Der amtierende Dekan Johann Juncker (1679-1759) lobte Dorothea Erxlebens Kenntnisse öffentlich. Da man mit Examina weiblicher Kandidaten bisher keine Erfahrung hatte, wurde Dorothea Erxleben nicht, wie sonst üblich, unmittelbar nach dem Examen die Approbation erteilt, sondern es wurde noch einmal bei Friedrich II. nachgefragt, wie vorzugehen sei. Nachdem eine königliche Genehmigung eingeholt worden war, Dorothea Erxleben die Doktorwürde, der Doktor zur „Arzneygelahrtheit“, auch tatsächlich zuzuerkennen, erfolgte die Approbation kurze Zeit später am 12.6.1754. 1755 veröffentlichte Erxleben ihre ins Deutsche übertragene und noch einmal inhaltlich überarbeitete Dissertationsschrift mit dem Titel „Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten“. Im selben Jahr starb ihr Sohn Christian Albert. Inhaltlich ging es Dorothea Erxleben in ihrer Dissertation um eine gründliche Behandlung der Krankheiten, die den Ursachen nachspürt und nicht nur einzelne Symptome behandelt. Mit einer solchen Einstellung lag Dorothea Erxleben im Trend der Zeit. In ihrer deutschen Veröffentlichung richtete sie sich an interessierte Laien, die keine medizinische Vorbildung hatten. Dorothea Christiana Erxleben war damit also die erste Ärztin, die in Preußen offiziell als solche arbeiten durfte.
1759 starb ihr Mann Johann Christian. In ihrer ärztlichen Praxis wurde Dorothea Erxleben dann von ihrem Sohn tatkräftig unterstützt. Ihr Wissen konnte sie so auch weitergeben. Sie hat auch dazu beigetragen, dass ihre beiden Söhne Johann Christian Polycarp Erxleben (1744–1777) und Johann Heinrich Christian Erxleben (1753–1811) studierten und dann sogar an Universitäten in Göttingen und Marburg lehrten, der eine als Naturwissenschaftler, der andere als Jurist. Dorothea Christiana Erxleben starb am 13.6.1762. Sie hat Medizingeschichte, Universitätsgeschichte und auch Geschlechtergeschichte geschrieben, und zwar als erste promovierte Ärztin in Deutschland. Sie dürfte damit Vorbild für viele Frauen wie Männer zugleich sein. Seit 1994 wird an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein Dorothea-Erxleben-Preis zur Würdigung international anerkannter wissenschaftlicher Leistungen im Rahmen herausragender Dissertationen oder äquivalenter Leistungen vergeben. Die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat ihr Lernzentrum (SkillsLab), einen Meilenstein der kompetenzorientierten praktischen Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte, nach Dorothea Erxleben benannt. Und anlässlich ihres 300. Geburtstages wird am 13.11.2015, ab 14 Uhr in der Aula der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen eines Festakts die erste Erxleben-Lecture aus der Taufe gehoben. Das vollständige Programm finden Sie unter: www.medizin.uni-halle.de/erxleben
Literatur beim Verfasser
Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. Florian Steger
Direktor des Instituts für Geschichte
und Ethik der Medizin
Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Magdeburger Straße 8
06112 Halle (Saale)
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