Während der Jahre 2001 bis 2009 ist die Tuberkulose (TB)-Inzidenz in Sachsen-Anhalt stetig gesunken. Später schien sie im Bereich von 5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner im Jahr zu stagnieren. Im Vergleich zu 2014 mit 2,97 Fällen pro 100.000 Einwohner ist 2015 ein Anstieg der kumulativen TB-Inzidenz auf bereits 4,71 Fälle pro 100.000 Einwohner zu verzeichnen (jeweils nur Meldewochen 1 bis 34). Die deutliche Zunahme von TB-Erkrankungen betrifft den Landkreis (LK) Harz, es sind aber auch andere LK/kreisfreie Städte betroffen, insbesondere Magdeburg, Burgenlandkreis, Altmarkkreis Salzwedel, Saalekreis und Halle.

Im Jahr 2014 waren 59 % der TB-Fälle Deutsche und 41 % Ausländer. Im Jahr 2015 stieg der Anteil der Ausländer unter den TB-Fällen auf 53 %. Unter den betroffenen Ausländern waren 2014 vor allem Personen aus Somalia, Indonesien und Indien. Auch 2015 kamen viele Betroffene aus Somalia und Indien, außerdem aus dem Kosovo, Guinea-Bissau, Eritrea, Rumänien und Syrien, also teilweise aus TB-Hochprävalenzländern. Auffällig ist auch der gestiegene Anteil an extrapulmonalen TB. Im Jahr 2014 betrug dieser 13 % unter den gemeldeten TB-Fällen, 2015 lag er bei 30 %. Unter den Fällen mit extrapulmonaler TB waren 2015 bisher 55 % Ausländer. Besonders häufig waren Lymphknoten, Pleura, Verdauungstrakt und Urogenitaltrakt betroffen.
Eine Ursache für den gestiegenen Anteil an Ausländern unter den TB-Fällen liegt vermutlich in der aktuellen Flüchtlingsbewegung. Anhand der Meldedaten kann jedoch nicht differenziert werden, bei welchen Fällen es sich um einen Flüchtling oder um eine seit längerer Zeit in Deutschland lebende Person mit ausländischer Staatsbürgerschaft handelt.

Viele Flüchtlinge aus TB-Hochprävalenzländern sind bereits latent infiziert, wenn sie nach Deutschland kommen. Zudem bergen die Bedingungen auf der Flucht und Aufenthalte in Gemeinschaftsunterkünften mögliche Expositions- und Infektionsrisiken und sind oft mit einer großen psychosozialen Belastung verbunden. Letzteres kann die Reaktivierung einer latenten tuberkulösen Infektion begünstigen. Dementsprechend zeigen Surveillance-Daten aus Industrieländern, dass ein hoher Anteil der Fälle mit aktiver TB bei Migranten innerhalb der ersten 5 Jahre seit ihrer Ankunft auftritt. Eine Studie aus den USA belegte wiederum durch aktive Surveillance, dass ein Großteil der TB-Fälle unter Migranten auf bereits bei Ankunft bestehende aktive TB zurückzuführen ist.

In Sachsen-Anhalt werden Flüchtlinge und Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST) einer allgemeinen medizinischen Untersuchung und einer Thorax-Röntgen-Untersuchung (Schwangeren wird stattdessen ein Quantiferon-Test angeboten) unterzogen, um eine aktive TB frühzeitig zu entdecken und zu behandeln sowie Übertragungen zu vermeiden. Erkrankungen, welche später ausbrechen, können noch nicht bei der Eingangsuntersuchung in der ZAST entdeckt werden. Außerdem betrifft ein Drittel der TB-Erkrankungen andere Organe als die Lunge und kann ebenfalls bei der Eingangsuntersuchung nicht erkannt werden. Derzeit besteht keine Empfehlung in Deutschland für ein generelles Screening auf eine latente tuberkulöse Infektion bei Immigration. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass viele TB-Erkrankungen erst nach der Untersuchung in der ZAST ausbrechen bzw. erkannt werden. Dies erklärt auch, dass mehrere LK/kreisfreie Städte betroffen sind, denn die betroffenen Flüchtlinge wurden bereits weitervermittelt. Laut einer Studie von Barniol et al. (2009) sind Übertragungen von Erregern des Mycobacterium tuberculosis-Komplex zwischen Migranten und der einheimischen Bevölkerung selten zu verzeichnen. Bei der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen sollte immer auch an Tuberkulose, einschließlich der nichtpulmonalen Formen, gedacht werden.

Am Forschungszentrum Borstel wurde  eine Tuberkuloseaufklärung via Smartphone für Betroffene und Helfende entwickelt, welche in 32 Sprachen verfügbar ist: http://www.explaintb.org/

Weiterführende Literatur:
www.t1p.de/EpidBull

Korrespondenzadresse:
Dr. Carina Helmeke
Dezernat Medizinische Mikrobiologie
Landesamt für Verbraucherschutz
Sachsen-Anhalt
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