Wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt, erfüllen Liebe und Glück den Raum. Umso dunkler sind die Gefühle, wenn das freudige Ereignis von Krankheit oder Behinderung überschattet wird. Doch auch mit solchen teilweise tragischen Situationen müssen sich Ärzte und Pflegekräfte tagtäglich beschäftigen und sind dabei in ihrer Entscheidungsfindung oft ethischen Konflikten ausgesetzt.

Am 08.04.2015 versammelten sich deshalb über 70 Teilnehmer, davon Ärzte (52 %) und Schwestern (27 %) aus Klinik und Praxis sowie Berater (3 %) und Seelsorger zur Fortbildung zum Thema „Ethische Entscheidungen am Lebensanfang“ im Universitätsklinikum Magdeburg.

Zur Verfügung stellten sich freundlicherweise aus dem Universitätsklinikum Magdeburg Frau Prof. Dr. phil. Eva Brinkschulte als Leiterin des Fachbereichs für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin, die Leiterin des Fehlbildungsmonitoring Frau Dr. med. Anke Rißmann, der Leiter des Arbeitsbereiches Kinderchirurgie Herr Oberarzt Dr. med. Hardy Krause, Herr Oberarzt Dr. med. Michael Gleißner aus der pädiatrischen Intensivmedizin, Herr Oberarzt Prof. Dr. med. Frank Meyer aus der Gefäßchirurgie, Palliative Care Schwester Frau Elke Schirmer-Firl aus dem Kinderhospiz der Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg und Diakon Matthias Marcinkowski als katholischer Seelsorger aus dem Klinikum Magdeburg. Laut unserer anonymen Live-Umfrage zu Beginn der Veranstaltung existieren ethische Konflikte sowohl in Kliniken als auch in Praxen in erheblichem Maße und werden dann sowohl für ärztliche als auch für pflegerische Mitarbeiter als sehr belastend erlebt. Doch hat man auf den einzelnen Stationen oft den Eindruck, dass ethische Konflikte untergehen oder nicht offen kommuniziert werden. Zum Teil weichen sie wahrscheinlich einfach dem stressigen Klinikalltag aus, zum anderen aber vielleicht auch, weil jeder Behandelnde oder Pflegende eine andere Vorstellung von Ethik hat und sich der Fehlbarkeit seiner eigenen Position bewusst ist. Manchmal bemerken wir aber auch an uns, dass wir jemanden insgeheim zu Unrecht verurteilen und gehen deshalb nicht mit unserer Vorstellung von Ethik hausieren. Der Gedanke eines einzuführenden Ethikkonsils zur gemeinsamen Entscheidungsfindung im Konfliktfall fand bei 84 % der Befragten Zustimmung und bringt damit den Wunsch vieler zum Ausdruck, schwere ethische Entscheidungen nicht alleine treffen zu müssen. Die Aufgabe des Seelsorgers sollte es hierbei sein, Fragen aufzuwerfen, die über den medizinisch-pflegerischen Kontext hinausgehen und andere Blickwinkel, insbesondere bezüglich Spiritual Care und Religion, ins Spiel zu bringen. Das 4-Prinzipien-Modell nach Beauchamp und Childress bietet eine ethische Orientierung für Entscheidungen im Bereich des heilberuflichen Handelns (André-Vert J. et al., ArchPediatr 2014; 21(8):860-868). Es fordert gleichzeitig Gutes zu tun und Schaden zu vermeiden sowie Gerechtigkeit walten zu lassen und die Autonomie des Einzelnen zu respektieren. Letzteres erweist sich indessen als schwierig, wenn der Patient nicht mehr oder aber noch nicht einwilligungsfähig ist, wie z. B. Kinder. In diesem Fall erfolgt die Entscheidungsfindung auf Grundlage des Best-Interest-Standards (Kopelmann L., The Journal of Law, Medicine&Ethics 2007; 35:187-196) nach dem dialogischen Prinzip (§ 1901-1904 BGB) zusammen mit der stellvertretenden Vertrauensperson, z. B. den Eltern.

Die Bundesärztekammer legt als Grundsatz für eine Sterbebegleitung durch Ärzte fest: Gegen den Willen der Sorgeberechtigten darf er – außer in Notfällen – keine ärztlichen Maßnahmen beginnen oder fortführen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass durch das Verhalten der Sorgeberechtigten das Wohl des Kindes gefährdet wird, soll er sich an das Familiengericht wenden (Dtsch Arztebl. 2011; 108(7): A-346 / B-278 / C-278).

Aufgrund der Brisanz des Themas erfolgte in der anschließenden Fallbesprechung die Diskussion der zu erwägenden Therapie-optionen anhand eines konkreten Beispiels durch die Experten vor Ort. Ein Säugling mit Trisomie 18, bestehendem VSD und Omphalozele mit der Prognose einer Überlebenszeit von unter einem Jahr und schwerer geistiger Behinderung (Janvier A. et al., Pediatrics 2011; 127:754-759). Die Eltern wurden hierüber informiert und wünschen nun eine palliative Versorgung ihres Säuglings. Der VSD stellt in diesem Fall keinen prognostisch relevanten Herzfehler dar, wohingegen die Omphalozele als gut korrigierbare Bauchhöhlenkonfiguration ein 50 %-iges Sepsis-Risiko birgt. Ein bewusstes Abwägen des Pro & Contras eines chirurgischen Eingriffs ist allerdings unabdingbar. Durch die OP der nebenbefundlichen Omphalozele wird das Leiden des Kindes möglicherweise lediglich verlängert, außerdem besteht das Risiko der Zustandsverschlechterung oder gar dem tödlichen Verlauf. Nicht zu operieren hingegen birgt die Gefahr, dass aufgrund einer fulminanten Sepsis die Lebenszeit des Säuglings stark verkürzt und somit den Eltern Zeit zum Abschied genommen wird. Zu dieser Problematik erläutert Neitzke den Begriff der Indikation als interdisziplinären Prozess, „der Arzt und Patient vor einem unqualifizierten Zuviel, als auch einem Zuwenig schützt“ (Neitzke G., Med Klin Intensivmed Notfallmed 2014; 109(1):8-12).

Im anwesenden Diskussionsteam herrschte weitestgehend Einigkeit darüber, diejenigen Therapieoptionen auszuführen, die es Kind und Eltern ermöglichen, gemeinsam nach Hause entlassen zu werden – auch wenn diese Lösung sowohl die Anlage eines Tracheostomas und einer PEG als auch einen erheblichen pflegerischen Aufwand bedeutet. Denn nicht zu vergessen sind bekanntermaßen die ökonomischen Aspekte jeder Entscheidungsfindung, die Ärzte dazu zwingen, Vor- und Nachteile einer Behandlung den beteiligten Interessengruppen zuzuordnen (Braatz B. et al., Chirurg 2013; 84(8):681-686). Aber sollte nicht jeder Patient die für seine Genesung oder wenigstens für sein Wohlbefinden bestmögliche Therapie erhalten, unabhängig von Krankenkasse oder Klinikgewinn? Doch wer wird dann noch zwischen nötigen und unnötigen Kosten unterscheiden? Deshalb muss an dieser Stelle auch die Frage gestellt werden, ob eine Operation der Omphalozele in diesem Fall überhaupt als palliativer oder nicht eher als kurativer Ansatz zu werten ist. Sollte im genannten Fallbeispiel eine Therapiebegrenzung (z. B. Extubation) in Erwägung gezogen werden, müssen die Eltern einverstanden sein und in ihrem Willen von ärztlicher Seite unterstützt werden. Kommunikationsfehler sollten insbesondere an dieser Stelle unbedingt vermieden werden, um den Eltern keine ungerechtfertigten Heilungshoffnungen zu machen. Ein ebenso schwieriger ethischer Konflikt stellt sich dar, wenn eine Mutter ihr bereits pränatal als schwer geistig und oder körperlich behindert diagnostiziertes Kind lediglich aus religiösen Beweggründen und vielleicht noch auf Druck ihres Partners hin zur Welt bringt. Wie sollte der behandelnde Arzt in dieser Situation am besten reagieren und was genau ist eigentlich das „Beste“? Wäre es womöglich die einfachste Lösung, die Behandlung zu verweigern und an einen Kollegen zu überweisen in der Hoffnung, dass der eine Entscheidung treffen wird? Doch diese Strategie funktioniert nicht, wenn solche Konflikte in Notfallsituationen auftreten. Dann muss man sich plötzlich zwischen „Pest“ und „Cholera“ entscheiden – entweder man begibt sich selber in Gefahr, dass der männliche Partner der Patientin handgreiflich wird oder man schaut tatenlos zu, wie ein ungeborenes Leben intrauterin verstirbt (Leurs R., Spiegel Online 2014). Ein weiteres Beispiel wäre auch die notfallmäßige Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas und deren behandlungsbedürftigen Kindern. Die Vorgehensweise in solchen Konfliktfällen ist nach 6 Jahren Medizinstudium immer noch nicht eindeutig geklärt. Nachfragen direkt in der Klinik brachten die Erkenntnis, dass sogar Ärzte innerhalb einer Station verschiedene Vorstellungen zum „richtigen“ Prozedere in derartigen Situationen haben. Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, dass ethische Konflikte von allen Beteiligten als belastend erlebt werden: Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Es gilt medizinische, ethische und rechtliche Argumente abzuwägen und eine Art Kompromiss im Sinne des Patienten zu finden, und die eigenen nagenden Gedanken, ein anderer Weg wäre der Bessere gewesen, im Alltag zu bewältigen.

Abschließend ist zu betonen, dass eine einheitliche Meinung im ärztlich-pflegerischen Beratungsteam nicht das Ziel einer Diskussion sein kann, dass jedoch gegenüber den betroffenen Eltern ein geschlossener Konsens bestehen sollte, um ihnen Halt und Unterstützung gewährleisten zu können.

Josephin Rodenstein

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