Im Januar 2017 fand der inzwischen traditionelle Jahresrückblick des Department für Innere Medizin der Uniklinik Halle (Saale) im Schloss Teutschenthal statt. Dabei ließen die Vertreter der Schwerpunkte die letzten 12 Monate Revue passieren und berichteten über wichtige neue Entwicklungen. Den Auftakt machte in diesem Jahr Herr PD Dr. Lutz Müller mit einem Überblick über die Hämatologie und Onkologie. Pathophysiologisch sehr interessant und für die betroffenen Patienten mit einer Aussicht auf eine deutlich verbesserte Therapie verbunden, sind Phase I Studien zur gezielten Behandlung einzelner Formen der Hämophilie auf der Basis einer gezielten Intervention. In den letzten Jahren wurden genetische Veränderungen beschrieben, die Vorstufen zum myelodysplastischen Syndrom (MDS) oder zur akuten myeloischen Leukämie (AML) sein können. Diese scheinen auch bei gesunden Menschen mit zunehmendem Lebensalter zu kumulieren und resultieren in einer Klonalen Hämatopoese unbestimmten Potentials (CHIP).
Wann und warum diese CHIP zur manifesten malignen Erkrankung führt, ist noch unklar, ebenso die möglichen therapeutischen Konsequenzen (Blood 2016; 127:2391). Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) haben bei chronisch myeloischer Leukämie (CML) zu einer erheblichen Prognoseverbesserung geführt. Inzwischen wird diskutiert, ob die chronische TKI-Therapie in der Remission beendet werden kann. In einer aktuellen grundlegenden Studie wurde die TKI-Behandlung nach 3 Jahren Rezidivfreiheit gestoppt. 60 % der Patienten blieben ohne Therapie rezidivfrei, die auftretenden Rezidive waren gut beherrschbar (Blood 2017, 128:846). Es werden jetzt Kriterien und Leitlinien erarbeitet, wann ein Auslassversuch sinnvoll ist. Bemerkenswerte Erfolge werden mit dem Einsatz von T-Lymphozyten mit chimärem T-Zell-Rezeptor (CAR-T-Therapie) der dritten Generation bei hämatologischen Malignomen erreicht. Ein erster Bericht zur Anwendung beim Glioblastom (NEJM 2016, 375:2561) zeigt, dass auch solide Tumoren künftig ein Ziel für diese Behandlung sein können.
Mit einer Zulassungsübersicht für Medikamente in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis stieg Prof. G. Keyßer in seinen Vortrag zur Rheumatologie ein. Inzwischen sind auch Biologica für die first line Behandlung zugelassen, ein aktuelles Cochrane-Review konnte jedoch nicht belegen, dass dies für die Patienten im Vergleich mit Methotrexat und konventionellen DMARD-Kombinationen tatsächlich vorteilhaft ist (Hazlewood, Cochrane 2016). Die hohen Kosten der Biologica legen die Überlegung nahe, ob ein Absetzen im längerfristigen Verlauf vertretbar ist. Neue Daten bestätigen, dass in Vollremission eine Dosisreduktion der Biologica sehr oft möglich ist, es bei Absetzen hingegen oft zum Rezidiv kommt (Ann Rheum Dis 2016; 75:52).
Auch in der Rheumatologie sind die Tyrosinkinase-Inhibitoren sehr erfolgreich, therapierefraktäre Fälle sprechen auf orale Behandlung mit Baricitinib an (NEJM 2016; 374:1243). Nach 4 Jahren Krankheitsverlauf leiden 20 % der Psoriasis-Patienten auch unter einer Arthritis. Es gibt ein aktuelles Update der Leitlinie Psoriasis-Arthritis, in der die wachsende Rolle neuer monoklonaler Antikörper, z. B. gegen Interleukin 17 deutlich wird, mit zahlreichen neuen, bisher nicht in Leitlinien empfohlenen Medikamenten (Ann Rheum Dis 2016; 75:299). Bei refraktären Verläufen des SLE sind Antikörper gegen Interferon alpha ein hilfreiches Konzept (Ann Rheum Dis 2017; 76:79). Pathophysiologisch interessant ist, dass auf der Basis des Genaktivierungsmusters nach Interferon-Stimulation zwei Subgruppen des SLE erkennbar werden. Bei der Sklerodermie liegt zunehmend gute Erfahrung mit der autologen Stammzelltransplantation nach Myeloablation vor.
Frau Dr. B. Wollschläger besprach den Schwerpunkt Pneumologie. Von großem Interesse ist die neugefasste Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie. Diese führt eine Anpassung der Kriterien für die primäre Risikostratifizierung durch, Bettlägerigkeit, initiale Hypoxie und „potentiell instabile Komorbiditäten“ erhalten Gewicht. Die Sauerstoffsättigung ist nun ein entscheidendes Stratifikationskriterium, auch in der ambulanten Versorgung. Bei den obstruktiven Lungenerkrankungen wird mehr Wert auf eine multidimensionale Einteilung gelegt (nach Lungenfunktion, Exazerbationsrate und Lebensqualität), was zu individualisierterer Therapie führt. Eine große Studie zeigt ein optimiertes Konzept zur Exacerbationsvermeidung ohne inhalative Steroide auf (NEJM 2016; 374:2222).
Bei schwerem Asthma könnte der Anti-IL5-Antikörper Mepolizumab eine signifikante Reduktion des Steroidverbrauchs und der Exacerbationsrate erbringen. Beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom liegen Hoffnungen auf dem PD1-Inhibitor Nivolumab. Unter dieser Behandlung ist allerdings mitunter die Beurteilung der radiologischen Ausdehnung schwer zu beurteilen, es kann zur Vergrößerung von Infiltraten im Rahmen der Abwehr kommen, ohne dass dies einem Progress der Krankheit entspricht. Die Diskussion zum Schwerpunkt Kardiologie leitete Prof. S. Frantz mit der Betrachtung von neuen Endpunktstudien zur Diabetestherapie ein. Er berichtete über die bemerkenswerten positiven Effekte von Liraglutid (NEJM 2016; 375:311) und Semaglutid (NEJM 2016; 375:1834) auf kardiovaskuläre Endpunkte beim Diabetiker. Ein häufiges Problem ist die Gestaltung der Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern, die aufgrund von Koronarstents eine kombinierte Thrombozytenhemmung benötigen. Eine neue Studie zeigt die Überlegenheit einer Kombination aus Rivaroxaban und antithrombozytärer Therapie mit Plavix gegenüber einer Tripeltherapie (NEJM 2016:375:2423).
Telemedizinische Ansätze zur chronischen Herzinsuffizienz versuchten, durch Thoraximpedanzmessung mittels des ICD-Gerät eine beginnende Überwässerung zu erkennen und an ein Callcenter zu übermitteln, doch hat dieser Ansatz nur zu relativ wenigen zielgerichteten Interventionen geführt (Eur Heart J 2016; 37:3154) und die Mortalität nicht senken können. Die Implantation von ICDs bei nicht-ischämischer Herzinsuffizienz mit EF<35 % scheint nicht zwangsweise für alle Patienten erforderlich. Eine neue Studie fand eine sehr niedrige Ereignisrate bei Patienten mit DCM und optimaler Herzinsuffizienztherapie; profitiert haben von der ICD-Implantation insbesondere jüngere Patienten, unter moderner konservativer Therapie sind ICDs nur noch in ausgewählten Fällen notwendig (NEJM 2016;375:1221).
Während eine Studie zeigte, dass der Reninantagonist Aliskiren in der Behandlung der systolischen Herzinsuffizienz keinen Benefit bringt (NEJM 2016; 374:1521), wurden die Neprilysin-Inhibitoren jetzt in die neue Leitlinie Herzinsuffizienz aufgenommen. Im Schwerpunkt Angiologie unternahm Frau Prof. B.-M. Taute eine Reise vom Kopf (gleichwertige 10 Jahres Ergebnisse von Carotisstent und Carotisoperation, NEJM 2016; 374:1021) bis zu den Beinen (keine Überlegenheit von Ticagrelor gegenüber Clopidogrel bei pAVK, NEJM 2017; 376:32).
Eine wichtige Arbeit zeigt, dass die Diagnose Lungenembolie nach wie vor oft übersehen wird. So wurden Patienten, die wegen einer ersten Synkope zur Krankenhausaufnahme kamen, systematisch auf das Vorliegen von Lungenembolie untersucht. Immerhin 17 % der Patienten hatten tatsächlich diese Erkrankung und benötigten daher eine Antikoagulation (NEJM 2016; 375:1524). Kurze Liegezeiten im Krankenhaus führen bei internistischen Patienten mit hohem Risiko von venösen Thrombosen und Embolien tendenziell zu einer (zu) kurzen Antikoagulationsbehandlung mit niedermolekularem Heparin. Bisherige Versuche, eine prolongierte Antikoagulation zu etablieren, waren wegen hoher Blutungsrisiken nicht erfolgreich. Die orale Gabe von Betrixaban über 35-42 Tage scheint in dieser Indikation vorteilhaft, ohne mehr schwere Blutungen zu verursachen (NEJM 2016; 375:534). Ein weiteres therapeutisch unterschätztes Kapitel ist die oberflächliche Venenthrombose. Eine neue Meta-Analyse zeigt, dass die Risiken (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie) offenbar deutlich größer sind als bisher eingeschätzt (J Thromb Haemostas 2016; 14:964). Konsequenz wird künftig wahrscheinlich eine Therapie mit Rivaroxaban für 45 Tage sein, die sich gegen Fondaparinux als nicht unterlegen zeigte (Beyer-Westendorf, Lancet Haematol. 2017).
Die Studien zu Liraglutid (NEJM 2016; 375:311) und Empagliflozin (NEJM 2015, 373:2117) beschäftigten natürlich auch Frau Dr. A. Spens in ihrem Referat zur Diabetologie und Endokrinologie. Die modernen Antidiabetika erreichen eine Reduktion der kardiovaskulären Endpunkte, die bisher mit blutzuckersenkenden Medikamenten nicht erreichbar war. Für Empagliflozin konnte ein günstiger Effekt auch auf renale Endpunkte (Proteinurie, Nierenfunktionsverlust) belegt werden (NEJM 2016; 375:323). Grundsätzlich sollten aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkmechanismen die Glucagon-like Peptide-1 Agonisten (z.B. Exenatide) und die SGLT-2 Hemmer (z.B. Dapagliflozin) synergistisch wirken. Die Effekte einer solchen Kombinationstherapie wurden aktuell in der DURATION8-Studie geprüft (Frias, Lancet Diabetes Endocrinol 2017). Es ergaben sich günstige, zum Teil additive Effekte auf HbA1c, Körpergewicht und systolischen Blutdruck, ohne Hypoglykämien. Raumforderungen der Nebennieren sind sehr häufige Befunde im CT (Prävalenz 2–4 %). Nur relativ wenige sind hormonell aktiv oder maligne. Sie verursachen jedoch viel diagnostischen Aufwand, weil die Patienten jahrelang zu Verlaufskontrollen einbestellt werden. Eine neue Diagnoseleitlinie erlaubt, bei vielen Betroffenen auf Kontrollen zu verzichten, ohne sie einem höheren Risiko auszusetzen (Eur J Endocrinol 2016; 175:G1).
Ergänzend konnten auch die diagnostischen Algorithmen des primären Hyperaldosteronismus neu und stringenter gefasst werden (J Clin Endocrinol 2016; 101:1889). Ein weiteres diagnostisch sehr kompliziertes Thema ist die Differenzialdiagnose des Polyurie-Polydipsie-Syndroms. Hier hat das Prohormon Copeptin einen wesentlichen Stellenwert gewonnen, weil es im Gegensatz zu ADH sehr stabil und gut messbar ist. Neue diagnostische Algorithmen (Nat Rev Endocrinol 2016; 12:168) erlauben nun eine bessere Differenzierung zwischen psychogener Polydipsie und partiellem zentralen Diabetes insipidus.
Neuigkeiten aus der Gastroenterologie fasste Prof. P. Michl zusammen. Die steigende Inzidenz der Präkanzerose Barrett-Ösophagus führt zu erheblichem Interesse an der Weiterentwicklung endoskopischer Therapieoptionen. Im Ösophagus scheint die Mucosa-Resektion (EMR) der Submucosa-Dissektion (ESD) zumindest nicht unterlegen (Terheggen, Gut 2016 e-pub; Gut 2016;65:555). Zu den sehr häufigen funktionellen Ösophagusbeschwerden wurde eine neue Leitlinie (Update Rome IV, Aziz, Gastroenterology 2016;e-pub) veröffentlicht.
Auch zu Erkrankungen des Magens wurde eine wichtige Leitlinie erneuert: zu Helicobacter pylori und gastroduodenaler Ulcuskrankheit (Z. Gastroenterol 2016; 54:327). Darin wird eine Helicobacterdiagnostik ohne Endoskopie nicht befürwortet. Zu den Risikopopulationen, bei denen eine Hp Eradikation erfolgen sollte, kommt die PPI-Therapie > 1 Jahr hinzu. Die Indikationsstellung für Protonenpumpenhemmer hingegen wurde strikter gefasst, um der Tendenz zur Übertherapie entgegen zu wirken. Bei Leberzirrhose mit portaler Hypertonie ist eine TIPS-Anlage bei akuter Ösophagusvarizenblutung als vorteilhaft gegenüber der Ligaturbehandlung etabliert. Jetzt konnte ein Nutzen auf die Reblutungsrate auch in der Sekundärprophylaxe gezeigt werden, das Gesamtüberleben der Patienten wurde allerdings nicht positiv beeinflusst (Hepatology 2016; 63:581).Wie in vielen Bereichen der Onkologie macht die molekulare Diagnostik auch beim Kolonkarzinom deutliche Fortschritte. Ein umfassendes molekulares Profiling wird wahrscheinlich bald zur Verfügung stehen und die Auswahl möglicher Therapieoptionen steuern. Ein Beispiel ist der Einsatz des PD1-Antikörpers Pembrolizumab, der abhängig vom Vorliegen einer genetischen Instabilität des Tumors unterschiedlich gut wirkt (NEJM 2015; 372:2509). Aktuelle Entwicklungen aus Nephrologie und Hypertensiologie trug schließlich Prof. M. Girndt zusammen. In den letzten Jahren häuften sich Beobachtungen, dass der B-Zell-Antikörper Rituximab gut gegen das Nephrotische Syndrom bei unterschiedlichen Glomerulonephritiden (GN) wirkt. Jetzt wurde dies in einer randomisierten Studie bei membranöser GN geprüft, wobei die Studie, wahrscheinlich aufgrund kurzer Laufzeit, den primären Endpunkt nicht erreichte (JASN 2016; 28:348). Ein völlig neues Wirkprinzip, die Kombination von Angiotensinantagonismus und Endothelinhemmung in einem synthetischen Molekül, weckt große Hoffnungen in der Therapie der refraktären fokal-segmentalen Glomerulosklerose, einer schwer behandelbaren Ursache des Nephrotischen Syndroms (Trachtman, ASN Kongress 2016).
In der Hypertonietherapie ist die Debatte um neue Zielwerte infolge der SPRINT-Studie (NEJM 2015;373:2103) noch nicht abgeschlossen. Neu sind nun Analysen zu renalen Endpunkten bei Patienten, die bereits bei Studienbeginn eine eingeschränkte Nierenfunktion hatten. Für diese recht große Subgruppe zeigt sich kein klarer Vorteil in Bezug auf GFR-Verlust und Proteinurie. Die relativ hohe kumulative Kortikosteroiddosis, die bei immunsuppressiver Standardtherapie nach Nierentransplantation verabreicht wird, steht mit der Neumanifestation von Posttransplantdiabetes mellitus in Zusammenhang. Die HARMONY Studie versuchte, auf die übliche Steroiddauertherapie zu verzichten. Innerhalb von 12 Monaten nach Transplantation kam es nicht zu häufigeren oder schwereren Transplantatabstoßungen, die Rate neuer Diabetesmanifestationen konnte jedoch fast halbiert werden (Lancet 2016;388:3006). Allerdings sind längerfristige Nachbeobachtungen wünschenswert, bevor das Konzept verallgemeinert werden kann.
Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. med. Matthias Girndt
Geschäftsführender Direktor des
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