M = IVb + P1 [IVa + (P2i x EVi)] … oder „Mythos Motivation“?!

„Motivation“, das Thema beim diesjährigen Groddeck-Symposium in Bad Kösen, traf offenbar genau ins Schwarze, denn immerhin füllten fast 160 Besucher den altehrwürdigen Saal des benachbarten Hotels, in dem traditionell der wissenschaftliche Teil der Veranstaltung stattfand.

Herr Dr. med. O. Ballaschke, Chefarzt der Burgenlandklinik, deutete in seiner Einführung, die vom Mitbegründer der Doktrin des Hedonismus, dem griechischen Philosophen Epikur über Freudsche Triebe, die Maslowsche Bedürfnispyramide bis hin zu Prozesstheorien der Motivation und schließlich einer Motivationsgleichung zur Weg-Ziel-Theorie der Führung reichte, bereits an, dass viele Fragen offen bleiben werden. Dennoch gab es viel Interessantes und auch Neues zu hören.

Frau Prof. Dr. R. Vollmeyer von der Goethe-Universität Frankfurt spannte einen Bogen von alltagspsychologischen und populären Tricks zur Steigerung von Motivation zu wissenschaftlichen Ansätzen. Anhand eines Flussdiagramms (mit vorgegebener Frage-Antwort-Sequenz), welches einen Überblick über verschiedene Motivationsaspekte gab (u. a. extrinsische und intrinsische Motivation), veranschaulichte sie Ursachen und Entstehung von Motivationsproblemen und legte anhand praxisnaher Beispiele verschiedene Möglichkeiten der Steigerung einzelner Motivationsformen dar. Sie referierte auch über die Nutzung/Stärkung der Motivation von Patienten im therapeutischen Prozess (z. B. leistungskontingente Rückmeldungen).

Groddeck-Symposium: Blick in den voll besetzten Saal
Groddeck-Symposium: Blick in den voll besetzten Saal

Im zweiten Vortrag stellte Herr Dr. Dr. H. Mück aus Köln die Technik des Motivational Interviewing (MI nach Miller & Rollnick) als kooperativen, zielorientierten Kommunikationsstil im Dienste der Steigerung von Eigenmotivation (bspw. für gesundheitsförderliche Verhaltensänderungen) vor. Der Referent beschrieb MI als nachhaltigen Motivationsweg, der im Sinne eines „Add-on“-Werkzeuges (z. B. zu einer Verhaltenstherapie) bei Klienten mit geringer bzw. ambivalenter Motivation die Entwicklung von Selbstmotivation fördern kann. Im Kontext einer respektvollen, von Empathie gekennzeichneten Beziehung kämen dabei dem Erzeugen bzw. Aufdecken von Diskrepanzen durch offenes, direktives Fragen („Eintrittstor der MI“), dem Fördern positiv veränderungswürdiger Aspekte („change talk“) und der Stärkung von Zuversicht („confidence talk“) eine besondere Bedeutung zu.

Herr J. Hesse (Hesse & Schrader) bereicherte unser diesjähriges Symposium durch Erkenntnisse aus dem Bereich der Mitarbeiter- und Arbeitsmotivation und eröffnete seinen Vortrag mit zahlreichen aufmerksamkeitserregenden Fragen („Lässt sich Arbeitsunlust durch Kunstgriffe in Motivation wandeln?“). Er legte dar, dass Motivierungsmanöver von außen Mitarbeitern auch unterstelle, sie würden dem Unternehmen Leistung vorenthalten, was im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung sogar dazu führen könne, dass Mitarbeiter ihre Leistung tatsächlich zurückfahren. Stattdessen gehe es darum, „Mitarbeitern leistungsunabhängig mit echtem Interesse zu begegnen“, so Hesse. Die fünf „Bs“ der Motivation (bestrafen, bestechen, belohnen, belobigen, bedrohen) würden meist nur kurzfristig greifen und „nutzen sich schnell ab“. „Wertschätzung schafft Wertschöpfung!“

Frau Dr. phil. B. Schwörer stellte die Motivationsstrategie des Mentalen Kontrastierens mittels Implementation Intention (MCII nach Prof. Dr. G. Oettingen und P. Gollwitzer) vor. Implementation Intentions könnten bei motivationskorrumpierenden Hindernissen (bspw. ungesunder Lebensstil, „schlechte Gewohnheiten“) im Sinne von „Wenn-dann-Plänen“ helfen, kritische Situationen überhaupt zu erkennen und ein vorher definiertes (und verinnerlichtes) zielrelevantes Verhalten zu zeigen. Die Wirksamkeit von MCII ist für klinische und nicht klinische Stichproben im Hinblick auf eine Verbesserung des Gesundheitsverhaltens bzw. eine Lebensstiländerung nachgewiesen. „MCII ist kosten- und zeitsparend, bereichs- und personenübergreifend und auch als metakognitive Strategie nutzbar“. Es könne anhand der einprägsamen Abkürzung „WOOP“ (Wish, Outcome, Obstacle, Plan – Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan) im Sinne einer Selbstmanagementstrategie an Klienten/Nutzer vermittelt werden und ist sogar als App für das Handy verfügbar.

„Verhaltenstherapie trifft Philosophie“ – Dr. Ballaschke in Diskussion mit Prof. Bruentrup
„Verhaltenstherapie trifft Philosophie“ – Dr. Ballaschke in Diskussion mit Prof. Bruentrup

Herr Prof. Dr. G. Bruentrup aus München eröffnete abschließend eine philosophische Sicht auf die Frage nach der Motivation des Menschen. „Ein motivierter Mensch hat eine innere Haltung des Wachsens und kultiviert diese in seiner Umgebung“, so Bruentrup. Zuverlässigste Prädiktoren für Lebenserfolg seien nicht etwa Talent oder Intelligenz, sondern ausdauernde Entschlossenheit („Grit“), die Fähigkeit eigene Ziele langfristig und mit Leidenschaft zu verfolgen. Mangelnde Selbstkontrolle unterminiere dauerhafte Entschlossenheit, was wiederum die Frage nach der Freiheit des Menschen aufwerfe. Seine Ausführungen widmete der Autor verschiedenen Modellen der Integration impliziter und expliziter Motive sowie der Authentizität (Entdeckungs- versus Hervorbringungsmodell). Seinen philosophischen Exkurs beendete Bruentrup mit den Worten „Authentizität verlangt die Entdeckung meiner impliziten Motive und die Hervorbringung passender expliziter Motive, die der Mensch ohne Fremdbestimmung autonom wählt“, was letztlich eine Vermittlung beider Ansätze in einem Harmoniemodell bedeute.

Der Tag klang aus mit fachlichen Diskussionen im kollegialen Rahmen.

Korrespondenzanschrift:
Chefarzt Dr. med. Olaf Ballaschke
FA für Psychiatrie und Psychotherapie, Suchtmedizin
SRH Medinet Burgenlandklinik
Fachklinik für psychosomatisch-psychiatrische Rehabilitation
und
Suchtmedizin
Käthe-Kruse-Str. 2
06628 Naumburg/Saale

 

Foto: SRH Medinet Burgenlandklinik