Ernährung und Medikamente im Alter

v. l. n. r.: Die Referentinnen Dr. Cornelia Schwemmle (HNO-Uniklinik), Prof. Dr. Eva Brinkschulte (KEK-Vorsitzende), Dr. Ursula Wolf (Uniklinik Halle), Silke Zur (Bildung ZUR Gesundheit), Anna Urbach (Leiterin KEK-Geschäftsstelle) und Franziska Gerstberger (KEK-Sekretariat)
v. l. n. r.: Die Referentinnen Dr. Cornelia Schwemmle (HNO-Uniklinik), Prof. Dr. Eva Brinkschulte (KEK-Vorsitzende), Dr. Ursula Wolf (Uniklinik Halle), Silke Zur (Bildung ZUR Gesundheit), Anna Urbach (Leiterin KEK-Geschäftsstelle) und Franziska Gerstberger (KEK-Sekretariat)

Am Mittwoch, den 11. September 2019, fand auf dem Campus der Medizinischen Fakultät eine Fortbildungsveranstaltung des Klinischen Ethikkomitees (KEK) der Universitätsmedizin Magdeburg in Kooperation mit der HNO-Universitätsklinik statt.

Die einleitenden Worte sprach Prof. Dr. Eva Brinkschulte (Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin), Vorsitzende des KEKs. Brinkschulte skizzierte aktuelle Herausforderungen und Konflikte in der medizinischen Versorgung von alten Menschen. Sie ging dabei auf ethische Aspekte ein. Derzeit sei jede fünfte Person in Deutschland älter als 65 Jahre, Tendenz steigend. Es sei ethisch geboten, die Erhaltung der Selbstständigkeit, Autonomie und Teilhabe im hohen Alter zu fördern. Doch gerade daran scheitere es oft. Etwa ein Drittel der älteren Patientinnen und Patienten beklage, dass ihm vorbeugende oder rehabilitative Maßnahmen vorenthalten würden. Dies sei nicht allein ein strukturelles, sondern auch ein professionelles Problem: „Altersdiskriminierung findet zuerst in den Köpfen der Ärzte statt“, so Prof. Dieter Hirsch, Gründer der Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter. Da keine genauen Regeln existieren, wann bestimmte Therapien bei älteren Menschen nicht mehr vorgenommen werden, liege die letzte Entscheidung darüber allein bei den Ärzten. Letztere ließen sich wiederum zu oft vom Lebensalter statt von der tatsächlichen gesundheitlichen Konstitution der Patienten leiten.

Als nächstes folgte der Vortrag von Dr. Cornelia Schwemmle, Oberärztin an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Leiterin des Arbeitsbereiches Phoniatrie, Pädaudiologie und klinische Audiologie. Schwemmle verdeutlichte mithilfe von animierten Bildern, dass das Schlucken an sich ein hochkomplexer Vorgang ist, bei dem etwa fünfzig Muskelfunktionsgruppen beteiligt sind. Es sei daher kaum verwunderlich, dass die Ursachen für Schluckstörungen sehr unterschiedlich sein können und eine individuelle Herangehensweise in der Therapie notwendig machten. Altersbedingte Veränderungen des Schluckens (Presbyphagie) sind dabei unter anderem die verlangsamte Schluckreflex-Triggerung, eine veränderte Sensibilität von Rachen und Schlund sowie der verringerte Geschmacks- und Geruchssinn. Hinzu kommt oftmals ein reduziertes Durstempfinden. Studien belegen, dass bei etwa 16 Prozent aller 70- bis 79-Jährigen, sowie bei einem Drittel aller über 80-Jährigen symptomatische Schluckbeschwerden vorliegen. Bei der Diagnostik gelte es, so Schwemmle, zunächst einmal im Gespräch zu klären, seit wann und in welcher Situation die Schluckbeschwerden auftreten und ob ein fortschreitender Verlauf beobachtet werden konnte. Weiterhin sollte man Betroffene nach dem vermuteten Grund ihrer Beschwerden sowie nach ihren Bewältigungsstrategien fragen. Hierbei können Angehörige wertvolle Zusatzinformationen über das bisherige Essverhalten, bestimmte Essensrituale etc. liefern.

Schlemmerpause mit Firmenausstellung
Schlemmerpause mit Firmenausstellung

Mithilfe der Funktionellen endoskopischen Evaluation des Schluckens (FEES) beurteilt anschließend eine Ärztin/ein Arzt den Schluckakt mittels Verabreichung von Nahrung und Flüssigkeit verschiedener Konsistenz. In der Therapie der Dysphagie gelte es zunächst, den Respekt vor der größtmöglichen Patientenautonomie zu wahren. Die Betroffenen und nach Möglichkeit auch deren Angehörige und Pflegende sollten von Anbeginn in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden. Empfehlungen sollten möglichst aus dem tagesaktuellen Kontext heraus und vor dem Hintergrund bereits bestehender chronischer Leiden gegeben werden. Sätze, wie: „Sie bringen den Patienten um, wenn Sie ihm etwas geben!“, seien hingegen wenig hilfreich und verängstigten die Pflegenden nur unnötig. An einem Beispiel aus ihrer Praxis konnte Schwemmle zeigen, wie selbst bei einer älteren, demenzerkrankten Patientin mit einer plötzlichen, schweren oralen Schluckstörung infolge einer Zungendyskinesie eine PEG-Sonde verhindert werden konnte. Für die erfolgte zeitintensive Therapie sei jedoch eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Logopäden, Pflegenden und Angehörigen erforderlich gewesen sowie die Bereitschaft aller, kreativ nach individuellen Lösungen zu suchen.

Praktische Tipps, wie man einer Mangel- oder Fehlernährung im Alter vorbeugen kann, folgten im Interview mit Silke Zur. Die Ernährungstherapeutin lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf kritische Nährstoffe, deren Bedarf alters-, krankheits- oder medikationsbedingt erhöht sein kann. Speziell hierfür entwickelte Produkte und Hilfsmittel konnten in der anschließenden Firmenausstellung begutachtet werden.

Zum Schluss referierte die Internistin Dr. Ursula Wolf über die Gefahren der Polypharmazie im Alter. In fast allen Fällen seien die verordneten Medikamente nicht an der meistkonsumierenden älteren Patientengruppe geprüft worden. Zudem könne man die Risiken bei mehr als drei gleichzeitig verabreichten Medikamenten kaum noch überblicken. Stattdessen würden die durch Polypharmazie hervorgerufenen Symptome oftmals dem Alter und der bestehenden Multimorbidität angerechnet. Es sei daher dringend geboten, alle an der Medikation Beteiligten für das Thema zu sensibilisieren und den interprofessionellen Austausch zu fördern – so geschehen im landesweiten Fortbildungsprojekt SAPREMO, welches Wolf vom Universitätsklinikum Halle aus leitete.

Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse im auffallend nahezu ausschließlich weiblichen Auditorium. Beruflich Pflegende, pflegende Angehörige, Betroffene, Ehrenamtliche, Sozialarbeiterinnen und ärztliche Kolleginnen und Kollegen lobten die Auswahl der Themen.

Die Videoaufzeichnungen und Folien der Vorträge können abgerufen werden unter: www.get.ovgu.de

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Eva Brinkschulte
Anna Urbach
Klinisches Ethikkomitee (KEK)
c/o Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Medizinische Fakultät
Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
Tel.: 0391/6724340
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Fotos: Melitta Dybiona