Kommen Kinder mit Fehlbildungen zur Welt oder führen diese sogar zu einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft, ist das ein großer Schicksalsschlag für die Betroffenen. Jeder Einzelfall ist tragisch und stellt Familien vor ganz spezielle Herausforderungen. Aktuelle Medienberichte, wonach in Nordrhein-Westfalen vermeintlich vermehrt Handfehlbildungen aufgetreten sind, verunsichern. Die aktuellen Zahlen der Fehlbildungsepidemiologie aus Sachsen-Anhalt können beruhigen.
Das Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt erfasst und analysiert angeborene Fehlbildungen und Anomalien bei Neugeborenen im Bundesland Sachsen-Anhalt in multidisziplinärer Zusammenarbeit mit den Geburts- und Kinderkliniken und den Einrichtungen der prä- und postnatalen Diagnostik. Nur dank der kontinuierlichen Förderung durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt seit 1995 und der engagierten Mitarbeit jedes einzelnen Einsenders ist diese landesweite interdisziplinäre Datenerfassung zu angeborenen Fehlbildungen möglich. Die Institution agiert eigenständig und ist der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg angegliedert.
Mit den erhobenen Daten vertritt das Fehlbildungsmonitoring die Bundesrepublik Deutschland im WHO-verbundenen weltweiten Netzwerk International Clearinghouse of Birth Defects Surveillance and Research (ICBDSR, www.icbdsr.org) und im europäischen Netzwerk für populationsbezogene Fehlbildungserfassung EUROCAT (European Surveillance of Congenital Anomalies, https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/eurocat).
Derzeit erfolgt die epidemiologische Analyse der Daten von 17.617 Schwangerschaften für den Geburtsjahrgang 2018 für das Bundesland Sachsen-Anhalt. Von angeborenen Fehlbildungen waren im Jahr 2018 rund 4 % aller Geborenen betroffen. Trotz der pränatalen Diagnostik ist nicht immer vor der Geburt das Vorliegen einer großen Fehlbildung bekannt. Die tatsächliche Rate der Entwicklungsstörungen wird oft unterschätzt. Sie ist höher, da nicht alle Schwangerschaften mit Entwicklungsstörungen bzw. Fehlbildungen der Feten ausgetragen werden bzw. der Defekt zum Geburtszeitpunkt noch nicht erkennbar ist.
Generell ist weltweit das Organsystem Herz-Kreislauf am häufigsten von Fehlbildungen betroffen. Unsere Darstellung zeigt dies ebenfalls für Sachsen-Anhalt.
Die Organsystembeteiligung bei Kindern/Feten mit großen Fehlbildungen (gruppiert) ist in Abbildung 1 dargestellt. Es ist ersichtlich, dass über die Jahre die prozentuale Verteilung in den Diagnosegruppen annähernd konstant blieb.

Ausgangspunkt für die hier erfolgende Vorabveröffentlichung der Daten zu Reduktionsfehlbildungen der Extremitäten (Fehlbildungen von Hand, Arm, Bein und/oder Fuß) ist das große mediale Interesse am Thema Geburten von Babys mit Handdeformitäten. Angeborene Fehlbildungen generell, und auch konkret Fehlbildungen der Hände, Arme, Füße und/oder Beine, treten immer wieder mit schwankender Häufigkeit auf (siehe Grafik).
2018 wurde eine Reduktionsfehlbildung der Extremitäten in Sachsen-Anhalt bei einem Kind/Fet pro 1.602 Geburten beobachtet. Im Vergleich zum Bezugszeitraum ab 2000 zeigt sich ein rückläufiger Trend in der Region. Die Grafik zeigt die natürlichen Schwankungen der Häufigkeiten in den einzelnen Jahren und den sich daraus ergebenden Durchschnittswert. Die Auswertung der aktuellen Daten gibt keinen Anlass für eine örtliche oder zeitlich auffällige, ungewöhnliche Häufung der Extremitätenfehlbildungen in Sachsen-Anhalt.
Unsere Erfahrungen mit der kontinuierlichen Fehlbildungserfassung unterstreichen die Bedeutung eines solchen Registers. Erst so sind Aussagen zu aktuell auftretenden Phänomenen der scheinbaren Häufung und deren Einordnung im zeitlichen Trend möglich.
Mit Hilfe mathematischer Modelle lassen sich Häufungen auf Grundlage von Basisdaten berechnen. Für weitere Analysen ist eine fachkompetente Evaluierung der Einzelfälle nötig. Ursachen für angeborene Fehlbildungen sind multifaktoriell. Es sind nicht nur Gendefekte, Infektionen, Arzneimittel, chemische Noxen, mechanische Einwirkungen und/oder entwicklungsphysiologische Defizite als Ursache möglich. In 50 % der Fälle bleibt trotz der Möglichkeiten der modernen Medizin der Auslöser unbekannt.
Häufungen von Fehlbildungen in Sachsen-Anhalt konnten im Zusammenhang mit der verbesserten Pränataldiagnostik (z. B. bei Herzfehlbildungen) und dem gestiegenen Mutteralter (z. B. Chromosomenaberrationen) in den Vorjahren festgestellt werden. Es handelt sich dabei um nicht direkt beeinflussbare Risikofaktoren.
Allerdings konnte durch das Register eine Häufung von Sartanfetopathien festgestellt und eine entsprechende Warnung veranlasst werden.
Generell gilt es, bekannte Risikofaktoren zu minimieren. So sollten weiterhin präventive Maßnahmen zum Verzicht auf Alkohol, Drogen und/oder Nikotin in der Schwangerschaft unterstützt werden. Auch die rechtzeitige Einnahme von Folsäure (bereits ab Kinderwunsch) stellt eine bedeutende Präventionsmaßnahme dar, die noch immer nicht vollständig umgesetzt ist.
Eine für die Bundesrepublik Deutschland einmalige Zusammenarbeit mit allen beteiligten Ärzten, medizinischem Fachpersonal und Wissenschaftlern auf Bundeslandebene ist hier in Sachsen-Anhalt herausragend und ermöglicht erst diese systematische Fehlbildungserfassung und -analyse. Die aktuellen Daten für das Geburtsjahr 2018 werden im Rahmen des Einsendertreffens am 09.11.2019 vorgestellt und der Jahresbericht erscheint anschließend in bewährter Form. Kurzfristige Anmeldungen zum Einsendertreffen sind unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! möglich.

Verfasser: Andrea Köhn
Korrespondenzadresse:
Dr. med. A. Rißmann
Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt*
Medizinische Fakultät der
Otto-von-Guericke-Universität
Leipziger Straße 44, Haus 39
39120 Magdeburg
Tel.: 0391/67-14174
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
*gefördert durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt
Grafiken: Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt, eigene Daten