Dr. Dietrich Stoevesandt unterstützt seit vielen Jahren die Ärztekammer Sachsen-Anhalt mit großem Engagement. Die Ärztekammer ist sehr froh, auf die Expertise von Dr. Stoevesandt zurück greifen zu können.
Herr Stoevesandt, wie sind Sie zur Ärztekammer gekommen?
Im Jahr 2014 wurde die Kammer beauftragt, Sprachprüfungen für ausländische Kolleginnen und Kollegen zu organisieren und durchzuführen. Hierfür wurde ich als Leiter des Dorothea Erxleben Lernzentrum (DELH) der medizinischen Fakultät in Halle angefragt.
Wieso?
Das DELH der MLU hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine Vielzahl von praktischen Prüfungen in der studentischen Lehre etabliert und sollte für Sachsen-Anhalt auch das Staatsexamensäquivalent für Nicht-EU Ärzte durchführen. Damit hatten wir die notwendige Erfahrung und mit unserem großen Simulationspatientenprogramm, der räumlichen Ausstattung mit videoüberwachten Patientenzimmer und einer Simulationspraxis die besten Voraussetzungen, die Prüfungen schnell und für ganz Sachsen-Anhalt standardisiert anbieten zu können. Wir können für die Sprach- und Kenntnisprüfungen mittlerweile auf über 60 Fallszenarien zurückgreifen, was uns in der aktuellen Pandemiesituation sogar dazu befähigt hat, auch den dritten Abschnitt der ärztlichen Prüfung ohne direkten Patientenkontakt für alle durchführen zu können.
Wie viele Prüfungen haben Sie bisher mit ihren Mitarbeitern durchgeführt?
Von Anfang 2015 bis Ende 2020 haben wir fast 1400 Sprachprüfungen und 500 Kenntnisprüfungen durchgeführt. Diese Anzahl ist natürlich nur durch die Mithilfe der Kolleginnen und Kollegen der Kammer möglich, die uns als Prüfer zur Verfügung stehen. 2020 haben 40 Prüfer zusammen mit 15 Simulationspatienten dafür gesorgt, dass es trotz der schwierigen Umstände zu keinen langen Wartezeiten auf die Prüfung kam und die in meinen Augen sehr hohe Prüfungsqualität beibehalten werden konnte.
Warum sind die Prüfungen wichtig für Sachsen-Anhalt?
Der Ausbildungsstand und die Sprachkenntnis der in Sachsen-Anhalt dringend benötigten Ärztinnen und Ärzte variiert sehr stark. Nur durch eine objektive, realitätsnahe Prüfung können wir zum einen den Patientenschutz zum anderen aber auch dem Anspruch auf eine faire Prüfung gerecht werden.
Warum kommen denn bei den Prüfungen Simulationspatienten zum Einsatz?
Die Interaktion mit Simulationspatienten lässt sich besser standardisieren als ein Gespräch mit echten Patienten. Außerdem ist eine Prüfung an Krankheitsbildern mit einer hohen Relevanz für den ärztlichen Alltag jederzeit und unabhängig vom aktuellen Patientenaufkommen realisierbar. Zusätzlich kann das Handeln in der eigentlichen (Notfall-) Situation überprüft werden, was aus ethischen Gründen am echten Patienten natürlich nicht möglich ist. Durch die zusätzliche Prüfung einfacher aber typischer ärztlicher Handlungen (Bed-Side-Test, Basic-Life-Support, Flexülenanlage etc.), die wir bei unseren heutigen Studienabgängern voraussetzen, stellen wir außerdem sicher, dass diese auch von den Kolleginnen und Kollegen aus Nicht-EU-Ländern beherrscht werden, was bei den unterschiedlichen Studiengängen nicht immer der Fall ist.
BÄK (Bundesärztekammer) – Was genau machen Sie dort?
Nach der Einführung der Sprachprüfungen in den einzelnen Bundesländern bestand der Bedarf sich untereinander abzustimmen, damit Prüfungsinhalte und Schwierigkeitsgrad vergleichbar bleiben. Dafür wurde ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch eingeführt, aus dem auch die Möglichkeiten der gegenseitigen Prüfungshospitation erwuchsen. Aktuell versuchen wir andere Kammern bei der Etablierung der Kenntnisprüfungen zu unterstützen.
In welchen weiteren Gremien arbeiten Sie für die Kammer?
Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Prüfungskommission Kardio-MRT, zum Glück finden hier viel weniger Prüfungen statt als bei den Sprachprüfungen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Herausforderungen für die Ärztekammer in den kommenden Jahren?
Die schlechten Erfahrungen mit der digitalen Patientenakte haben gezeigt, dass ohne ausreichende Einbeziehung der Ärzteschaft die Digitalisierung mehr Probleme mit sich bringt, als sie löst. Trotzdem ist die Digitalisierung mit der Patientenakte nicht abgeschlossen, sondern hat erst begonnen: Künstliche Intelligenz, digitale Gesundheits-Apps, virtuelle Realität, 3D-Druck, Telemedizin und viele andere neue Techniken werden unseren Berufsalltag in den nächsten Jahren grundlegend verändern, ob wir wollen oder nicht. Nur wir Ärztinnen und Ärzte können zusammen mit den anderen Gesundheitsberufen diese Veränderungen so begleiten, dass weiter unsere Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen sowie medizinische und ethische Aspekte nicht in den Hintergrund treten. Dies setzt voraus, dass wir uns mit diesen Veränderungen kritisch aber immer evidenzbasiert auseinandersetzen, was nur möglich ist, wenn wir mit den Grundlagen der Digitalisierung vertraut sind. Hier besteht ein Weiterbildungsbedarf für jeden einzelnen. Die Ärztekammer muss diesen Prozess zusammen mit den beiden medizinischen Fakultäten und den Krankenhäusern und den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen begleiten und moderieren.
Eine zweite Herausforderung ist die kontinuierliche Anpassung der ärztlichen Weiterbildung. Bei der immer weiter zunehmenden Arbeitsverdichtung auf der einen und der berechtigten Forderung insbesondere der jüngeren Kolleginnen und Kollegen nach Lebensentwürfen mit einer zufriedenstellenden „Work-life-Balance“ auf der anderen Seite, bedarf es umso mehr einer gut strukturierten und praxisorientierten Weiterbildung. Die ersten Schritte sind wir hier erfolgreich gegangen, aber ich denke, weitere sind notwendig. Die Weiterbildung in Deutschland ist gut, aber wenn wir im internationalen Vergleich weiter einen Spitzenplatz halten wollen, werden wir um die Etablierung von Simulationen analog zur Luftfahrt und dem Ausbau der digitalen Weiterbildungsangebote in enger Verzahnung mit einer strukturierten Weiterbildung am Patienten nicht herumkommen.
In diesem Jahr wird es natürlich auch eine Herausforderung werden, die Covid-Pandemie zu überstehen, angefangen damit, dass wir in der Bevölkerung ein ausreichendes Vertrauen gegenüber der Impfung schaffen müssen. In der zweiten Jahreshälfte werden wir uns um die Folgeschäden der eigentlichen Pandemie wie z. B. Patienten mit Long-COVID, aber auch die Kollateralschäden wie die Folgen der Überlastung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal auseinandersetzen müssen.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich fahre gerne Rennrad, am liebsten lange Strecken.
Lieber Herr Dr. Stoevesandt,
der Umgang mit „langen Strecken“ und der entsprechende lange Atem dazu wird auch in der Selbstverwaltung benötigt. Wir freuen uns auf die weitere freundschaftliche Zusammenarbeit mit Ihnen.
Dr. Simone Heinemann-Meerz
Präsidentin